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Die Propagandamacher (Teil 1)

Russland informiert sich aus dem Fernsehen, doch das Fernsehen liefert nicht nur Information. Das Kulturportal Colta.ru veröffentlichte im August eine Serie von Berichten aus dem Inneren der staatlichen TV-Sender, in denen Mitarbeiter schildern, wie Nachrichten in Propaganda verwandelt werden. Wir bringen Teile dieser Serie auf dekoder.

Quelle Colta.ru

Die folgenden Gespräche mit ehemaligen Mitarbeitern der Allrussischen Staatlichen Fernseh- und Radiogesellschaft WGTRK wurden aufgezeichnet von Alexander Orlow und Dimitri Sidorow. Orlow war stellvertretender Chefredakteur der Fernsehsender Rossija 24 und Rossija 2 und wurde im Juli 2013 wegen facebook-Postings entlassen, die Alexej Nawalny unterstützten. Er plant nun ein Buchprojekt zu den Arbeitsumständen bei den Staatssendern und hat uns [dem Internetprojekt Colta, Anm. dek.] einen Teil seines Materials im Voraus zur Verfügung gestellt.

Ein ehemaliger Mitarbeiter der Allrussischen Staatlichen Fernseh- und Radiogesellschaft WGTRK berichtet:

Im Februar 2014 gab es eine Besprechung, bei der der Chefredakteur sagte, der Kalte Krieg fängt an. Nicht der Informationskrieg – der lief schon längst, darüber wussten sowieso alle Bescheid. Sondern so ein richtiger Kalter Krieg, etwas, das den meisten wie ein Atavismus vorkam. Er sagte, es beginnt eine Epoche, gegen die die 70er und 80er Jahre Kinderkram waren. Deshalb sollten sich die, die da nicht mitmachen wollten, besser gleich ein anderes Betätigungsfeld suchen, außerhalb des Nachrichtensenders. Und für alle anderen gilt: Welcome to the Club. Gegangen sind nur ein paar und auch nicht sofort, allmählich, nach und nach, ohne groß Porzellan zu zerschlagen oder ein Drama draus zu machen. Respekt für ihre Haltung und ihren klaren Kopf. Alle anderen sind geblieben.

Die Leute im Top-Management waren ja nicht dumm. Alle heiklen Fragen wurden im engsten Kreis besprochen und nicht auf den großen Redaktionskonferenzen mit 25–30 Ressort- und Abteilungsleitern. Nach den Freitags-Briefings im Kreml kamen die Chefs zurück in den Sender, holten ihre engsten Vertrauten zusammen und hielten Besprechungen ab, zu zweit oder dritt. Sie legten die Kernthemen fest. Dann wurde alles nach unten weitergegeben. Die Politik im Sender war völlig undurchschaubar. Auch das war Teil des Kalten Krieges – alles lief extrem verschlossen ab, keinerlei offene Diskussionen.

„Junta“, „Ukropy“ oder „Banderowzy“: Diese Begriffe sollten die Moderatoren benutzen – die, die vor der Kamera stehen. Extra für sie wurden solche Formulierungen bei den Treffen im engen Kreis zurechtgeschnitzt. Aus dem Mund des Chefredakteurs habe ich sie nie als Vorgabe gehört. Auf den Redaktionskonferenzen wurde eine Agenda formuliert. Es war klar, dass die Berichterstattung zur Ukraine voll aufgedreht werden sollte – unbedingt je eine Geschichte pro Tag von der Krim, aus Donezk und aus Kiew. Im März 2014, nach dem Referendum, war die übliche Ansage: jeden Tag mindestens ein neues Thema von der Krim, möglichst mehr. Jeden Tag musste berichtet werden, wie die Krim sich entwickelt, wie Wissenschaft und Gewerbe florieren und wie der Wohlstand und die Freude unserer neuen Mitbürger wachsen.

Die Frage, von welcher Seite man das beleuchten sollte und ob man diejenigen erwähnt, die unzufrieden sind, stellte niemand, das war sinnlos, wäre reine Zeitverschwendung gewesen. Das Gleiche mit den Korrespondenten. Sie erfüllten eine rein technische Funktion – der richtigen Person das Mikro hinhalten, das richtige Statement aufnehmen, die richtige Info rausbringen.

Die, die im Kriegsgebiet waren, die Kriegsberichterstatter, konnte man menschlich verstehen. Erstens wurden sie von ihren großen und kleinen Chefs mit massiver Propaganda zugedröhnt. Zweitens: Wenn du an der Front bist und auf dich geballert wird, dann hasst du nach ein, zwei oder drei Wochen die, die auf dich schießen – und die Jungs hockten dort anderthalb bis zwei Monate ohne Pause. Klar, dass sich in ihren Berichten die Akzente verschoben. Es gab aber moderate Korrespondenten, die aus einer Mücke keinen Elefanten machten. Wenn eine Granate fiel, sprachen sie auch von einer und nicht von einem Bombenteppich.

Wie schon gesagt, alles wurde von Hand kontrolliert. Als die ersten Minsker Gespräche liefen und es hieß, dass wohl irgendein Frieden kommt,  gab es ein Verwendungsverbot für die Wörter „Faschisten“, „Banderowzy“ oder „Junta“. Danach schwang das Pendel zurück und alles ging von vorn los. Als Strelkow anfing, Städte einzunehmen, standen ihm sämtliche Kanäle offen, er wurde rauf- und runtergesendet. Später musste er dann weg aus dem Scheinwerferlicht, und wir haben ihn einfach nicht mehr so oft gezeigt.

Die Propagandamaschine brachte es im Zusammenhang mit diesem Krieg zu unglaublichen Zuschauerzahlen. Die Quoten von Rossija 24 stiegen immer weiter – auf das Anderthalb-, Zwei- und Dreifache der Zeit vor dem Krieg. Wir beide wissen ja, Fernsehleute sind Adrenalinjunkies. Plötzlich ist Krieg. Richtiger Krieg – mit Blut, zerfetzten Eingeweiden und Einschlaglöchern von Geschossen im Boden und den Häusern. Kann sein, dass manche das als Spiel sahen, so was Postmodernes. Andere hatten einfach begriffen, dass sich damit richtig Kohle machen lässt – nicht mit dem Krieg als solchem, sondern damit, ihn im richtigen Licht darzustellen: Dass man so letztlich neue Hebel in die Hand kriegt und neue Finanzströme anzapfen kann. Und die setzen alles daran, ihr Ziel zu erreichen.

Es tauchten auch sofort eine Menge Freelancer auf, die uns zugearbeitet haben, ein Haufen kleiner Produktionsfirmen. Sie haben Videos gemacht, keine besonders guten: Jemand schickte einen 45-minütigen Film über Donezk, in dem einfach Milizen hin- und herlaufen und rauchen, mit schlecht verständlichen Livepassagen und Synchronisierungen. Absolut wertlos, selbst unter Propagandagesichtspunkten, einfach verworrenes Zeug à la schlechtes Autorenkino. Und das wurde zur Primetime gesendet und am Wochenende viermal wiederholt. „Was soll dieser Mist?“, habe ich gefragt und kriege als Antwort: „Alter, du kapierst das nicht, das bringt Riesenquoten.“

Anders als beim Krieg mit Georgien war das perfekt vorbereitet, ganz systematisch. So eine Vorbereitung ist nicht innerhalb von drei Tagen oder bei einer einzigen Besprechung zu machen. Das waren Wochen, Monate und Jahre.

Einen Krieg der Sender untereinander, also einen Wettbewerb, gab es schon nicht mehr. Aus der Präsidialverwaltung kam die Anweisung: Schluss. Jetzt geht’s nicht mehr darum, wer hier der Tollere ist und mehr Exklusivmaterial hat. Exklusivbeiträge gingen nur dort, wo der eine die Großmutter von jemandem gefunden hat und der andere den Großvater von jemand anders. Alles andere floss zusammen in einen einzigen massiven Strom. Alle haben wild alles untereinander ausgetauscht – Bildmaterial, Sprecher, Kontakte. Alles wurde ein großes Ganzes. Aus unterschiedlichen Holdings, unterschiedlichen Aktionären, unterschiedlichen Medienstrukturen entstand ein gemeinsamer Propaganda-Organismus.

Im Sender kamen keinerlei Diskussionen auf. Manchmal emotionale Ausbrüche im Raucherzimmer – aber auch das nur zwischen Leuten, die sich einigermaßen vertrauten. Nicht jeder redete mit jedem. Ein Klima des Misstrauens – die ständige Möglichkeit, dass jemand denunziert. Aber alle wussten eh alles voneinander. Der Chefredakteur kannte meine Überzeugungen, lud mich zu Besprechungen gar nicht erst ein, ihm war klar, dass ich da etwas nicht mögen würde. Mir war das absolut recht.

Von den wirklich überzeugten Leuten, wie Mamontow oder Semin, die das alles tatsächlich glauben, gibt es nicht so viele. Im Grunde genommen sind alle so ähnlich wie Dimitri Kisseljow, Stufe-50-Trolle oder wie auch immer er sich da nennt. 40–50 Prozent von ihnen waren auf dem Bolotnaja-Platz, ihnen war das Ganze absolut zuwider. Aber gekündigt haben sie nicht, aus ganz trivialen Gründen – die Familie, Kredite. Außerdem war allen klar, dass man nirgendwohin wechseln kann. Manche haben ihren Kummer im Wein ersäuft, andere Drogen genommen. Oder sie haben sich stattdessen in die innere Emigration begeben, am Wochenende Bücher gelesen und versucht, alles von Montag bis Freitag zu vergessen. Für mich selbst war das alles – ich scheue das Pathos nicht – eine Tragödie. Mir war klar, dass ich mich seit anderthalb Jahren mit ziemlich beschämenden Sachen beschäftigte.

Aber 25 % waren überzeugt und glaubten, dass sie das Richtige taten. Ich und meine Freunde – die echten, nahen, von denen die allermeisten nichts mit dem Fernsehen zu tun haben – wir haben uns sofort darauf geeinigt, über dieses Thema einfach nicht zu sprechen. Allen ist klar, in welcher Scheiße wir stecken, was im Land vor sich geht. Da muss man nicht noch weiter Salz in die Wunden streuen. Aber wenn du das Zeug selbst produzierst und innerlich nicht so stark bist, dann fängst du womöglich nach einer Weile an, es zu glauben. Die 86 % Zustimmung für Putin sind ja schließlich real.

Meine persönliche, nur durch meine Gefühle belegte soziologische Analyse ist: 50 % der Leute im Sender waren ähnlich wie ich, 25 % waren überzeugt und den restlichen 25 % ist einfach alles komplett egal. Wenn Chodorkowski an die Macht käme und seinen Sender aufbauen würde, würden sie dort arbeiten – und wenn ein Faschist an die Macht käme, dann eben für den ... Diese Leute wären, wenn sich die Lage mal grundsätzlich ändert, nicht in der Lage, zu einem normalen Journalismus und zu normalen Standards zurückzukehren – einfach deshalb, weil sie sie gar nicht kennen. Irgendwann wird man die alle durchsortieren müssen, aus dem Beruf werfen. Man muss völlig neue Leute auswählen und sie anders ausbilden.

Ehemaliger Mitarbeiter im Nachrichtenbereich der WGTRK:

Freitags um 12 Uhr mittags gab es ein Briefing im Kreml, zu dem alle Chefredakteure kamen. Der Chefredakteur unseres Senders erhielt einen gedruckten Plan, in dem alles stand: Wie und was und wer als Experte eingeladen werden sollte. Praktisch eine Anleitung, ein Stapel A 4-Blätter, 1 Zentimeter dick. Bei dieser Besprechung notierte der Chefredakteur Anmerkungen, die Korrekturen wurden direkt mit Bleistift eingetragen. Ich erhielt einen Teil dieses Stapels und arbeitete danach wie nach Plan.

Die Besprechungen im Kreml wurden von verschiedenen Leuten geleitet. Ganz früher war das Alexej Alexejewitsch (Gromow – Anm. der Red.). Bei Surkow bin ich mir nicht sicher. Dann hat Dimitri Sergejewitsch (Peskow – Anm. der Red.) sie abgehalten. Als er anfing, war das zunächst ganz in Ordnung. Aber später kam man nicht mehr einfach so an ihn heran – hier per Brief, dort mit extra Anmeldung. Es entstand eine Art Kult um Peskow, er verhielt sich à la Putin – das bin ich. Er hat das nie gesagt, aber es wirkte so. Alexej Alexejewitsch hat dagegen immer gesagt: „Leute, wendet euch an mich, ich helfe bei allem, was nötig ist.“

Jetzt gab es plötzlich „Telefonkonferenzen mit Peskow“, morgens und abends. Ich weiß nicht, ab wann. Ich glaube, es war frühestens zwei Wochen nachdem Putin zuerst verschwunden und dann triumphal zurückgekehrt war. Die liefen über die direkte Regierungsleitung, das gelbe Wählscheibentelefon. Da geht etwas vor sich. Keine Ahnung, was, ich bin zum Glück nicht dabei.

Früher gab es bei unserer Arbeit keine großen Veränderungen. Man hatte das Gefühl, alles ist ruhig und friedlich, und dann kamen plötzlich ohne Ende Instruktionen von oben. Inzwischen gibt es immer Anrufe von oben oder nach oben, wenn im Sender solche Entscheidungen und derartige Fragen besprochen werden. Der Chefredakteur kann frei entscheiden, ob über einen Unfall im Moskauer Umland berichtet wird oder nicht. Aber was die große Politik, Krieg und Frieden, angeht, hat er keine Freiheit.

Zum Beispiel war da diese Parade in Serbien. Nicht direkt zu Ehren von Putin, zu Ehren des Sieges [im Zweiten Weltkrieg; dek.]. Aber Putin war, sagen wir mal, anwesend, auch wenn er sich etwas verspätete. Die Parade war wirklich flott, wahnsinnig schön. Rossija 24 nahm das Signal vom serbischen Fernsehen auf und übertrug es nach Moskau. Die Serben hatten alles organisiert, wir nur eine Dolmetscherin für den Moderator der Parade besorgt. Es gab lediglich eine kleine Beschwerde, weil die Dolmetscherin eine Frau war. Der Chefredakteur war gerade nicht da, aber sein Stellvertreter. Der Chefredakteur hatte ihm vorher gesagt: „Wir zeigen die Parade so und so lange, dann gehen wir raus und machen Bild im Bild weiter.“ Offenbar hatte er diese Frage nicht abgestimmt, und es passierte Folgendes: Die Parade läuft, sie ist wirklich gewaltig, niemand hätte das erwartet. Und dann macht der stellvertretende Chefredakteur, was sein Chef ihm gesagt hat: Er lässt die Parade eine Zeitlang übertragen und verlegt sie dann in ein kleines Fensterchen.

Da bricht die Hölle los, Dobrodejew ruft drei oder vier Mal an und brüllt wie von Sinnen, dass die Parade sofort wieder gezeigt und bis zum Ende übertragen werden soll. Zugleich regt er sich über die weibliche Dolmetscherin auf – warum übersetzt kein Mann? Es gab einen derartigen Zirkus wegen dieser Parade ... Wir haben natürlich alles rückgängig gemacht und die Parade bis zum Schluss übertragen. Danach gab es wieder Anrufe: „Wie konntet ihr nur, was macht ihr da eigentlich für Mist?“ Die Festreden waren lange vorbei, er (Putin – Anm. der Red.) war längst nach Mailand weitergeflogen, und wir übertrugen immer noch. Bitte sehr, die Entscheidung hat der Chefredakteur getroffen – und obwohl er eigentlich Herr über den Sender ist, hatte er falsch gelegen und kriegte aufs Dach.

Einmal haben wir über ein Arbeitstreffen zwischen Putin und dem kirgisischen Präsidenten berichtet, das noch gar nicht stattgefunden hatte. Die Sache ist die: Früher gab es die Richtlinie, dass wir Veranstaltungen, an denen der Präsident teilnimmt, nicht ankündigen, mit Ausnahme bedeutender und internationaler oder wichtiger nationaler Anlässe, zum Beispiel mit der Botschaft an die Föderalversammlung. Bei regulären Arbeitstreffen wird weder die Region bekannt gegeben, in der sie am Folgetag stattfinden, noch irgendetwas anderes. Solche Treffen wurden nur äußerst selten und auf besondere Weisung vorher angekündigt. In der Regel haben wir am gleichen Tag darüber berichtet, und fast immer im Nachhinein. Es hatte einmal ein Riesenproblem gegeben, als der Korrespondent während einer Liveübertragung sagte, dass das Flugzeug gelandet sei, obwohl es noch gar nicht gelandet war. Es ging um einen Unterschied von fünf Minuten, aber es war ein höllischer Skandal. Bei der Sache mit Kirgisistan war die Dame, die im Sender darüber berichtete, ohnehin keine große Leuchte. Sie schreibt selbst kaum Texte, sondern beschäftigt sich lieber mit ihrem Make-up. Die Regel, dass nichts vorab angekündigt werden darf, hatte sich ihr mit den Jahren fest eingebrannt, nachdem sie deshalb früher schon Ärger gehabt hatte. Und nun sah sie plötzlich die im Futur formulierte Meldung, dass das Treffen voraussichtlich nächste Woche stattfinden wird und sagte aus alter Gewohnheit „stattgefunden hat“. Und als es weiter unten im Text hieß „sie werden besprechen“, machte sie daraus in Gedanken „haben besprochen“.

Die manuelle Kontrolle erstreckte sich sogar auf die Wettervorhersage, es gab dazu direkte Anweisungen. Zum Beispiel, dass sofort der führende Meteorologe Wilfand eingeladen werden muss, damit er sagt, dass ein furchtbarer Winter bevorsteht und wir alle frieren werden. Man fragt: „Und was, wenn kein kalter Winter kommt?“ Denn es sieht eher nach einem milden Winter aus. Aber es gibt die allgemeine Tendenz, auf der Abhängigkeit der anderen herumzureiten. „Wartet nur, bald drehen wir euch den Gashahn ab, und ihr werdet alle frieren.“ Also war die ständige Leier: „Uns steht ein kalter Winter bevor.“

Auch bei den Briefings hieß es ständig: „Veranstaltet mehr Höllenzauber!“ Da kommt zum Beispiel von oben die Anweisung, dass eine Kamera gebraucht wird, bei irgendeiner Veranstaltung, und die Leute in der Besprechung fragen: „Was sollen wir denn da machen? Das ist doch ziemlich öde.“ Ein Kulturzentrum einer Botschaft organisiert eine Lesung – natürlich fragt man sich: Wozu braucht es da eine Kamera? Weil dort bestellte Leute hinkommen und eine Show inszenieren. So kann etwa irgendein passender Historiker auftauchen und losbrüllen: „Sie versuchen, unsere Geschichte umzulügen!“ Man trommelt arme alte Leutchen zusammen, die seit Jahren zu solchen Anlässen gehen und schickt eine Kamera und eine bestimmte Person, faktisch einen Provokateur.

Die TV-Fragestunde des Präsidenten wird überwiegend von der WGTRK organisiert. Vom Ersten Fernsehprogramm, von der WGTRK, jeder kriegt seinen Anteil. Eine Abordnung fährt vorher zur Präsidialverwaltung und durchläuft mehrere Instruktionsrunden – zum Was und Wie und dazu, welche Regionen und Städte ausgewählt werden. Dort fahren dann Kamerateams hin, eine Menge verschiedener Leute sind vorher da, laufen mit den Gouverneuren und anderen herum, organisieren Treffen mit den passenden Leuten, wählen Themen aus, alles wird hundert- und tausendfach abgestimmt. Es gibt eine sogenannte Voraufführung, wie beim Theater für die Mamas und Papas. Eine komplette Durchlaufprobe. Putin nimmt nicht daran teil, aber Peskow. Er beantwortet natürlich keine Fragen an Putins Stelle, aber er kontrolliert alles. Ein Aufnahmeteam stellt den Ablauf ungefähr nach. Leute, die dabei waren, haben mir gesagt, dass sie wie vor den Kopf geschlagen waren. Sie seien regelrecht vor Scham gestorben, weil alte Leute mit ihren Fragen zum Aufnahmeteam kamen und gar nicht daran zu denken war, diese Fragen in die Sendung aufzunehmen.

Die Sache ist die, dass es das Fernsehen als solches nicht mehr gibt. Selbst wenn du im Kulturressort arbeitest, sagen sie dir: „Diesen Regisseur unterstützen wir, aber den da nicht“. Du kannst dich entweder damit abfinden und lächeln oder nicht mehr arbeiten und weggehen – wenn das Niveau endgültig in den Keller geht und dir klar wird, dass du nicht mehr bleiben kannst.

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Allrussische Staatliche Fernseh- und Radiogesellschaft / WGTRK

Die Allrussische Staatliche Fernseh- und Radiogesellschaft WGTRK ist eine staatlich kontrollierte Medienholding. 1990 gegründet, besitzt die WGTRK heute mehrere landesweit empfangbare Fernseh- und Radiosender sowie Internetmedien. Am wichtigsten darunter ist der zweitgrößte Fernsehsender des Landes, Rossija 1, mit einem Marktanteil von rund 14 Prozent und einer Abdeckung von über 98 Prozent. Neben den landesweiten Radio- und TV-Kanälen gehören knapp 100 regionale Medienanstalten in den Föderationssubjekten zur Holding. Als Eigentümer der Gesellschaft besitzt die Zentralregierung in Moskau somit Einfluss auf die regionale Medienberichterstattung.

Mit der Nachrichtenagentur RIA Novosti und dem Radio Stimme Russlands verfügte die WGTRK bis 2014 auch über zwei zentrale Auslandsmedien. Diese wurden jedoch Ende 2013 im Zuge einer Neuorganisation der staatlichen Medienlandschaft beide der neugegründeten staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja zugeschlagen, die die verstärkte russische Medienpräsenz im Ausland bündeln soll.

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