Der Zweite Weltkrieg ist seit über 80 Jahren Geschichte, und doch sind die damit verknüpften Ereignisse bis heute präsent und prägen Diskussionen in den betroffenen Regionen rund um die europäische Erinnerungskultur. So gibt es in Mittel- und Osteuropa weiterhin heftige Kontroversen zu den Ereignissen des 17. September 1939 und den darauffolgenden Tagen und Monaten des Krieges. An jenem Tag begann der Einmarsch der Roten Armee nach Polen, woraufhin der östliche Teil Polens besetzt und von Moskau der Belarussischen und der Ukrainischen SSR zugeschlagen wurde. Vorausgegangen war die Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Pakts mit dessen geheimem Zusatzprotokoll.
In Belarus wird offiziell des Vorgehens der sowjetischen Führung gedacht: Der 17. September 1939 wurde im Jahr 2022 vom Lukaschenko-Regime zum staatlichen Feiertag erklärt, zum „Tag der nationalen Einheit“ (belaruss. Dsen narodnaha adsinstwa).
In seiner Gnose erklärt der Historiker Viktor Schadurski die historischen Hintergründe der damaligen Ereignisse und beleuchtet die Diskussionen rund um einen der umstrittensten Tage in der belarussischen Geschichte.
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Die Politik von Alexander Lukaschenko greift in Vielem die offizielle sowjetische Interpretation der Ereignisse um den 17. September 1939 auf. Die zentralen Argumente, die in den Medien der UdSSR bis zu deren Ende vorgebracht wurden, waren bereits in der Note enthalten, die die sowjetische Regierung früh morgens am 17. September 1939 im Kreml dem polnischen Botschafter verlas. Dort wurde der Überfall der sowjetischen Truppen mit der Notwendigkeit erklärt, „das Leben und den Besitz der Bevölkerung der Westukraine und von Westbelarus zu schützen“. Dem polnischen Botschafter wurde zudem erklärt, Polen habe „im Laufe von zehn Tagen militärischer Operationen sämtliche seiner Industrieregionen und kulturellen Zentren verloren. Warschau als Hauptstadt Polens existiere nicht mehr. Die polnische Regierung sei zerfallen und gebe keine Lebenszeichen von sich. Das bedeute, der polnische Staat und seine Regierung existierten praktisch nicht mehr. Damit seien sämtliche Verträge zwischen der UdSSR und Polen hinfällig“.1 Der polnische Botschafter weigerte sich, die Note entgegenzunehmen. Das Schicksal seines Landes war so gut wie entschieden. Das nationalsozialistische Deutschland und die Sowjetunion hatten die Zweite Polnische Republik gewaltsam unter sich aufgeteilt.
Das verbrecherische Übereinkommen zwischen Deutschland und der UdSSR, durch das die jeweiligen Einflusssphären abgesteckt wurden, blieb in der Note natürlich unerwähnt; und es war in der Sowjetunion bis fast zu deren Zerfall ein Staatsgeheimnis. Falsch waren auch die Behauptungen, Polen sei zum Zeitpunkt des sowjetischen Überfalls bereits militärisch besiegt gewesen und kein völkerrechtliches Subjekt mehr gewesen. Bekanntlich floh die polnische Regierung erst am Abend des 17. September 1939 nach Rumänien.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges galt der 17. September 1939 in der UdSSR offiziell als Tag der Wiedervereinigung des ukrainischen beziehungsweise des belarussischen Volkes. Etliche Straßen, Unternehmen und Institutionen in Westbelarus wurden nach dem 17. September benannt. Nicht nur hat die heutige belarussische Staatsführung diese Interpretation vollständig übernommen, sie ging sogar noch weiter: 2021 unterzeichnete Lukaschenko einen Erlass, dem zufolge der 17. September als Tag der nationalen Einheit begangen wird.
Im Vorfeld des 17. September und am Tag selbst finden in Belarus zahlreiche, von oben angeordnete, propagandistische Veranstaltungen statt (Blumen werden niedergelegt, Subbotniks abgehalten sowie Auto- und Fahrradkorsos, runde Tische und Seminare veranstaltet). Auf den Leinwänden und Bildschirmen des Landes werden Filmaufführungen und Dokumentationen mit antipolnischer und antidemokratischer Stoßrichtung gezeigt, deren Besuch für Bildungseinrichtungen Pflicht ist.
„Dolchstoß in den Rücken Polens” – die Rolle des Vertrages von Riga
Es ist kein Geheimnis, dass die sowjetische militärische Unterstützung für Nazideutschland gemäß dem geheimen Zusatzprotokoll zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23. August 1939 (Hitler-Stalin-Pakt) bereits in den ersten Tagen des deutschen Angriffs einsetzte. So nutzten beispielsweise deutsche Flieger bei ihren Bombenflügen auf Polen zur Orientierung einen sowjetischen Funksender in Minsk, der auf ein Gesuch von Hermann Göring hin seine Reichweite vergrößerte.2
Daher fällt die Bewertung des sowjetischen Angriffs auf Polen, der im Herbst 1939 begann, in Deutschland und anderen demokratischen Ländern eindeutig aus. Es war ein heimtückischer Überfall auf ein Nachbarland, das sich gegen eine Niederlage im Kampf gegen die vorrückenden deutschen Truppen stemmte. Durch diesen unprovozierten Angriff habe die Sowjetunion ihre völkerrechtlich bestehenden Verpflichtungen grob verletzt.
Außerhalb der Region wird dieses Thema längst nicht so heiß diskutiert wie in Polen, Belarus und der Ukraine, wo die Bevölkerung unmittelbar von den Kampfhandlungen betroffen war. Jede der Seiten hat ihre Argumente, mit denen das Vorgehen der gegnerischen Seite bewertet wird. Das alles ist auf die komplizierte Geschichte Mittel- und Osteuropas zurückzuführen, die in Westeuropa oft weniger bekannt ist.
Bei der unterschiedlichen Wahrnehmung des 17. September 1939 spielt die Bewertung des 1921 geschlossenen Friedens von Riga eine große Rolle. Mit ihm wurde der polnisch-sowjetische Krieg beendet. Und mit diesem Friedensvertrag wurde das Territorium von Belarus und der Ukraine zwischen Warschau und Moskau aufgeteilt. Die Belarussische Sozialistische Sowjetrepublik (BSSR) war zu diesem Zeitpunkt zwar formal unabhängig, doch wurde deren Delegation, anders als die der Ukraine, nicht zu den Verhandlungen zugelassen. Der Frieden von Riga wurde von der Belarussischen Volksrepublik (BNR), den politischen Parteien in Belarus und der belarussischen Intelligenzija um beispielsweise Janka Kupala, Jakub Kolas oder Uladsimir Dubouka scharf kritisiert, wie auch von den Allbelarussischen Konferenzen zwischen 1921 und 1925. Arkadi Smolitsch, ein Verfechter der nationalen belarussischen Wiedergeburt jener Zeit, schrieb: „Diese Teilung von Belarus entbehrt jeder geographischen Grundlage. Die Grenzen wurden quer durch den lebendigen Körper von Belarus gezogen …“.3
Eine belarussische Karikatur aus dem Jahr 1921: „Nieder mit der schändlichen Aufteilung von Riga! Es lebe das freie unabhängige bäuerliche Belarus!” / Abbildung © Public domain, via Wikimedia Commons
Für Polen hingegen bedeutete der Friedensvertrag den Gewinn von Territorien, die das Land durch die Teilungen Polens Ende des 18. Jahrhunderts verloren hatte. Im Zuge von drei Teilungen (1772, 1793 und 1795) war das Territorium der damaligen polnisch-litauischen Adelsrepublik an Preußen, die Habsburger Monarchie und das Russische Reich gefallen. Daher ist es in Polen hinsichtlich der Ereignisse nach dem 17. September 1939 praktisch Konsens, dass die Sowjetunion Polen heimtückisch in den Rücken gefallen sei, während sich das Land Rückzugsgefechte mit Nazideutschland lieferte. Polnische Historiker verweisen dabei insbesondere auf die grobe Verletzung des polnisch-sowjetischen Nichtangriffspaktes (vom 25. Juli 1932) sowie anderer internationaler Verpflichtungen.
Die Tragik des sowjetischen Überfalls auf Polen wurde durch Repressionen verstärkt, die gegen Militärs, Staatsbedienstete, Priester verschiedener Konfessionen, Unternehmer, Künstler und Kulturschaffende unternommen wurden, weil sie dem polnischen Staat gegenüber loyal blieben oder dem sowjetischen Regime aus anderen Gründen „nicht genehm“ waren.4 Den stärksten Widerhall erzeugte ein Verbrechen des sowjetischen Regimes, das als Massaker von Katyn bekannt wurde. Auf Befehl des Politbüros des ZK der Kommunistischen Partei in Moskau wurden im Frühjahr 1940 bei Katyn (Oblast Smolensk) und mehreren anderen Orten über 22.000 Angehörige der polnischen Elite per Genickschuss ermordet. Die meisten waren Kriegsgefangene, Offiziere der polnischen Streitkräfte.5 Von den Repressionen waren nicht nur ethnische Polen betroffen, sondern auch Angehörige anderer ethnischer Gruppen, unter anderem Belarussen, Ukrainer und Juden. Von September 1939 bis Mai 1940 wurden in Westbelarus 42.066 Personen vom NKWD verhaftet, von denen viele entweder erschossen wurden oder in der Haft umkamen. 1940 erfolgten drei Deportationen aus Westbelarus und 1941 eine weitere. Dabei wurden 123.531 Personen in entlegene Regionen der UdSSR verbracht.6
Zu betonen ist auch, dass sich im heutigen Polen auf allen Ebenen die Tendenz verfestigt hat, die bestehenden Staatsgrenzen anzuerkennen, auch die zu Belarus und der Ukraine. Forderungen nach einer Rückkehr der Ostgebiete sind allenfalls noch von wenigen Randfiguren zu hören. Elżbieta Smułkowa, eine bekannte polnische Wissenschaftlerin und die erste Botschafterin Polens im unabhängigen Belarus, sagte in einem Interview: „[…] das nationale Interesse Polens besteht darin, die Frage der Nachkriegsregelung der Grenzen nicht anzurühren. Wenn wir nämlich unsere Augen auf den Osten richten, müssen wir den Deutschen den Westen zurückgeben. Und dort haben die Leute schon recht tiefe Wurzeln geschlagen.“7
„Wiedervereinigung von Belarus” – in der Erinnerung und in der Historiographie
Für die Belarussen sind die Ereignisse im September 1939 nicht nur Teil der nationalen Geschichte, sondern auch der Familiengeschichte. Menschen, die vor dem Krieg im Westen des Landes lebten, erinnerten sich oft an ihr Leben im „Polen der Pane“ [„Polen der Herren“ – dek.], wie es damals hieß. Und ihre Erzählungen unterschieden sich beträchtlich von den offiziellen sowjetischen Versionen hierzu, was heute bei jüngeren Menschen für Befremden sorgt.8
Mein Großvater Sergej Schadurski war Bauer, er betrieb seinen Hof allein und lebte vor dem Krieg als orthodoxer Christ am – damals polnischen – linken Ufer der westlichen Dwina. Er konnte über den Fluss hinweg das Kolchose-Leben in Belarus beobachten. Seine Berichte fielen für die „Sowjets“ (so wurde die UdSSR von den belarussischen Bauern genannt) ungünstig aus. Seiner Ansicht nach erreichte der Lebensstandard in der BSSR erst Mitte der 1970er Jahre wieder den Stand der Zeit während der Zweiten Polnischen Republik. Derlei Einschätzungen, dass sich nämlich der Lebensstandard mit Beginn der sowjetischen Herrschaft und durch die Kollektivierung erheblich verringerte, wurden von nahezu sämtlichen Menschen geteilt, die vor dem Krieg im westlichen Belarus lebten, und mit denen der Autor dieses Textes persönlich sprechen konnte.
In diesen Erzählungen rechtfertigt niemand die Polonisierungspolitik der Warschauer Regierung in Bezug auf die Belarussen. Es gibt hinreichend Belege für die Verletzung der nationalen und kulturellen Rechte der indigenen Bevölkerung in den belarussischen „Ostgebieten“, vor allem durch das Fehlen muttersprachlicher Bildungsmöglichkeiten. Auch sind Hinweise auf Einschränkungen der orthodoxen Kirchen durchaus berechtigt. Diese Probleme werden in Polen heute von Politikern wie auch von Experten eingeräumt. Die bereits erwähnte Elżbieta Smułkowa hat darauf verwiesen, dass es „der belarussischen und der ukrainischen Minderheit im Zwischenkriegspolen in nationaler Hinsicht schlecht erging“.9
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Wenn wir jedoch versuchen, insgesamt die Vorkriegssituation in den „Ostgebieten“ Polens und in der BSSR zu vergleichen, erging es den Polen eindeutig besser. Die Bewohner des westlichen Belarus und der westlichen Ukraine mussten zwar glücklicherweise nicht den schrecklichen Hunger erleiden, der ein ständiger Begleiter ihrer Landsleute auf dem Gebiet der UdSSR war. Doch gab es im autoritär regierten Polen nicht jene drastischen Repressionen wie in der totalitären Sowjetunion. Während in Polen 800 orthodoxe Kirchen und fünf Klöster unter zwar schwierigen finanziellen und rechtlichen Bedingungen aktiv waren, wurde im Sommer 1939 in der BSSR, in Babrujsk, die letzte noch offiziell tätige Kirche geschlossen. Ein großer Teil der Priester dort wurde entweder erschossen oder verhaftet.10
Allerdings ist auch zu erwähnen, dass ein großer Teil der multiethnischen Bevölkerung des westlichen Belarus vor dem 17. September 1939 positive Vorstellungen über das Leben im sowjetischen Belarus hegte. Die kommunistische Propaganda, die ständig über die wirtschaftlichen und kulturellen Erfolge in der UdSSR posaunte, blieb nicht wirkungslos. Die lokale Bevölkerung im westlichen Belarus begrüßte die Truppen der Roten Armee weitgehend wohlwollend, weil sie sich unter den neuen Machthabern eine Verbesserung ihrer materiellen und kulturellen Lage erhoffte. Allerdings stellten sich bereits in den ersten Tagen nach Ankunft der sowjetischen Truppen bei der Bevölkerung in Westbelarus ernste Zweifel und Enttäuschungen hinsichtlich des Wahrheitsgehalts der kommunistischen Agitation ein, dahingehend, ob die Menschen in der UdSSR wirklich ein anständiges Leben hätten. Viele Rotarmisten, die sie im September 1939 zu Gesicht bekamen, waren verdreckt, abgemagert und schlecht gekleidet (Interviewpartner sagten, dass die Soldaten sehr schlechtes Schuhwerk hatten). Sie baten die lokale Bevölkerung um Essen.
Einige Tage nach dem Eintreffen hörten die Agitationsversammlungen, Demonstrationen und Konzerte auf, und die Bevölkerung in den westlichen Landesteilen von Belarus und der Ukraine machten Bekanntschaft mit den „Annehmlichkeiten“ des sowjetischen Lebens: Massenverhaftungen und Repressionen, leere Ladenregale, Kirchenschließungen, Kollektivierung, Konfiszierung von Eigentum und vieles mehr.
Die Ereignisse vom September 1939 werden in der belarussischen Gesellschaft und von unabhängigen belarussischen Historikern anders bewertet als in Polen: Ungeachtet des aggressiven Vorgehens der UdSSR sei nämlich auch eine Wiedervereinigung der beiden 1921 gewaltsam getrennten Teile von Belarus erfolgt (des westlichen und des östlichen). Die Grenzen der vergrößerten BSSR bilden – wenn auch mit einigen Änderungen in der Nachkriegszeit – auch heute die Grenzen der unabhängigen Republik Belarus, die von den Nachbarstaaten anerkannt werden, so auch von Polen.
Der 17. September im Licht der gegenwärtigen Regime-Propaganda
In dieser Situation wird deutlich, dass die Frage des 17. September 1939 eine ausgewogene und möglichst objektive wissenschaftliche Untersuchung durch belarussische und polnische Historiker erfordert. Es muss eine akzeptable, gemeinsame Formel gefunden werden, die auf radikale Bewertungen verzichtet und nicht die nationalen Gefühle der Nachbarvölker verletzt. Das sollte eine lösbare Aufgabe sein. Unklar ist jedoch, wann sie bewältigt werden kann. Denn dem stehen Zynismus und eine Abkehr von Objektivität entgegen, wie sie für die sogenannten Forscher kennzeichnend sind, die im Dienste des Regimes agieren, und die gar verkünden, es habe in der Zwischenkriegszeit in Polen einen Genozid an der belarussischen Bevölkerung gegeben. So forderte Wadim Gigin, einer der bekanntesten Propagandisten, im September 2022, man solle berechnen, „welcher Schaden Belarus durch die polnische Herrschaft entstanden ist“, und verlangte „entsprechende Reparationszahlungen“.11 Viele Belarussen nehmen allerdings den 17. September 1939 weder der Form noch dem Inhalt nach als Feiertag wahr, da ihm ja der Pakt mit Hitlers Naziregime vorausging. Sie meinen, dass neben der Kritik an der antibelarussischen Politik im Zwischenkriegspolen auch eine umfassende und objektive Bewertung der stalinistischen Verbrechen erfolgen muss.
In den offiziellen Parolen zum Gedenktag steckt in Wirklichkeit nicht der Wunsch nach Einheit, sondern der Versuch, die belarussische Gesellschaft weiter zu spalten.
Das Regime in Belarus hat jedoch nicht nur die antipolnischen Narrative aus der Sowjetzeit geerbt, sondern diese auch um neue negative Nuancen bereichert. Dass hinsichtlich der belarussisch-polnischen Beziehungen vor und während des Krieges schwarze Farbe angerührt wird, ist vor allem auf die Rache des Diktators in Minsk zurückzuführen – schließlich unterstützte das demokratische Polen die demokratischen Kräfte in Belarus, die wegen der gefälschten Präsidentschaftswahlen vom 9. August 2020 protestierten. Nach der Niederschlagung der belarussischen Revolution nahm Polen Hunderttausende Belarussen auf, die ihr Land verlassen mussten, und unterstützte belarussische demokratische Organisationen und unabhängige Medien.12
Nach dem Zerfall der Sowjetunion waren in Belarus nur wenige antipolnische Stimmungen festzustellen, doch mit dem Machtantritt von Lukaschenko wurden diese merklich stärker. Nach 2014 gab es vorübergehend eine Verbesserung, weil Belarus eine relativ neutrale Position zum Krieg in der Ostukraine einnahm; das Land war sogar Verhandlungsort für die Minsker Abkommen. Nach der Zerschlagung der friedlichen Demonstrationen 2020 in Belarus ist Polen aber praktisch zum Hauptfeind des Regimes geworden. Das liegt auch daran, dass die Propagandisten des Regimes versuchen, Vergangenheit und Gegenwart künstlich zu verbinden: Sie beschuldigen demokratisch eingestellte Belarussen, die wegen der groben Wahlfälschung aufbegehrten, des Verrats an den belarussischen Interessen. Die Regierung versucht, der Bevölkerung weiszumachen, hinter den friedlichen Protesten von 2020 hätten polnische Regierungskreise gestanden, die angeblich davon träumten, den westlichen Teil von Belarus zurückzuholen. Dadurch gelangten erneut die vergessen geglaubten stalinistischen Narrative an die Oberfläche.
Man sieht also, wie viel unbewältigte Geschichte, kontroverse Diskussionen und Propaganda-Narrative sich hinter dem jungen Feiertag „Tag der nationalen Einheit“ zu einem Berg auftürmen. Eindeutig ist: In den staatlichen Parolen zum Gedenktag steckt in Wirklichkeit nicht der Wunsch nach Einheit, sondern der Versuch des Diktators, die belarussische Gesellschaft weiter zu spalten.
Die Veröffentlichung dieser Gnose in deutscher Übersetzung entstand in Kooperation mit dem Forum für historische Belarus-Forschung.