Gewalt und Gegengewalt: Das Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens ist am vergangenen Sonntag blutig geendet. Das Verfassungsgericht hatte es zuvor verboten. Beobachter geben nun zumeist beiden Seiten die Schuld an den Ausschreitungen: der Zentralregierung in Madrid wie auch der katalanischen Regierung. Beide hätten eine Gewalteskalation riskiert, anstatt zu verhandeln.
In russischen Medien erregt das Referendum viel Aufsehen, auch schon vorab: Schließlich sehen hier viele eine Parallele zu den international nicht anerkannten „Unabhängigkeitsreferenden“ in den ukrainischen Oblasten Donezk und Luhansk und auf der Krim 2014.
Unabhängigkeits- beziehungsweise Separatismus-Fragen beschäftigen das heutige Russland außerdem spätestens seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. In der Argumentation steht dabei das Selbstbestimmungsrecht der Völker oft gegen das Recht auf territoriale Integrität, je nach Fall und Interesse kann die Position wechseln. Gern zitiertes Beispiel ist der Kosovo, dessen Unabhängigkeit Russland, auf der Seite Serbiens, nicht anerkannt hatte. Denn Russland warnte davor, dass der Kosovo ein Präzedenzfall sein würde. Auch Spanien hatte die Unabhängigkeit des Kosovo nie anerkannt.
In russischen Medien wird debattiert, unter anderem über solche Fragen: Katalonien, Kosovo, Krim ... : Wer wird in die Unabhängigkeit entlassen und wer nicht? Und warum? Wer handelt dabei nach doppelten Standards? Und warum diskutiert Russland zwar über Katalonien, aber nicht über die Krim und eigene innenpolitische Fragen?
pravda.ru: Kosovo als „Büchse der Pandora“
Die Onlinezeitung pravda.ru, die sich als Nachfolger des kommunistischen Parteiorgans versteht, bemüht den Kosovo – wie es auch der Kreml gerne tut:
erschienen am 30.09.2017
Rossijskaja Gaseta: Sowjetisches Szenario
Fjodor Lukjanow, Außenpolitik-Experte und Professor an der HSE, fühlt sich in der Rossijskaja Gaseta an Szenarien kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion erinnert:
In Spanien beobachten wir eine merkwürdige Wiederholung dieses Schemas, zum Glück bislang ohne die Grausamkeit, die Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre im sowjetischen Raum zu Tage trat.
erschienen am 02.10.2017
Iswestija: „Ukrainisierung der EU“
Die regierungsnahe Iswestija übt noch vor dem Referendum, am 25. September, Kritik an der Zentralregierung in Madrid genauso wie an der EU:
Mit ganz anderen Farben spielt der kollektive Westen bei allen Problemfragen an Russland in Bezug auf Südossetien, Abchasien, Transnistrien und den Donbass. Und natürlich in Bezug auf die Krim, die im März 2014 die Kraft und den Mut gefunden hat, gegen allen Widerstand und unter Berufung auf internationales Recht in den „heimatlichen Hafen“ zurückzukehren.
Das Flair der schönen Worte über Demokratie und Menschenrechte fliegt von der EU wie Herbstlaub von den Bäumen. Nach jedem Herbst kommt der Winter.
В этом смысле совершенно другими красками играют все проблемные вопросы к России со стороны коллективного Запада относительно Южной Осетии, Абхазии, Приднестровья, Донбасса и так далее. И, конечно, Крыма, который нашел силы и мужество вопреки всему и опираясь на международное право, вернуться в «родную гавань» в марте 2014 года.
Флер красивых слов про демократию и права человека слетает с ЕС как осенние листья с деревьев. За осенью всегда приходит зима.
erschienen am 25.09.2017
Republic: Nicht ganz wie bei uns
Oleg Kaschin bedauert im unabhängigen Onlinemagazin Republic, dass innenpolitische Themen nicht klar angesprochen, sondern nur indirekt an fremden Ereignissen diskutiert würden:
Grundthese der offiziellen Antiwestlichkeit Russlands in den 2010er Jahren ist: „Bei denen ist alles wie bei uns“, wie es auch Wladimir Putin in zahlreichen Variationen wiederholte. Früher war dieses „bei uns“ noch direkt gemeint: Bei uns werden Demos gewaltsam aufgelöst, aber bei denen auch; bei uns wird die Meinungsfreiheit eingeschränkt, aber bei denen auch. Doch inzwischen sind die Grenzen dieses „bei uns“ stark verschwommen, die russische Medienrealität findet außerhalb von Russland statt.
Deswegen wird Madrid nun mit Kiew verglichen und Barcelona mit Donezk. Das „Bei denen ist alles wie bei uns“ meint nicht mehr „wie in Russland“, sondern „wie in den russischen Fernsehnachrichten über die Ukraine und andere Länder“.
Das dezente Mitgefühl der Sendung Wremja für die katalanischen Separatisten ist von gleicher Natur wie die Unterstützung der Donezker Separatisten. Gleichzeitig verschwinden ganz augenscheinliche Dinge der unmittelbaren russischen Realität von der Bildfläche: Erst gerade wurde die erste reale Haftstrafe „für Separatismus“ verhängt, gegen den krimtatarischen Aktivisten İlmi Ümerov, weniger aufsehenerregende Rechtsfälle desselben Paragraphen sind schon längst Teil des medialen Hintergrundrauschens wie auch die alltäglichen Verurteilungen für Reposts und die Teilnahme an Demos.
erschienen am 02.10.2017
Facebook/Arkadi Babtschenko: Was geht uns Catalunya an?
Dementsprechend zeigt sich der Journalist und Blogger Arkadi Babtschenko auf Facebook genervt über die Berichterstattung auf allen Kanälen. Babtschenko verließ Russland im Februar 2017 – nach eigener Aussage wegen massiver Drohungen gegen ihn. Derzeit lebt er in Kiew und schreibt betont kremlkritische Beiträge. Auf Facebook hat er mehr als 180.000 Follower, mit jedem Beitrag sammelt er hunderte likes und shares.
Freunde, sagt mal, glaubt ihr wirklich, dass in unserem Land, das gerade zwei Kriege führt, wo die Staatsmacht seit 17 Jahren usurpiert ist, wo orthodoxe Aktivisten Kinos in Brand stecken, wo Nemzow auf einer Brücke ermordet wurde, wo ein Kadyrow ist, der Donbass, Meltschakows und Girkins, Sanktionen, Verelendung, wo es überhaupt keine Wahlen gibt und erst recht keine Referenden, wo es Annexionen gibt, Folter und Verschleppung – sagt mal, glaubt ihr wirklich, dass Russlands wichtigstes Ereignis zurzeit das Referendum in Catalunya ist?
Geht es Euch nicht am Arsch vorbei, was da aus Catalunya wird?
Hauptsache über irgendetwas sprechen, nur ja nicht nicht über die wichtigen Dinge ...
Друзья, скажите, а вы вправду считаете, что в вашей стране, которая ведет сразу две войны, где власть узурпирована уже семнадцать лет, где православные экстремисты жгут кинотеатры, где Немцова убили на мосту, где Кадыров, где Донбас, где Мильчаковы-Гиркины, где санкции, где обнищание, где вообще никаких выборов и уж тем более никаких референдумов, где аннексия, пытки и похищения - скажите, вот вы реально считаете, что главное событие России сейчас это референдум в Каталунии?
Вот вам правда не похуй, как там в Каталунии будет?
О чем бы ни говорить, лишь бы не о главном ...
erschienen am 01.10.2017
Wsgljad: Gegensatz, keine Analogie
Der kremlnahe Wsgljad vom 20. September kritisiert, dass Madrid den „katalanischen Frühling“ unterdrücke und hebt die Krim als positives Beispiel hervor:
„Allerdings besteht zwischen den Ereignissen keine Analogie, sondern ein Gegensatz. Auf der Krim hat man den Leuten erlaubt, ihre Meinung kundzutun, und ein Referendum durchgeführt – in Katalonien wird diese Möglichkeit nicht gegeben“, erklärt [Alexander Tschitschin, Dekan der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der – dek] RANChiGS.
«Только между этими событиями не аналогия, а противопоставление. В Крыму дали людям высказаться, провели голосование, а Каталонии такой возможности не дают, – поясняет эксперт РАНХиГС.
erschienen am 20.09.2017
Facebook/Morosow: Selbstermächtigungs-Referenden
Dagegen warnt Alexander Morosow, Journalist unter anderem bei colta.ru, auf seinem Facebook-Kanal vor zuviel Verständnis:
erschienen am 02.10.2017
https://www.youtube.com/watch?v=T9_tRm6IUno
Bei der Abschlussveranstaltung des Diskussions-Klubs Valdai am 19. Oktober 2017 kam auch Präsident Putin auf das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien zu sprechen.
dekoder-Redaktion