Drei bis fünf Millionen Ukrainer:innen leben in den von Russland besetzten Regionen der Ukraine – laut Freedom House das unfreieste Gebiet der Welt. Zehntausende sitzen aus politischen Gründen in Gefängnissen ein, mindestens 20.000 Kinder sind nach Russland verschleppt worden, um dort russischen Familien zur Adoption angeboten zu werden. Auch der kleinste Widerstand gegen die Zwangsrussifizierung kann im Foltergefängnis enden.
Zivilpersonen stehen selten auf den Listen der Gefangenenaustausche. Sie werden oft in schauprozessähnlichen Gerichtsverfahren wegen angeblichen „Terrorismus'“, „Spionage“ oder „Staatsverrat“ verurteilt, manche verschwinden spurlos. Sippenhaft ist Teil des Schreckensregimes: Oft trifft sie Frauen, deren Familienmitglieder (angeblich) beim Militär sind.
The Insider erzählt die Geschichten von Nonna, Julia und Vera, die als angebliche ukrainische Spioninnen verurteilt wurden.
Achtung: Dieser Artikel enthält drastische Darstellungen von Gewalt.
„Für jedes Wort in meiner Muttersprache bekam ich eins auf den Kopf“ – Julija Koweschnikowa, ein Brief aus der Strafkolonie
Ich möchte von mir erzählen. Ich stamme aus Melitopol, der Stadt der weltberühmten Kirschen. Ich habe eine Tochter und zwei Enkel. Und einen Mann. Ich will nicht verheimlichen, dass ich die Ehefrau eines ukrainischen Militärangehörigen bin. Deshalb sitze ich hinter Gittern. Es sind jetzt schon 16 Monate oder genauer 486 Tage, seitdem man mich aus meinem Zuhause weggeholt hat. Ich weiß noch, wie ich mich nach meinen Fenstern umdrehte, als sie mich abführten. Da war diese Klarheit, dass ich nie in die Wohnung zurückkehren würde. Ich will weinen, aber da sind keine Tränen.
In den ersten Tagen sprach ich mit ihnen [den russischen Militärs – Anm. The Insider] auf meiner Muttersprache. Dann gewöhnten sie es mir ab. Für jedes Wort in meiner Muttersprache bekam ich von maskierten Männern eins auf den Kopf.
Im September 2023 kamen Wagner-Leute als Wachen, die gaben uns fünf Hymnen: die russische, die der LNR und DNR-Hymen, die sowjetische und – Achtung! – eine neue Hymne der Ukraine, geschrieben von eurem Land. Einen Monat später kam der Anführer und sagte: „Wenn ich reinkomme, geht ihr auf die Knie und singt die Hymnen.“
Als ich das Gelände der Strafkolonie betrat, brach ich in Tränen aus. Ich habe Angst, dass ich nicht bis zum [Gefangenen-]Austausch durchhalte. Ich versuche mich zusammenzureißen. Aber eigentlich wünschte ich, sie würden mich in das Erdloch zurückschicken und erschießen.
„Ich hoffe, dass sie nicht die ganze Strafe absitzen muss“ – Anastassija, Tochter von Julija Koweschnikowa
Als der Krieg begann, lebte ich mit meinem Mann und unserem kleinen Sohn in Melitopol. Unsere Stadt wurde gleich besetzt. Meine Mutter lebte auch dort. Sie bestand darauf, dass wir mit dem Kleinen aus der Besatzungszone ausreisen. Sie selbst wollte nicht weggehen, sie hatte Hunde – kleine Pekinesen – und einen Papagei, dem sie beigebracht hatte, Putin zu beschimpfen.
[Das ganze nächste Jahr – Anm. The Insider] hielten wir Telefonkontakt, aber manchmal gab es wochenlang keine Verbindung. Sie wartete auf die Befreiung der Gebiete, sagte immer: Nur noch ein bisschen, dann wird alles vorbei sein. Wegen einer Verletzung am Arm arbeitete sie schon lange nicht mehr, ging kaum aus dem Haus. Sogar den Hunden gewöhnte sie an, im Haus zu bleiben. Wahrscheinlich hat sie jemand angeschwärzt, weil sie mit einem ukrainischen Militärangehörigen verheiratet ist. Im April 2023 verschwand sie dann. Über ein Jahr lang hörten wir nichts von ihr.
Sie haben sie direkt zu Hause abgeholt, alles auf den Kopf gestellt, suchten nach irgendwelchen Beweisen, Handys. Die ersten Monate wurde sie in einem Erdloch festgehalten. Wenn es regnete, lief es voll mit Wasser.
In ihren Briefen schreibt meine Mutter, dass man sie dort auf den Kopf geschlagen und gesagt habe, dass die Ukraine schon verloren hätte. Sie schrieb, dass man sie hungern ließ und ihr abgelaufene Lebensmittel zu essen gab. Sie hat sehr viel Gewicht verloren.
Dann wurde sie in einen Keller gebracht. In diesen Kellern wurden Menschen zu Tode gefoltert, erzählt sie. Sie hörte ständig die Schreie der Gefolterten. Dass meine Mutter in U-Haft kam, erfuhren wir erst im Sommer 2024. Der Anwalt einer anderen Gefangenen machte mich ausfindig und teilte mir mit, meine Mutter sei bei seiner Mandantin. Da konnte ich ihr schreiben und ein paar Sachen schicken, denn sie hatte rein gar nichts – keine Kleidung, keine Hygieneartikel, kein richtiges Essen. Sie bat, ihr doch wenigstens irgendwas zu schicken – Turnschuhe, Kaffee, einen Wasserkocher.
Alles, was man ihr zur Last legte, war in lokalen Chats für alle öffentlich zugänglich.
Meine Mutter wurde wegen Spionage angeklagt. Sie soll meinem Stiefvater angeblich Informationen zu russischen Militärs zugespielt haben. Aber das stimmt nicht. Meine Mutter saß zu Hause, alles, was man ihr zur Last legte, war in lokalen Chats für alle öffentlich zugänglich. Trotzdem verurteilte [das Besatzer-Regionalgericht des von Russland kontrollierten Teils der Oblast Saporischschja – Anm. The Insider, dekoder] meine Mutter im Juni 2024 zu 13 Jahren Strafkolonie.
Während dieser ganzen Zeit hat die Gesundheit meiner Mutter stark gelitten. Sie hat schlimme Magenschmerzen, sie sieht schlecht, sagt, sie würde wie durch einen Schleier sehen. Sie hat starke Schmerzen in den Armen, Gelenkschmerzen. Ihr Gedächtnis lässt nach. Jetzt hat man sie in ein anderes Lager überstellt. Momentan befindet sie sich im Lager IK-15 in der Oblast Samara.
Mein Stiefvater macht sich große Sorgen um sie. Ich hoffe sehr, dass sie nicht die ganze Strafe dort absitzen muss. Vor jedem Gefangenenaustausch hoffen wir, dass eine unbekannte Nummer anruft, dass wir drangehen und meine Mutter sagt, sie ist zurück. Jedes Mal wartet man aufs Neue, denkt, jetzt ist es soweit. Aber nein.
„Du wurdest von NATO-Leuten ausgebildet, den Lügendetektor auszutricksen“ – Vera Byrjuk, zivile Gefangene, durch Austausch freigekommen
Ich heiße Vera Byrjuk. Ich komme aus dem Dorf Bachmutiwka in der Oblast Luhansk. Wir wurden sofort okkupiert: Bereits am 26. Februar [2022 – Anm. The Insider] erklärte Russland, dass wir von nun an zur Russischen Föderation gehörten. Anfang März begannen dann die Filtrationsmaßnahmen in den Familien der ukrainischen Militärs. Auch zu uns kamen sie. Suchten nach meinem Bruder, seine Sachen, aber sie fanden nichts.
Ich wurde in der Nacht zum 4. September 2023 festgenommen. Ich wachte davon auf, dass mich Männer in Sturmhauben unter den Armen griffen. Sie erklärten nichts, stellten sofort Fragen: Wie viele Handys hast du, wo sind deine Verwandten, deine Mutter, deine Kinder? Wenn ihnen meine Antworten nicht gefielen, schlugen sie mich.
Dann kamen weiße Kleinbusse vorgefahren. Ich wurde mit verbundenen Augen auf den Boden des Kleinbusses gesetzt, dann fuhren wir los. Später erfuhr ich, dass man mich in das ehemalige Gebäude des SBU, des Ukrainischen Sicherheitsdiensts in Luhansk gebracht hatte, jetzt sitzt dort der FSB. Dort brachte man mich zu einem weiteren Verhör in den Keller. Sie sagten einfach zu mir, ich sei eine ukrainische Spionin.
Wenn du antwortest, bekommst du einen Stromschlag. Wenn du nicht antwortest – auch.
Im Keller setzten sie mich auf einen Stuhl, fesselten mich mit Klebeband und begannen zu fragen. Wenn du antwortest, bekommst du einen Stromschlag. Wenn du nicht antwortest – auch. Sie fragten: Wo bist du aufgewachsen, welche Staatsbürgerschaft hast du, mit wem aus der ukrainischen Armee hattest du Kontakt? Das alles ging die ganze Nacht und bis zum nächsten Nachmittag, 17 Uhr. Ich wurde gezwungen, irgendwelche Papiere zu unterschreiben und dann ins Ermittlungskomitee gebracht. Dort sagten sie mir, dass ich lange würde sitzen müssen, aber wenn ich ein Schuldgeständnis abgebe, etwas weniger. Ich bat sie, meine Familie von meiner Verhaftung zu unterrichten. Worauf ich hörte: „Nichts und niemand brauchst du unterrichten, niemand wird irgendwo anrufen, und einen eigenen Anwalt wirst du auch nicht kriegen.“
Daraufhin wurde ich einen Monat lang ohne jeden Gerichtsbeschluss in U-Haft festgehalten. Man brachte mich noch am selben Abend dorthin. Die Aufseher sagten, es sei spät und sie hätten nichts mehr zu essen für mich. Die Antwort war: Macht nichts, geben sie ihr eben morgen was, bei uns hat sie auch nichts bekommen. Dann brachten sie mich in den Untersuchungsraum, befahlen mir, mich nackt auszuziehen und mich hinzuhocken. Das alles in Anwesenheit von Männern.
Eine Woche später brachten sie mich wieder ins FSB-Gebäude zu einem Lügendetektortest. Davor sagten sie, den Lügendetektor bräuchten sie, um zu „wissen, wie sie mit mir umspringen sollen. Wenn du die Wahrheit sagst, dann werden wir dich nicht jeden Tag schlagen. Und wenn du lügst, machen wir damit weiter“.
Die Fragen drehten sich im Wesentlichen darum, ob ich für die ukrainische Armee arbeite und ob ich mich an sie gewandt habe, um Informationen weiterzugeben. Natürlich war meine Antwort nein. Das war die Wahrheit. Dann brachten sie mich ins Büro des Mitarbeiters, der mich überall hinbegleitete. Der sagte, ich hätte den Lügendetektortest bestanden, weil ich von „NATO-Leuten ausgebildet wurde, ihn auszutricksen“.
Erst Anfang Oktober brachte man mich vor Gericht, um einen Haftbefehl zu erhalten. Dort legten sie mir auch gleich die Anklage wegen versuchten Mordes vor.
Der Prozess gegen Vera Byrjuk:
Vera Byrjuk wurde wegen versuchten Mordes an Juri Afanasjewski, dem Vorsitzenden des Zollkomitees der [selbsternannten] Volksrepublik Luhansk, angeklagt. Sie soll ein Smartphone mit Sprengstoff in die Region Luhansk gebracht und es Afanasjewski übergeben haben. Bei der Explosion wurde damals dessen Sohn verletzt, der die Schachtel mit dem Telefon geöffnet hatte.
Danach kam ich zu Frauen, die wegen Drogenhandel angeklagt waren und Putin verehrten.
Die ganze Anklage war an den Haaren herbeigezogen. Alles wurde allein damit begründet, dass ich mich in der Nähe der Übergabe aufgehalten habe.
Diese ganzen Monate lang trug ich die Sachen, die ich bei der Festnahme anhatte. Erst Ende Oktober [als die Untersuchungshaft vom Gericht verlängert wurde – Anm. The Insider] beschwerte ich mich beim Gericht, dass ich nichts zum Anziehen hätte, und auch sonst nichts. Draußen war es kalt, und ich trug nichts als T-Shirt und Leggins, nicht einmal Socken. Danach erlaubten sie meinem Verteidiger, meiner Familie zu sagen, wo ich bin.
Im Untersuchungsgefängnis musste ich mir eine Zelle mit einer Frau teilen, die an Schizophrenie erkrankt war. Sie hatte ihre Tochter ermordet und ihre Enkeltochter vom Balkon geworfen. Nachts hatte sie Anfälle. Ich wache auf, und sie sitzt mir gegenüber auf der oberen Pritsche, nackt, in der Hand den Wasserkocher. Und springt auf einmal los wie eine Amazone. Ich schreie, rufe die Wachen, hämmere gegen die Tür: „Hilfe! Retten Sie mich!“ Aber die nur: „Da muss du durch, was sollen wir tun.“ Erst Ende Dezember [2023 – Anm. The Insider] wurde sie in die Psychiatrie zwangseingewiesen.
Dann wurde ich in eine Zelle mit einer jungen Frau verlegt, sie hieß Nastja und war Separatistin [trat für die Unabhängigkeit der selbsternannten Republiken ein – Anm. The Insider]. Mit ihr saß ich bis Ende Mai. Danach kam ich zu Frauen, die wegen Drogenhandel angeklagt waren und Putin verehrten. Sie hatten Porträts von ihm. Morgens und abends beteten sie und küssten diese Porträts.
Dass man mich für einen Austausch vorbereitete, sagten sie mir im Vorhinein, noch vor der Urteilsverkündung. Am 27. August [2024 – Anm. The Insider] lief den ganzen Tag meine Anhörung, und am 28. August wurde das Urteil verkündet – 15 Jahre Strafkolonie. Direkt danach machten sie mich für den Austausch bereit. Erst holten sie einen Fotografen, der Fotos von mir machte. Dann wurde ich in der Sanitätsstelle untersucht. Sie gaben mir meine Sachen aus den Postsendungen, die nicht von der Verwaltung genehmigt worden waren.
Mir wurde ganz schlecht, als wir die Gefangenen auf der anderen Seite sahen – satt und zufrieden. Und unsere Jungs alle abgemagert, ausgelaugt, kaum auf den Beinen.
Ich hatte von Leuten gehört, die genauso für einen Austausch bereitgemacht und weggebracht wurden, aber wieder in ihre Zellen kamen. Aber ich war mir irgendwie sicher, dass ich wirklich ausgetauscht würde. Die Fahrt dauerte drei Tage: erst nach Rostow-am-Don, dann Woronesh, dann Brjansk und erst von dort an die Grenze. Als wir dann im Gefängnis die Busse vor den Fenstern sahen, wussten wir, dass der Austausch wirklich stattfindet.
Mir wurde ganz schlecht, als wir die Gefangenen auf der anderen Seite sahen – satt und zufrieden. Und unsere Jungs alle abgemagert, ausgelaugt, kaum auf den Beinen. Aber natürlich war da die Freude, endlich zu Hause zu sein, in Freiheit.
„Die Mutter wurde mitgenommen, die Großmutter ist gestorben“ – Irina, Taufpatin von Nonna Galka
Nonna lebte in Dniproprudne in der Oblast Saporischschja. Dort erlebte sie die Okkupation 2022. Ich bin mit Nonna nicht blutsverwandt, ich bin die Patentante ihres jüngsten Kindes. Ich bin fast sofort aus der Besatzungszone raus, aber Nonna blieb. Sie hatte einen Partner und zwei minderjährige Kinder, aus ihrer ersten und zweiten Ehe. Ihr Mann verbot ihr die Ausreise. Im Juni 2023 verschwand sie , und mit ihr ihre Schwester Natalja und deren Sohn Witja.
Ich suchte nach ihr, schrieb Briefe an alle möglichen Organisationen. Acht Monate lang führte man mich an der Nase herum. Niemand wollte etwas von ihr gehört haben. Nach vier Monaten fanden wir ihre Schwester Natalja im Leichenschauhaus. Sie war übel zugerichtet, die Haare grau. Der Körper war in einem Zustand, dass man sie nicht im offenen Sarg beerdigen konnte. Sie war einfach in einem Keller zu Tode gefoltert worden. Im Leichenschauhaus sagten sie uns, sie hätten sie so gefunden, und als offizielle Todesursache wurde Herzinsuffizienz angegeben. Ihre Familie bestattete sie im geschlossenen Sarg.
Ich habe nicht mehr daran geglaubt, dass wir Nonna lebend wiedersehen würden. Also, meine Seele hat es geglaubt, aber mein Verstand nicht. Aber nach acht Monaten erfuhren wir, dass sie in einem Untersuchungsgefängnis in Rostow ist.
Wir wissen jetzt, dass man sie ein halbes Jahr lang in einem Keller festgehalten hat. Wahrscheinlich wurde sie genauso gefoltert wie ihre Schwester. Sie sollten gestehen, dass sie Informationen [über russische Soldaten – Anm. The Insider] weitergegeben haben, samt Stellungen, als Zielaufklärer. Alles, weil Nonnas und Nataschas Söhne früher bei der ukrainischen Armee gedient haben. Aber das stimmte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Als man sie wegen Spionage anklagte, war sie bereits russische Staatsbürgerin.
Jetzt ist Nonna auf dem Weg in die Strafkolonie. Wir hoffen, dass wir etwas von ihr hören, sobald sie angekommen ist. Nonna hat zwei Magen-OPs hinter sich. Sie wiegt nur noch 30 Kilo. Sie muss medizinisch behandelt werden, aber das kümmert niemanden.
Wir hoffen inständig auf einen Gefangenenaustausch. Das ist mein erster Gedanke, wenn ich aufwache, und mein letzter, bevor ich einschlafe. Ich schreibe an alle Organisationen – die UNO, das Rote Kreuz, überallhin, nur damit man sie eintauscht. Sie überlebt da drin nicht.
„Im Klartext bedeutet das die Errichtung von Geheimgefängnissen“ – Nikolai Polosow, Anwalt und Mitbegründer der NGO Poshuk. Polon
Nach Angaben des ukrainischen Ombudsmann für Menschenrechte, Dmytro Ljubinez, hält Russland etwa 16.000 Zivilisten gefangen. Die russischen Behörden haben eigens eine neue Terminologie erfunden: Sie werden „wegen Widerstandes gegen die militärische Spezialoperation“ festgehalten. Im Klartext bedeutet das die Errichtung von Geheimgefängnissen, in denen Tausende von Menschen ohne Gerichtsbeschluss und ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten werden. Diese Menschen befinden sich de facto in Untersuchungshaftanstalten oder in Strafkolonien, die für die Unterbringung von Kriegsgefangenen umgerüstet wurden. Sie können Monate oder Jahre dort sitzen. Die russischen Behörden versuchen, diese Informationen maximal geheimzuhalten.
„Sie prügeln aus den Menschen Schuldgeständnisse“ – Jewgeni Smirnow, Anwalt von Perwy otdel (dt. Abteilung Nr. 1)
Diese Menschen werden in den Kellern schwerster Folter unterzogen. In allen Fällen kommen Elektroschocks zum Einsatz, manche werden nur geschlagen, andere aufgehängt, wieder andere sexuell misshandelt. Es kommt vor, dass sexuelle Gewalt vor den Augen der Angehörigen ausgeübt wird, das heißt, eine Frau wird zum Beispiel gezwungen zuzusehen, wie ihr Mann vergewaltigt wird. Diese Folterungen haben kein Ziel. Sie prügeln aus den Menschen Schuldgeständnisse. Die Anklage stützt sich auf banalen Schriftverkehr mit Verwandten oder öffentliche Daten aus sozialen Netzwerken. So ein Schriftverkehr könnte zum Beispiel folgendermaßen aussehen: Gestern ist bei uns eine Rakete eingeschlagen, wir hatten alle große Angst, das und jenes ist passiert.
In den drei Jahren seit Kriegsbeginn standen ukrainische Zivilisten, die in Russland wegen Spionage oder Hochverrats verurteilt worden waren, nur in Ausnahmefällen auf Gefangenenaustauschlisten.