Wie frei sind Medien in Russland? Auf der internationalen Rangliste der Pressefreiheit, die Reporter ohne Grenzen jährlich erstellt, nimmt Russland das zweite Jahr in Folge Platz 148 ein – von insgesamt 180.
In diesem Dossier sammelt dekoder Hintergrundartikel, Analysen und Interviews zu Fragen wie diesen:
Welche Rolle spielt das Fernsehen in Russlands Medienlandschaft? Und welches Bild wird darin vermittelt? Wer sind die Personen, die im russischen Staatsfernsehen als „Experten“ auftreten? Triumphiert am Ende Propaganda über Journalismus?
Einige Artikel, Gnosen und Presseschauen widmen sich außerdem den unabhängigen Medien. An einem Medium wie Lenta.ruLenta.ru ist ein Online-Nachrichtenportal, das Newsticker, Themen-Artikel und Meinungsbeiträge kombiniert. Mit über acht Millionen Besuchern monatlich ist die Ressource eine der populärsten ihrer Art im russischen Internet. Im März 2014 sorgte die Entlassung der Chefredakteurin für Diskussionen über die Ukraine-Berichterstattung und politische Zensur im Internet. Mehr dazu in unserer Gnose etwa wird prototypisch gezeigt, welche Dynamiken der politischen Nutzung und Instrumentalisierung des Internet im Russland der Putin-Ära greifen.
Ein Gespräch mit einem ehemaligen „Mitarbeiter“ des einflussreichen Putin-Vertrauten Prigoshin, über von ihm inszenierte Fake-News, eine Trollfabrik – und Prigoshins „Bewilligt“-Stempel.
Innerhalb von nur vier Tagen hat The News Times über Crowdfunding rund 350.000 Euro gesammelt. Für Pawel Aptekar steckt da auch der Wunsch dahinter, die Staatsmacht zu ärgern.
Philologe und Programmierer, Internet-Unternehmer und Verteidiger des Rechts auf Privatsphäre: Pawel Durow forderte mit seinem abhörsicheren Messenger Telegram die russische Politik heraus und zieht daraus symbolischen wie realen Gewinn.
Er gilt weder als Intellektueller noch als Oppositioneller. Vielmehr ist er ein Hipster mit perfekt gestyltem Haar, lässig gekleidet, das iPhone stets griffbereit. Mit seinen Interviews erreicht er ein Millionenpublikum. Eva Binder über Juri Dud, den neuen Medienstar im russischen Internet.
Im Fall Skripal sind es vor allem russische Medien wie The Insider, die über die Identität der Verdächtigen recherchierten. Meduza hat mit Insider-Chefredakteur Roman Dobrochotow gesprochen über seine Recherchen, die Zusammenarbeit mit Bellingcat und darüber, wie gefährlich seine Arbeit eigentlich ist.
Eine neue Sonntagssendung auf dem Staatskanal Rossija-1: Ist es ein Relaunch der Sowjetpropaganda, wie manche Kommentatoren schreiben, oder ein adäquates Mittel, um schlechte Umfragewerte aufzubessern? Dimitri Kolesew kommentiert auf Znak.
Gesellschaft – von Jelisaweta Kirpanowa , Sascha Sulim , Anton Wschiwzew
Drei Journalisten und Filmemacher aus Russland arbeiteten in der Zentralafrikanischen Republik an einem Dokumentarfilm über russische Söldner. Am Abend des 30. Juli wurden sie bei einem Angriff von Unbekannten getötet. Nachrufe aus der Novaya Gazeta und Meduza.
Tausende sind im März 2017 landesweit auf die Straße gegangen – darunter auffallend viele Jugendliche. Aufgerufen zum Protest hatte der Oppositionspolitiker Nawalny. Was für eine Generation ging da auf die Straße? Was treibt sie an? Und was sind ihre Ziele? Der bekannte Journalist Andrej Loschak spürt solchen Fragen in einer mehrteiligen Filmdoku nach. Ein Interview.
Ausgestattet mit einer Kamera wandert Ilya Varlamov durch Städte und kommentiert das Gesehene. Magdalena Kaltseis über einen russischen Urbanblogger mit Millionenpublikum.
Neue Sprache im staatlichen Ersten Kanal: Die Anmoderationen von Nachrichtensprecher Kirill Kleimjonow sollten nicht mehr sachlich und nüchtern sein. Das ist ihm gelungen. Ein Best of mit Kommentaren von Oleg Kaschin.
Russische Medien versus Staatsduma: Einem Abgeordneten wird sexuelle Belästigung in mehreren Fällen vorgeworfen, der Ethikrat der Duma konnte keine „Verletzung von Verhaltensnormen“ feststellen. Olga Beschlej über eine Solidaritätsaktion russischer Medien.
Kann man das so sagen, wenn es um Berichterstattung in Russland geht? Und was ist mit dem Russland-Bild in deutschen Medien? Katrin Rönicke im Gespräch mit Michael Thumann (Die Zeit) und dekoder-Chefredakteurin Tamina Kutscher.
Eine offizielle Zensur gibt es in Russland nicht. Über Faustregeln, die den Alltag russischer Journalisten prägen, und dunkle Perspektiven für die schreibende Zunft: Oleg Kaschin auf Republic.
Rund einen Monat nach dem Attentat auf seine Kollegin Tatjana Felgengauer spricht Echo Moskwy-Chefredakteur Alexej Wenediktow über das „besondere Berufsrisiko“ von Journalisten in Russland, über Selbstzensur und Politik.
Angriff auf die Meinungsfreiheit? Die Duma verabschiedet ein neues Mediengesetz. Richtige Antwort auf das US-amerikanische Vorgehen gegen RT? Oder Gummiparagraph, der auch unabhängige russische Medien gefährdet? Ausschnitte aus der Debatte.
Wladimir Solowjow (geb. 1963) ist einer der einflussreichsten Akteure der kremltreuen Medienwelt Russlands. Er profiliert sich vor allem als ein Scharfmacher, der gegen den Westen poltert und Liberale diffamiert. Gleichzeitig appelliert er aber auch oft an die Moral und traut sich sogar, dem Präsidenten unbequeme Fragen zu stellen. Magdalena Kaltseis über die Wandlungsfähigkeit des Talkmasters.
Im Land fehle es an Menschen, die Präsident Putin loben, meint Alexej Kowaljow. Doch das übernehme nun ja der US-amerikanische Kino-König Oliver Stone. Eine Filmkritik.
Badeenten, Skifahrer, Extremisten und eine Pietà: Darüber lacht das Runet nach den landesweiten Protesten. dekoder zeigt populäre Internet-Meme mit deutscher Übersetzung.
Im Informationskrieg fallen zuerst die journalisten Standards – in Russland, in der Ukraine und nun auch im Westen, warnt Stanislaw Kutscher auf Kommersant FM.
Der unabhängige russische TV-Sender Doshd ist in seiner Heimat praktisch auf die Nische des Internets zurückgeworfen, in der Ukraine lief er dagegen bisher breit über Kabel. Ein Verbot macht dem nun ein Ende. Für Kirill Martynow ein tragischer Fall. Warum, erklärt er in der Novaya Gazeta – die auch ukrainische Stimmen dazu veröffentlicht.
Gesellschaft – von Viktor Wilissow , Stanislaw Mudry
Wer in der russischen Provinz Journalismus macht, muss hart im Nehmen sein: Ungeschriebene Gesetze, Abhängigkeiten und der Braindrain ins weit entfernte Moskau diktieren die Bedingungen. Vier Medienmacher berichten aus ihrem Alltag.
Die neue Chefredaktion des einstigen Investigativmediums RBC weist ihr Team auf „Verkehrsregeln“ und „durchgezogene Linien“ in der Berichterstattung hin. Die Debatte darüber kommentiert Oleg Kaschin auf slon.ru.
Der Chefredaktion eines der wichtigsten Investigativ-Medien wird gekündigt: Hätte man es ahnen können? Was macht das mit Journalismus und Journalisten in Russland? Ein Debatten-Einblick mit übersetzten Medienzitaten.
Lenta.ru ist ein Online-Nachrichtenportal, das Newsticker, Themen-Artikel und Meinungsbeiträge kombiniert. Mit über acht Millionen Besuchern monatlich ist die Ressource eine der populärsten ihrer Art im russischen Internet. Im März 2014 sorgte die Entlassung der Chefredakteurin für Diskussionen über die Ukraine-Berichterstattung und politische Zensur im Internet.
Wie stark hängt die eigene politische Meinungsbildung davon ab, ob man sich über staatliche oder unabhängige Medien, über das Fernsehen oder das Internet informiert? Soziologe Denis Wolkow kommt zu einem überraschenden Schluss.
Das Russland, das im Fernsehen gezeigt wird, existiert nicht, meint der Wirtschaftsprofessor und Journalist Dimitri Trawin. Viele Russen, sagt er, wollen das jedoch bislang nicht wahrhaben.
Wo Russlanddeutsche gegen Flüchtlinge protestieren, hat oft auch das russische Fernsehen seine Hand im Spiel. Wer sind die Protagonisten der Sendungen? Eine Recherche.
Wer sind die Personen, die im russischen Staatsfernsehen als Experten aus Europa und den USA auftreten? Das untersucht dieser Beitrag aus einem medienkritischen Blog und stößt auf seltsame Verbindungen.
Gesellschaft – von Alexej Lewinson , Ljubow Borussjak
Je weniger im Kühlschrank, desto mehr Propaganda im Fernsehen, scherzt der Volksmund in Russland. Wer von beiden gewinnt? Ein Blick aufs neue Jahr aus drei Perspektiven.
facebook-Klon, facebook-Alternative oder sogar digitaler „Auswanderungsort“: VKontakte (VK) ist das meistgenutzte soziale Netzwerk im postsowjetischen Raum. In der Praxis wirft VK immer wieder Fragen zum Daten- und Minderheitenschutz sowie zur staatlichen Kontrolle der Netzkommunikation auf. Sein Gründer Pawel Durow kam in Russland unter Druck und hat das Land inzwischen verlassen.
Der Erste Kanal gilt aufgrund seiner hohen Reichweite als das wichtigste Massenmedium des Landes. Seit dem Ende der Sowjetunion war er stets mehrheitlich im Staatsbesitz – wenn auch seit 1994 unter Beteiligung von Großunternehmern. Er ist ein zentrales Instrument der politischen Kommunikation des Kreml.
Der Journalist Dimitri Kisseljow spielt im gelenkten russischen Staatsjournalismus eine zentrale Rolle. 2008 wurde er Vizedirektor der staatlichen Medienholding WGTRK. Seit 2014 leitet er die staatliche Nachrichtenagentur Rossija Sewodnja.
Zwei ehemalige Mitarbeiter des Staats-TV berichten, wie sich Information in Politik verwandelt hat. Das Fernsehen als solches, sagt einer von ihnen, gibt es nicht mehr.
Welche Rolle spielt das Fernsehen in Russlands Medienlandschaft? Und wie populär ist Putin wirklich? Interview mit dem Starökonomen Konstantin Sonin von der Higher School of Economics, Moskau.
Die Allrussische Staatliche Fernseh- und RadiogesellschaftWGTRK ist eine staatlich kontrollierte Medienholding. Sie besitzt mehrere landesweit empfangbare Fernseh- und Radiosender sowie Internetmedien, ausserdem knapp 100 regionale Medienanstalten in den Föderationssubjekten der Russischen Föderation.
Die Geschichte des Senders reicht bis in die Sowjetunion zurück. Der Perwy Kanal (dt. Erster Kanal) des Zentralen Sowjetischen Fernsehens war bis 1965 der einzige, der in alle elf Zeitzonen des Landes ausgestrahlt wurde. Einige Sendungen von damals sind noch heute im Programm – etwa die einflussreiche Nachrichtensendung WremjaWremja ist die quotenstärkste Nachrichtensendung des russischen Fernsehens. Sie wird allabendlich im staatlichen Fernsehsender Erster Kanal ausgestrahlt. (dt. Zeit), das Studentenkabarett KWN (Klub Wesjolych i Nachodtschiwych, dt. Club der Lustigen und Findigen) oder die Kult-Spielshow Tschto? Gde? Kogda? (dt. Was? Wo? Wann?), nach deren Vorbild im ganzen Land und in der russischen Diaspora begeisterte Spielzirkel entstanden.
Auch seit dem Zerfall der SowjetunionDer Zerfallsprozess der Sowjetunion begann Mitte der 1980er Jahre und dauerte mehrere Jahre an. Die Ursachen sind umstritten. Während einige hauptsächlich Gorbatschows Reformen für den Zerfall verantwortlich machen, sehen andere die Gründe vor allem in globalen Dynamiken. Eine zentrale Rolle spielte in jedem Fall die Politik der russischen Teilrepublik. Mehr dazu in unserer Gnose ist das Programm aus Informations- und Unterhaltungssendungen ausgesprochen beliebt. Anders als viele Privatsender, die in den Machtkämpfen der 1990er Jahre teilweise zu Waffen politischer Herausforderer des Kreml wurden, befand sich der Erste Kanal dabei stets unter direkter oder indirekter Kontrolle des Staates. Als eine seiner ersten Amtshandlungen formte Präsident Boris JelzinBoris Jelzin (1931–2007) war der erste demokratisch gewählte Präsident Russlands. Er regierte von 1991 bis 1999, seine Amtszeit war durch tiefgreifende politische und ökonomische Krisen geprägt. Jelzin setzte massive Reformen in Gang: unter anderem ein Programm zur Privatisierung von Staatseigentum und ein folgenschweres Programm zur Umgestaltung der politischen Kultur. Letzteres bezeichnen viele Wissenschaftler als „Entsowjetisierungs-Programm”.Boris Jelzin (1931–2007) war der erste demokratisch gewählte Präsident Russlands. Er regierte von 1991 bis 1999, seine Amtszeit war durch tiefgreifende politische und ökonomische Krisen geprägt. Jelzin setzte massive Reformen in Gang: unter anderem ein Programm zur Privatisierung von Staatseigentum und ein folgenschweres Programm zur Umgestaltung der politischen Kultur. Letzteres bezeichnen viele Wissenschaftler als „Entsowjetisierungs-Programm”. im Dezember 1991 den sowjetischen Rundfunk zur staatlichen Fernseh- und Radioanstalt Ostankino um. 1994 wurde Ostankino in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und in Russisches Öffentliches Fernsehen (ORT) umbenannt. Der Staat besaß und besitzt noch immer 51 % der Aktien, den Rest hielten Banken und Konzerne verschiedener Großunternehmer, unter anderem des OligarchenAls Oligarchen werden Großunternehmer bezeichnet, die starken Einfluss auf die Politik nehmen. In Russland, aber auch in anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, in denen Wirtschaft und Politik sehr eng verwoben sind, stellen sie ein zentrales Charakteristikum des politischen Systems dar. Mehr dazu in unserer GnoseBoris BeresowskiBoris Beresowski (1946-2013) gelangte während der Privatisierungen der 1990er Jahre durch Verbindungen in die Politik zu enormem Reichtum. Er besaß mehrere Medien – darunter große Anteile am staatlichen Ersten Kanal – die er auch zur politischen Einflussnahme nutzte. Zunächst ein enger Vertrauter Jelzins und Unterstützer Putins, kritisierte er Putin ab dem Jahr 2000 für autoritäre Tendenzen. Er entging der eingeleiteten Strafverfolgung durch politisches Asyl in Großbritannien. Von dort aus blieb er bis zu seinem Tod im Jahr 2013 ein scharfer Putinkritiker..1 Der Sender unterstütze mit BeresowskisBoris Beresowski (1946-2013) gelangte während der Privatisierungen der 1990er Jahre durch Verbindungen in die Politik zu enormem Reichtum. Er besaß mehrere Medien – darunter große Anteile am staatlichen Ersten Kanal – die er auch zur politischen Einflussnahme nutzte. Zunächst ein enger Vertrauter Jelzins und Unterstützer Putins, kritisierte er Putin ab dem Jahr 2000 für autoritäre Tendenzen. Er entging der eingeleiteten Strafverfolgung durch politisches Asyl in Großbritannien. Von dort aus blieb er bis zu seinem Tod im Jahr 2013 ein scharfer Putinkritiker. aktiver Beteiligung 1996 die Wahlkampagne des politisch angeschlagenen JelzinBoris Jelzin (1931–2007) war der erste demokratisch gewählte Präsident Russlands. Er regierte von 1991 bis 1999, seine Amtszeit war durch tiefgreifende politische und ökonomische Krisen geprägt. Jelzin setzte massive Reformen in Gang: unter anderem ein Programm zur Privatisierung von Staatseigentum und ein folgenschweres Programm zur Umgestaltung der politischen Kultur. Letzteres bezeichnen viele Wissenschaftler als „Entsowjetisierungs-Programm”. und verhalf in den Jahren 1999 und 2000 dem noch relativ unbekannten Wladimir Putin zu hoher Popularität – und damit zum Wahlsieg. Als BeresowskiBoris Beresowski (1946-2013) gelangte während der Privatisierungen der 1990er Jahre durch Verbindungen in die Politik zu enormem Reichtum. Er besaß mehrere Medien – darunter große Anteile am staatlichen Ersten Kanal – die er auch zur politischen Einflussnahme nutzte. Zunächst ein enger Vertrauter Jelzins und Unterstützer Putins, kritisierte er Putin ab dem Jahr 2000 für autoritäre Tendenzen. Er entging der eingeleiteten Strafverfolgung durch politisches Asyl in Großbritannien. Von dort aus blieb er bis zu seinem Tod im Jahr 2013 ein scharfer Putinkritiker. kurze Zeit später aufgrund einer Auseinandersetzung mit der politischen Elite das Land verlassen musste, verkaufte er seine ORT-Aktien an den kremlnahen OligarchenAls Oligarchen werden Großunternehmer bezeichnet, die starken Einfluss auf die Politik nehmen. In Russland, aber auch in anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, in denen Wirtschaft und Politik sehr eng verwoben sind, stellen sie ein zentrales Charakteristikum des politischen Systems dar. Mehr dazu in unserer Gnose Roman Abramowitsch.2Im Jahr 2011 gab dieser die Hälfte davon an die Nationale Mediengruppe des Unternehmers Juri KowaltschukJuri Kowaltschuk (geb. 1951) gilt als ein enger Vertrauter Putins. Der Milliardär und Mehrheitseigner der Bank Rossija wurde im Zuge der Krim-Annexion mit EU- und US-Sanktionen belegt. ab.3
2002 wurde ORT in Perwy Kanal (dt. Erster Kanal ) umbenannt, auch um an die Bezeichnung aus sowjetischer Zeit anzuknüpfen.4 Er ist auch aufgrund seiner oft aufwendig produzierten Serien und Filme in der Bevölkerung enorm populär – und erreicht eine überwältigende Mehrheit der Haushalte. Einer Umfrage des Lewada-ZentrumsDas Lewada-Zentrum ist ein gemeinnütziges Meinungsforschungsinstitut. Der Namensgeber Juri Lewada (1930–2006) gilt als ein Urvater der modernen russischen Soziologie. 2003 legte er den Grundstein für das renommierte Institut, nachdem die gesamte Belegschaft den Vorgänger WZIOM wegen staatlicher Einmischung verlassen hatte. Das Zentrum wird seit seiner Gründung von den Behörden kritisiert, im September 2016 wurde es vom Justizministerium als ausländischer Agentregistriert. Mehr dazu in unserer Gnose zufolge ist das Fernsehen für 93 % der Russen die wichtigste Informationsquelle. Die Nachrichtensendungen des Ersten Kanals nehmen dabei eine Spitzenstellung ein: 82 % der Fernsehzuschauer gaben an, sie regelmäßig zu sehen. Zudem vertrauen 50 % der Befragten den Informationen, die sie im Fernsehen erhalten.5
Angesichts dieser Zahlen verwundert es nicht, dass die staatlich kontrollierten Fernsehsender6 eine zentrale Rolle in der politischen Kommunikation des Kreml spielen. Die Kontrolle über die politischen Aussagen und gesellschaftlichen Werte,7 die durch das Fernsehen an die Bevölkerung transportiert werden, erlaubt es dem Staat nach Ansicht der Politikwissenschaftler Petrow, Lipman und Hale, in den übrigen Medien Pluralismus zu tolerieren. Durch positive Darstellung der Regierung im Fernsehen könne Legitimität erzeugt werden, ohne dass man vollständig auf die investigativen Recherchen freier Medien, die auch für die Regierung wichtige Informationen enthalten, verzichten müsse.8
Als wichtige Stütze der staatlichen Informationspolitik vertritt der Sender die Regierungslinie und übt Kritik an der politischen Opposition sowie – seit den Massendemonstrationen von 2011/12 und dem Ukraine-Konflikt – an der so genannten Fünften KolonneDer Ausdruck fünfte Kolonne wird allgemein für Kräfte verwendet, die – meist im Geheimen – von innen auf den Umsturz einer bestehenden politischen Ordnung hinarbeiten. Im Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) wurde der Begriff für Anhänger der Aufständischen gebraucht, die in den von der Regierung kontrollierten Gebieten verblieben waren. Im russischen Kontext wird er von Regierungsseite oft für diejenigen verwendet, die die Regierungslinie nicht unterstützen, insbesondere seit dem Auftauchen des Begriffs in der Rede Putins zum Beitritt der Krim am 18. März 2014.. Wichtige Formate bei der Verbreitung politisch gewünschter Positionen sind die Talkshows Politika und WremjaWremja ist die quotenstärkste Nachrichtensendung des russischen Fernsehens. Sie wird allabendlich im staatlichen Fernsehsender Erster Kanal ausgestrahlt. pokashet (dt. Die Zeit wird es zeigen), die der explizit regierungstreue Journalist Pjotr Tolstoj moderiert. Im Zuge des Ukraine-Konflikts verbreitete der Erste Kanal außerdem Falschmeldungen über die Handlungen der neuen Kiewer Regierung sowie die Gründe für den Absturz des Fluges MH-17 über der Ostukraine.9 Gleichwohl gibt es auch im Ersten Kanal begrenzten Raum für regierungskritische Stimmen. So hat der Journalist Wladimir PosnerWladimir Posner (geb. 1934) ist einer der erfahrensten Fernsehmoderatoren in Russland. In Frankreich geboren und in den USA aufgewachsen, war er in den 1980er Jahren der Organisator und Moderator der U.S.-Soviet Space Bridge, einer Art Videokonferenz zwischen den USA und der UdSSR. Zurück in Russland wurde er in den 1990er und 2000er Jahren zu einem der berühmtesten Interviewer. Seine Sendung, die seit 2008 im Ersten Kanal gezeigt wird, ist eine der wenigen Sendungen im Staatsfernsehen, in der kritische Fragen unter anderem an hohe Beamte gestellt werden dürfen. dort im Nachtprogramm eine Nische für seine professionellen und empathischen Interviews10 gefunden. In diesen Gesprächen äußert Posner auch eigene Positionen, die sich – insbesondere in gesellschaftspolitischer Hinsicht – stark vom offiziell sanktionierten Konservatismus unterscheiden. Posner selbst hat jedoch im Mai 2015 erklärt, dass der Sender die Auswahl seiner Gesprächspartner strikt kontrolliere und sein Format jederzeit auf Drängen der Regierung absetzen könne.11 Mindestens ein Fall von direkter Zensur eines Interviews ist bekannt: Aus einem Interview wurde eine Passage über die Medienfreiheit und den Blogger und Oppositionspolitiker Alexej NawalnyAlexej Nawalny ist einer der bekanntesten Oppositionspolitiker und Aktivisten Russlands, der die staatliche Elite in seinen Veröffentlichungen regelmäßig mit schwerwiegenden Vorwürfen zu Korruption und Machtmissbrauch konfrontiert. Er gilt als einer der schärfsten Kritiker Wladimir Putins. Mehr dazu in unserer Gnose entfernt.12
1.Oates, Sarah (2006): Television, democracy and elections in Russia, London, S. 36f.
5.Die zitierten Lewada-Statistiken sind in den Russland-Analysen Nr. 294 (S. 8ff.) in deutscher Übersetzung erschienen
6.Neben dem Ersten Kanal sind das der Zweite Kanal, die Sender Rossija-1 und Rossija-24 sowie einige Dutzend regionale Sender.
7.Für eine Darstellung zur Verbreitung gesellschaftlicher Normen durch fiktionale Mini-Serien siehe Rollberg, Peter (2014): Peter the Great, Statism, and Axiological Continuity in Contemporary Russian Television, in: Demokratizatsiya, 22 (2), S. 335-355
8.Petrov, Nikolay, Lipman, Maria & Hale, Henry E. (2014): Three dilemmas of hybrid regime governance: Russia from Putin to Putin, S. 7 in: Post-Soviet Affairs, 30 (1), S. 1-26
12.Siehe dazu einen Artikel der russischen Nachrichtenagentur auf Interfax aus dem Jahr 2012: Posneru nadoela zensura (dt. Posner ist die Zensur leid).
Stand: 27.11.2015
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