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Moskau. Kreml. Putin.

Der staatliche Fernsehsender Rossija-1 hat eine neue Sendung an den Start gebracht: Moskau. Kreml. Putin. – jeden Sonntag eine Stunde über den Präsidenten, moderiert von keinem Geringeren als Wladimir Solowjow. Ein Relaunch der Sowjetpropaganda, wie manche Kommentatoren schreiben, oder ein adäquates Mittel um schlechte Ratings aufzubessern? Dimitri Kolesew kommentiert auf Znak.

Source Znak

„Putin liebt nicht nur Kinder, er liebt alle Menschen“ / © Screenshot aus „Moskau. Kreml. Putin.“ vom 02.09.2018/Rossija-1

Eine ganze Stunde lang erzählt Moderator Wladimir Solowjow, bekannt für seine Loyalität gegenüber der amtierenden Regierung, ausschließlich positiv, ja mit Begeisterung davon, was der Präsident in den letzten Tagen so alles gemacht hat. In den Kommentaren zur Sendung fühlen sich viele inhaltlich und vom Tonfall her an die preisende Leniniana, das Fernsehen der Breshnew-Zeit oder stalinsche Propaganda erinnert. Von einem neuen Personenkult ist die Rede. Doch im Jahr 2018 fällt es schwer, ein derartiges TV-Format ernstzunehmen.

Von einem neuen Personenkult ist die Rede

Die Sendezeit beträgt sechzig Minuten. In seiner gewohnten Manier berichtet Wladimir Solowjow aus dem Studio, was Wladimir Putin in letzter Zeit so alles erlebt hat: Er hat verschiedene Regionen in Sibirien besucht, begabte Schüler im Zentrum Sirius getroffen und mit Verteidigungsminister Sergej Schoigu und FSB-Chef Alexander Bortnikow zusammen Urlaub in der Taiga gemacht.

Am Ende der Sendung verraten wir Ihnen, warum Putin so gut in Form ist

Um über die Handlungen und Erlebnisse des Präsidenten zu diskutieren, werden sogenannte „Experten“ ins Studio eingeladen, wie zum Beispiel der Journalist Pawel Sarubin, der auch für Rossija-1 arbeitet und im Pressepool des Präsidenten mit ihm quer durchs Land fährt, oder der Pressesprecher des Präsidenten Dimitri Peskow. Natürlich können die nur in begeisterten Tönen von Putin sprechen. Pawel Sarubin beispielsweise wundert sich, wie der Präsident ein solch straffes Arbeitspensum meistert. „Ich verstehe nicht, wie man so ein Tempo durchhält, ein Marathon ist das … Anfang der Woche – Kemerowo, Nowosibirsk, Omsk, dann wieder Moskau. Und überall – vergessen Sie das bitte nicht – unterschiedliche Zeitzonen! Und jetzt noch Sotschi. Alles innerhalb einer Woche. Das verlangt höchste Konzentration. Physisch eine echte Herausforderung.“

„Am Ende der Sendung verraten wir Ihnen die Fitness-Geheimnisse des Präsidenten und zeigen Ihnen, warum er so gut in Form ist“, verspricht Solowjow.

„Ja! Genau!“, freut sich Sarubin.

Mit Bergleuten des Kusnezker Beckens spricht Putin über Produktionsrekorde und Pläne für ein glückliches Leben

Gleich der erste Sendebeitrag lässt Erinnerungen an den Lieben Leonid Iljitsch oder die Lobgesänge auf Stalin wach werden. Die Erzählung beginnt mit einem heiteren Bericht über die Bergleute des Kusnezker Beckens: Was für eine gewaltige technische Ausrüstung (die, wie im Bild zu sehen, größtenteils von ausländischen Marken stammt – Caterpillar und P & H)! Weiter über Produktionsrekorde und Pläne für ein glückliches Leben. „Wie gefährlich und anstrengend die Arbeit der Bergleute ist, weiß Putin aus eigener Erfahrung“, sagt Sarubin. Offenbar ist damit eine einmalige Grubenfahrt gemeint, die der Präsident Anfang der 2000er Jahre in Norilsk unternommen hat. Und die Archivaufnahmen werden mit einem Stolz präsentiert, als hätte Putin da eine wahre Heldentat vollbracht. Am Ende des Beitrags zeigt sich Sarubin freudig überrascht, dass der Präsident bei diesem Anlass sogar ein paar Sekunden aufgebracht hat, damit der Gouverneur die Telefonnummer eines Kumpels notieren konnte. „Ich bin sicher, da folgen noch Telefonate, ob [der Gouverneur] seine Versprechen auch alle gehalten hat. Da versteht der Präsident keinen Spaß“, resümiert Wladimir Solowjow.

In einem ganz ähnlichen Duktus ist auch der Rest der Sendung gehalten. Zusammen mit dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, dem Jedinoross​ Andrej Makarow, „analysiert“ Solowjow Putins Auftritt zur Rentenreform (in Wirklichkeit vergehen beide die meiste Zeit im Chor vor Rührung, wie präzise Putin das Problem und die Lösungsansätze benannt hat). Wieder derselbe Pawel Sarubin erzählt von Putins Besuch im Sirius-Zentrum – auch dieser Beitrag sprüht vor Wohlwollen und entfaltet seine ganze Komik erst angesichts der Nachricht, dass einer der Jugendlichen auf dem Foto mit dem Präsidenten ein Nawalny-T-Shirt trägt.

Er ist ein sehr menschlicher Mensch

Dimitri Peskow plappert im TV-Studio fast wortwörtlich die Klischees der Sowjetpropaganda nach: „Putin liebt nicht nur Kinder, er liebt alle Menschen … Er ist überhaupt ein sehr menschlicher Mensch“, sagt Peskow. Die Majakowski-Worte über Lenin als „Der menschlichste Mensch“, sind in Wörterbüchern und Zitat-Sammlungen meist mit der Bemerkung  „in der Regel ironisch verwendet“ versehen, doch hier ist von Ironie nicht viel zu spüren.

In den Schilderungen Peskows kommt Putin einem mythischen Helden gleich

Peskow geizt auch nicht mit Lob für seinen Vorgesetzten: Der würde „in Sekundenschnelle auf neue Umstände reagieren“, eigenhändig an seinen Reden arbeiten; er sei „ein Mensch wie jeder andere“, könne jedoch „mit seinen Emotionen ganz feinsinnig umgehen“. Putin schwimme täglich eine Stunde, trainiere im Fitnessstudio, spiele Eishockey usw. In den Schilderungen Peskows kommt Putin einem legendären, mythischen Helden gleich – so habe er zum Beispiel eine ganz besondere Verbindung zu Tieren: „Der Bär ist ja nicht dumm. Wenn er Putin sieht, benimmt er sich natürlich anständig“, sagt Peskow, und aus seinem Munde klingt das nur teilweise wie ein Scherz.

Der Bär ist nicht dumm. Wenn er Putin sieht, benimmt er sich anständig

Das Finale von Solowjows Sendung bilden aktuelle Videoaufnahmen von Putins letztem Urlaub in Tuwa, die man sich offenbar eigens für die Premiere von Solowjows Sendung aufgespart hat. Putin wandert durchs Sajan-Gebirge („Acht Kilometer ist er gelaufen!“, begeistert sich wiederum Pawel Sarubin, diesmal aus dem Off), sammelt Beeren und Pilze, geht „bis an den Abgrund“, kocht sich eigenhändig Tee und rettet junge Bäume. Und wieder diese animalischen Motive: Ein Bergadler schwebt über Wladimir Putin, er selbst beobachtet Steinböcke, und auch die haben überhaupt keine Scheu vor dem Staatsoberhaupt, ganz, als hielten sie ihn für einen Artgenossen.

Auch die Steinböcke haben überhaupt keine Scheu vor dem Staatsoberhaupt

Nachdem man die Sendung gesehen hat, bleibt ein großes Fragezeichen: Was war das? Der Versuch einen Personenkult zu etablieren, wie manche Kommentatoren sofort danach behaupten? Doch die medialen Techniken, die zu Zeiten von Lenin und Stalin noch durchaus Erfolg hatten, riefen schon in der Breshnew-Periode eher Ärger und Sarkasmus in der Bevölkerung hervor: Zu groß war die Kluft zwischen dem Propaganda-Bild und dem wirklichen Leben. Schwer vorstellbar, dass im Jahre 2018, in Zeiten von Internet, Trollen und allgegenwärtiger Ironie, selbst der konservativste Teil der Bevölkerung einer solchen Berichterstattung glaubt.

Die staatlichen Sender waren das Zaubermittel, Putins Beliebtheit aufrecht zu erhalten

Vielmehr wirkt es wie ein ungeschickter Versuch, auf die Schnelle die sinkenden Zustimmungswerte des Präsidenten zu retten. Wladimir Putin und seine PR-Leute scheinen weiterhin bedingungslos an die magische Kraft des Fernsehens zu glauben. Die staatlichen Sender haben Putin 1999-2000 auf den Gipfel der Macht befördert und waren seitdem das Zaubermittel, das die Beliebtheit des Staatsoberhaupts allen Schwierigkeiten zum Trotz aufrecht erhielt.

Aber die Entwicklung des Internets hat Jahr um Jahr das Monopol der TV-Kanäle untergraben, und die aktuelle Situation um die Rentenreform zeigt, dass das Fernsehen nicht mehr das effektivste Propaganda-Werkzeug ist. Alle Bemühungen der staatlichen TV-Sender konnten die Menschen bisher nicht von der Richtigkeit der Reform überzeugen, und Putins Zustimmungswerte stagnieren auf einem ungewohnt niedrigen Niveau.

Wenn die Menschen Putin weniger lieben, muss man mehr und besser von ihm sprechen

Angesichts dessen sind die Kreml-Propagandisten aber nicht so sehr darum bemüht, neue Methoden zu entwickeln – sie intensivieren einfach die erprobten. Wenn die Menschen Putin weniger lieben, dann muss man eben mehr und besser im Fernsehen von ihm sprechen. Doch scheint eine so grobschlächtige, schlecht zusammengezimmerte Propaganda selbst für den unbedarften russischen Zuschauer ein zu großer Fake. Oder denken wir zu gut über ihn?

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Der direkte Draht mit Wladimir Putin

In der jährlichen Fernsehsprechstunde des Präsidenten, dem Direkten Draht, beantwortet Wladimir Putin mehrere Stunden lang Fragen, die ihm per Telefon, Internet, SMS oder per Live-Schaltung aus den verschiedenen Regionen Russlands gestellt werden.

Gnoses
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Lieder auf den Leader

Kinder in Uniform trällern, dass sie „Onkel Wowa“ in die letzte Schlacht folgen würden. Mit der populären Losung Krim nasch besingen sie die Angliederung der Halbinsel an Russland, auch die Formel Alaska gehört zu uns bleibt nicht unerwähnt. Mittendrin die Duma-Abgeordnete Anna Kuwytschko. Nachdem das Musikvideo im November 2017 viral gegangen war, brachte diese Lobeshymne auf Putin der Abgeordneten letzten Endes allerdings mehr Kritik als Lob ein, auch in staatsnahen Medien. Selbst der nicht gerade als Putin-kritisch bekannte Moderator Anton Stepanenko sparte im staatsnahen Kanal Rossija 24 nicht mit Spitzen gegen Kuwytschko. Seine Sendung beendete er mit einem historischen Vergleich: Zu Sowjetzeiten, so Stepanenko, mussten Musiker ihr Repertoire erst von den Zensurbehörden absegnen lassen. Mit Glasnost wurde die Zensur aufgehoben. Heute, so der Moderator, könne man in Anbetracht mancher Werke sagen, dass das ein Fehler gewesen ist.



„Onkel Putin, wir sind mit dir“ – Kinder in Uniform beteuern singend, dass sie Putin in die letzte Schlacht folgen würden


Damit verdeutlichte Stepanenko tatsächlich einen wesentlichen Unterschied: Während die Propaganda in der Sowjetunion monopolisiert war und nicht genehmigte Beifallsbezeugungen aller Art üblicherweise gemaßregelt wurden, hat sich im modernen Russland eine ganze Gattung der Loblieder auf Putin etabliert, die staatlicherseits offenbar keinen Einschränkungen unterliegt.

Imidshmeiking

Imidshmeiking (engl. image making) beziehungsweise Piar (PR) des Präsidenten – so wird in Russland die von oben gesteuerte Polit-PR bezeichnet, die die Beliebtheit Putins steigern soll. Die intransparente Stiftung für effektive Politik soll dabei eine wichtige Rolle spielen1, Verteidigungsminister Sergej Schoigu soll dazu angeblich schon genauso wertvolle Tipps beigetragen haben wie der sogenannte „Kreml-Chefideologe“ Wladislaw Surkow. Beispiele gibt es viele, und sie sind hinlänglich bekannt: Putin als Judoka, der seine Gegner aufs Kreuz legt, als Reiter, der die Weiten Russlands erkundet, als Steuermann, der Schiffe, Flugzeuge, Mähdrescher und Rennautos lenkt. Antike Amphoren holt er vom Meeresgrund, als Musiker berührt er die Herzen, als Tierfreund spielt er mit dem Niedlichkeitsfaktor und als Federball-Spieler mit Dimitri Medwedew.

Unabhängig von staatlich orchestrierter Polit-PR ist in Russland schon seit Jahren ein Imidshmeiking zu beobachten, das „aus dem Volk“ kommt. Seien es die Tausende2 poetischer Lobeshymnen auf stihi.ru oder die Elogen einiger Hobbyliteraten – die Gattung ist reich an Beispielen. Die Klickzahlen sind unbekannt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die ursprünglichste Form der Lyrik – das Lied – den größten Resonanzraum findet.

Einen wie Putin

In der Hitparade solcher Loblieder besetzt die Girlband Pojuschtschije Wmeste (dt. etwa die gemeinsam Singenden) einen prominenten Platz: 2002 gegründet, gab die „Agitbrigade“3 sogleich das Lied Takowo kak Putin (dt. Einen wie Putin) zum Besten. Eigentlich ironisch angelegt, entwickelte sich der Gassenhauer zu einem Grundstein des Putin-Bildes, das manche Wissenschaftler als Personenkult beschreiben.4 Besungen werden Putins Stärke und seine Alkoholabstinenz. Diese Eigenschaften korrespondieren mit einer Umfrage aus dem Jahr 2012, der zufolge 39 Prozent der Befragten von allen Eigenschaften Putins vor allem seine Tatkraft und 35 Prozent seine Gesundheit schätzten.5 26 Prozent der Befragten war das Fehlen von schlechten Eigenschaften wichtig: Da Putin laut seiner oft vorgebrachten Bekundung nur wenig trinke, hebe er sich mit seiner Abstinenz von seinem Vorgänger Jelzin ab6 und biete mit seinem Lebenswandel ein gutes Vorbild für russische Männer.

Dies war auch die wichtigste Botschaft von Pojuschtschije Wmeste, deren Bandname viele an Iduschtschije Wmeste (dt. etwa die zusammen Gehenden) erinnerte – eine mitunter als Putin-Jugend kritisierte Jugendorganisation. Nach dem großen Hit, der auch auf Englisch vertont wurde, verschrieb sich die Band vor allem der patriotischen Propaganda und besang Meinen Abgeordneten (russ. Moi Deputat), Unsere Stadt (russ. Nasch Gorod) und die Siegesparade (russ. Parad Pobedy). Erfolg, gemessen in YouTube-Klicks, war der Girlgroup allerdings nur mit ihrem Loblied auf Putin beschieden.


„Takowo kak Putin“ – eines der erfolgreichsten Loblieder auf den Präsidenten


Geblendet und verzaubert

Mit ähnlich vielen YouTube-Klicks kam 2015 die bis dahin weitgehend unbekannte Sängerin Maschani zu Ruhm. Ihr Lied heißt schlicht Mein Putin (russ. Moi Putin), sie trägt es im Video in verschiedenen Garderoben vor: in einem Kleid, das wie die russische Trikolore aussieht, und in einem, das an die Flagge der Ukraine erinnert. Es bleibt verborgen, was die Sängerin mit ihrer Kleider-Allegorie ausdrücken will – vor allem, weil sie in dem Lied auch die Angliederung der Krim besingt:

Du provozierst und holst die Krim zurück
Und in der Folge
– frei von allen Fesseln –
wirst du die [Sowjet-]Union wiederbeleben
Und ich?
Geblendet und verzaubert,
kann ich dich nicht vergessen

 

 

„Geblendet und verzaubert, kann ich dich nicht vergessen“ – Sängerin Maschani singt über „ihren Putin“

Timati und die Galeeren

Der Mainstream-Rapper Timati geht 2015 mit seinem Homie Sascha Tschest andere Wege: Düstere Beats werden hier berappt mit den Worten Mein bester Freund, das ist Präsident Putin – diesem Song zufolge ein „cooler Superheld“: 

Alle Mädchen verlieren den Kopf
Mein bester Freund ist noch nicht verheiratet
Arbeitet ohne Pause
Von Montag bis Samstag


 

Rapper Timati nennt Putin einen „coolen Superhelden“

Hier geht es dem Duo um den in staatsnahen Medien oft thematisierten Arbeitseifer des nationalen Leaders. Er habe seit 2000 „wie ein Sklave auf Galeeren geschuftet“, sagte Putin selbst im Jahr 2008. Auch Ljudmila Putina schlug 2013 in dieselbe Kerbe, als sie meinte: „Unsere Ehe ist deshalb zu Ende, weil wir uns praktisch nie sehen. Wladimir Wladimirowitsch ist völlig in seine Arbeit vertieft.“7

Putins Kalender auf kremlin.ru/trips ist tatsächlich nahezu lückenlos, laut manchen Beobachtern vermittelt er damit gezielt den Eindruck „eines Staatspräsidenten, der ohne Unterlass, ,rund um die Uhr‘ im Einsatz ist, sich bei der Ausübung seines Amtes nicht schont und damit das vertraute Bild vom guten Herrscher evoziert, der sogar noch nachts arbeitet, während sein Volk schläft.“8

Alles Propaganda?

Die meisten Loblieder stellen Putin als rastlosen und fürsorglichen Superhelden dar. Ist das Putin-Lied deshalb gleich so etwas wie (Graswurzel-)Propaganda? Also eine Art (bottom-up-)Legitimationsstrategie für das sogenannte System Putin? Vielleicht – wahrscheinlicher sind es jedoch bloß Versuche, mit einem populären Thema öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen und damit auch als Trittbrettfahrer Berühmtheit zu erlangen.

Mit Blick auf die vielen YouTube-Klicks scheint ein solches Kalkül tatsächlich aufzugehen. Doch sind zustimmende Kommentare eher selten, es überwiegen Kritik und Ironie.

Schmählieder

Kritik und Ironie kennzeichnen auch die vielfältigen Schmählieder über Putin. Die Tradition der massentauglichen Politsatire in Russland geht auf die Breshnew-Zeit zurück, schon damals hat sie ganz spezifische und teilweise sehr subtile Zugänge gefunden, um die Wlast zu kritisieren.

Nicht ganz so subtil, vielmehr galgenhumorig, reiht sich die Band Rabfak in die Gattung der Schmählieder ein. Entstanden ist der Song im Vorfeld der Dumawahl 2011 und war bei den Anhängern der Bolotnaja-Bewegung populär. Er heißt schlicht Unsere Klapse (stimmt für Putin). Mit der Klapse ist Russland gemeint, das Lied stellt die Frage:

Wer hat dem Volk Gazprom und Lukoil geklaut?
Keine Antwort. Und für dich eine Spritze in den Arsch.

Die Spritze dürfte eine Reminiszenz an die sowjetische Strafpsychiatrie sein, der Humor des Liedes ist derb und drastisch, die Wortwahl Mat-durchsetzt.


 

Das Schmählied „Unsere Klapse (stimmt für Putin)“ war unter Anhängern der Bolotnaja-Bewegung populär

Auch Wasja Oblomow kommt in seinem Schmählied von 2011 nicht ohne Schimpfsprache aus. Bleib locker, Bro heißt das Stück übersetzt, es ist noch einige Monate vor den Bolotnaja-Protesten entstanden. Hier resümiert der lyrische Putin seine positiven Eigenschaften: seine Stärke, seine Alkoholabstinenz, seinen Arbeitseifer. Auch, dass er Terroristen „im Scheißhaus kaltgemacht“ habe, bleibt nicht unerwähnt, genauso wie Putins Judoka-Coolness. In der ersten Strophe des Liedes sagt der lyrische Putin, dass er „für immer [an die Macht – dek] gekommen“ sei, in der letzten heißt es:

Meine guten Taten werdet ihr nie vergessen!
Was auch passiert, euch muss klar sein, dass ihr zu mir kommen müsst, wenn ihr Probleme habt.
I’m back in the USSR, оh yeah!


 

„Back in the USSR“ unterstellt Wasja Oblomow in seinem Lied von 2011

1.vgl. Sartorti, Rosalinde (2007): Politiker in der russischen Ikonographie: Die mediale Inszenierung Vladimir Putins, in: Pietrow-Ennker, Bianka (Hrsg.): Kultur in der Geschichte Russlands, S. 333-348, hier S. 336
2.republic.ru: V poiskach akyna: Obraz Vladimira Putina v narodnoj poėzii 
3.Eigenbezeichnung des Band-Managers, vgl. peoples.ru: Pojuščie vmeste 
4. Robert Henschel (2015): Sounds of Power: Music and the Personality Cults of Putin and Chávez
5.vgl. romir (2012): Neotvratimaja neotrazimost’ und Fleischmann, Eberhard (2010): Das Phänomen Putin: Der sprachliche Hintergrund, S. 30
6.vgl. Engelfried, Alexandra (2012): Zar und Star: Vladimir Putins Medienimage, in: Osteuropa, 62. Jg., 5/2012,  S. 47-67, hier S. 53
7.zitiert nach: Moskowski Komsomolez: Ljudmila Putina: Vladimir Vladimirovič polnost’ju pogružen v rabotu
8.Sartorti, Rosalinde (2007): Politiker in der russischen Ikonographie: Die mediale Inszenierung Vladimir Putins, in: Pietrow-Ennker, Bianka  (Hrsg.): Kultur in der Geschichte Russlands, S. 333-348, hier S. 339
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