Am 23. März wurde der Ex-Dumaabgeordnete Denis Woronenkow in Kiew auf offener Straße erschossen.
Der ehemalige Abgeordnete der Kommunistischen ParteiDie KPRF ist die Kommunistische Partei der Russischen Föderation. Sie ist die direkte Nachfolgeorganisation der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) und orientiert sich politisch an einem sozialistischen Kurs, unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht jedoch auch von ihrer Vorgängerin. Bei den letzten Parlamentswahlen 2016 erreichte die KPRF 13,3 Prozent der Wählerstimmen und bleibt damit die größte Oppositionspartei im Parlament. Mehr dazu in unserer Gnose war eine umstrittene Figur: Er hatte die Linie des Kreml mitgetragen, in Sozialen Netzwerken etwa die Angliederung der KrimAls Krim-Annexion wird die einseitige Eingliederung der sich über die gleichnamige Halbinsel erstreckenden ukrainischen Gebietskörperschaft der Autonomen Republik Krim in die Russische Föderation bezeichnet. Seit der im Frühjahr 2014 erfolgten Annexion der Krim ist die Halbinsel de facto Teil Russlands, de jure jedoch ukrainisches Staatsgebiet und somit Gegenstand eines ungelösten Konfliktes zwischen der Ukraine und Russland. Mehr dazu in unserer Gnose begrüßt. Umso überraschender war es für Viele, als er Ende 2016 in die Ukraine emigrierte – nachdem er nicht mehr in die DumaAls Staatsduma wird das 450 Abgeordnete umfassende Unterhaus der Föderalen Versammlung Russlands bezeichnet. Im Verhältnis zu Präsident und Regierung nimmt die Duma verfassungsmäßig im internationalen Vergleich eine schwache Stellung ein. Insbesondere das Aufkommen der pro-präsidentiellen Partei Einiges Russland führte dazu, dass die parlamentarische Tätigkeit zunehmend von Präsident und Regierung bestimmt wurde. Mehr dazu in unserer Gnose gewählt worden war. Da in Russland seit 2014 wegen KorruptionKorruption ist in Russland weit verbreitet – sowohl in Politik und Wirtschaft als auch im Alltagsleben. Korruption, die nicht zuletzt durch niedrige Gehälter befördert wird, kommt in zahlreichen Variationen vor: gegenseitige Gefälligkeiten, Tausch unter der Hand, Abzweigung staatlicher Mittel, Bestechungsgelder und vieles mehr. Da die Korruption systemischen Charakter angenommen hat, ist vorerst nicht damit zu rechnen, dass sie wirksam bekämpft werden kann. Mehr dazu in unserer Gnose gegen Woronenkow ermittelt wurde, vermuteten dies manche als Beweggrund für seine Emigration. In Kiew verglich er Russland schließlich sogar mit Nazi-Deutschland. Woronenkow hinterlässt eine Ehefrau, die populäre Opernsängerin Maria Maksakowa-IgenbergsMaria Maksakowa–Igenbergs (geb. 1977) ist eine Opernsängerin (Mezzosopran) und war zwischen 2011 und 2016 Dumaabgeordnete der Regierungspartei Einiges Russland. Ende 2016 emigrierte sie mit ihrem Ehemann Denis Woronenkow (Dumaabgeordneter der Partei KPRF) in die Ukraine. Diesen Schritt begründete Woronenkow damit, dass er vom Geheimdienst FSB verfolgt worden sei. Obwohl Maksakowa viele Duma-Entscheidungen mittrug, zeigte sie sich in jüngsten Interviews sehr kritisch gegenüber der politischen Situation Russlands., den gemeinsamen Sohn sowie zwei Kinder aus einer früheren Ehe.

Unmittelbar nach Woronenkows Ermordung brachen heftige Spekulationen über das Motiv und die Hintermänner aus: Steckt der SBUSBU ist die Abkürzung für Sluschba bespeky Ukrajiny (dt. Sicherheitsdienst der Ukraine). Es ist der Inlandsgeheimdienst des Landes, der sich 1991 als Nachfolgeorganisation des ukrainischen KGB formiert hat. hinter dem Mord? Der russische Geheimdienst aus „Rache am Verräter“? Oder ging es um irgendwelche schmutzigen Geschäfte?
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sprach von „russischem Staatsterrorismus“, die russische Außenamtssprecherin Maria SacharowaSeit 2015 Direktorin (geb. 1975) der Pressestelle des Außenministeriums der Russischen Föderation. Sie ist bekannt für ihre ständige Präsenz in diversen politischen Talkshows und äußert sich häufig in den sozialen Netzwerken zu verschiedenen politischen Themen. Damit wurde sie zu einem der meistzitierten russischen Diplomaten. dagegen von einem „Auftragsmord“.
Der mutmaßliche Mörder war nach der Tat schwer verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert worden, wo er seinen Verletzungen erlag. Am Tag nach dem Mord veröffentlichte der ukrainische Obosrewatel den Namen des mutmaßlichen Täters. Andere, zumeist russische, Quellen stützen sich jedoch auf die Anwältin des Mannes, die behauptet, ihr Mandant sei noch am Leben.
In russischen Medien wird derzeit heftig spekuliert, wer hinter dem Mord steckt, unter anderem wird die in Russland typische Frage „Wem nützt es?“ aufgeworfen. Dass so viele eine schnelle Antwort darauf haben, das hat vereinzelt wiederum eine eigene Debatte ausgelöst. dekoder bringt Ausschnitte:

Novaya Gazeta: Kreml wird sich nicht herauswinden können
Julia Latynina von der unabhängigen Novaya Gazeta hat keinen Zweifel, wer hinter dem Mord steckt:
Deutsch
Original
Auch wenn die Kiewer Polizei und der SBU hilflos erscheinen, so werden sie doch alles daran setzen, dieses Verbrechen aufzuklären. Meiner Meinung nach besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es aufgeklärt wird, so wie der Mord an
LitwinenkoAlexander Litwinenko (1962–2006) war Offizier des sowjetischen Geheimdienstes KGB und arbeitete später für dessen Nachfolgeorganisation FSB. Litwinenko beschuldigte die FSB-Führung, die Ermordung Boris Beresowskis in Auftrag gegeben zu haben. Nachdem ein Strafverfahren gegen Litwinenko eingestellt worden war, beantragte er politisches Asyl in Großbritannien. 2006 kam er dort durch eine Poloniumvergiftung ums Leben. Im Januar 2016 sprach das Obere Zivilgericht Englands und Wales’ den ehemaligen FSB-Offizier Andrej Lugowoi des Mordes an Litwinenko schuldig. Großbritannien fordert seit 2007 Lugowois Auslieferung. Da dieser allerdings Duma-Abgeordneter (der Partei LDPR) ist, genießt er Immunität.. In diesem Fall wird sich der Kreml nicht herauswinden können.
Bestenfalls wird seine Verteidigungsstrategie folgende sein: „das war Eigeninitiative“, „hat versucht, sich anzudienen“. Funktionieren wird diese Verteidigungsstrategie nur bei den Olgino-TrollenOlgino-Trolle bzw. Kreml-Trolle sind gängige Bezeichnungen für die mutmaßlich vom Kreml bezahlten Kommentatoren auf Nachrichten-Portalen und in Sozialen Medien. Im St. Petersburger Stadtteil Olgino soll sich die Agentur für Internet-Forschung befinden, die für die Einstellung solcher Trolle zuständig sein soll..
Как бы ни были беспомощны киевская полиция и СБУ, они бросят на раскрытие этого преступления все силы. На мой взгляд, есть очень большая вероятность, что его раскроют, так же, как было раскрыто убийство Литвиненко. В таком случае Кремлю не отмыться.
В лучшем случае линия защиты будет такая: «это самодеятельность», «пытались угодить». Действовать эта линия защиты будет только на ольгинских троллей.
erschienen am 24.03.2017
Republic: Komplizierter als MH17-Abschuss
Oleg KaschinOleg Kaschin (geb. 1980) ist ein bekannter russischer Journalist. Er schreibt für verschiedene unabhängige Medien und gibt sich in seinen Artikeln betont kremlkritisch. Mutmaßlich wegen dieser Haltung wurde er bereits mehrmals Opfer von Gewalttaten. So schlugen ihn 2010 drei Menschen brutal zusammen, Kaschin musste sich einigen Operationen unterziehen. Wegen seiner häufigen Kritik an russischen Liberalen gilt Kaschin bei vielen von ihnen als Persona non grata. vermutet eine Rache des Kreml hinter der Ermordung – und fragt sich auf Republic, wie der es schaffen wird, damit ein Zeichen zu setzen und sich gleichzeitig nicht als Täter zu entlarven:
Deutsch
Original
Die russische Staatsmacht wird nun vermutlich Mittel und Wege erfinden, um zu zeigen, dass Woronenkow wegen Verrats bestraft wurde. Diese müssen einerseits von allen potentiellen Adressaten eindeutig verstanden werden; andererseits dürfen sie auch nicht zum offenherzigen Bekenntnis werden: „Ja, das waren wir.“
Diese Herausforderung ist deutlich größer als damals bei der MH17Flug MH17 war ein Linienflug des Unternehmens Malaysia-Airlines von Amsterdam nach Kuala-Lumpur, der am 17. Juli 2014 auf dem Separatistengebiet im Osten der Ukraine abgestürzt ist. Alle 298 Passagiere kamen dabei ums Leben. Laut Untersuchungsbericht ist das Flugzeug von einer BUK-Luftabwehrrakete aus russischer Produktion abgeschossen worden. Während die Ukraine und der Westen die prorussischen Seperatistenmilizen für die Tat verantwortlich machen, beschuldigt Russland die Ukraine und leugnet die Lieferung von entsprechender Technik an die Aufständischen. Die Einrichtung eines internationalen UN-Sondertribunals zur Klärung dieser Frage scheiterte im Juli 2015 am Veto Russlands. oder bei Nemzow. Vielleicht werden die russischen Machthaber nicht dicht halten und sich schneller verplappern als die ukrainischen Ermittler den Mordfall aufdecken.
[...] российская власть сейчас, скорее всего, будет изобретать способы дать понять, что Вороненков наказан за предательство, и эти способы должны быть такими, чтобы, с одной стороны, они воспринимались однозначно всеми потенциальными адресатами, а с другой – не стали бы чистосердечным признанием: «Да, это мы».
Tакая задача несопоставимо более сложна, чем то, что было с «Боингом» или Немцовым. Может случиться так, что российские власти не выдержат и проболтаются быстрее, чем украинские следователи раскроют убийство.
erschienen am 23.03.2017
Komsomolskaja PrawdaKomsomolskaja Prawda ist eine russische Tageszeitung mit Sitz in Moskau mit einer verkauften Auflage von rund 655.000 Exemplaren. Sie gilt als ein Kreml-nahes Boulevardblatt.: Der SBU war’s
Für das Massenblatt Komsomolskaja PrawdaKomsomolskaja Prawda ist eine russische Tageszeitung mit Sitz in Moskau mit einer verkauften Auflage von rund 655.000 Exemplaren. Sie gilt als ein Kreml-nahes Boulevardblatt. ist ebenfalls klar, wer die Drahtzieher sind – auch wenn es zu einem anderen Schluss kommt als Republic:
Deutsch
Original
[Woronenkows] kriminelle Sünden in Russland wurden dabei [in der Ukraine –
dek] nur spärlich erwähnt, beiläufig, im Rahmen der politischen Verfolgung. Schließlich hatte man das glänzende Bild eines [Unschulds-]Lamms. Aus Woronenkow hat man alles rausgeholt, was ging. Und ihn dann zur Schlachtung überführt. Diese Version sieht doch sehr viel logischer aus, oder? Besonders vor dem Hintergrund der für die Ukraine nicht allzu erfreulichen jüngsten Ereignisse. Für Poroschenko, aus dessen Händen die Macht langsam zu den Radikalen abfließt, ist das der rettende Strohhalm. Vorerst. [...]
Übrigens wurde am Tatort eine Handtasche des Killers gefunden. Eine Handtasche, verstehen Sie? Wozu hat er die „zum Einsatz“ mitgenommen? Bestimmt hatte er darin einen Bart zum Ankleben, einen Kompass, einen Kiew-Stadtplan für Touristen und einen Ausweis der „Abteilung Liquidation“ des KGB. Derartiges wird der SBU wahrscheinlich bald präsentieren. [...]
О криминальных прегрешениях в России при этом упоминалось скупо, вскользь, в рамках политического преследования. В итоге образ агнца получился на славу. Из Вороненкова выжали все, что было возможно. И принесли на заклание. Согласитесь, эта версия выглядит куда логичнее. Особенно на фоне последних не самых приятных для Украины событий.
Для Порошенко, из рук которого власть потихоньку утекает к радикалам, это спасительная палочка. На какое-то время. [...]
Кстати, на месте убийства была найдена борсетка киллера. Борсетка, понимаете? Зачем он брал ее «на дело»? Даже не сомневаюсь, что в ней он носил накладную бороду, компас, туристическую карту Киева и удостоверение «отдела ликвидаций» КГБ. Скоро что-то подобное наверняка обнародует СБУ.[...]
erschienen am 23.03.2017
Vedomosti: Russland und Ukraine müssen zusammenarbeiten
Die Tageszeitung Vedomosti verdächtigt weder Kreml noch SBU – und regt zur Aufklärung des Falls eine Zusammenarbeit der russischen und ukrainischen Behörden an:
Deutsch
Original
Wenn man die spezielle Art der Beschäftigungen des Ex-Abgeordneten bedenkt, darf man auch die Version nicht ausschließen, die man gewöhnlich als
Konflikt in der Businesswelt bezeichnet. Selbst irgendwelche persönlichen Hintergründe oder eine Vermischung all solcher Umstände darf man nicht ausschließen.
Wenn man alle diese Versionen ernsthaft in Betracht zieht, dann wird der Mordfall ohne eine Zusammenarbeit der russischen und ukrainischen Rechtsschutzorgane nur schwer überzeugend aufzuklären sein. Aber nach offiziellen Verlautbarungen, dass russische Geheimdienste am Mord beteiligt gewesen sein sollen, wird es eine solche Zusammenarbeit offenbar nicht mehr geben.
Учитывая непростой род занятий бывшего депутата, нельзя исключать и версию, которую принято называть «конфликтом в сфере бизнеса». Нельзя даже исключать и какие-то личные версии, а также сочетание всех этих обстоятельств. Если все эти версии рассматривать серьезно, то без сотрудничества правоохранительных органов России и Украины по-настоящему убедительно раскрыть это убийство будет сложно. Но, похоже, после официальных заявлений о причастности к убийству российских спецслужб такого сотрудничества не будет.
erschienen am 24.03.2017
spektr: Opfer des hybriden Kriegs
Das russischsprachige Spektr, das in Lettland ansässig ist, ist der Spekulationen und schnellen Verdächtigungen müde:
Deutsch
Original
Eine weitere Leiche – diesmal im Zentrum von Kiew – wird blitzartig zur Waffe im Propaganda-Krieg. Eigentlich interessiert sich auch niemand wirklich dafür, wer ihn weshalb umgebracht hat. Den Konfliktparteien ist auch so alles klar. Selbst wenn der Killer überlebt und ausgesagt hätte, würde man die Aussagen, die nicht in das einfache Weltbild der eigenen Seite passten, beiseite legen, es der feindlichen Propaganda anlasten und mit der Entlarvung des Gegners fortfahren.
Das heißt, obwohl wir das nicht wollten, sind wir auf beiden Seiten der Grenze bereits zu gemeinsamen Opfern des hybriden KriegsAls hybrider Krieg werden allgemein Kriegsformen bezeichnet, in denen offene (militärische) sowie verdeckte Kriegsmittel (Desinformationskampagnen, Cyberattacken) kombiniert zum Einsatz kommen. Obwohl der Begriff derzeit oft für das Vorgehen Russlands in der Ukraine und in einem weiteren Sinne für russische Maßnahmen „gegen den Westen“ gebraucht wird, ist seine Anwendbarkeit in diesem Zusammenhang umstritten. Ein hybrider Krieg im eigentlichen Sinne würde ein systematisches, interessengeleitetes und zielgerichtetes Vorgehen voraussetzen – dass dieses bei den russischen Aktivitäten vorliegt, ist strittig. Auch in Russland werden als aggressiv wahrgenommene westliche Initiativen gelegentlich unter diesen Begriff gefasst. Manche Experten kritisieren, dass der Begriff ein hohes Potenzial zu verbaler Eskalation berge. geworden.
Еще один труп – на этот раз в центре Киева – тоже молниеносно оказывается орудием пропагандистской войны. Собственно, никому ведь и не интересно, кто и за что его убил. Сторонам конфликта и без того все ясно. И даже если бы киллер выжил и дал бы показания, та сторона, в простую картину мира которой эти показания не впишутся, легко отмахнется от них, спишет на вражескую пропаганду и продолжит сеанс разоблачения противника.
То есть все мы по обе стороны границы, сами того не желая, уже вступили в союз жертв гибридной войны.
erschienen am 23.03.2017
dekoder-Redaktion