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Großmacht im Abseits

Unerwartete Schützenhilfe für den Kreml: In einem Interview mit dem Economist hat Emmanuel Macron Anfang November 2019 die NATO für „hirntot“ erklärt. Auch mit seiner Charmeoffensive gegenüber Moskau sorgt der französische Präsident derzeit für Unmut unter vielen seiner europäischen Kollegen. So warnte der scheidende Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk seinen „lieben Freund“ Emmanuel: „Unser harter und konsequenter Kurs gegenüber Russland war der erste klare und unmissverständliche Ausdruck unserer Souveränität. Wir müssen dies weiterverfolgen.“ 

Es ist jedenfalls nicht nur das Interview von Macron, sondern vor allem auch Russlands Eingreifen in den Syrien-Krieg, das dem Kreml auf der internationalen Bühne derzeit wieder mehr Gewicht zu verleihen scheint. Manche russischen Analysten gehen vor diesem Hintergrund bereits so weit, Russland eine Schlüsselrolle in der globalen Sicherheitsarchitektur zuzuschreiben. Die Politikwissenschaftlerin Lilija Schewzowa nimmt all dies zum Anlass, um in The New Times zu fragen, um welche Art von Comeback es sich dabei überhaupt handelt.

Source The New Times

Russland hat sich erneut den Weg auf die Vorbühne der globalisierten Welt gebahnt. Hat sich mit Erdogan Syrien geteilt. Hat Kiew dazu gebracht, den Friedensbedingungen des Kreml zuzustimmen. Afrika wurde Putin frei Haus nach Sotschi geliefert. Doch das Wichtigste: Europa, repräsentiert von Macron, empfängt uns mit offenen Armen. 

„Russland wird ein Garant für Stabilität“, so die Heerscharen aus dem Kreml

Ist es etwa kein Grund zum Jubel, wenn die russische Regierung durch Großmachtgebahren ihre Selbstbestätigung findet?!  Andere Wege gibt es ja nicht mehr. Die begeisterte Heerschar aus dem Kreml hat laut aufgejault: „Russland wird ein fundamentaler Garant für Stabilität und Sicherheit in der Welt.“

Doch warum hat dann der US-amerikanische Außenminister Mike Pompeo in seiner programmatischen Rede in New York (anlässlich seiner Auszeichnung mit dem Herman Kahn Award), als er von den Prioritäten in der US-amerikanischen Außenpolitik sprach, Russland kein einziges Mal erwähnt – weder als Dialogpartner noch als Gefahr? Nur über China hat Pompeo gesprochen. 
Übrigens sieht auch der Rest der Welt nicht ganz ein, wieso es so wichtig sein soll, dass Russland wieder als Garant positiver Werte auftritt. Vielmehr wirken die russischen Erfolge wie dräuender Ärger. Sogar kremlfreundliche Beobachter geben das zu: „Russland hat einige prominente Gipfel in der internationalen Politik eingenommen und wird nun darum ringen, sie zu halten, besser gesagt: Es wird in einem Knäuel äußerst komplizierter Konstellationen versumpfen. Und es wird bereuen, sich darin verstrickt zu haben.“ 

Russland als Verkörperung des Fremden und Gefährlichen 

Und in der Tat: Sich im Nahen Osten – von wo die Amerikaner reißaus nehmen – in den Blutbrei einzumischen, das spricht eher für Torheit denn für strategische Kalkulation.
Und was bedeutet bitte die Bereitschaft Selenskys, die russische Interpretation der Steinmeier-Formel anzunehmen? Die bittere Ironie besteht darin, dass Selensky zur sicheren Beute seines eigenen Maidans wird, wenn er das riskiert. Und die offenen Arme des schönen Macron? Auch nicht sehr vielversprechend: Der französische Präsident versucht, Moskau zu benutzen, um die Führungsrolle auf dem verwaisten Feld der Europapolitik einzunehmen. Womit er übrigens den Deutschen und dem restlichen Europa auf die Nerven geht. Und was bekommt Russland dafür, wenn es erstmal Sprungbrett für Macron geworden ist?
Kann man überhaupt darauf hoffen, dass Russland den Dialog mit dem Westen wieder aufnimmt, wenn es für den Westen zu einer Verkörperung des Fremden und Gefährlichen geworden ist?
[...]  Wie kann man vor diesem Hintergrund zu dem Schluss kommen, dass Russland eine Schlüsselrolle für die globale Sicherheit und Stabilität einnimmt? 

Inzwischen verliert die Weltgemeinschaft das Interesse an Russland

Inzwischen verliert die Weltgemeinschaft das Interesse an Russland. Die, die über Russland schreiben, quälen sich im Bemühen, die Aufmerksamkeit an ihrem Thema zu halten. Selbst Putin regt die Phantasien nicht mehr an.
Russlandexperten rackern sich ab, um die Bedeutung Russlands (und damit gleichzeitig ihre eigene) zu steigern. Während es früher Mode war, die Integration Russlands in die westliche Welt zu beweisen, so heißt es nun, seine Gefahr für die Welt zu begründen. Ende der Themenliste. Die ewige Leier der russischen Forderungen und das endlose russische Gejammer zum Thema „Wo bleibt denn da der Respekt!“ geht allen gehörig auf den Geist.

Erniedrigend ist nicht, dass man uns nicht mehr respektiert und uns nicht glaubt. 
Erniedrigend ist, dass man uns für einen hoffnungslosen Fall hält. Erniedrigend ist, dass die Welt unserer müde ist.
Es gibt nicht mal mehr gesteigertes Interesse daran, sich mit uns auseinanderzusetzen. Eher im Gegenteil. Die westlichen Pragmatiker sagen: Die Russen kann man nicht ändern, doch es lohnt nicht, sich mit ihnen zu streiten. Wir tun einfach so, als würden sie uns interessieren, besprechen Pläne, die nie umgesetzt werden. Einfach, damit sie uns nicht ans Bein pinkeln.

Die angewiderte Gleichgültigkeit ist das Erniedrigendste für den russischen Stolz

Das Erniedrigendste für den russischen Stolz ist die angewiderte Gleichgültigkeit und dass man uns behandelt wie einen verdammten Anachronismus.
Übrigens kann Russland den Westen sehr wohl beeinflussen. Wie? Indem es versucht, das eine oder andere westliche Staatsoberhaupt mit seiner Freundschaft zu beglücken. Wenn die liberale Welt Russland als genuin Böses betrachtet, ist das ein verlässliches politisches Mordinstrument. Ein erneutes Gipfeltreffen zwischen Putin und Trump könnte für Letzteren durchaus zum Anlass für ein Impeachment werden.
Insofern: Wir können uns rächen. Rächen für die Nicht-Liebe, die Nicht-Wertschätzung, für die Gleichgültigkeit. Doch inwiefern wird diese Rache ein gerechter Preis sein für das verlorene Interesse an uns?

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Russland und Europa

Wie sonst nur Großbritannien hadert Russland mit seinem schwierigen Verhältnis zu Europa. Die britische splendid isolation findet ihr Gegenstück in der geographischen Teilung Russlands in ein europäisches und ein asiatisches Territorium. Kulturell und politisch gibt es mehr Fragen als Antworten. Der russische Begriff Jewropa ist keineswegs eindeutig und kann verschiedene, ja gegensätzliche Konnotationen aufweisen. Das Präfix jewro- – etwa in den Wörtern jewroremont (Euro-Renovierung) oder jewroobuw (Euro-Schuhe) – impliziert spätestens seit den 1990er Jahren hohe, „nicht-sowjetische“ Qualität. Wenn man in Russland „wie in Europa“ leben will, dann ist das positiv gemeint, und „europäische Luft“ gilt als Synonym für Freiheit. Gleichzeitig gibt es in Russland eine lange Denktradition, die Europa fehlende Spiritualität, Krämergeist und politische Schwäche vorwirft. Verbreitet ist auch die Vorstellung, Russland habe Europa vor dem Mongolensturm beschützt und die europäischen Usurpatoren Napoleon und Hitler besiegt.


In Kooperation mit der Körber-Stiftung im Rahmen ihres Arbeitsschwerpunkts Russland in Europa

Die Frage „Gehört Russland zu Europa?“ erhitzt bis heute die Gemüter der Intellektuellen. Neben das faktische Problem tritt das normative. Ebenso intensiv wird die Frage „Soll Russland zu Europa gehören?“ diskutiert.

Fenster nach Europa

Russlands Verhältnis zu Europa wurde von Peter dem Großen (1672–1725) zuoberst auf die politische Tagesordnung gesetzt. Seine Reformen revolutionierten das alte Ständesystem, indem die Rangtabellen für den Staats- und den Militärdienst eingeführt wurden. Damit wurden die sozialen Hierarchien nicht mehr durch Familientraditionen, sondern durch bürokratische Beförderungssysteme definiert. Gleichzeitig hielt die westeuropäische Kultur Einzug in Russland – am augenfälligsten waren die Neuerungen in der Mode und in der Architektur.

Die 1703 gegründete neue Hauptstadt St. Petersburg, die äußerlich den westeuropäischen Hauptstädten sehr ähnlich ist, wird nach Puschkins Formulierung oft als „Fenster nach Europa“ bezeichnet. Dieser bekannte Ausdruck ist aber selbst zum Gegenstand von Sprachwitzen geworden:: „Peter der Große hat doch ein Fenster eingeschlagen, aber keine Tür: Gucken darfst du, aber nicht hinausgehen“.1

Wohlgemerkt betrafen Peters Reformen vor allem den Adel. Im ausgehenden 18. Jahrhundert hatte ein aristokratischer Russe mehr mit seinem französischen Standesgenossen gemein als mit einem russischen Bauern. Um die adlige Gesellschaft Anfang des 19. Jahrhundert realitätsgetreu darzustellen, baute etwa Leo Tolstoi mehrere Dialoge auf Französisch in seinen Roman Krieg und Frieden ein.

Abklatsch westlicher Vorbilder

Die Verdienste der petrinischen Reformen und „Zwangseuropäisierung“ wurden später zum Gegenstand einer tiefen Reflexion. Napoleons Moskaufeldzug 1812 führte in Russland zur Ausarbeitung einer eigenständigen Nationalkultur.
Die Forcierung der russischen Kulturautonomie stieß bald auf vehemente Kritik. Im 19. Jahrhundert beschäftigte sich die im Entstehen begriffene russische Philosophie vornehmlich mit dem Thema Russland und Europa. Den Ton gab Pjotr Tschaadajew vor.  Sein Erster Philosophischer Brief erschien im Jahr 1836 und war nach Alexander Herzens berühmter Formulierung ein „Schuss in dunkler Nacht“. Auf Französisch kritisiert Tschaadajew die russische Kultur, die nichts Eigenständiges hervorgebracht habe und nur einen Abklatsch westlicher Vorbilder darstelle. Tschaadajew wurde wegen seiner radikalen Russlandkritik von den zaristischen Behörden für verrückt erklärt. Diese Kontroverse steht am Anfang der Debatte zwischen den sogenannten Slawophilen und Westlern, die das gesamte 19. Jahrhundert beschäftigte. Die Spätfolgen wirken noch in den heutigen Diskussionen um Russlands kulturelle Identität nach.

Die Slawophilen und die Westler sind jedoch nur auf den ersten Blick eingeschworene Gegner. Wie komplex die ideologischen Positionen sind, zeigt etwa die Tatsache, dass eine berühmte slawophile Literaturzeitschrift den Titel Der Europäer trug, während ein einflussreiches westliches Organ Vaterländische Aufzeichnungen hieß. Ihre Argumentationsstrukturen sind ähnlich.2 Beide Bewegungen weisen deutlich mehr Ähnlichkeiten miteinander auf, als mit der Theorie der offiziellen Volkstümlichkeit, die mit dem Namen des Bildungsministers unter Nikolaus I. Sergej Uwarow verbunden ist: So verstehen sich beide Seiten als russische Patrioten und treffen sich in der Diagnose, dass Russland reformbedürftig sei. Uneinig sind sie sich nur in der Therapie: Die Slawophilen rufen zur Rückkehr zu den eigenen Wurzeln auf, während die Westler den Anschluss an das fortgeschrittene Europa fordern. Für die Slawophilen wird dabei gerade die kulturelle Rückständigkeit zum Vorteil: Das „alte“ Europa habe bereits den verderblichen Weg des Rationalismus, Individualismus und Kapitalismus eingeschlagen, während das ungeformte Russland noch bereit sei, sich seiner höheren Berufung zu stellen. 

Russland als neuer Kulturtyp

Am detailliertesten hat Nikolaj Danilewski (1822–1885) diese Theorie ausgearbeitet, auch wenn er nicht stellvertretend für alle Unterbewegungen der Slawophilen stehen kann. In seiner umfangreichen Untersuchung Russland und Europa (1869) identifiziert er zehn Kulturtypen, die vom alten Ägypten bis zur „germanisch-romanischen Kultur“ der Neuzeit reichen. Russland kommt in dieser Typologie nicht vor: Es stellt für Danilewski die letzte Synthese dar, die alle religiösen, politischen und ökonomischen Entwicklungen der Weltgeschichte zusammenführen und abschließen wird. 

Aus dieser Perspektive erscheint Russland in einer Doppelrolle: Es erlebt erstens eine eigene Heilsgeschichte jenseits westlicher Ideale. Dadurch wird es zweitens zum erlösenden Vorbild für das fehlgeleitete Europa. Der russische Messianismus gehört zu den romantischen Denkfiguren, die sich im 19. Jahrhundert auch bei Tjutschew oder Dostojewski nachweisen lassen.3 Noch im 20. Jahrhundert bekannten sich Autoren wie Nikolai Berdjajew oder Alexander Solschenizyn zu dieser Idee. 

Der Topos einer vorteilhaften Rückständigkeit Russlands war auch für marxistisch inspirierte Philosophen und Politiker sehr attraktiv. Lenin und Trotzki gingen am Ende des Ersten Weltkriegs davon aus, dass in den industrialisierten Ländern Europas Schlag auf Schlag Revolutionen folgen würden. Die alten Nationalstaaten würden untergehen und neuen sozialistischen Gesellschaften Platz machen. Pikanterweise erfuhr der traditionelle russische Messianismus hier eine marxistische Umdeutung: Die Revolution im unterentwickelten Russland sollte den Befreiungskampf der Proletarier aller Länder einleiten.4 So schien kurz nach dem Oktoberumsturz 1917 das Problem „Russland und Europa“ gelöst zu sein.

Gemeinsames europäisches Haus

Mit neuer Intensität wurde über Zugehörigkeit Russlands zu Europa zu Beginn der 1990er Jahre debattiert, als zwei Europabilder gegeneinander ausgespielt wurden. Europa war aus der ersten Perspektive ein Vorbild für Rechtsstaatlichkeit, Marktwirtschaft und Demokratie, das von Russland nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems in „drei Fünfjahresplänen“ erreicht werden sollte. Die zweite Perspektive lehnte das westlich geprägte Europa als fremd ab und hob die eurasische Qualität Russlands hervor: Damit wäre Russland ein eigener europäischer Zivilisationstypus, der gerade nicht in das westliche Muster überführt würde.5

Diese Diskussionen gingen zurück auf Wortmeldungen der letzten Generalsekretäre der Sowjetunion. Berühmt geworden ist Michail Gorbatschows Wendung „unser gemeinsames europäisches Haus“, die er 1984 in einer Rede vor dem britischen Parlament6 und später am epochalen Gipfeltreffen mit Ronald Reagan 1986 in Reykjavik7 prägte.8 Gorbatschow machte aus dieser diplomatischen Floskel auch ein politisches Programm, dem noch in den 1990er Jahren gefolgt wurde. 

Auch zu Beginn der Präsidentschaft Putins hatte der Ausdruck „unser gemeinsames Haus Europa“ noch seine Gültigkeit. Präsident Putin setzte ihn 2001 in seiner berühmten, auf Deutsch gehaltenen Rede vor dem Bundestag ein.9 Dieser versöhnliche Kurs wurde allerdings 2007 aufgegeben, als Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine schärfere Gangart Russlands ankündigte. 

Gayropa

In der Ära Putin kann man im staatsnahen öffentlichen Diskurs eine wachsende Abgrenzung von Europa beobachten. Russische Nationalisten verwenden oft den Begriff Gayropa. Damit soll signalisiert werden, dass Europa seine traditionellen Werte aufgegeben habe und sich von Minderheiten bestimmen lasse. Eine ähnlich polemische Wortbildung ist der Begriff „Liberasten“. Die liberale Grundhaltung der westlichen Gesellschaften hat sich aus dieser Sicht selbst ad absurdum geführt: Wer sogar „Päderasten“ toleriert, gibt seine europäischen Identität auf.

Auch akademische Philosophen beschäftigen sich etwa mit der Frage, warum eine europäische „Ideologie“ wie der Liberalismus für Russland schädlich sei. So weist der Petersburger Politikwissenschaftler Wladimir Gutоrow (geb. 1950) in einer langen Einleitung zu einem Band mit dem Titel Liberalismus. Pro et contra (2016) darauf hin, dass liberale Politiker etwa in der Provisorischen Regierung 1917 und unter Jelzin in den 1990er Jahren „die russische Staatlichkeit an die Grenze zur Katastrophe“ gebracht hätten.10 

Der langjährige Chefideologe des Kreml, Wladislaw Surkow, kündigte in seinem Artikel für das regierungsnahe Journal Russia in Global Affairs den Anfang einer andauernden Einsamkeit Russlands an und suchte nach einem „dritten Weg“, einem „dritten Zivilisationstypus“, einem „dritten Rom“.
Die Ablehnung der europäischen Kultur taucht auch in offiziellen Dokumenten wie den Grundlagen der Kulturpolitik der Russischen Föderation (2015) auf. Die „Erhaltung eines einheitlichen Kulturraums“ wird als oberstes Ziel genannt. 

Wie wirksam dieser Diskurs ist, ist unklar. Eine Umfrage des Lewada-Zentrums zeigt jedenfalls, dass die Zustimmung zur Aussage „Russland ist ein europäisches Land“ 29 Prozent beträgt. Im Jahr 2008 erreichten die entsprechenden Werte noch 56 Prozent.11
Es scheint, dass das Fenster, das Peter der Große geöffnet hatte, langsam wieder zugeht. 

 

Aktualisiert am 21.12.2021


1.Es handelt sich um eine Anmerkung des Künstlers Ivan Kuskov (1927–1997), die vom Literaturwissenschaftler Michail Gasparov aufgeschrieben wurde, vgl.: Gasparov, Michail (2001) Zapiski i vypiski, Moskau
2.Uffelmann, Dirk (1999): Die russische Kulturosophie: Logik und Axiologie der Argumentation. Frankfurt am Main, S. 389 
3.Schelting, Alexander von (1948): Russland und Europa im russischen Geschichtsdenken, Bern, S. 180-187
 4.Albert, Gleb J. (2017): Das Charisma der Weltrevolution: Revolutionärer Internationalismus in der frühen Sowjetgesellschaft 1917-1927, Köln, Weimar, Wien, S. 74-87 
5.Neuman, Iver B. (1999):  Uses of other. "The East" in European identity formation. Minneapolis, S. 165f.
6.Šlykov, Konstantin V. (2014): Pervyj vizit M. S. Gorbačeva v Velikobritaniju: Vzgljad čerez 30 let, in: Vestnik MGIMO-universiteta, 35, S. 99
7.Gorbačev, Michail (2008): Sobranie sočinenij, IV, Moskva, S. 134
8.Weniger bekannt ist allerdings die Tatsache, dass der Ausdruck bereits von Leonid Breshnew 1981 bei einer Rede in Bonn und von Außenminister Andrej Gromyko an einer Pressekonferenz ebenfalls in Bonn 1983 verwendet wurde. Gromyko, Andrej A. (1984): Leninskim kursom mira, Moskva, S. 461
9.Kremlin.ru: Vystuplenie v bundestage FRG
10.Gutorov, V. A. (2016): Rossijskij liberalizm kak istoričeskij i političeskij fenomen: ot utopii k real'nosti, in: Liberalizm: Pro et contra: Russkaja liberal'naja tradicija glazami storonnikov i protivnikov: Antologija, Sankt-Peterburg, S. 14
11.Levada.ru: Rossija i Evrosojuz; Rossija i Evropa

Das Dossier „Werte-Debatten“ erscheint in Kooperation mit der Körber-Stiftung im Rahmen ihres Arbeitsschwerpunkts Russland in Europa.

Mit dem Fokusthema Russland in Europa widmet sich die Körber-Stiftung der Wiederbelebung eines offenen, kritischen und konstruktiven Dialogs zwischen Russland und seinen europäischen Nachbarn.

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