Medien

Kokain in der Botschaft

Im Dezember 2016 wandte sich der russische Botschafter in Argentinien an die Polizei: Er hatte in einem Regal in der Botschaftsschule zwölf verdächtige Koffer gefunden. In diesen befanden sich 389 Kilogramm Kokain. Russische und argentinische Behörden hätten gemeinsam an dem Fall gearbeitet, berichtet das Außenministerium, die Droge gegen Mehl ausgetauscht und die Koffer mit GPS-Sendern versehen.

Anfang März kamen diese in Russland an, mitgeflogen in einer Regierungsmaschine – was russische Behörden zunächst bestritten, argentinische Stellen jedoch eindeutig identifizierten. Es gab mehrere Festnahmen, in Berlin wurde der vermeintliche Drahtzieher des Schmuggels festgenommen. Diplomaten seien nicht involviert, versichert die Sprecherin des Außenministeriums.

Allerdings zweifeln viele diese offizielle Version an, Medien-Recherchen deuten zumindest Schwachstellen in der offiziellen Version an.

Kirill Martynow beleuchtet in der Novaya Gazeta eine Reihe weiterer Dementi und sieht darin System.

Quelle Novaya Gazeta

Der Kokain-Skandal zieht immer weitere Kreise. Die argentinische Strafverfolgungsbehörde untersucht den Fall der Drogenlieferung über die russische Botschaft und hat nun Teile des Aktenmaterials veröffentlicht.

Auf den Fotos ist unter anderem das Kennzeichen jenes Flugzeugs erkennbar, das fast 400 Kilogramm Kokain in 12 Koffern nach Moskau befördern sollte. Laut Angaben von RBC gehört das Kennzeichen (96023) zu einer Iljuschin-96-Maschine der Sonderflugeinheit Rossija, die für den Transport von Regierungsbeamten zuständig ist. Nach Veröffentlichung dieser Meldung wurde die Webseite russianplanes.net gesperrt, ein non-profit Projekt, das Informationen über russische Luftfahrzeuge auf Grundlage öffentlicher Quellen publiziert.

Am 20. Dezember 2016 starb der Leiter der Lateinamerika-Abteilung des russischen Außenministeriums Pjotr Polschikow unter ungeklärten Umständen. Insgesamt starben in den letzten anderthalb Jahren neun hochrangige Beamte des Außenministeriums. Es ist bekannt, dass der Sekretär des Sicherheitsrates Nikolaj Patruschew im Dezember 2017, als sich der zweite Teil der Kokain-Affäre ereignete, auf Staatsbesuch in Argentinien war. Die argentinische Presse versichert außerdem, Patruschew sei mit derselben Maschine geflogen wie die Koffer.

Die offizielle russische Position ist: alles dementieren

Die offizielle russische Position ist: alles dementieren. Erst gab Maria Sacharowa die Stellungnahme ab, dass nur die rechtzeitige Einmischung russischer Diplomaten es ermöglicht habe, die Route des Drogenhandels aufzudecken, involviert in diesen sei aber nur „technisches Personal“ der Botschaft. Später folgte ein Dementi der Präsidialverwaltung, der die Sonderflugeinheit Rossija unterstellt ist. Die Sprecherin der Behörde Jelena Krylowa sagte, dass die Iljuschin-96 mit der Kennnummer 96023 am Kokaintransport beteiligt gewesen sei, entspräche nicht der Wahrheit. Die Nummer sei nämlich „mithilfe moderner technischer Verfahren“ manipuliert worden. Es ist also nicht klar, wer das Kokain transportiert hat – aber wir sicher nicht.

Bemerkenswert ist, dass unsere offiziellen Vertreter zunächst immer fragen: Was habt ihr für Beweise? Und nachdem ihnen die Fakten geliefert wurden, schalten sie einen Gang rauf: Das beweist noch nichts. 
Irgendwo im Hintergrund befragt derweil das Ermittlungskomitee einen „ukrainischen Augenzeugen“ über den Absturz der malaysischen Boeing, Ergebnis: Alles nicht so eindeutig.

Post truth: russischer Sonderweg

Während die ganze Welt noch über post truth diskutiert und die Schwierigkeit, in Zeiten moderner Medientechnologien die Wahrheit von Lügen zu unterscheiden, hat Russland offensichtlich auch hier einen Sonderweg eingeschlagen: 
Wir haben die post untruth erfunden, auch bekannt als „ewige Leugnerei“. Da lässt sich jedes Ereignis ganz klar als erfunden bezeichnen, wenn man das unbedingt will und wenn die Obrigkeit nachdrücklich darum bittet.

Rationale Argumente und offensichtliche Fakten sind gegen die russische post untruth machtlos. Darauf basiert offenbar auch unsere ganze geopolitische Größe. Der Westen hinkt da klar hinterher: Dort glaubt man immer noch, man müsse offizielle Ermittlungen einleiten, wenn ein Beamter auf frischer Tat ertappt wird.

Sehen wir uns nur mal die neuesten Beispiele an: Vizepremier Rogosin brüstet sich im Netz zunächst mit seinem „Neffen Roman“, anschließend löscht er seine Tweets und verkündet, es habe nie einen Neffen gegeben, die Journalisten hätten alles erfunden.

Das klassische „Wir waren’s nicht“

Dem „liberal-demokratischen“ Duma-Abgeordneten Leonid Sluzki wird öffentlich sexuelle Belästigung von Journalistinnen vorgeworfen, Sluzki erwidert: „Niemals. Nicht in dieser Angelegenheit.“ Und damit ist die Sache erledigt – wir sind hier nicht in Amerika. Unsere Sportler hätten nie gedopt, erklärt man uns, und wenn, dann nur aus Versehen, ohne irgendein zielgerichtetes Zutun russischer Beamter. Und was besonders unheimlich und tragisch ist: Es heißt, wir seien schon zweimal aus Syrien abgezogen, und plötzlich stirbt in diesem Februar dort eine unbekannte Zahl russischer Staatsbürger. Was sagen die Beamten? Das klassische „Die sind da nicht gewesen“, sprich: „Wir waren’s nicht“. Vor diesem Hintergrund wirkt Deripaska geradezu europäisch, wenn er, statt alles komplett abzustreiten gegen die Verletzung seiner Privatsphäre klagt.

Die Blütezeit der russischen Kultur der post untruth begann 2014, als unsere Soldaten zunächst nicht auf der Krim gewesen sein sollen, und dann genau dafür mit Medaillen ausgezeichnet wurden.

Seitdem ist unsere Fähigkeit zu lügen sogar etwas, worauf man stolz sein kann. Nach dem Motto: Wenn deren Spione auch lügen, kann es unseren Agenten doch keiner verbieten. Die im vergangenen Jahr von der russischen Gesellschaft tief verinnerlichte Wahrheit lautet: „Im Westen lügen sie auch, und deren Medien sind voller Propaganda“, machen wir also einen Wettstreit draus. Schaut nur, wie gewieft wir sind: Wir lügen sogar besser als die Amerikaner.

Schaut nur, wie gewieft wir sind: Wir lügen sogar besser als die Amerikaner

Zu einem Konflikt kommt es dann, wenn die bekannten Vorurteile, denen die westliche Zivilgesellschaft anhängt, und unser russisches „ewiges Leugnen“ sich widersprechen. Bezeichnend ist die Untersuchung des ehemaligen FBI-Chefs und jetzigen Sonderermittlers Robert Mueller über die mutmaßliche US-Wahleinmischung russischer Staatsbürger. Im Westen funktionieren die Institutionen wie ein Immunsystem: Wenn etwas vorgefallen ist, dann ist etwas vorgefallen, also müssen alle Umstände aufgeklärt werden, unabhängig davon, welche ehrenwerte Herrschaften da Widerstand leisten. Bei uns dagegen kann man die Krankheit an sich leugnen.

Kurzum: Es ist sehr schwer für zwei derart unterschiedliche Wertesysteme – das heimische und das importierte – auf einem Planeten zu koexistieren. Auf lange Sicht wird sich wohl eins von ihnen durchsetzen. Aber welches?

dekoder unterstützen

Weitere Themen

Gnose

Grüne Männchen

Als kleine grüne Männchen, manchmal auch höfliche Menschen, werden euphemistisch die militärischen Spezialkräfte in grünen Uniformen ohne Hoheitsabzeichen bezeichnet, die Ende Februar 2014 strategisch wichtige Standorte auf der Krim besetzt haben. Bestritt Moskau zunächst jegliche direkte Beteiligung und verwies auf „lokale Selbstverteidungskräfte“, so gab Präsident Putin später zu, dass es sich dabei um russische Soldaten gehandelt hat. Die grünen Männchen sind inzwischen zu einem kulturellen Symbol geworden.

Gnose

Krieg im Osten der Ukraine

Zum ersten Mal treffen sich Wladimir Putin und sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selensky heute persönlich in Paris. Thema ist der Krieg im Osten der Ukraine, der trotz internationaler Friedensbemühungen seit April 2014 anhält. Er kostete bereits rund 13.000 Menschen das Leben. Steffen Halling zeichnet die Ereignisse nach.

Gnosen
en

Präsidialadministration

Staraja Ploschtschad – außer dem Kreml ist auch diese Moskauer Adresse das Synonym für politische Macht. Unweit der Kreml-Mauern gelegen, hat das Gebäude an der Staraja Ploschtschad 4 eine bewegte Geschichte: Erbaut 1915, befand sich hier zunächst ein Warenhaus, bevor in den 1920er Jahren das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (ZK) einzog. Heute ist hier einer von drei Standorten der Präsidialadministration. Anders als das ZK hat die Präsidialadministration kein verfassungsmäßiges Recht auf das Machtmonopol im Land. Dennoch wird sie wegen ihrer informellen enormen Machtfülle häufig mit dem ZK verglichen.

Die Präsidialadministration (PA) wird laut russischer Verfassung vom Präsidenten gebildet. Dieser regelt durch seine Ukase (dt. Dekrete) die genaue Struktur der Behörde, die Ausgestaltung ihrer Kompetenzen und die personelle Besetzung. 

Die mehr als 2500 Beschäftigten der PA gehören zu den bestbezahlten Staatsbediensteten in Russland, die Gehaltsstufen sind denen im Militär angepasst. Die wichtigsten Personen sind der Leiter der PA (derzeit Anton Waino), seine beiden Ersten Stellvertreter (Sergej Kirijenko und Alexej Gromow), der Pressesprecher (Dimitri Peskow), die präsidialen Vertreter in den föderalen Staatsorganen und in den Föderalbezirken sowie die Abteilungsleiter und Berater des Präsidenten. 

Struktur der PA

Die Struktur der Abteilungen sichert die Ausübung der Kompetenzen ab, die dem Präsidenten formal in der Verfassung zugeschrieben werden. Zu den bedeutendsten gehören: Die Kontrollabteilung, in der 1996 einst Wladimir Putin seine Moskauer Karriere begann und die für die Kontrolle von präsidialen Anweisungen und Gesetzen verantwortlich ist. Sie ist aufgrund weitreichender Kompetenzen zu einem Grundpfeiler der Machtvertikale geworden. 

Desweiteren gehört die Expertenabteilung dazu, die für die Akquisition von Fachwissen aus Think-Tanks und Universitäten sorgt. Außerdem sind hier zu nennen die Abteilungen für Innen- und Außenpolitik sowie die Abteilung für Staat und Recht (GPU). Diese ist für juristische Fragen, etwa bei Gesetzesentwürfen oder Präsidialerlassen zuständig. Die Leiterin der GPU, Larissa Brytschewa, machte zuletzt im Februar 2014 bei einer Vorlesung in der Staatsduma auf sich aufmerksam, als sie die hohe Geschwindigkeit, in der Gesetze erlassen werden und gleichzeitig die mangelnde juristische Qualität der verabschiedeten Gesetze bemängelte.

Informelle Macht

Die Spiegelung vieler Regierungsfunktionen bezeichnet Eugene Huskey als institutionelle Redundanz1. Er deutet damit an, dass, obwohl der Präsident das Staatsoberhaupt, nicht aber Chef der Exekutive ist, die eigentliche exekutive Vorrangstellung dennoch beim Präsidenten liegt. So ist das administrative Gewicht des Leiters der PA, welcher regelmäßig bei Expertenumfragen zu den mächtigsten Politikern gezählt wird, durchaus mit dem des Regierungschefs gleichzusetzen.

Die informelle, gut belegte und rechtlich in keiner Weise gedeckte Einflussnahme der PA auf Parlament, Parteien, Gerichte, Medien, NGOs und Wirtschaftsunternehmen zeugt davon, dass es sich bei ihr keineswegs nur um ein Hilfsorgan des Präsidenten handelt, sondern um eine mit beträchtlichen Ressourcen ausgestattete Behörde. Ihr Steuerungs- und Kontrollanspruch ist dabei in der politischen Praxis nicht mit Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit vereinbar.


1.Huskey, E. (1999): Presidential power in Russia (Vol. 1), New York
dekoder unterstützen
Weitere Themen
Gnose

Silowiki

Silowiki ist ein Sammelbegriff für Amtspersonen aus Sicherheitsorganen des Staates. Seit den späten 1990er Jahren hat ihr Einfluss stetig zugenommen. Unter Putin gehören sie zu den einflussreichsten Akteuren innerhalb der russischen Elite.

Gnose

Rokirowka

Rokirowka - zu Deutsch Rochade - ist ein aus dem Schach entlehnter Begriff, der im russischen politischen Diskurs einen Ämtertausch meint, genauer die Rückkehr Wladimir Putins in das Präsidentenamt 2012 nach der Interimspräsidentschaft von Dimitri Medwedew (2008-2012).

Gnose

Siebte Legislaturperiode der Staatsduma

Am 18. September 2016 begann die siebte Legislaturperiode der Staatsduma. Gewählt wurde das Parlament mit der historisch niedrigsten Wahlbeteiligung, insgesamt genießt es kaum Vertrauen in der Bevölkerung. Das soll sich nun grundlegend ändern. Fabian Burkhardt über das Neue in der siebten Staatsduma:

Gnose

Sergej Iwanow

Sergej Iwanow ist ein russischer Politiker und zählt zu den engsten Vertrauten Wladimir Putins. Von 2001 bis 2007 war Iwanow Verteidigungsminister und galt vor den Präsidentschaftswahlen 2008 neben Dimitri Medwedew als aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat. Zwischen 2011 und 2016 leitete er die mächtige Präsidialadministration und gehörte damit zu den wichtigsten politischen Akteuren in Russland.

weitere Gnosen
Motherland, © Tatsiana Tkachova (All rights reserved)