Seit Mitte 2021 entfachen Belarus und Russland eine humanitäre Krise im polnisch-belarussischen Grenzgebiet: Zehntausende Flüchtende aus Drittländern wurden in den vergangenen vier Jahren an die Grenze geschleust, allein im laufenden Jahr wurden bislang rund 25.000 versuchte Grenzübertritte von Belarus nach Polen registriert. Dabei erfahren Flüchtende immer wieder Gewalt, auf beiden Seiten der Grenze; NGOs gehen von dutzenden Todesopfern aus.
Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass die belarussischen und russischen Staatsbehörden als organisierte Schleuser agieren und die Migration gegen die EU instrumentalisieren. The Insider liefert eine doppelte Perspektive: Ein ehemaliger belarussischer Grenzsoldat erzählt, wie er Flüchtende über die EU-Außengrenze schleuste. Ein iranischer Geflüchteter berichtet, wie es ihm 2023 mit Hilfe der belarussischen Behörden gelang, diese Grenze zu überqueren.
„Wir haben ihnen die Richtung gezeigt und gesagt: ‚Europa, Deutschland, Merkel‘ – weder wir noch sie konnten Englisch“
A., ehemaliger Soldat beim belarussischen Grenzschutz
2019 habe ich meinen Schulabschluss gemacht und wollte studieren. Aber mein Notendurchschnitt hat nirgendwo gereicht. Ich wollte mich vor der Armee drücken und habe eine Ausbildung angefangen, aber nach einem halben Jahr habe ich geschmissen. Dann bin ich doch zur Armee, um diese Last loszuwerden – ich hatte keine Lust mich zu verstecken, bis ich 27 war. Ich habe mich zur Musterung gemeldet. Das war alles total sinnbefreit: Ich hatte Rückenschmerzen, aber der Arzt wollte bloß, dass ich mich ein bisschen hin- und herdrehe, und hat mir meine Tauglichkeit bescheinigt. Er hat mich in die höchste Gruppe eingestuft. Ich kam zum Grenzschutz. Damals wusste ich nicht, was das für eine Arbeit ist und wie sie abläuft, ich fand mich einfach damit ab, die anderthalb Jahre abzuleisten.
Die Ausbildung dauerte zwei Monate, wir lebten in totaler Isolation, es war noch zu Pandemie-Zeiten, alle trugen Masken. Wir lernten Spurenlesen: Zum Beispiel wie man die Bewegungsrichtung und das Geschlecht einer Person bestimmt, wie lang es her ist, dass er oder sie hier war. Wir arbeiteten mit Hunden.
Abgesehen von allgemeinen Vorschriften folgten wir einem Sondererlass, der von Alexander Lukaschenko unterzeichnet war. Unter anderem hieß es dort, bei Sichtung einer verdächtigen Person im Grenzstreifen sollten wir zwei Warnschüsse in die Luft abgeben und schon beim dritten Schuss auf die Person zielen. Am Schluss gab es eine lange Liste von Verboten und den Strafen, die bei Verstoß drohten. Man konnte gefühlt jederzeit im Gefängnis landen, wegen der kleinsten Sache: Du konntest dafür bestraft werden, dass du aufs Klo gehst oder kurz vom Weg abbiegst.
Wenn jemand gegen die Vorschriften verstieß, konnte er außerhalb der Reihe drangenommen werden – er musste 24 Stunden auf einem Hocker strammstehen und den Offizieren salutieren. Ablösung gab es nur ein paar Mal am Tag: einmal zum Mittagessen, und sonst nur aufs Klo. Ich stand alle zwei Monate so. Ich bat oft darum, auf Toilette zu gehen, um ein wenig zu sitzen und die Beine zu vertreten. Zum Schluss waren die komplett taub.
Nach einem Jahr durfte ich auf Heimurlaub, da tauchten nach und nach seltsame Nachrichten auf. Zuerst glaubte ich nicht daran. Ich las zum Beispiel, dass belarussische Beamte an der litauischen Grenze, wo ich diente, Migranten aus dem Nahen Osten, Afghanistan und anderen Ländern nach Europa schleusen. Ich konnte mir so etwas nicht mal vorstellen – ich wusste, dass man dafür ins Gefängnis wandern konnte.
Manchmal habe ich 20 bis 25 Menschen geholt, manche von uns noch mehr – alles hing davon ab, wie schnell die nächste Gruppe gebracht wurde
Als ich aus dem Urlaub zurückkam, wirkte alles ganz normal. Beim Schlafengehen fragte ich einen Kumpel, was hier los war. Er sagte ganz merkwürdig: „Das wirst du bald verstehen.“ Fünf bis zehn Minuten später ertönte ein Alarm. Wir bauten uns schnell im Erdgeschoss vor dem Dienstraum auf. Das Seltsame war, dass alle rausmussten – normalerweise rückt in so einem Fall nur eine Einsatzgruppe von fünf bis sechs Leuten aus. Wir bekamen eine komplette Ausrüstung, Waffen, Schlafsäcke, Isomatten. Da verstand ich, dass die Nachrichten, die ich auf Urlaub gelesen hatte, stimmten und ich das jetzt mit eigenen Augen sehen würde.
Wir wurden in eine riesige Schischiga gesetzt – einen GAZ-66, es war stockfinster und eng. Ich wusste nicht, wohin wir fuhren, es war mitten in der Nacht, niemand erklärte uns irgendwas. Wir wurden auf einem Feld ausgesetzt. Dort warteten fremde Soldaten von anderen Grenzposten. Wir wurden aufgestellt, die Offiziere begannen uns anzuheizen von wegen litauische Feinde und so und gaben uns Anweisungen, wie wir gleich Migranten über die Grenze nach Litauen schleusen.
Wir hatten einen Startpunkt, wo wir auf die Leute warteten, normalerweise direkt an der Grenze, ungefähr 500 bis 600 Meter entfernt; die Orte wechselten ständig. Über Funk bekamen wir die Koordinaten mitgeteilt, wo wir warten sollten. Meistens kamen kleinere UAZ-Geländewagen, manchmal ganze Busse. Aus denen stiegen Menschen in ganz normaler Kleidung. Wir setzten sie ins Auto, brachten sie zum Grenzstreifen, zeigten ihnen mit Gesten die Richtung und sagten einzelne Wörter wie „Europa“, „Deutschland“, „Merkel“, weil niemand von uns wirklich Englisch sprach, und die meisten von ihnen auch nicht.
In meinem UAZ konnte ich fünf Menschen mitnehmen. Ich fühlte mich völlig ausgeliefert: Was, wenn einer plötzlich ein Messer zückt oder auf die Idee kommt, mir mein Gewehr abzunehmen? Ich habe drei Nächte lang nicht geschlafen. Manchmal habe ich 20 bis 25 Menschen geholt, manche von uns noch mehr – alles hing davon ab, wie schnell die nächste Gruppe gebracht wurde. Zuerst passierte das alles nur nachts, tagsüber war niemand unterwegs. Die Litauer sollten möglichst lange im Unklaren bleiben, woher die Migranten plötzlich kommen. Wir brachten sie auch nicht direkt an die Grenze, weil die Litauer Drohnen und Wärmekameras haben. Das hätten sie sofort mitgekriegt.
Einmal sahen wir abends im Fernsehen Lukaschenko – in der belarussischen Propaganda-Sendung Panorama, die oft in der Einheit lief. Er schrie dort: „Zeigt mir die Leute her, die da Menschen über die Grenze schleusen!“ Ich sitze und denke: Das bin doch ich, hier sitze ich. In diesem Moment gab mir das sehr schwer zu denken, wie oft mein Präsident eigentlich lügt.
Irgendwann waren es so viele Menschen, dass wir Tag und Nacht damit beschäftigt waren. Wir hörten auf, normale Zivilisten und Autos zu kontrollieren – in diesem Moment hätte leicht jemand eine Bombe oder Schmuggelware im Wert von einer Million Dollar reinbringen können. Es war deutlich, dass das Schleusen von Migranten jetzt Staatsaufgabe Nr. 1 war.
Ich erinnere mich an eine Unterhaltung mit einem Migranten. Er war verheiratet und hatte zwei Kinder. Er erzählte mir, es sei aus Afghanistan und hergekommen, weil ihm jemand ein besseres Leben in Deutschland versprochen hätte. Er verkaufte sein Haus, sein Grundstück, sein Auto und steckte seine ganzen Ersparnisse in die Reise, ein Zelt und warme Sachen … Ich sage zu ihm: „Back home, geh zurück nach Hause.“ Und von ihm kam nur: „No home.“ Er hatte kein Zuhause mehr und würde hier bis zum Ende ausharren.
Als die Litauer den Grenzschutz verschärften, änderte sich alles. Wir hörten auf, die Migranten wie früher mit den UAZ zu transportieren, weil sie jetzt auch in unsere Richtung kamen: Die Litauer machten es uns jetzt nach – sie fingen die Gruppen ab, die wir in ihre Richtung geschickt hatten, und schickten sie zurück. Das war ein kompliziertes Spiel: Wir versuchten herauszufinden, wo die Litauer sind, und sie – wo wir sind und in welche Richtung wir die Menschen schicken. Das Ganze wuchs sich zu einer waschechten humanitären Krise aus, weil viel zu viele Menschen auf einmal im Grenzgebiet waren. Wir rückten immer näher an die Grenze vor, und sie auch. Wir keilten die Menschen quasi von beiden Seiten ein.
Für mich war das das Abscheulichste, was ich in der Armee gemacht habe
Einmal, es war Anfang Herbst, trafen wir uns an einem Kanal, der die Staatsgrenze bildet. 35 bis 40 Menschen standen im Wasser. Wir trugen verschiedene Arten von Sturmhauben, aber nicht weil es kalt war, sondern weil die litauische Seite Journalisten eingeladen hatte und uns befohlen wurde, unsere Gesichter zu verhüllen. Wenn jemand versuchte, aus dem Wasser zu kommen, drängten wir ihn zurück. So ging es fast einen ganzen Tag lang.
Wir versuchten, die Kinder zu uns zu nehmen und sie aufzuwärmen, weil es nachts sehr kalt war, aber sie weigerten sich. Sie waren erschöpft von den Lügen, von unseren und denen der Litauer, die ihnen auch sagten, dort sei „Europa“. Sie waren einfach müde vom ganzen Hin- und Herlaufen. Menschen zu sehen, die dermaßen frieren, besonders Kinder im T-Shirt bei fünf Grad, war psychisch extrem hart.
Ein paar Mal versuchten wir mit unserem Truppenleiter zu sprechen, sagten: „Herr Oberst, wir verstoßen gegen alles, was wir haben – das ganze Handbuch, alle 300 Seiten, die uns die ganze Zeit beigebracht wurden.“ Manche hatten kleine Abzeichen als Auszeichnung für Festnahmen, auf die sie stolz waren. Und jetzt schleust derselbe Mensch Illegale über die Grenze, schaut auf seinen Anstecker und denkt sich: „Wozu das Ganze?“ Der Oberst zeigte nur nach oben – die Entscheidungen werden dort getroffen. Ich wollte keinen Aufstand anzetteln oder lautstark meine Position vertreten. Und wenn mein Vorgesetzter, ein Oberst, nichts ausrichten kann, was sollte ich da schon tun? Ich fand mich damit ab, schweigend zu Ende zu dienen.
Meinen Dienst beendete ich ohne Zwischenfälle. Aber vor der Entlassung gab es einen Moment beim KGB, als ich durch alle Instanzen durchmusste. Ich habe dagesessen und gewartet, dann kam ein Offizier raus, ein normaler Leutnant, der für unsere Gruppe zuständig war. Er redete eigentlich nur von der Migrationskrise, sagte, ich dürfte niemals jemandem etwas davon erzählen. Drohte mir, dass man mich auf jeden Fall finden würde, wenn ich in irgendwelchen Telegram-Kanälen auftauche oder Nachrichten poste. Gab mir einen Zettel, den ich unterschreiben sollte. Ich unterschrieb und ging.
Ich habe diese ganze Geschichte immer noch nicht verdaut. Für mich war das das Abscheulichste, was ich in der Armee gemacht habe. Jetzt, nach vier Jahren, kann ich wenigstens ruhig darüber sprechen.
„Sie warnten uns: Wenn ihr wieder nach Belarus kommt, gibt es Schläge“
M., Geflüchteter aus dem Iran
Ich bin in einem Dorf im iranischen Kurdistan geboren und aufgewachsen. In meiner Kindheit wollte ich unbedingt Ingenieur werden, aber aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten musste ich die Schule abbrechen. Mit dem Heiraten hat es auch nicht geklappt. Ich habe schon früh auf dem Hof gearbeitet, mich um die Pferde gekümmert.
Die Massenproteste Frau, Leben, Freiheit brachten mich auf den Gedanken, den Iran zu verlassen. Im Winter 2023, als die Proteste abebbten, wurde mir klar, dass es keinen Ausweg gab. Ich hatte an den Protesten teilgenommen und war von den Überwachungskameras erfasst worden. Ich war schon einmal verhaftet worden – während der Proteste gegen die steigenden Benzinpreise 2019. Im Gefängnis wurde ich gefoltert. Ich wollte das nicht noch einmal erleben. Ich wusste, dass ich nicht zu meiner Familie aufs Dorf zurückkonnte – gegen mich gab es wieder einen Haftbefehl.
Ich tauchte für ein paar Monate in anderen Städten unter, bis mir klar wurde, dass ich so nicht leben konnte. Da fassten ich und ein paar andere den Entschluss wegzugehen. Ein Mann, den alle nur Chadschi nannten, half uns. Über ein Schmugglernetzwerk besorgte er uns gefälschte Ausweise und Papiere, damit wir nach Russland fliegen konnten. Von dort aus wollten wir mit dem Auto weiter nach Belarus.
Wir kamen am 9. Juli 2023 gegen 9:30 Uhr morgens in Moskau an. Am Flughafen wurden wir abgeholt, in ein Auto gesetzt und ins Hotel Kosmos gebracht. Dort blieb ich bis 20:30 Uhr, dann schickten sie uns ein Taxi. Am nächsten Tag, Punkt 11:30 Uhr, kamen wir in Minsk an, in einer Unterkunft, die man für uns gemietet hatte.
Im Haus wimmelte es von Menschen, ein richtiger Ameisenhaufen. Es gab drei Etagen: Im Erdgeschoss wohnten die Organisatoren, zwei bis drei Leute; im ersten und zweiten Stock alle anderen, alleinstehende Männer wie wir. Frauen und Kinder waren woanders untergebracht.
Der Hausherr war ein Iraner, aber ehrlich gesagt, verhielt er sich wie ein Gauner. Jeder von uns musste ihm 200 Dollar „zum Einkaufen“ geben. Er ging los und kam mit Schlafsäcken, etwas Essen, einem Rucksack, Armeestiefel und anderen Kleinigkeiten zurück. Wir versuchten uns irgendwie zu drücken, wollten das Geld nicht bezahlen. Aber was willst du machen? Wir kannten niemanden, hatten keinen Ort, wo wir hingehen konnten. Wir waren illegal nach Belarus eingereist.
In diesem Haus lernten wir Iraner kennen, die schon einmal versucht hatten, die Grenze zu überqueren, aber erfolglos. Ihnen war das Essen ausgegangen, sie waren gezwungen gewesen, nach Minsk zurückzukehren, in dasselbe Haus. Sie erzählten uns: „Man kommt unmöglich rüber. Sie haben uns heftig verprügelt.“ Wir glaubten ihnen erst nicht, aber als wir es selbst versuchten, konnten wir uns davon überzeugen, dass es die Wahrheit war.
Es ist ja wirklich so: Du kannst nichts tun. Du bist in einem fremden Land, in irgendeinem Wald – selbst wenn du willst, kannst du nicht wegrennen
Am vierten Tag kamen Taxis, kleine Geländewagen. Sie setzten je zwei Menschen in ein Auto. Wir erreichten die belarussisch-polnische Grenze. Dort sollten wir von Guides – sie wurden „Leader“ genannt – in Empfang genommen und in ein Flüchtlingslager gebracht werden. Aber im Wald kamen ein paar Männer auf uns zu – als wären sie uns extra entgegen gekommen – und nahmen uns die Rucksäcke ab, überhaupt alles, was irgendwie Wert hatte. Im Lager bekamen wir kaum zu essen. Manchmal habe ich drei Tage lang nichts gegessen, nur Wasser getrunken. Du wirst praktisch zu einer Geisel in den Händen der Schmuggler. Es ist ja wirklich so: Du kannst nichts tun. Du bist in einem fremden Land, in irgendeinem Wald – selbst wenn du willst, kannst du nicht wegrennen.
Das Lagergelände wurde „Sperrzone“ genannt – es grenzte direkt an den Stacheldrahtzaun auf der belarussischen Seite. An diesem einen Ort waren 60 bis 70 Menschen, größtenteils aus dem arabischen Raum: Iran, Pakistan, sogar aus Südafrika. Die komplette Internationale.
Eines Tages kamen ein paar belarussische Soldaten zu uns. Sie nahmen uns fest und brachten uns an einen anderen Ort. Wir dachten, sie würden uns foltern, misshandeln, aber sie durchsuchten uns nur und ließen uns bis zum Abend allein. Dann wurden wir abgeholt und irgendwo an die Grenze gefahren. Die Grenze war dort in Abschnitte unterteilt, jeder mit einer eigenen Nummer. Uns brachten sie zum Beispiel in den Sektor mit der Nummer 330. Sie sagten: „Von hier aus lauft ihr selbst – durch den Wald, zu eurem Punkt.“
Also gingen wir alleine durch den Wald, suchten nach dem richtigen Orientierungspunkt. Sie hatten uns ein Stück Draht mitgegeben, eine Metallstange, mit der man den Zaun aufhebeln konnte. Aber sie warnten uns: Wenn ihr wieder nach Belarus kommt, gibt es Schläge. Und wirklich – wenn jemand in der Gegenrichtung geschnappt wurde, wurde er erbarmungslos verprügelt.
Wir versuchten mehrfach, die Grenze zu überqueren. Jedes Mal wurden wir sofort von polnischen Grenzbeamten aufgegriffen, die uns schlugen und wieder auf die andere Seite des Stacheldrahts fuhren. Die Übertrittsversuche nannten wir „Game“. Bei einem solchen „Game“ – schon in der Pufferzone – wurde einer unserer Freunde so brutal verprügelt, dass er nicht mehr sitzen konnte. Wir massierten ihn und wärmten ihn auf, so gut es ging. Er litt tagelang. Die Blutergüsse und blauen Flecke sahen aus, als hätten ihn die iranischen Geheimdienste gefoltert …
Als wir wieder vom polnischen Grenzschutz gefasst wurden, nahmen sie uns alle unsere Sachen weg, unsere Jacken und Schuhe, packten uns in einen GAZ, fuhren uns an die Grenze und drängten uns wieder nach Belarus. Die ganze Nacht liefen wir barfuß durch den Wald – ohne Jacken, zitternd vor Kälte.
Ein anderes Mal wurden wir wegen eines Neulings mit iPhone aufgespürt. Wir haben ihm gesagt: „Du darfst auf keinen Fall dein iPhone einschalten, die kann man viel zu leicht orten.“ Aber er hat nicht auf uns gehört und es trotzdem angeschaltet. Die Polen waren sofort zur Stelle und umzingelten uns. Ich trug einen Poncho, weil es regnete. Sie befahlen uns: „Ausziehen!“ – dachten, ich wäre eine Frau. Ich zog ihn aus. Dann sprühten sie mir Tränengas ins Gesicht. Sie legten mir Handschellen an, nahmen mich zur Seite, gaben mir Wasser. Und nachts verfrachteten sie uns wieder hinter den Stacheldraht, nach Belarus.
Schließlich schafften wir es doch über die Grenze. Es war frühmorgens, gegen halb vier. Vor uns hatte schon jemand den Zaun durchgeschnitten und eine Öffnung gemacht. Wir stiegen hindurch, aber wieder tauchte der Grenzschutz auf. Wir versteckten uns und warteten stundenlang – bis 9 Uhr, als es endlich still wurde. Abends kamen wir an die Stelle, wo der Taxifahrer warten sollte. Wir stiegen ein und fuhren los – und gegen 16 Uhr waren wir in Deutschland.
Es war eine Grenzstadt, ein Teil gehörte zu Polen, der andere zu Deutschland. Wir stiegen in dem Teil aus, wo Deutschland begann. Der Fahrer sagte: „Das ist Frankfurt an der Oder.“ Dann kam die deutsche Polizei, nahm uns fest und brachte uns aufs Revier. So fing mein Leben in Deutschland an.
Ich stellte einen Antrag auf Asyl, ein Jahr später bekam ich eine Absage. Ich war sehr enttäuscht: Nach allem, was ich durchgemacht hatte, war das echt frustrierend. Jetzt liegt mein Fall beim Anwalt, wir haben Berufung eingelegt. Nach zwei Jahren lebe ich immer noch im Flüchtlingsheim. Ich wurde nicht in einen anderen Ort überführt, die Bedingungen haben sich nicht gebessert. Ich stecke in einer Sackgasse. Ich weiß nicht, was ich tue, wenn sie beschließen, mich abzuschieben.