
Tatjana FelgengauerTatjana Felgengauer (geb. 1985) ist eine russische Journalistin und stellvertretende Chefredakteurin bei dem Rundfunksender Echo Moskwy. Am 27. Oktober 2017 wurde sie im Gebäude des Senders niedergestochen; die Staatsanwaltschaft eröffnete gegen den Täter ein Verfahren wegen versuchten Mordes.: Willkommen zu unserer Sendung Besondere Meinung. Mein Name ist Tatjana FelgengauerTatjana Felgengauer (geb. 1985) ist eine russische Journalistin und stellvertretende Chefredakteurin bei dem Rundfunksender Echo Moskwy. Am 27. Oktober 2017 wurde sie im Gebäude des Senders niedergestochen; die Staatsanwaltschaft eröffnete gegen den Täter ein Verfahren wegen versuchten Mordes., und ich freue mich, die Chefredakteurin der Wochenzeitung The New Times im Studio zu begrüßen: Guten Tag, Yevgenia Markovna.
Yevgenia Albats: Hallo allerseits.
Die WGTRKDie Allrussische Staatliche Fernseh- und Radiogesellschaft WGTRK ist eine staatlich kontrollierte Medienholding. Sie besitzt mehrere landesweit empfangbare Fernseh- und Radiosender sowie Internetmedien, ausserdem knapp 100 regionale Medienanstalten in den Föderationssubjekten der Russischen Föderation. Mehr dazu in unserer Gnose sendet die ersten Wahlkampfdebatten, sechs Parteien, darunter PARNASDie Republikanische Partei Russlands – Partei der Volksfreiheit, kurz RPR-PARNAS, ist eine liberal-demokratische Partei aus dem oppositionellen Spektrum. Sie ist 2012 aus der Fusion zweier Oppositionsparteien entstanden, konnte bisher jedoch kaum politische Wirkung entfalten. Der Ko-Vorsitzende der Partei Boris Nemzow wurde im Februar 2015 unter bisher ungeklärten Umständen in der Nähe des Kreml erschossen. PARNAS wird seitdem alleine von Michail Kassjanow geleitet. Mehr dazu in unserer Gnose , JablokoEine der ältesten russischen Oppositionsparteien. Sie hat bisher an allen Parlamentswahlen seit 1993 teilgenommen. Von 1995 bis 2003 war sie als Fraktion in der Duma vertreten, bis 2007 mit einzelnen Abgeordneten. Inhaltlich ist sie sozialdemokratisch bzw. sozialliberal ausgerichtet. und die neue Partei des WachstumsDie Partei des Wachstums ist eine liberal-konservative politische Partei, die sich im März 2016 aus der Partei Rechte Sache neu formiert hat. Der Fokus des politischen Zusammenschlusses liegt auf wirtschaftlichem Wachstum, der Parteivorsitzende Boris Titow (geb. 1960) ist zugleich Präsidentieller Beauftragter für den Schutz der Unternehmerrechte. Die Partei des Wachstums ist eine liberal-konservative politische Partei, die sich im März 2016 aus der Partei Rechte Sache neu formiert hat. Der Fokus des politischen Zusammenschlusses liegt auf wirtschaftlichem Wachstum, der Parteivorsitzende Boris Titow (geb. 1960) ist zugleich Präsidentieller Beauftragter für den Schutz der Unternehmerrechte. , nehmen teil. Interessiert das überhaupt irgendjemanden?
Nun ja, ich werde das gucken, aber ich bin ja ein klassischer Politikjunkie. Ich finde Politik spannend. Sogar in der Form, in der sie derzeit gemacht wird, interessiert sie mich immer noch.
Irgendwelche Erwartungen, Vorlieben?
Nein, gar nicht. Ich erwarte mir nichts. Dass die Partei Jabloko in ihrem Programm von der Annexion der KrimAls Krim-Annexion wird die einseitige Eingliederung der sich über die gleichnamige Halbinsel erstreckenden ukrainischen Gebietskörperschaft der Autonomen Republik Krim in die Russische Föderation bezeichnet. Seit der im Frühjahr 2014 erfolgten Annexion der Krim ist die Halbinsel de facto Teil Russlands, de jure jedoch ukrainisches Staatsgebiet und somit Gegenstand eines ungelösten Konfliktes zwischen der Ukraine und Russland. Mehr dazu in unserer Gnose Als Krim-Annexion wird die einseitige Eingliederung der sich über die gleichnamige Halbinsel erstreckenden ukrainischen Gebietskörperschaft der Autonomen Republik Krim in die Russische Föderation bezeichnet. Seit der im Frühjahr 2014 erfolgten Annexion der Krim ist die Halbinsel de facto Teil Russlands, de jure jedoch ukrainisches Staatsgebiet und somit Gegenstand eines ungelösten Konfliktes zwischen der Ukraine und Russland. Mehr dazu in unserer Gnose schreibt, macht mich neugierig. Eigentlich ist das die einzige politische Partei, die damit in die Wahlen geht. Das ist etwas Besonderes. Dass nämlich dieser Standpunkt, den eine bestimmte Anzahl der Einwohner Russlands vertritt, immerhin von einer Partei formuliert wird.
Und abgesehen von Ihnen, was denken Sie, wie weit kann das überhaupt den Wähler interessieren?
Ich glaube, dass das den Wähler durchaus interessieren kann, in geringem Ausmaß. Es wird ja eigentlich alles dafür getan, dass man möglichst wenig darüber spricht.
Für mich ist ganz offensichtlich, dass sich die staatlichen Sender, die staatlichen Medien um eine Senkung der Wahlbeteiligung bemühen.
Die Regierung will die Wahlbeteiligung möglichst niedrig halten, das ist nämlich gerade für ihre ParteiDie Partei Einiges Russland ist der parlamentarische Arm der Regierung. Ihre Wurzeln entstammen einem Machtkampf zwischen Jelzin und seinen Herausforderern im Jahr 1999. Danach entwickelte sie sich schnell zu einer starken politischen Kraft: Seit 2003 hat sie eine absolute Mehrheit der Parlamentssitze inne. Obwohl sie durchaus eine Stammwählerschaft entwickelt hat, verdankt sie ihren Erfolg zu großen Teilen Putins persönlicher Beliebtheit. Mehr dazu in unserer Gnose sehr günstig, wenn man so sagen will.
Na, und weiter werden wir schon sehen. Wozu jetzt herumrаten?
Wir sehen aber, wie die Zentrale WahlkommissionDie Zentrale Wahlkommission der Russischen Föderation (russisch: Zentralnaja Isbiratelnaja Komissija Rossiskoi Federazii; ZIK) ist ein staatliches Verwaltungsorgan, das sich mit der Organisation und Durchführung der Wahlen befasst. Vor dem Hintergrund der Dumawahl 2011 wurde die ZIK von der Opposition mit massiven Fälschungsvorwürfen konfrontiert. Mit dem Abgang des ZIK-Leiters Wladimir Tschurow im März 2016 zeichneten sich im Vorfeld der Dumawahl 2016 Reformbestrebungen ab. Mehr dazu in unserer Gnose (ZIK) unter ihrer neuen Leiterin Ella PamfilowaElla Pamfilowa (geb. 1953) war zwischen 2002 und 2010 Vorsitzende der Menschenrechtskommission bzw. des Menschenrechtsrates beim russischen Präsidenten und zwischen 2014 und 2016 Menschenrechtsbeauftragte. Seit März 2016 leitet sie die Zentrale Wahlkommission Russlands. Vor dem Hintergrund offensichtlicher Wahlfälschungen bei der Dumawahl 2016 sieht sie sich mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Mehr dazu in unserer Gnose agiert: In einer der Regionen hat sie sich für Jabloko eingesetzt. Macht das ein bisschen Hoffnung?
Das ist nur ein Zeichen dafür, dass die Regierung aus den Ereignissen vom Herbst/Winter 2011Nachdem Putin im September 2011 angekündigt hatte, wieder Präsident werden zu wollen, und im Dezember zahllose Wahlbeobachter über massive Wahlfälschungen berichteten, bildete sich in Russland die größte Protestbewegung seit dem Ende der Sowjetunion. Sie bewies erstaunliches Durchhaltevermögen, versiegte jedoch im Jahr 2013 aufgrund von inneren Streitigkeiten und der repressiven Reaktion des Staates. Mehr dazu in unserer Gnose ein paar Lehren gezogen hat. Man tut alles dafür, um Proteste gegen das Wahlergebnis zu verhindern. Genau deswegen ist der Wahlkampf extrem eingeschränkt. Wenn man bedenkt, dass die Leute im Sommer entweder auf der DatschaDie Datscha ist ein Sommerhaus im Umfeld der großen Städte. Das Wort geht auf das russische Verb dawat (dt. geben) zurück und bezeichnet ursprünglich eine „Land-Gabe“ des Zaren an den Adel. Im Unterschied zur „großen“ Urlaubsreise bewirkte die Nähe zur Stadt die spezifische Form der lockeren Geselligkeit im Austausch mit Freunden und Bekannten. Die Datscha steht seit jeher für die kleine Flucht aus Stadt und Alltag. Trotz oder wegen ihrer Randlage steht die Datscha auch oft im Zentrum der großen Politik: Von Stalin über Chruschtschow bis Gorbatschow lebte und regierte die Polit-Prominenz in ihren Staatsdatschen. Mehr dazu in unserer Gnose sind oder irgendwo im Urlaub, weit weg von Moskau, dann bleiben vom ganzen Wahlkampf im September keine vier Wochen. Wenn ich mich richtig erinnere, waren die Wahlen davor Anfang Dezember.
In diesem Sinne tut die Regierung alles dafür, dass sich die Leute bloß nicht aufregen. Deswegen PamfilowaElla Pamfilowa (geb. 1953) war zwischen 2002 und 2010 Vorsitzende der Menschenrechtskommission bzw. des Menschenrechtsrates beim russischen Präsidenten und zwischen 2014 und 2016 Menschenrechtsbeauftragte. Seit März 2016 leitet sie die Zentrale Wahlkommission Russlands. Vor dem Hintergrund offensichtlicher Wahlfälschungen bei der Dumawahl 2016 sieht sie sich mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Mehr dazu in unserer Gnose . Hauptsache, nicht TschurowWladimir Tschurow (geb. 1953) war zwischen 2007 und 2016 Vorsitzender der Zentralen Wahlkommission der Russischen Föderation. Während der Proteste gegen Wahlfälschungen von 2011 bis 2013 wurde Tschurow zur Zielscheibe der Demonstranten. Seit Juni 2016 ist er Botschafter für Besondere Aufgaben des Russischen Außenministeriums., nicht wahr?
Man tut alles dafür, um Proteste gegen das Wahlergebnis zu verhindern. Genau deswegen ist der Wahlkampf extrem eingeschränkt
Sie ist kein TschurowWladimir Tschurow (geb. 1953) war zwischen 2007 und 2016 Vorsitzender der Zentralen Wahlkommission der Russischen Föderation. Während der Proteste gegen Wahlfälschungen von 2011 bis 2013 wurde Tschurow zur Zielscheibe der Demonstranten. Seit Juni 2016 ist er Botschafter für Besondere Aufgaben des Russischen Außenministeriums., ohne Frage. Und Ella ist eine, die in der Politik nicht neu ist, und sie nimmt ihren eigenen Ruf ernst. Daher setzt sie natürlich alles daran, dass es möglichst wenig Skandale gibt.
Wie weit sie es dann schafft, mit den Territorialen WahlkommissionenTerritoriale Wahlkommissionen sind kommunale Wahlausschüsse. Sie befassen sich mit Organisation und Durchführung der Wahlen auf der Stadt- und Stadtbezirk-Ebene. (TIK) zurechtzukommen ... Wir wissen ja, wie das läuft, nicht? Die Leute wählen, dann wird das alles in den TIK zusammengeführt, und dort fangen sie an, mit den Zahlen zu tricksen. Aber ich glaube, die ganz exotischen Dinge wird die Regierung zu vermeiden versuchen. Vor allem in den Großstädten, wo es die meisten Protestwähler gibt, wird die Regierung alles tun, um große Skandale zu verhindern.
Dass die sogenannte Liste ChodorkowskiListe Chodorkowski ist die inoffizielle Bezeichnung für 18 Duma-Kandidaten, die finanziell und organisatorisch von Michail Chodorkowskis (geb. 1963) Stiftung Offenes Russland (russ. Otkrytaja Rossija) unterstützt werden. zugelassen wurde, 18 von 19 Personen, praktisch alle – war das auch, damit es möglichst ruhig bleibt?
Die Losung einer namhaften amerikanischen Revolution war „no taxation without representation“. Die Leute wollen wenigstens von irgendwem repräsentiert werden. Wohl wissend, dass in den Städten ein erheblicher Prozentsatz von Protestwählern lebt (Demokraten, Liberale„Liberal“ kann in der russischen Sprache heute vieles bedeuten. Der Begriff hat mehrere Wandlungen durchgemacht und ist nun zumeist negativ besetzt. Oft wird er verwendet, um Menschen vorzuwerfen, sie seien unfähig, schwach und widersetzten sich dem Staat nur, weil sie zu nichts anderem in der Lage seien. Das liberale Credo vom Schutz der Menschen- und Eigentumsrechte, so heißt es oft, lenke davon ab, dass unter liberaler Führung der Staat zugrunde gehen würde. Mehr dazu in unserer Gnose ), lässt die Regierung deswegen jene, die bis zu einem gewissen Grad die Ansichten dieser Leute vertreten, immerhin kandidieren. Ich glaube, genau deswegen wurden die registriert, die für Offenes RusslandOffenes Russland ist eine Organisation, die im Jahr 2001 von Michail Chodorkowski, dem damaligen Chef des Energieunternehmens Yukos gegründet wurde. Die Organisation unterstützte Bildungsprojekte sowie Projekte zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten. Im Zuge der Yukos-Affäre wurden ihre Konten 2006 eingefroren. Nach Chodorkowskis Begnadigung im Jahr 2014 wurde die Arbeit neu aufgenommen, seitdem versteht sich Offenes Russland als eine soziale Bewegung. Die Plattform unterstützt offen die Opposition und zeigt sich betont Kreml-kritisch. 2017 stufte sie die Generalstaatsanwaltschaft Russlands als unerwünschte Organisation ein. Die Websites von Offenes Russland werden seitdem in Russland geblockt. antreten.
Bemerkenswert ist der Fall von Mascha BaronowaMaria Baronowa (geb. 1984) ist eine Journalistin. Im Zuge der Proteste gegen Wahlfälschungen von 2011 bis 2013 wurde ein Verfahren gegen sie eröffnet. Anlässlich einer Amnestie zum 20. Jahrestag der Verfassung Russlands wurde sie freigesprochen. Bei der Dumawahl im September 2016 tritt sie als Direktkandidatin für die sogenannte Liste Chodorkowski an., die Unterschriften sammeln musste, bei denen eine Fehlerquote von nur 2,5 ProzentUm für die Dumawahl 2016 als Direktkandidat zugelassen zu werden, müssen mindestens 15.000 Unterschriften von Unterstützern vorgelegt werden, von denen wenigstens 90 Prozent klar nachvollziehbar sein müssen. Wahlkommissionen haben oft eine große Anzahl der erforderlichen Unterstützungsunterschriften für die Zulassung von unabhängigen Direktkandidaten für ungültig erklärt und deren Kandidaturen somit von der Wahl ausgeschlossen. festgestellt wurde. Das ist wirklich wenig. Aber wir wissen ja noch, wie das bei den letzten Regionalwahlen in KostromaNachdem die Koalition mehrerer kleiner liberaler Parteien in zwei Regionen mit der Begründung formaler Fehler an der Teilnahme bei den Regionalwahlen 2015 gehindert worden war, trat sie nur in der Region Kostroma an. Im Vorfeld der Wahlen wurde sie zum Ziel einer Hetzkampagne. Am Wahltag erhielt sie 2 % der Stimmen. war, als Ilja JaschinIlja Jaschin (geb. 1983) ist einer der sichtbarsten Aktivisten der liberalen Opposition. Von 2010 bis 2012 war er Mitglied der Partei Jabloko, danach wechselte er zur Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Dort führte er das Moskauer Büro an, bevor er PARNAS Ende 2016 wegen interner Querelen verließ. 2017 schloß sich Jaschin der Vereinigten demokratischen Bewegung Solidarnost an. Bei den Moskauer Kommunalwahlen 2017 holte sein Team im Bezirk Krasnoselski sieben von zehn Sitzen. aufgestellt wurde, nicht? Die Aufgabenstellung war ja klar. Es ging ganz einfach darum, zu zeigen: Bitteschön, sie sind angetreten, und geschafft haben sie mickrige zwei Prozent.
Ist die Aufgabe jetzt eine andere?
Ich glaube, es ist ungefähr dieselbe. Vergessen Sie außerdem nicht, dass in ZentralrusslandEiner von 14 Einerwahlkreisen in Moskau, in denen nur der Bewerber mit der relativen Mehrheit ein Direktmandat gewinnt. , in Moskau, eben ein Kandidat von PARNASDie Republikanische Partei Russlands – Partei der Volksfreiheit, kurz RPR-PARNAS, ist eine liberal-demokratische Partei aus dem oppositionellen Spektrum. Sie ist 2012 aus der Fusion zweier Oppositionsparteien entstanden, konnte bisher jedoch kaum politische Wirkung entfalten. Der Ko-Vorsitzende der Partei Boris Nemzow wurde im Februar 2015 unter bisher ungeklärten Umständen in der Nähe des Kreml erschossen. PARNAS wird seitdem alleine von Michail Kassjanow geleitet. Mehr dazu in unserer Gnose , der Historiker Andrej SubowAndrej Subow (geb. 1952) ist Historiker, Politik- und Religionswissenschaftler. Er lehrte am Staatlichen Moskauer Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO), wurde jedoch aufgrund seiner Kritik an der Krim-Annexion im März 2014 entlassen. Zwar wurde die Kündigung kurze Zeit später annulliert, sein Arbeitsvertrag jedoch im Juli 2014 nicht verlängert. Bei der Dumawahl im September 2016 kandidierte er für die Partei PARNAS., gegen Maria BaronowaMaria Baronowa (geb. 1984) ist eine Journalistin. Im Zuge der Proteste gegen Wahlfälschungen von 2011 bis 2013 wurde ein Verfahren gegen sie eröffnet. Anlässlich einer Amnestie zum 20. Jahrestag der Verfassung Russlands wurde sie freigesprochen. Bei der Dumawahl im September 2016 tritt sie als Direktkandidatin für die sogenannte Liste Chodorkowski an. antritt, die für Michail ChodorkowskiEinst einer der reichsten Männer Russlands, wurde Michail Chodorkowski 2003 verhaftet und in Folge eines – nach Ansicht vieler Experten – politisch motivierten Prozesses de facto enteignet. Während seiner zehnjährigen Haftstrafe etablierte sich Chodorkowski als einer der im Westen sichtbarsten Vertreter der Opposition in Russland. Mehr dazu in unserer Gnose kandidiert.
Die Demokraten haben immer noch eine komplett feudale Vorstellung von Politik
Wir haben sie übrigens bei uns in der Redaktion, bei den Debatten, schon gefragt, ob sie sich nicht zusammentun wollen. Und ich war absolut verblüfft, dass, obwohl es auch so schon keine Plattform zum Ankurbeln einer Kampagne und dergleichen gibt, einer der Kandidaten (ich sage nicht, wer) abgelehnt hat: „Nein, sicher nicht“.
Ja, was soll denn das?! Das zeigt doch, dass die Demokraten immer noch komplett feudale Vorstellungen von Politik haben.
Genau, merkwürdigerweise lernt die Regierung dazu, denkt sich irgendwelche neuen Tricks aus. Während das demokratische Lager immer dasselbe macht, immer wieder dasselbe. So wie immer alle gestritten haben, so streiten sie auch weiterhin, unverändert.
Nun, wahrscheinlich ist das eine Frage der politischen Kultur. Wahrscheinlich hängt das auch noch mit dieser starken Zerrissenheit der demokratischen Kräfte zusammen. Mit dem gegenseitigen Misstrauen. Wobei, sehen Sie mal, Dimitri GudkowDimitri Gudkow (geb. 1980) war von 2011 bis 2016 Abgeordneter der Staatsduma. Wegen seiner Mitwirkung bei oppositionellen Protestaktionen wurde er 2013 aus der Fraktion von Gerechtes Russland ausgeschlossen. Bei den Moskauer Kommunalwahlen 2017 gewann die von ihm initiierte oppositionelle Koalition nach vorläufigen Ergebnissen 266 von 1502 Sitzen. Gudkow kündigte wiederholt an, bei der Moskauer Oberbürgermeisterwahl 2018 zu kandidieren. führt genau dieselbe Kampagne wie 2013 Alexej NawalnyAlexej Nawalny ist einer der bekanntesten Oppositionspolitiker und Aktivisten Russlands, der die staatliche Elite in seinen Veröffentlichungen regelmäßig mit schwerwiegenden Vorwürfen zu Korruption und Machtmissbrauch konfrontiert. Er gilt als einer der schärfsten Kritiker Wladimir Putins. Mehr dazu in unserer Gnose . Er versucht, Leute zu treffen und mit ihnen zu reden.
Ich nehme an, Dimitri hat von ihm gelernt und weiß, dass man auf jeden Fall, worum auch immer es geht, vor allem das Vertrauen der Wähler gewinnen muss. Das versucht er zu tun. Schauen wir mal, wie sich die übrigen Kandidaten des demokratischen Lagers verhalten werden.
Also, „no taxation without representation“, das ist ganz wichtig. Dieses Problem mit der Vertretung gab es ja schon in den Staatsdumas der ZarenzeitIm Zuge der Revolution von 1905 ordnete Zar Nikolaus II. die Schaffung einer gewählten Duma an, die als zweite Kammer neben dem Reichsrat weitgehend dem Zaren unterstand. Als erstes Parlament in der Geschichte Russlands hatte diese Duma zeitweise eingeschränkte Entscheidungskompetenzen. Der Zar behielt sich etwa das Recht vor, Beschlüsse der Duma außer Kraft zu setzen, radikale Parteien wurden zunächst nicht zur Wahl zugelassen und das 1907 erlassene Wahlrecht privilegierte Wohlhabende und Landbesitzer. Im Laufe der Zeit wurde die Duma dennoch zu einem Ort der Kritik an der Monarchie. Formal existierte die Duma bis Oktober 1917.. Und einer der Gründe, warum die Revolution von 1917Am 25. Oktober (7. November) 1917 stürzten die Bolschewiki die Provisorische Regierung, die nach der Februarrevolution eingesetzt wurde. Die Machtübernahme in Petrograd erfolgte ohne viel Blutvergießen, jedoch schloss sich ihr ein mehrjähriger Bürgerkrieg mit Millionen Todesopfern an. Zahlreiche westeuropäische Staaten unterstützten den Widerstand gegen die Bolschewiki auch militärisch. So nahm die Geschichte der UdSSR ihren Anfang. Mehr dazu in unserer Gnose stattfand, hing genau damit zusammen, dass die Staatsduma als Repräsentationsform die größte Klasse des Landes, die Bauern, und die zweitgrößte, die Arbeiterklasse, sehr schlecht vertrat.
Mir scheint, die Staatsmacht hat 2011 kapiert, dass sie das Feuer nicht entfachen darf. Obwohl bei uns im Land die Protestaktivität so niedrig ist
Und deswegen stellte die DumaAls Staatsduma wird das 450 Abgeordnete umfassende Unterhaus der Föderalen Versammlung Russlands bezeichnet. Im Verhältnis zu Präsident und Regierung nimmt die Duma verfassungsmäßig im internationalen Vergleich eine schwache Stellung ein. Insbesondere das Aufkommen der pro-präsidentiellen Partei Einiges Russland führte dazu, dass die parlamentarische Tätigkeit zunehmend von Präsident und Regierung bestimmt wurde. Mehr dazu in unserer Gnose dieser Legislaturperiode, die Gott sei Dank jetzt zu Ende ging, eine kolossale Bedrohung für die Stabilität und die Staatsmacht dar, weil sie überhaupt niemanden repräsentierte außer, was weiß ich, die PräsidialverwaltungDie Präsidialadministration (PA) ist ein Staatsorgan, das die Tätigkeit des Präsidenten sicherstellt und die Implementierung seiner Anweisungen kontrolliert. Sie ist mit beträchtlichen Ressourcen ausgestattet und macht ihren Steuerungs- und Kontrollanspruch in der politischen Praxis geltend. Mehr dazu in unserer Gnose oder den SicherheitssausschussDer Sicherheitsrat der Russischen Föderation ist ein Beratungsorgan des Präsidenten. Das Gremium besteht aus den wichtigsten Politikern und Funktionären des Landes. Offizielle Kernaufgabe des Rats ist die Sicherung des Staates vor inneren und äußeren Gefahren. Das Format wurde 1992 gegründet, 2011 wurden seine Kompetenzen ausgeweitet. Seit 2008 wird die Arbeit des Sicherheitsrats vom ehemaligen FSB-Chef Nikolaj Patruschew (geb. 1951) koordiniert., wie ihn JarowajaIrina Jarowaja (geb. 1966) ist eine ehemalige Politikerin der liberalen Partei Jabloko. Im Jahr 2007 trat sie der Partei Einiges Russland bei und bekam einen Abgeordnetensitz in der Staatsduma. Nach den Protesten gegen Wahlfälschungen in den Jahren 2011/12 zeichnete sie sich für die Ausarbeitung des umstrittenen NGO-Agentengesetzes mitverantwortlich. Als Leiterin des parlamentarischen Ausschusses für Sicherheit und Korruptionsbekämpfung brachte sie in 2016 ihre Novellen zur Änderung des Anti-Terror-Gesetzespakets durch. Diese Gesetze tragen im Volksmund ihren Namen – „Jarowaja-Paket bzw. -Gesetz“. Mehr dazu in unserer Gnose mit all diesen bescheuerten Gesetzen und dergleichen vertritt.
Das ist wichtig! Mir scheint, die Staatsmacht hat 2011 kapiert, dass sie das Feuer nicht entfachen darf. Obwohl bei uns im Land die Protestaktivität so niedrig ist. Das liegt daran, dass bei uns in der Sowjetzeit die Politik hyperinstitutionalisiert war: Alles floss in einer gelenkten Bahn, die KPdSUDie Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) war die zentrale Machtstruktur im Einparteiensystem der Sowjetunion. Ihr Vorläufer, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands, wurde 1898 gegründet. In der Zeit ihres Bestehens bis 1991 vertrat die Partei unterschiedliche Strömungen: vom (Marxismus-)Leninismus bis zum (Neo-)Stalinismus. Das Zentralkomitee (ZK) der Partei bildete das oberste Entscheidungsgremium. Das daraus gewählte Politbüro und dessen Vorsitzender – der Generalsekretär der KPdSU – war der faktisch deckungsgleiche Führungskern von Partei und Staat. hieß. KPdSU – das war eine Staatsform, aber es war auch eine Bahn, innerhalb derer verschiedene Interessengruppen erlaubt waren. Und außerhalb dieser Bahn gab es nichts. Deswegen hatten die Dissidenten eigentlich keinerlei Einfluss im Land.
Nun, damit antworten Sie schon auf die Frage unseres Hörers Ilja, der wissen möchte: „Was meinen Sie, falls die Opposition den Einzug in die Duma schafft, kann sie dann etwas ausrichten? Und warum sind Straßendemos als Form der Meinungsäußerung endgültig in Vergessenheit geraten?“
Also erstens, ja, kann sie. Ich erinnere Sie nochmal daran, dass zum Beispiel Dimitri GudkowDimitri Gudkow (geb. 1980) war von 2011 bis 2016 Abgeordneter der Staatsduma. Wegen seiner Mitwirkung bei oppositionellen Protestaktionen wurde er 2013 aus der Fraktion von Gerechtes Russland ausgeschlossen. Bei den Moskauer Kommunalwahlen 2017 gewann die von ihm initiierte oppositionelle Koalition nach vorläufigen Ergebnissen 266 von 1502 Sitzen. Gudkow kündigte wiederholt an, bei der Moskauer Oberbürgermeisterwahl 2018 zu kandidieren. der einzige Abgeordnete der Duma war, der immer wieder gegen diese Neandertaler-Gesetze protestierte, die von der Duma beschlossen wurden. Er war allein. Gudkow hat uns gezeigt, was einer allein alles erreichen kann. Insofern hat das tatsächlich Gewicht. Denken Sie nur an den berühmten Italienischen StreikAls Italienischer Streik wird im Russischen die Streikform Dienst nach Vorschrift bezeichnet. Im gegebenen Zusammenhang handelt es sich um den Streik, den die Duma-Abgeordneten Gennadi Gudkow, Dimitri Gudkow und Ilja Ponomarjow 2012 ausgerufen haben. Sie brachten 350 Änderungsvorschläge zu der Gesetzesvorlage ein, die eine Verschärfung von Verwaltungsstrafen für die Teilnahme an unangemeldeten Versammlungen vorsah. Der Abstimmungsprozess dauerte bis Mitternacht. Das hemmende Verhalten der Streikenden sabotierte somit einen politischen Vorgang. , den die zwei Gudkows und Ilja PonomarjowIlja Ponomarjow (geb. 1975) war zwischen 2007 und 2016 Dumaabgeordneter der Partei Gerechtes Russland. Der linke Politiker war der einzige Abgeordnete, der 2014 gegen die Angliederung der Krim gestimmt hat. Im Sommer 2014 ist er mit seiner Familie in die USA ausgewandert. Das Mitglied der Stiftung Skolkowo wurde 2015 der Veruntreuung beschuldigt, das russische Ermittlungskomitee strebt seine Auslieferung aus den USA an. angеzettelt hatten.
Den Menschen ist klar: auf die Straße heißt ins Gefängnis
Die Erfahrung des Widerstands ist eine sehr wichtige Erfahrung. Und gerade in unserem Land, das viele Jahrhunderte hindurch unter strengen Regimen lebte (egal, ob im absolutistischen Zarenreich oder unter dem totalitären Sowjetregime), ist es sehr wichtig, sich dieses Erlebnis des Widerstands zu erarbeiten, bis der Widerstand zur Institution wird, zu einer Lebensregel, nicht? Bis es absolut normal wird, sich unredlichen Gesetzen, unredlicher Macht, unredlichen Entscheidungen und dergleichen zu widersetzen.
Was die Straßendemos betrifft, sehen wir doch der Realität ins Auge. Die Regierung hat seit den Ereignissen vom Mai 2012 wirklich alles daran gesetzt, dass den Menschen klar ist: Auf die Straße heißt ins Gefängnis. Deswegen wurde ja auch DadinIldar Dadin (geb. 1982) ist ein Bürgerrechtsaktivist. Im Dezember 2015 wurde er nach Artikel 212.1 – wegen nicht genehmigten öffentlichen Protests – zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Ende Februar 2017 wurde Dadin überraschend vorzeitig aus dem Straflager entlassen. inhaftiert, für seine Ein-Mann-DemosEin Piket ist ein kleinerer, stationärer Protest. Oft wird er von Einzelnen veranstaltet und bedarf dann keiner vorherigen Anmeldung. Dennoch werden Proteste dieser Art oft von der Polizei unterbunden. Seit 2012 sind die Bedingungen für diese Protestform mehrmals verschärft worden: Neben hohen Geldbußen drohen Protestierenden inzwischen auch lange Haftstrafen. Mehr dazu in unserer Gnose . Zweifellos ist die repressive Komponente des Regimes äußerst bedenklich angewachsen. Die Regierung verfügt über die repressivste Einrichtung der Sowjetunion, den KGB. Ältere Leute wie ich, wir wissen einfach ganz genau, was das ist. Und der Nachwuchs hat während der Bolotnaja-ProzesseAls Bolotnaja-Prozess wird eine Reihe von Gerichtsverfahren bezeichnet. Diese wurden nach den Massenverhaftungen beim Marsch der Millionen am 6. Mai 2012 auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz initiiert und sind teilweise bis heute nicht abgeschlossen. Der Vorwurf gegen mehr als 30 mutmaßliche Teilnehmer lautet dabei „Teilnahme an Massenunruhen“ und „Gewaltanwendung gegen Staatsvertreter“. Die meisten der Angeklagten wurden zu Haftstrafen verurteilt. Viele Beobachter schätzen diesen Prozess als politisch-motiviert ein.Als Bolotnaja-Prozess wird eine Reihe von Gerichtsverfahren bezeichnet. Diese wurden nach den Massenverhaftungen beim Marsch der Millionen am 6. Mai 2012 auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz initiiert und sind teilweise bis heute nicht abgeschlossen. Der Vorwurf gegen mehr als 30 mutmaßliche Teilnehmer lautet dabei „Teilnahme an Massenunruhen“ und „Gewaltanwendung gegen Staatsvertreter“. Die meisten der Angeklagten wurden zu Haftstrafen verurteilt. Viele Beobachter schätzen diesen Prozess als politisch-motiviert ein. eine gründliche Lektion erteilt bekommen.
Man soll nicht nach den Regeln der Regierung spielen. Deswegen finde ich, man soll seine Steuern zahlen. Und man soll wählen gehen
Soll man wählen gehen?
Wissen Sie, meine Meinung ist, man soll nicht nach den Regeln der Regierung spielen. Man soll nach den eigenen Regeln spielen. Deswegen finde ich, man soll seine Steuern zahlen. Und man soll wählen gehen.
In unserem Fall, auch wenn die Parteien oder Kandidaten, die Ihre Interessen vertreten, nicht auf dem Stimmzettel stehen, sollte die Regel in Kraft treten „Für jede beliebige Partei außer …“Mit der Losung „Für jede beliebige Partei außer die Partei der Gauner und Diebe“ führte Nawalny 2011 eine Diffamierungs-Kampagne gegen die Regierungspartei Einiges Russland durch. Sie wird als eine wichtige Ursache für den Vertrauensverlust dieser Partei, vor allem bei der urbanen Bevölkerung Russlands, gesehen. Einiges Russland verlor bei der Wahl 15 Prozentpunkte gegenüber 2007. Kurz nach der Wahl gab es zahlreiche Meldungen über mutmaßliche Wahlfälschungen. Dies führte zu massiven Protestveranstaltungen, die am 4. Dezember in Moskau und St. Petersburg begannen. Diese Demonstrationen bildeten die bislang größte Protestwelle im postsowjetischen Russland.. Dieses Motto, das von Alexej NawalnyAlexej Nawalny ist einer der bekanntesten Oppositionspolitiker und Aktivisten Russlands, der die staatliche Elite in seinen Veröffentlichungen regelmäßig mit schwerwiegenden Vorwürfen zu Korruption und Machtmissbrauch konfrontiert. Er gilt als einer der schärfsten Kritiker Wladimir Putins. Mehr dazu in unserer Gnose stammt, und das Verfahren, das 2011 erfunden wurde, das hat recht gut funktioniert. Allerdings finde ich, also zumindest in Zentralrussland gibt es gewisse Auswahlmöglichkeiten, nicht? Und vor allem muss einem klar sein, dass sich die Regierung, dass sich Einiges Russland, eine niedrige Wahlbeteiligung wünscht. Weil dann nur die Omas und Opas kommen, die die KommunistenDie KPRF ist die Kommunistische Partei der Russischen Föderation. Sie ist die direkte Nachfolgeorganisation der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) und orientiert sich politisch an einem sozialistischen Kurs, unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht jedoch auch von ihrer Vorgängerin. Bei den letzten Parlamentswahlen 2016 erreichte die KPRF 13,3 Prozent der Wählerstimmen und bleibt damit die größte Oppositionspartei im Parlament. Mehr dazu in unserer Gnose und Einiges Russland ankreuzen.
Die Regierung wünscht sich eine niedrige Wahlbeteiligung. Weil dann nur die Omas und Opas kommen, die die Kommunisten und Einiges Russland ankreuzen
Wissen Sie, die Hauptsache ist ... Also, die Griechen haben ja nicht zufällig jene, die außerhalb der Gesellschaft standen, idiotos genannt, nicht wahr? Idioten. Um aber von der Regierung etwas fordern zu können, muss man leider trotz allem mit ihr in Verhandlungen treten, sonst bleibt einem nur der Revolver. Wahlen sind so etwas wie Verhandlungen, sind gewaltfreie Gespräche mit dieser Regierung, die bei mir keinerlei positive Emotionen hervorruft. Und deswegen glaube ich, ja, man soll wählen gehen.
Vielen Dank. Das war die Besondere Meinung von Yevgenia Albats.
Danke.