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„Heimat! Freiheit! Putin!“

Da stehen sie, Aktivisten der Nationalen Befreiungsbewegung (NOD), ein Grüppchen von 10, 15 Leuten, jeder von ihnen hält ein Schild in die Höhe, auf dem stehen Dinge wie „Heimat! Freiheit! Putin!“. Die NOD ist eine politische Randbewegung, ihre Mitglieder, darunter viele Rentner, halten an Putin als Leader fest, gleichzeitig aber hängen sie allerlei Verschwörungstheorien an, hauptsächlich der, dass alles Übel in Russland von den USA gesteuert sei. Politikwissenschaftler sprechen der NOD dennoch eine interessante Funktion zu: Als radikale Kraft lässt sie die Staatsmacht, gegenüber der sie sich stets loyal verhält, gemäßigt erscheinen.

Viel ist über die NOD nicht bekannt. Um mehr herauszufinden, hat sich Bumaga-Journalist Pawel Merslikin ihr angeschlossen – für einen Monat. 

Quelle bumaga

I. WIE ICH DER NOD BEIGETRETEN BIN

Petersburg, Uliza Lomonossowa. Hier, an der Ecke zur Uferpromenade der Fontanka, befindet sich eine Filiale der Russischen Zentralbank. Jeden Freitag von 16.30 bis 18.00 Uhr protestieren hier NOD-Aktivisten. Sie sind der festen Überzeugung, die Zentralbank arbeite für die „Feinde Russlands“.

Anfang Mai sind sie nur zu dritt: eine füllige Dame in einem unförmigen Pelz und mit einer Mütze, an der eine große Fellblume prangt, sowie zwei ältere Herren in abgetragenen Daunenjacken. Der eine ist etwa 60, der andere wesentlich älter, er hat einen langen grauen Bart.

„Wir sind Russland“, „Medien, hört auf zu lügen“, „Heimat! Freiheit! Putin“ – mit diesen und anderen Losungen stellen sich die NOD-Aktivisten auf die Straße / Illustrationen © Jekaterina Kassjanowa

Man sieht sie schon von weitem. Die NOD-Mitglieder verteilen Zeitungen mit einem Putin-Portrait auf dem Titelblatt. „Für Russlands Souveränität!“, rufen sie den Passanten hinterher und wedeln mit Fähnchen in den Farben des St. Georgs-Bandes. Die meisten Petersburger beachten sie kaum. Es sind vor allem Rentner, die auf die Aktivisten reagieren. Sie kommen auf das Dreiergespann zu und beginnen ein Gespräch über das Schicksal Russlands.

„Was steht ihr denn hier rum?“, fragt eine ärmlich gekleidete Frau um die 65 die Aktivisten, wobei ihr Blick schnell von einem zum anderen springt.
„Für Putin stehen wir hier. Zur Unterstützung.“
„Na, wozu denn dann hier rumstehen? Sind doch sowieso alle für ihn. Meine Freunde und Bekannten, wir alle haben ihn gewählt.“

Die NOD-ler nicken wohlwollend. Man kommt auf die neuesten Nachrichten zu sprechen. Die Aktivisten berichten von Nawalnys Film Nennen Sie ihn nicht Dimon. Sie sind überzeugt: Alles, was darin gesagt wird, ist Lüge.

„Nawalny hat in den USA studiert. Er ist ein amerikanischer Agent. Es versteht sich doch von selbst, wessen Interessen er vertritt. Dabei zahlen wir den Amis auch so schon genug Abgaben. Eine Milliarde pro Tag, stellen Sie sich das mal vor!“, erklären die Aktivisten.
„Eine Milliarde am Tag? Und warum?“
„So sind nun mal unsere Gesetze.“

Es sind vor allem Rentner, die auf die Aktivisten reagieren

Nach beendeter Diskussion über die „Abgaben an die Amis“ und die „tote“ Jugend von heute bekommt die Rentnerin noch die offizielle NOD-Zeitung in die Hand gedrückt, in der erklärt wird, Russland sei eine Kolonie der USA, dann geht sie. Nun trete ich näher und sage, ich würde gern der Bewegung beitreten.

Man reicht mir ganz selbstverständlich ein abgewetztes Plakat, das die Zentralbank auf­fordert, den Basiszins auf Null herabzusetzen. Eine Minute später stehe ich damit neben der Aktivistin Tatjana; sie hält ein Plakat, auf dem versichert wird, Lukaschenko arbeite mit den „Ukro-Faschisten“ zusammen.

Es scheint, als hätten sich die NOD-ler heute nur versammelt, um mich willkommen zu heißen. Die Aktivisten wirbeln um mich herum, schütteln mir die Hand und lassen sich einer nach dem anderen mit mir fotografieren. Wenige Minuten später nennen mich die angestammten NOD-ler schon vertraulich Paschenka.

Tatjana sagt zu ihren älteren Gleichgesinnten: „Da seht ihr es, die Jugend kommt. Wir stehen also nicht umsonst hier.“

II. WIE NOD-AKTIONEN ABLAUFEN

Wladimir hat von klein auf vom Meer geträumt. Doch Seefahrer zu werden klappte nicht. Im Laufe seines Lebens hat er ein Dutzend Berufe gewechselt: vom Anschläger bis zum Einrichter für medizinische Geräte. Heute ist Wladimir über 70, seit mehreren Jahren in Rente und hat nach eigener Aussage nur zwei große Aufgaben im Leben: den Enkel zur Schule zu bringen und in den Reihen von NOD für die Souveränität Russlands zu kämpfen. An den großen Traum vom Meer erinnert nur noch die in der Jugend gestochene Anker-Tätowierung auf seinem Handrücken.

Zur NOD kam der betagte Petersburger vor etwa einem Jahr, nachdem er im Netz zufällig auf ihre Seite gestoßen war und ihr Programm regelrecht verschlungen hatte. Nun trifft man Wladimir immer donnerstags auf der Uliza Lomonossowa. Auch bei der traditionellen NOD-Sonntagsdemo ist er dabei.

Bei drei der wöchentlichen Veranstaltungen stand ich Schulter an Schulter mit Wladimir. Sie folgten alle demselben Schema:

Gegen 13.00 Uhr befestigten wir rasch ein mehrere Meter langes, abgewetztes Banner mit der Aufschrift: „Putin ist unser nationaler Leader“. Wir stellten uns dazu, griffen uns einen Stapel Propagandazeitschriften und versuchten sie zu verteilen. Wer keine Zeitungen verteilen wollte, konnte sich aus einem Haufen eines der alten, abgewetzten Plakate nehmen. So stand ich bei den Aktionen unter anderem mit Plakaten a là „USA, Finger weg von der Kiewer Rus“ oder mit einem riesigen Foto von Putin in Pelzmütze mit der Aufschrift „Wie geht’s unserem Alaska?“. Ein unangenehmes Gefühl.

Weg mit der Fünften Kolonne – so lautet eine der Forderungen auf den Plakaten

Für gewöhnlich kamen zu den Pikets drei bis sechs Leute. An guten Tagen waren es maximal 15 bis 20. Mehr aktive Mitglieder hat die Petersburger NOD offenbar gar nicht. Fast die Hälfte davon sind Rentner mit zu viel Freizeit und Sowjet-Nostalgie. Ansonsten trifft man bei den Aktionen noch eine Handvoll sehr bescheiden gekleidete Petersburger über 40 und ein paar patriotische Studenten.

Ungeachtet ihrer Außenwirkung, sind die Aktionen der Bewegung von innen betrachtet ausgesprochen langweilig. Ihre Atmosphäre erinnert an einen Rentnerplausch auf der Datscha. Über Politik wird nicht diskutiert, meistens wird einfach geschwiegen. Wenn doch mal ein Gespräch aufkommt, geht es um Rückenschmerzen oder die guten Leistungen des Enkels in der Schule.

III. WORAN GLAUBEN NOD-LER?

Die ersten NOD-Aktivisten tauchten im Herbst 2012 auf russischen Straßen auf, kurz nach der Bolotnaja-Geschichte. Die Ideologie der Bewegung ist schnell zusammengefasst: An allem Übel in Russland sind die USA schuld.

Es ist nämlich Amerika, das Gebühren anhebt und neue Steuerabgaben einführt, die Medien kontrolliert und die Staatsduma zwingt, Gesetze zu verabschieden, die Russland schaden. Amerika bringt auch die Schüler auf die Straßen. Außerdem glaubt man bei der NOD, der Maidan und der Konflikt im Donbass seien die Folgen eines im Grunde offenen Krieges, den die USA gegen Russland führen. Der Terror­anschlag in der Petersburger Metro sei nur ein Symptom dieses Krieges, so die feste Überzeugung in der Bewegung. Den Aktivisten zufolge sind amerikanische Geheimdienste an der Vorbereitung beteiligt gewesen.

Mit der Theorie über die allmächtigen Feinde aus Amerika erklärt die NOD ausnahmslos alle Probleme in Russland, ohne dabei je von der offiziellen Linie der Regierung abzuweichen. Die protestierenden Fernfahrer erklärt man für geheime ukrainische Terroristen, die demonstrierenden Studenten für Satanisten, und korrupte Beamte für amerikanische Agenten.

Die protestierenden Fernfahrer erklärt man für geheime ukrainische Terroristen, die demonstrierenden Studenten für Satanisten, und korrupte Beamte für amerikanische Agenten

Die Aktivisten sind der Auffassung, die weitreichenden Befugnisse der USA seien gesetzlich verankert: Nach dem Zerfall der Sowjetunion habe Russland eine von „westlichen Beratern“ geschriebene Verfassung angenommen und sei zu einer Kolonie der USA geworden. Seitdem regiere Amerika das Land mithilfe der allgegenwärtigen Fünften Kolonne, der Zentralbank, der Medien und Oppositioneller wie Alexej Nawalny.

Nur eine Handvoll Russen leiste Widerstand gegen die Okkupation, aber der wichtigste Kämpfer gegen die Amerikaner sei selbstverständlich Wladimir Putin, so die NOD-Mythologie. Während seiner 16 Jahre an der Macht habe er viel bewirkt. Doch Russland endgültig zu befreien, sei ihm schlichtweg physisch nicht möglich. „Die Amerikaner würden ihn gleich aus dem Weg räumen. Ja, auch die Staatsduma, in der sich die Fünfte Kolonne breitgemacht hat, würde das nicht zulassen“, erklären mir die NOD-ler anhand ihres Agit-Materials und nennen Putin einen Weltrevolutionär.

Sie sehen nur einen Ausweg aus der Situation: Ein Referendum, mit dem die Verfassung geändert und das Primat des internationalen Rechts und der Verzicht auf Ideologie gestrichen wird. Außerdem: Putin muss uneingeschränkte Macht eingeräumt werden. Indem man beispielsweise Rechtsstrafen für Beamte einführt, die sich nach dem Willen der Amerikaner Putins Befehlen widersetzen.

IV. WER DIE NOD ERFUNDEN HAT

Gegründet wurde die NOD samt ihrer wirren Ideologie von Jewgeni Fjodorow, einem Dumaabgeordneten mit dem Aussehen eines Informatiklehrers.

Wie er sagt, sei ihm immer schon klar gewesen, dass die Amerikaner Russland regieren. „Ja, die Duma verabschiedet nur Gesetze, die im Westen geschrieben wurden. Aber das hat mich nie davon abgehalten, meiner Arbeit nachzugehen. Genauso wenig wie es mich davon abgehalten hat, morgens aufzustehen und mich zu rasieren“, erzählt Fjodorow.

Der NOD-Gründer sagt, es sei ihm immer schon klar gewesen, dass die Amerikaner Russland regieren

Bekanntheit erlangte der Abgeordnete jedoch nicht durch seinen langjährigen Staatsdienst, sondern durch die Niederlagen, die er bei Debatten gegen Nawalny einstecken musste und bei denen erstmals der Slogan „Partei der Gauner und Diebe“ fiel. Außerdem noch durch die Gründung der NOD und durch einige aufsehenerregende Gesetzesvorhaben, die er initiiert hat. Darunter das Dima-Jakowlew-Gesetz, das Gesetz über ausländische Agenten, das Verbot von „Homosexuellenpropaganda“ und viele mehr. All diese Gesetze betrachtet er als Ergebnisse seiner Arbeit im „Hinterland des Feindes“ und als erste Schritte auf dem Weg zur Befreiung vom „amerikanischen Joch“.

Dabei schreibt der Abgeordnete nicht wenige Veränderungen in der russischen Realität sich und seiner Bewegung zu. So hätten, wie der NOD-Anführer berichtet, Aktivisten mehrere Verschwörungen und Revolutionen in Russland verhindert, die Fünfte Kolonne bekämpft und wären sogar an Medienskandalen beteiligt gewe­sen. Sie hätten beispielsweise den Führungswechsel im Medienunternehmen RBC erwirkt.

Auf dem Papier gibt es in der NOD ein „ideologisches Komitee“, eine Rechtsabteilung, Verantwortliche für humanitäre Spendensammlungen und Zusammenarbeit mit Unternehmern, eine Zeitung und sogar eine eigene, wenn auch wenig aktive Partei Nationaler Kurs. Allerdings tagen die Komitees laut Aussage der NOD-ler nur alle paar Monate. Die Bewegung werde eigentlich von gewöhnlichen Aktivisten aufrechterhalten.

V. WER IST IN DER NOD?

NOD-Gruppen sind derzeit in allen einigermaßen großen russischen Städten aktiv: Sie demonstrieren in Moskau und Nowosibirsk, halten Pikets vor der US-amerikanischen Botschaft in Petersburg ab oder tauchen zwecks Disput bei Aktionen der Opposition in Barnaul auf.

Nicht selten arten diese Streits in Handgreiflichkeiten aus. Allein im letzten Jahr berichteten die Medien von NOD-Angriffen auf Alexej Nawalny, Ljudmila Ulitzkaja, den Petersburger Fotografen David Frenkel und sogar auf Schüler. Die NOD-ler weisen die Anschuldigungen zurück und behaupten, die Angreifer seien keine NOD-ler gewesen. Zudem betonen sie, sie würden ausschließlich mit gesetzeskonformen Mitteln für Russlands Wandel kämpfen.

Insgesamt existieren in Russland mittlerweile über 200 NOD-Gruppen. Die Gesamtzahl der Aktivisten soll nach Angaben der Anführer der Bewegung bei über 160.000 liegen. Wobei  Fjodorow und seine Anhänger überzeugt sind: In Wirklichkeit sind es viel mehr. So zählen sie beispielsweise Wladimir Putin zu ihren Mitstreitern – ihn nennen sie den wahren Leader der Bewegung – und den Großteil der Silowiki.

Die NOD sieht auch Wladimir Putin als ihren Mitstreiter – ihn nennen sie den wahren Leader der Bewegung – und den Großteil der Silowiki

NOD-Aktivist zu werden ist ausgesprochen einfach. Es genügt ein Online-Formular auszufüllen oder bei einer der zahlreichen Aktionen zu erscheinen. In Petersburg finden zum Beispiel vier bis fünf NOD-Pikets pro Woche statt.

Ein Neuling sollte allerdings keine aufsehenerregenden Großtaten erwarten. Die Aktivität der NOD beschränkt sich beinahe auf die täglich stattfindenden Aktionen von 3 bis 15 Personen mit Losungen wie „Heimat! Freiheit! Putin!“ oder „Unser Land, unsere Regeln!“, und hitzige Diskussionen neuester politischer Ereignisse in Sozialen Netzwerken.

Waleri, ein kleiner, kräftiger Bauarbeiter von 55 Jahren, kommt regelmäßig zu den Aktionen, ungeachtet seiner gesundheitlichen Probleme und der mehrmonatigen Krankschreibungen. Bei der NOD ist er schon über ein Jahr, davor war er in einer anderen patriotischen Organisation mit verschwörungstheoretischer Schlagseite – der Partei Großes Vaterland (PWO) von Nikolaj Starikow.

„Bei der PWO habe ich in der gesamten Zeit fast 50.000 Rubel [knapp 800 Euro – dek] ausgegeben, stell dir das mal vor!“, beschwerte er sich, während wir gemeinsam auf dem Newski mit einem Plakat zum Ruhme Putins standen. „Hier hingegen gibt es keine Monatsbeiträge, nichts.“

Die Atmosphäre bei NOD erinnere an einen Rentnerplausch auf der Datscha, meint Journalist Pawel Merslikin

Tatsächlich habe auch ich während meiner einmonatigen NOD-Mitgliedschaft gerade mal 500 Rubel [knapp 8 Euro – dek] ausgegeben: Zum 8. März haben wir für ein Weltfrauentagsgeschenk für eine der Aktivistinnen zusammengelegt.

Die Finanz-Situation wirkt sich dennoch aus. Den Großteil der Agitationsmaterialien drucken die Aktivisten auf eigene Kosten, was dazu führt, dass sie jahrelang dieselben Plakate hochhalten und veraltete Zeitungen verteilen. Im März 2017 standen wir mit Materialien aus 2016 bei den Aktionen. 
„Keine zentralisierte Finanzierung zu haben ist unser Prinzip. Die NOD ist eine Bewegung von unten nach oben“, erläutert Jewgeni Fjodorow. Wobei der Abgeordnete selbst womöglich durchaus über Finanzierungen verfügt.

VI. WAS DIE NOD-FÜHRUNG MIT MILLIONENSCHWEREN FÖRDERUNGEN ZU TUN HAT

Auf Anfrage von Bumaga hat die internationale Antikorruptionsorganisation Transparency International die Finanzierung der NOD analysiert.

Die Experten stellten fest, dass russische regierungsfreundliche Bewegungen, die sich den Verzicht auf eine zentralisierte Finanzierung auf die Fahnen schreiben, ihre Gelder oftmals über ein gut entwickeltes Netz von nicht-öffentlichen, gemeinnützigen Organisationen und Stiftungen beziehen. Beispiele dafür sind Transparency zufolge das Projekt „Set“ oder Ofizery Rossii [dt. Offiziere Russlandsdek]. So ein Finanzierungssystem ermöglicht es, Umfang und Verwendung der erhaltenen Mittel zu verschleiern.

Innerhalb der Organisationen, mit denen der NOD-Anführer Jewgeni Fjodorow in Verbindung steht, finden sich zudem einige, die Fördermittel vom Präsidenten erhalten. So hat zum Beispiel das Institut für Wirtschaft und Gesetzgebung, das auf Fjodorows offizieller Webseite oft Erwähnung findet, bereits drei Mal solche Förderungen erhalten.

Fjodorow selbst räumt zwar ein, dass eine Verbindung zwischen ihm und den Fördermittelempfängern bestehe, hebt jedoch hervor, dass die NOD kein Geld von ihnen erhalten würde. Außerdem verfügt die NOD über zwei Spendenkonten, legt jedoch keinerlei Abrechnungen über die Finanzströme vor. Nach eigenen Angaben erhalte die NOD allein für die Unterstützung von Noworossija monatlich zwischen 47.000 [etwa 740 Euro – dek] und 329.000 Rubel [etwa 5.200 Euro – dek].

Transparency stellt fest, dass an solch einem System de facto nichts illegal sei. Allerdings ermögliche es, Mittel nicht offenlegen zu müssen. Gleichzeitig betonen die Korruptionsgegner, dass die NOD keine hohen Geldsummen brauche, um ihre Aktivität auf dem bestehenden Level zu halten. Nach Einschätzung von Transparency reichten der Bewegung monatlich 300.000 [etwa 4700 Euro – dek] bis 400.000 [etwa 6300 Euro – dek] Rubel.

Einer der Leiter der NOD-Gruppen stimmte dieser Einschätzung im Gespräch mit uns weitestgehend zu und nannte einen Richtwert von 200.000 Rubel [etwa 300 Euro – dek] im Monat.

„Die Zentralverwaltung kann uns nur Bücher, Flyer, Plakate und Fahnen zur Verfügung stellen. Wobei wir den Großteil selbst herstellen: Beispielsweise schmeißen alle je 50 bis 100 Rubel [knapp 1 bis 2 Euro – dek] zusammen – für einfache Druckerpatronen, Papier und solche Sachen. Es gibt eine materielle Ebene, aber das ist nicht das Wichtigste. Ein Gehalt bekommt keiner“, hob er hervor.

VII. WARUM ES DER NOD NICHT GELINGT, GROSSE MENSCHENMASSEN ZU MOBILISIEREN

Der NOD gelingt es nicht, große Menschenmengen für ihre Aktionen zu mobilisieren. So war es auch am 18. März, als die Petersburger Aktivisten den Jahrestag der Krimangliederung feiern wollten. Es kamen keine 20 Personen, und es blieb bei einer Reihe von Einzelpikets auf dem Newski-Prospekt. Am darauffolgenden Tag veranstaltete die NOD eine weitere Demonstration auf der Malaja Sadowaja. Auch zu dieser Aktion kamen wieder nur dieselben 15 Leute.

Wieder nur dieselben Aktivisten – wieder sind an allem Übel die Amis schuld, "Agenten des Westens, raus aus Russland" steht da etwa.

Für das Scheitern der Krim-Aktion hatte man allerdings sofort eine Erklärung parat: Die Amerikaner sind schuld. „Die haben Poltawtschenko gesagt, es darf keine Massenveranstaltungen geben“, erklärte mir eine der Aktivistinnen und fügte hinzu, auch innerhalb der Bewegung gäbe es Spione, die verhinderten, dass man viele Aktivisten auf die Straße brächte. Dem stimmt auch Fjodorow zu, der immer wieder betont, es brauche noch ein, zwei Jahre bis zum „endgültigen Sieg der NOD“.

Keine noch so große Oppositionsdemo vermag die NOD-ler zu entmutigen. „Da versammeln sich Nawalny-Kämpfer, Schwule, Weißbändchenträger und die Fünfte Kolonne. Natürlich können die diese Großaktionen als Sieg verbuchen. Aber sie gewinnen nur eine Schlacht, wir werden den Krieg gewinnen. Mit jeder unserer Aktionen rückt Russlands Souveränität näher. Es dauert nur noch ein Jahr. Wenn Putin 2018 wieder Präsident wird, ist Schluss mit den Amis“, erzählte mir der betagte Aktivist Waleri und machte sich nach einigen Klagen über Schmerzen in den Beinen und den Streit mit der Ehefrau gemächlich auf den Heimweg von seinem Einzelprotest.

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Regierungsfinanzierte Jugendorganisationen

Regierungsfinanzierte Jugendorganisationen (RFJ) werden in Russland seit 2000 oft als Reaktion auf ein isoliertes politisches Ereignis gegründet oder um (oppositionelle) öffentliche Personen zu diskreditieren. Die sichtbarste und bekannteste dieser Jugendorganisationen ist die im Jahr 2005 gegründete Demokratische Antifaschistische Bewegung Naschi. Sie wurde 2008 in mehrere Unterorganisationen aufgespalten und 2013 faktisch aufgelöst.

Die regierungsfinanzierte Jugendorganisation Naschi (die Unsrigen) wurde 2005 als Reaktion auf die Orange Revolution in der Ukraine gegründet.1 Dort hatte 2004 ein durch Proteste von unten herbeigeführter Regierungswechsel gegen den Willen der russischen Führung stattgefunden. Ein ähnliches Szenario sollte in Russland mithilfe jugendpolitischer Alternativangebote, die wie Naschi im Sinne der russischen Regierung agieren, verhindert werden. Diese Strategie wird unter anderem dem Polittechnologen Wladislaw Surkow zugeschrieben. Vorsitzender der Bewegung wurde Wassili Jakemenko, der schon der im Jahr 2000 gegründeten Vorgängerorganisation Iduschtschije Wmeste (die zusammen Gehenden) vorsaß. Die Bezeichnung Naschi kann im Russischen als eine Grenzziehung interpretiert werden: Zwischen den „zu uns Gehörenden“ und den „nicht zu uns Gehörenden“. Anders als es der für Naschi oft verwendete Beiname „Putin-Jugend“ suggeriert, existieren seit 2005 auf föderaler und regionaler Ebene mehrere Organisationen, die mit öffentlichen Mitteln finanziert werden.

Im 2007 entbrannten russisch-estnischen Konflikt um das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg stachen Naschi durch ihre Proteste vor der estnischen Botschaft in Moskau  hervor. Dieser Konflikt wirkte sich negativ auf die diplomatischen Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union aus. Möglicherweise als Folge dieses Skandals wurde Naschi  2008 in mehrere „Projekte“ aufgeteilt – von selbstjustiziarisch agierenden Gruppen wie Chrjuschi Protiw (Schweinchen dagegen) und Stop Сham (Stop Rowdys)2, zu patriotisch-militaristischen wie Stal' (Stahl), oder Volontärorganisationen wie Wse Doma (Alle sind zu Hause) und Begi sa mnoj (Lauf mit mir), die sich für niedrigere Mieten respektive einen gesünderen Lebensstil einsetzen. 2013 wurde Naschi als Dachorganisation dieser Projekte offiziell aufgelöst.3 Innerhalb Russlands ist das Phänomen Naschi, wenn es überhaupt wahrgenommen wird, sehr umstritten. Auch Personen, die der Regierung grundsätzlich positiv gegenüberstehen, bezeichnen die Mitglieder der Organisation oft verächtlich als „Naschisty“.

Neben Naschi wurden 2005 außerdem die Gruppen Rossija Molodaja (Junges Russland), die ökologische Bewegung Mestnye (die Hiesigen) und die Junge Garde, der Jugendflügel der Regierungspartei, gegründet. Das Verhältnis zwischen diesen Organisationen ist geprägt von Kooperation, aber auch von Konkurrenz um öffentliche Mittel und Einfluss. Naschi selbst spielt mittlerweile wohl auch informell eine untergeordnete Rolle: Die föderale Jugendagentur Rosmolodjosh, der seit 2008 ehemalige Naschi-Mitglieder vorstanden, leitet seit 2014 Sergej Pospelow, der zuvor stellvertretender Vorsitzender der Jungen Garde war.   

Es besteht eine personelle Kontinuität zwischen den regierungsfinanzierten Jugendorganisationen und Regierungsinstitutionen: Eine Vielzahl ehemaliger RFJ-Aktivisten sind heute Angestellte der dem russischen Bildungsministerium unterstehenden Rosmolodjosh. Diese Jugendagentur, die in ihrer rechtlichen Form einem deutschen Bundesamt entspricht, ist auch zuständig für die internationale Zusammenarbeit in Jugendfragen. Dies bedeutet, dass die jugendpolitischen Institutionen der Bundesrepublik auf zwischenstaatlicher Ebene mit einer Nachfolgeinstitution von Naschi kooperieren.

Es gibt für Jugendliche und junge Erwachsene viele Gründe, sich in RFJs zu engagieren. RFJs bieten die Möglichkeit besonderen Engagements und damit sozialen Aufstiegs. Auch die von Rosmolodjosh organisierten föderalen und regionalen Jugendforen ermöglichen jungen Erwachsenen, sich für Führungsaufgaben zu qualifizieren und von potentiellen Arbeitgebern entdeckt zu werden. Die patriotische Ausrichtung bildet den Rahmen erwünschten gesellschaftlichen Engagements: die Bejahung des russischen Staats und der Regierungspolitik. Mit den Jugendforen versucht der Staat, das Potenzial talentierter junger Erwachsener für die technische und ökonomische Modernisierung des Landes zu nutzen.


1.Hemment, Julie (2012): „Nashi, Youth Voluntarism, and Potemkin NGOs: Making Sense of Civil Society in Post-Soviet Russia“, in: Slavic Review 71 (2), S. 234–60; Mijnssen, Ivo (2012): The Quest for an ideal youth in Putin’s Russia:  Back to Our Future! History, Modernity and Patriotism according to Nashi, Band 1, Stuttgart
2.Yandex.ru: StopCham
3.Izvestija: Dviženie ‘Naši’ Stanet Vserossiyskim Soobščestvom Molodeži
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Wassili Jakemenko

Wassili Jakemenko, Gründer der kremltreuen Jugendbewegung Naschi, ist Günstling und Spielball der Polit-Technologen im Kreml zugleich. Sein Erfolg mit Naschi und seine Karriere in der Regierung beruhten im Wesentlichen auf der Rückendeckung des Putin-Beraters Surkow. Jakemenkos Fall 2012 ist aber auch das Ergebnis persönlicher Fehltritte. Allerdings scheint der Kreml ihn in jüngster Zeit für seine Zwecke wiederentdeckt zu haben.  

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Wladislaw Surkow

Wladislaw Surkow war stellvertretender Leiter der Präsidialadministration, stellvertretender Regierungschef Russlands und persönlicher Berater des Präsidenten. Für viele Beobachter galt er als „Putins Rasputin“, „Graue Eminenz im Kreml“ oder „Chefideologe des Landes“. Von 1999 bis mindestens 2013 war Surkow maßgeblich an den Public-Relations-Strategien des Kreml und der Organisation von Putins Wahlkampagnen beteiligt. Darüber hinaus fungierte er für Lobbygruppen als wichtiger Ansprechpartner in der Regierung.

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Präsidialadministration

Die Präsidialadministration (PA) ist ein Staatsorgan, das die Tätigkeit des Präsidenten sicherstellt und die Implementierung seiner Anweisungen kontrolliert. Sie ist mit beträchtlichen Ressourcen ausgestattet und macht ihren Steuerungs- und Kontrollanspruch in der politischen Praxis geltend.

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Farbrevolutionen

Als Farbrevolutionen bezeichnet man eine Reihe friedlicher Regimewechsel in post-sozialistischen Ländern. Diese wurden unter anderem durch gesellschaftliche Großdemonstrationen gegen Wahlfälschungen ausgelöst. Aufgrund der Farben beziehungsweise Blumen, mit denen die Bewegungen assoziiert werden, ist der Sammelbegriff Farbrevolutionen entstanden. Stellt der Begriff für die politische Elite in Russland eine Bedrohung ihrer Macht dar, verbinden oppositionelle Kräfte damit die Chance auf einen Regierungswechsel.

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Großer Vaterländischer Krieg

Als Großen Vaterländischen Krieg bezeichnet man in Russland den Kampf der Sowjetunion gegen Hitlerdeutschland 1941–1945. Der Begriff ist an den Vaterländischen Krieg gegen Napoleon im Jahr 1812 angelehnt. Galt der Sieg über den Faschismus offiziell zunächst als ein sozialistischer Triumph unter vielen, wurde er seit Mitte der 1960er Jahre zu einem zentralen Bezugspunkt der russischen Geschichte.

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Mitja Aleschkowski

Aleschkowski ist ein Fotograf, Blogger und Aktivist. In Russland wurde er 2012 bekannt, als er durch seine Koordination wesentliche Hilfe bei einer verheerenden Flutkatastrophe leistete. Anschließend baute er in Russland eine erfolgreiche zivilgesellschaftliche Hilfsorganisation auf.

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Lager Seliger

Das Lager Seliger war ein von 2005 bis 2014 alljährlich stattfindendes Sommercamp für Jugendliche und junge Erwachsene am gleichnamigen Seligersee. Initiiert wurde es von der regierungsnahen Jugendorganisation „Naschi“ („Die Unseren“). Der Seligersee liegt inmitten eines Naturschutzgebietes im Nordwesten Russlands, etwa 350 km entfernt von Moskau.

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