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Deutschrap und der russische Krieg gegen die Ukraine

2018/2019 erlebte der Deutschrap eine Wende. Der Musiker Capital Bra brachte innerhalb von 12 Monaten 13 Nummer-eins-Chart-Hits in Deutschland, Österreich und der Schweiz heraus. Damit ist er bislang der populärste Musiker im Deutschland des 21. Jahrhunderts, sein YouTube-Kanal hatte bis Ende 2022 über 1,3 Milliarden Aufrufe. Mit Capital Bra ist Deutschrap im Mainstream angekommen und wird von Millionen gehört, gestreamt, gekauft. Capital Bra und andere Deutschrapper ukrainischer oder russischer Herkunft, wie etwa Olexesh, verhandeln in ihren Lyrics hybride Identitäten, die irgendwo zwischen Ukrainer, Russe, „Russki Kanak“, Slawe, Berliner, Frankfurter etc. zu verorten sind. Solch teils changierende Verortungen wirken auch, wenn es um Russlands Angriffskrieg in der Ukraine geht.

Capital Bra heißt eigentlich Wladislaw Balowazki und wurde 1994 in Russland geboren. Seine Familie zog kurz nach seiner Geburt in die Ukraine und von da aus einige Jahre später nach Deutschland. Aufgewachsen in Berlin-Hohenschönhausen, begann Capital Bra 2016 seine kommerzielle Karriere als Rapper. Sein Weg bis zum kommerziellen Erfolg und dem Status des erfolgreichsten Musikers Deutschlands begann jedoch früher. 

Kein Krieg in der Ukraine oder „Scheiß auf die Amis, guck, wie Putin unser Land verteidigt“

Bras Herkunft war dabei immer ein Thema seiner Lyrics. Nach der Annexion der Krim durch russische Truppen brachte er Ende März 2014 die Single Kein Krieg in Ukraine!1 heraus. Bis heute wurde das Video auf YouTube 2,3 Millionen Mal angeklickt. Was anfangs als ein klares Statement erscheint, lässt beim genauen Hinschauen Interpretationsspielraum zu:

„Bitte hört mir zu, mehr verlang' ich nicht, // Ich erklär' euch den Konflikt aus 'ner andren Sicht, // Wir Ukrainer, wir wollten nie mit Russland Streit, // Doch die Amis provozieren aus dem Hinterhalt, // Politiker, die für alle Menschen reden, // Es geht um Geld und Macht, uns geht's um Menschenleben, // Russische Panzer, die in mein Land einfahr'n, // Du siehst Tote vor dem Maidan“. 

Einerseits wird hier der Einmarsch russischer Truppen kritisiert, andererseits werden die Gründe dafür nicht in der Politik des Kreml gesucht, sondern die USA als geheimer Kriegstreiber dargestellt. Weiter im Text wird es konkreter:

„Ah, und sie reden nicht, sie schicken Militär, // Ein Kampf zwischen Gut und Böse, aber wer ist wer? // Und ihr erkennt das nicht, wir sind uns einig, // Scheiß auf die Amis, guck, wie Putin unser Land verteidigt, // Sie lügen in den Medien und ihr fallt drauf rein, // Guck, wie zwei Mächte unser Land aufteil'n“. 

Dass Capital Bra sich als Ukrainer identifiziert, steht außer Frage, denn der Musiker betont es immer wieder in seinen Tracks:

„Priwet Germanija, Bra! Alemania, Bra! // Ukrainer – ja sam mafija!“ (Song Falsche Gesichter auf dem Album Kuku Bra (2016),

„Stabiler Ukrainer, bald Großverdiener“ (Braun, Gelb, Lila auf Kuku Bra (2016)),

 „Ich bin Ukrainer, fick Amerikaner“ (Intro auf Blyat (2017) oder

„Ich bin Ukrainer, // Ich trag' keine Grillz“ (Makarov Komplex II auf CB7 (2020). 

Trotz dieser Selbstidentifikation als Ukrainer sind für den Rapper positive Bezüge zu Wladimir Putin in Lyrics, dem Layout einzelner Alben und in Interviews kein Widerspruch. Am Tag der großflächigen Invasion Russlands in die Ukraine, dem 24. Februar 2022, postete der Rapper auf seinem Instagram-Account mit über vier Millionen Follower*innen folgendes Bild: zwei Hände, die eine Friedenstaube symbolisieren und jeweils in den Nationalfarben der Ukraine und Russlands in Erscheinung treten.2 Die Fans interpretieren es in der Kommentarspalte unterschiedlich – manche sehen darin „nur“ den Frieden, manche posten das pro-russische Symbol des Krieges – den Buchstaben „Z“, manche schämen sich für Capital Bra als Ukrainer.    

Grenzenloser Frieden unter besonderen Bedingungen  

Am 2. März 2022 brachte Capital Bra zusammen mit den Rappern Kontra K und Kalazh44 die Single Stop Wars heraus. Damit starteten die Musiker auch eine Plattform, auf der ihre Fans Geld an die Ukraine, aber auch Syrien, den Jemen, Äthiopien und den Irak, spenden können.3 

„Wenn plötzlich alle schießen, // Die gleichen Menschen, nur die Waffen sind verschieden, // Vielleicht 'ne andre Flagge, aber die gleiche Sprache, // Jeder Ukru, jeder Russe checkt doch, was ich sage, // Aber ich kann's nicht versteh'n, // Zwischen uns noch nie Grenzen geseh'n, // Aber plötzlich gibt es Grenzen, // Plötzlich fliegen Bomben auf die Menschen.“

Der Text der Single bringt  zweifelhafte Aussagen an die Hörer*innen: Denn die acht Zeilen bedienen das Narrativ Putins, mit dem der Politiker unter anderem den Krieg rechtfertigt. Capital Bra singt davon, dass Ukrainer*innen und Russ*innen „die gleichen Menschen“ seien, die gleiche Sprache sprächen, womit höchstwahrscheinlich das Russische gemeint ist. Dazu kommen die Personenbezeichnungen Ukru und Russe. Während Russe hier neutral ist, könnte Ukru als eine Ableitung vom russischen Ukr oder Ukrop gedeutet werden. Beide Bezeichnungen sind herablassende Bezeichnungen für Ukrainer*innen und werden im gleichen semantischen Spektrum verortet, wie Ukrofaschisty. Die Begriffe sind auch ein fester Bestandteil pro-russischer Memes über die Ukraine im russischsprachigen Internet.4   

Bras Feat bei der Single Stop Wars ist Kalazh44 (bürgerlicher Name Christian Streitsov); der Neuköllner Rapper hat ebenfalls einen ukrainischen Hintergrund. Etwa sieben Wochen nach der gemeinsamen Single brachte Kalazh44 das Album District13 heraus, auf dem unter anderem ein Featuring mit Capital Bra mit dabei ist. Keine Politik heißt das Lied. Auch wenn die Musiker gerade zwei Monate zuvor zahlreiche politische Aussagen in Stop Wars getroffen haben, heißt es Ende April 2022 in der Hauptzeile der Hook5: „Keine Politik, mach ma' keine Politik, Bra, // Mach ma' keine Politik.“ 

Die Ukraine zwischen „dem Slawenreich“ und Nostalgie 

Ein weiterer Rapper und eine Deutschrapgröße, die beim Thema des russischen Krieges gegen die Ukraine eine Rolle spielt, ist Olexesh (bürgerlicher Name Oleksij Kosarev). Olexesh ist der erste Deutschrapper mit slawischem Hintergrund, der kommerziellen Erfolg erlangte. Bis heute hat er sechs Alben herausgebracht, erhielt 2017 das HipHop.de Award als Bester Live-Act national, seine Videos haben bis über 100 Millionen Views auf YouTube

Geboren wurde der Musiker 1988 in Kyjiw, aufgewachsen ist er in und um Darmstadt. Wie Capital Bra identifiziert sich auch Olexesh als Ukrainer:

„Ein slawischer Mann, // Ukrainer mit Plattschädel“ (Geblendet von Strassen auf Authentic Athletic, 2012), 

„Meine Herkunft: Ukraine“ (Meine Stadt auf Authentic Athletic, 2012) oder

„Ukrainer oder Russe, // Viele sagen das ist gleich, // Konflikte im Knast, das slawische Reich“ (So läuft es bei uns auf Masta, 2015).

Im Gegensatz zu Capital Bra setzt Olexesh Ukrainer*innen und Russ*innen jedoch nicht gleich, sondern erwähnt beiläufig, dass Außenstehende zwischen ihnen keinen Unterschied sehen. Auffällig ist bei Olexesh jedoch auch die Rolle des „Slawen-Seins“, denn er spricht nicht nur von sich als Slawen, sondern auch von einem Slawischen Reich. Ob es eine Metapher für seine Wahrnehmung der Herkunftsstruktur von Insassen deutscher JVAs, Ausdruck einer hybriden Post-Ost-Identität (die sich üblicher Weise aber gerade nicht an ethnischen Merkmalen festmacht) oder ein Bezug zum Panslawismus ist, bleibt allerdings unklar. 

Am 26. Februar 2022 postete Olexesh auf seinem Instagram-Account mit über 800.000 Follower*innen ein eindeutiges pro-ukrainisches Zeichen: Ein Foto mit einem Kind, das im Weizenfeld steht, darüber der blaue Himmel, das Kind hält die ukrainische Flagge in der Hand.6 Am 5. März veröffentlichte er jedoch die Single Mama Ukraina, Papa Russia. In dem Lied heißt es: 

„Mama Ukraina, Papa Russia, // Dasselbe Blut in uns, denn jeder kocht mit Wasser, // Ich will kein Gas, ich will Freiheit für die Schtrassa, // Fick Politik, Militär, stoppt die Panzer […] Scheiß Leben, bleib' stabil, fick' ich Politik, // Denn am Ende sind wir alle von 'nem Präsident gefickt, // Mann, ich vermisse meine Heimat, bald bin ich zurück, // Und dann wird jeder Stein wieder auf sein'n Platz gerückt“. 

Durch das Single-Cover mit dem Hochzeitsfoto seiner Eltern könnte der Eindruck entstehen, es geht tatsächlich um die Mutter und den Vater von Olexesh, dabei hat er doch in vergangenen Jahren in diversen Interviews zur Sprache gebracht, dass sein Vater aus Belarus und seine Mutter aus der Ukraine stamme. Es bleibt also ungeklärt, warum der Vater des auktorialen Ichs in dem Lied zum Russen wurde. Die Assoziation der Ukraine mit einer Frau könnte in erster Linie direkt auf die Mutter von Olexesh weisen, jedoch auch auf das grammatikalische Geschlecht des Ländernamens im Deutschen oder schließlich auch auf die Darstellung Putins von der Ukraine als einer Krassawiza (dt. Schönheit). Eine endgültige Antwort auf die Frage der Auslegung wird es wohl nicht geben, jedoch bleibt die Erkenntnis, dass das Verhältnis von Olexesh zur Ukraine im Vergleich zu Capital Bra eher von Nostalgie geprägt ist, was durch das Intro des Liedes gestärkt wird, in dem die Stimme seiner Großmutter zu hören ist: „Und doch ist es gut, dass ihr damals weggefahren seid“, sagt sie auf Russisch über die Migration Olexeshs und seiner Mutter nach Deutschland.   

Frieden unter russischer Flagge?      

Es bleibt ein Phänomen des Deutschrap, dass sich Rapper mit ukrainischem Hintergrund zwar als Ukrainer identifizieren, die Ukraine gleichzeitig aber auch mit Russland und auch Belarus gleichsetzen. Gleichzeitig wollen die Rapper sich von Politik distanzieren, doch treffen sie dabei immer wieder politische Aussagen – auch bewusst: So setzen sie auf Social Media Zeichen gegen den russischen Krieg in der Ukraine, relativieren dabei aber gleichzeitig die russische Aggression, indem sie etwa die Auslöser des Krieges in Verschwörungsmythen suchen (zum Beispiel USA als geheimer Kriegstreiber). Sie wollen den Frieden, doch vor allem Capital Bra besingt in seinen Songs eher einen Frieden unter russischer Flagge. Dieser Aspekt scheint auch dann im Informationsfluss unterzugehen, wenn deutsche Medien die Antikriegs-Statements der Rapper positiv bewerten.7 


1.youtube.com: Capital - kein Krieg in Ukraine 
2.instagram.com: Capital Bra: Pray for Peace 
3.stopwars.com: Kontra K, Capital Bra 
4.wikireality.ru: Ukry 
5.Refrain in Rap-Kultur 
6.instagram.com: olexesh: Stop the War 
7.z. B. musikexpress.de: Krieg in der Ukraine: Capital Bra und Kontra K droppen solidarischen Track „Stop Wars“ 
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