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Presseschau № 22

Der Teilabzug russischer Truppen aus Syrien ist in dieser Woche das beherrschende Thema. Das staatliche Fernsehen feiert die zurückkehrenden Soldaten wie Helden und liberale Medien stellen die Frage nach dem Nutzen der Militäroperation. Außerdem: Der Jahrestag des Referendums ist Anlass für Rückblick und Ausblick auf die Krim-Politik und im Nordkaukasus gibt es einen erneuten Anschlag auf die Menschenrechtsorganisation Komitee zur Verhütung von Folter.

Quelle dekoder

Die Rückkehr. „Sie wurden empfangen wie Helden“, berichtet der Reporter des russischen Staatsfernsehens in den Dienstagsnachrichten enthusiastisch von der Rückkehr der ersten russischen Kampfpiloten aus Syrien. Medial perfekt inszeniert wurden den Piloten zur Begrüßung einer alten Tradition entsprechend Brot und Salz gereicht, jubelnde Menschen schwenkten russische Fähnchen, warfen einen der Piloten in die Luft. Eine „wichtige und nötige Aufgabe“ hätten die Jungs in Syrien erfüllt, zu Recht könnten sie nun sagen „Wir sind daheim“, ging der emotionale Bericht weiter. Am Montagabend hatte Wladimir Putin, beginnend mit dem 15. März 2016, einen Teilabzug der russischen Truppen in Syrien angeordnet. Laut des russischen Präsidenten wurden die wichtigsten Ziele der Militäroperation weitgehend erreicht.

Syrien dominiert die Schlagzeilen: Der Westen sei durch den Teilabzug überrascht worden, Putin habe Obama erneut überlistet, Russland verlasse Syrien gestärkt und als Sieger, hieß es. Die TV-Nachrichten zeigten Bilder sprachloser Kommentatoren und Pressesprecher der US-Regierung, welche nach Worten suchten. Überraschend kam das Vorgehen Russlands allerdings nicht. Der russische Teilabzug sei nicht ohne vorherige Absprache zwischen Putin und Obama erfolgt, schreibt der Kommersant. Bei seiner Pressekonferenz im Dezember habe Putin bereits darauf hingewiesen, dass eine ständige Truppenpräsenz in Syrien nicht notwendig sei, heißt es weiter.

Die meisten Medien ziehen eine positive erste Bilanz der fünfeinhalb Monate dauernden Operation, deren Kosten die Wirtschaftszeitung RBK auf rund 38 Milliarden Rubel (circa 487 Millionen Euro) schätzt. Laut Kommersant wurde das Regime von Bashar al-Assad stabilisiert und die Möglichkeit für politische Gespräche geschaffen. Mehr als 2000 russische Syrien-Kämpfer wurden laut offiziellen Angaben getötet und große Teile der Erdölinfrastruktur, über dessen Verkauf sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) finanziert, zerstört, hebt das kremlnahe Boulevardblatt Komsomolskaja Prawda hervor. Zudem habe Russland sein oberstes Ziel, die internationale Isolation aufzubrechen, in der sich das Land seit der Annexion der Krim und dem Krieg im Donbass befindet, zum großen Teil erreicht, findet der Militärexperte Alexander Golts: Putin und Obama telefonierten zu Syrien miteinander, die Streitkräfte kooperierten vor Ort. Golts warnt aber auch, dass Putin mit seinen unangekündigten Truppenentsendungen und -abzügen Russland stark schaden könnte. Eine diplomatische Gewinnmitnahme aus Syrien in die Ostukraine gelang Putin bislang nicht. So merkt etwa Vedomosti an, dass die Sanktionen des Westens noch immer in Kraft sind und die Erfüllung der Minsker Vereinbarung noch aussteht.

Kritischer fällt die Bilanz der Militärintervention naturgemäß bei den unabhängigen, kremlkritischen Medien aus. Das in Lettland beheimatete russische Exilmedium Medusa betont, dass Präsident Assad immer noch im Amt ist und durch Russland gar an den Verhandlungstisch zurückgebombt wurde.

Die russischen Bomben seien wohl auch weniger präzise gewesen als vom Verteidigungs-ministerium behauptet. Immer wieder gab es Berichte über zivile Opfer. Zudem wird ein Teil Syriens immer noch vom IS kontrolliert. Dazu kommen die diplomatischen Spannungen mit der Türkei, welche seit dem Abschuss des russischen Kampfjets SU-24 am 24. November 2015 für Unruhe sorgen. Zu Ende ist Russlands Syrieneinsatz nicht. Ein Militärkontingent verbleibt in der Levante. Der Marine-Stützpunkt in Tartus und der Militärflughafen bei Latakia sind nach wie vor in Betrieb, das S-400 Raketenabwehrsystem bleibt in Syrien stationiert. Die russische Luftwaffe fliegt zudem nach wie vor Einsätze gegen extremistische Gruppierungen wie den IS. Für das unabhängige, kremlkritische Internetmagazin Slon sind zudem im Bezug auf die 2000 russischen Terroristen, welche angeblich getötet worden seien, noch Fragen offen. Angaben zu deren Herkunft und Identität konnten bislang nicht unabhängig überprüft werden.

The Show must go on. Mit großer Sorge stellt sich die kremlkritische Novaya Gazeta die Frage, wie es politisch nun weitergeht. Russland sei jetzt einfach nur noch ein Land, nicht mehr Welthauptstadt des Sportes, Verteidiger der Russischen Welt oder wichtigster Kämpfer gegen den internationalen Terrorismus. Gilt nun „The Show must go on“, oder sind die Menschen dazu bereit, den Ausnahmezustand aufzugeben? Ein halbes Jahr vor den Parlamentswahlen warte letzten Endes ein neuer Wettbewerb zur Suche nach äußeren oder inneren Feinden auf die Gesellschaft, schreibt die Novaya Gazeta weiter.

Jahrestag des Krim-Referendums. Zuvor zelebriert Moskau jedoch die Ereignisse der vergangenen Jahre noch einmal ausführlich. Am 16. März jährte sich zum zweiten Mal die international nicht anerkannte Annexion der Krim. Beim handstreichartig aus Moskau orchestrierten Referendum sprachen sich 97 Prozent für einen Beitritt zur Russischen Föderation aus. Die „Rückkehr der Krim in den Heimathafen“ wird mit Konzerten, Demonstrationen und aufwendig produzierten TV-Dokumentationen begangen.

Es gibt jedoch auch kritischere Töne, etwa auf dem unabhängigen TV-Sender Doschd, wo mit einem Beitrag an die Nacht vor dem Referendum vor zwei Jahren erinnert wird. Zu sehen sind maskierte Uniformierte, die „höflichen Menschen“, welche ein Hotel in Simferopol durchsuchen, Journalisten an der Arbeit hindern, Kameras und Speichermedien konfiszieren. Bewohner der Krim berichten bei Medusa von plötzlichen Anfeindungen als „Faschist“ ihrer pro-ukrainischen Gesinnung wegen und außerdem vom Alltag auf der isolierten Halbinsel und den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die trotz zahlreicher Versprechungen aus Moskau nicht gelöst wurden.

Bis 2020 will Moskau 708 Milliarden Rubel (circa neun Milliarden Euro) auf der Krim investieren, trotzdem bleibt die Inflation hoch, und wegen der Sanktionen fließen kaum ausländische Investitionen auf die Halbinsel. Eine radikale Maßnahme zur wirtschaftlichen Belebung der Krim hat nun Jewgeni Tunik, Direktor des Instituts zur Analyse der politischen Infrastruktur Premierminister Dimitri Medwedew vorgeschlagen. Tunik will die russische Hauptstadt aus Moskau nach Sewastopol verlegen. Nicht des besseren Klimas oder des Strandzugangs wegen, sondern weil dadurch die internationale Anerkennung der Krim als Teil Russlands beschleunigt und durch den Aufbau einer neuen Infrastruktur sämtliche wirtschaftlichen Probleme auf einen Schlag beseitigt würden.

Erneut Überfall im Nordkaukasus. In der tschetschenischen Hauptstadt Grosny wurde Igor Kaljapin, Chef der NGO Komitee zur Verhütung von Folter am Mittwochabend in einem Hotel mit Eiern beworfen und grüner Farbe übergossen. Medienberichten zufolge hat sich Kaljapin nun dazu entschlossen, die russische Teilrepublik zu verlassen. Wie berichtet, wurde in der vergangenen Woche in der Nachbarrepublik Inguschetien eine Gruppe von Journalisten und Menschenrechtlern überfallen, zu denen ebenfalls Mitglieder des Komitees zur Verhütung von Folter gehörten. Die tschetschenischen Behörden wiesen Vorwürfe zurück, die antioppositionellen Hetztiraden von Republikchef Ramsan Kadyrow könnten Gewaltausbrüche begünstigen.

Beatrice Bösiger aus Moskau für dekoder.org

 

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Krim-Annexion

Als Krim-Annexion wird die einseitige Eingliederung der sich über die gleichnamige Halbinsel erstreckenden ukrainischen Gebietskörperschaft der Autonomen Republik Krim in die Russische Föderation bezeichnet. Seit der im Frühjahr 2014 erfolgten Annexion der Krim ist die Halbinsel de facto Teil Russlands, de jure jedoch ukrainisches Staatsgebiet und somit Gegenstand eines ungelösten Konfliktes zwischen der Ukraine und Russland.

Nur wenige Tage nach dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch als Resultat der Proteste auf dem Maidan setzten auf der Krim mehrere richtungsweisende Ereignisse ein: Am 27. Februar besetzten bewaffnete Personen, die sich als „Selbstverteidigungskräfte der russischsprachigen Bevölkerung der Krim“ bezeichneten, das Parlament sowie das Regierungsgebäude der Autonomen Republik Krim in Simferopol. Parallel okkupierten russische Spezialeinheiten, die aufgrund ihrer fehlenden Hoheitszeichen in der Ukraine sarkastisch als grüne Männchen bezeichnet wurden, ukrainische Verwaltungs- und Militärstandorte sowie sämtliche Verkehrswege der Halbinsel. Moskau leugnete dies zunächst vehement, später brüstete sich Putin jedoch damit, dass reguläre russische Soldaten im Einsatz gewesen sind.1

In einer höchst umstrittenen Sondersitzung des Parlaments der Autonomen Republik, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, wurde Sergej Axjonow, Vorsitzender der Splitterpartei Russische Einheit, zum Ministerpräsidenten der Krim ernannt. Zeitgleich stimmte das Parlament der Abhaltung eines Referendums über die Unabhängigkeit der Krim zu. Igor Girkin, ein russischer FSB-Offizier, der später unter dem Kampfnamen Strelkow (dt. „Schütze“) als Separatistenführer im Donbass in Erscheinung trat und nicht nur maßgeblich an den ersten bewaffneten Kampfhandlungen des dortigen Krieges beteiligt war, sondern auch an der Okkupation der Krim, räumte Monate später ein, dass die Abgeordneten von der Volksmiliz zur Abstimmung getrieben wurden.2

Das Referendum wurde nach mehrfacher Vorverlegung am 16. März 2014 abgehalten. Knapp 97 Prozent der Abstimmenden sollen sich bei einer angeblichen Wahlbeteiligung von rund 83 Prozent für den auf den Stimmzetteln als „Wiedervereinigung“ bezeichneten Beitritt der Krim in die Russische Föderation ausgesprochen haben. Das Krim-Parlament hatte zuvor bereits für eine Unabhängigkeitserklärung der Krim gestimmt. Die offizielle Aufnahme der Krim in die Russische Föderation erfolgte wenige Tage später. Das Referendum sowie sämtliche von Parlament und Regierung der Krim beschlossene Maßnahmen zur Herauslösung der Krim stehen im eindeutigen Widerspruch zum Staats- und Verfassungsrecht der Ukraine und wurden von Kiew nicht anerkannt.3

 

Auch die internationale Staatengemeinschaft erkennt die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation nicht an und sieht in ihr eine Verletzung der territorialen Unversehrtheit der Ukraine sowie mehrerer internationaler Verpflichtungen durch Russland.4 Die EU, die USA sowie weitere Staaten reagierten mit Sanktionen gegen Russland. Moskau betrachtet indes unter Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker die Eingliederung der Krim als rechtmäßig. Abgesehen von der Illegalität des Referendums nach ukrainischer Gesetzgebung und unabhängig von der völkerrechtlich umstrittenen Frage, ob das Selbstbestimmungsrecht der Völker ein Recht auf Sezession umfasst, ist das Referendum jedoch auch deshalb als nichtig zu werten, weil erst die völkerrechtswidrige militärische Intervention, das heißt die Anwendung von Gewalt, das Referendum ermöglichte.

Umstritten ist, welche Zustimmung eine Sezession in der Bevölkerung der Krim tatsächlich genossen hat. Politische Kräfte, die eine Loslösung der Krim von der Ukraine anstrebten, waren in den letzten Jahren marginalisiert. Der Historiker Jan Zofka verweist allerdings auch darauf, dass das russische Militär in einer politisch feindlichen Umgebung nicht derart ungestört hätte agieren können. Die Russland-Orientierung breiter Teile der Krim-Bevölkerung, Institutionen der Autonomie und Überreste der Unabhängigkeitsbewegung der 1990er Jahre sieht er als begünstigende Faktoren der Annexion als Folge der militärischen Intervention.5  Die massive russische Propaganda im Zuge der Ereignisse auf dem Maidan hat zudem Ängste und Unsicherheit bei Teilen der Bevölkerung der Krim geschürt. In Opposition zur Angliederung an Russland stehen indes große Teile der etwa 300.000 Krimtataren, die das Referendum boykottierten.6


1.Frankfurter allgemeine Zeitung: Putin rechtfertigt Annexion. „Krim-Operation war Reaktion auf Nationalismus“
2.Neue Zürcher Zeitung: Wie die Krim annektiert wurde. «Wir haben sie zur Abstimmung getrieben»
3.Luchterhandt, Otto (2014). Die Krim-Krise von 2014: Staats- und völkerrechtliche Aspekte, in: Osteuropa, 2014 (5-6), S. 61-86
4.United Nations: Resolution adopted by the General Assembly on 27 March 2014, 68/262. Territorial integrity of Ukraine
5.Frankfurter Allgemeine Zeitung: Ukraine. Zurück zum Mutterland
6.Mejlis of the Crimean Tatar People: Statement of Mejlis of the Crimean Tatar People as Regard to Announcement of “Crimean Referendum” by Verkhovna Rada of Autonomous Republic of Crimea
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Donezker Volksrepublik

Die Donezker Volksrepublik ist ein von Separatisten kontrollierter Teil der Region Donezk im Osten der Ukraine. Sie entstand im April 2014 als Reaktion auf den Machtwechsel in Kiew und erhebt zusammen mit der selbsternannten Lugansker Volksrepublik Anspruch auf Unabhängigkeit. Seit Frühling 2014 gibt es in den beiden Regionen, die eine zeitlang Noworossija (dt. Neurussland) genannt wurden, Gefechte zwischen den Separatisten und der ukrainischen Armee.

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Zum ersten Mal treffen sich Wladimir Putin und sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selensky heute persönlich in Paris. Thema ist der Krieg im Osten der Ukraine, der trotz internationaler Friedensbemühungen seit April 2014 anhält. Er kostete bereits rund 13.000 Menschen das Leben. Steffen Halling zeichnet die Ereignisse nach.

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Im Zuge der Angliederung der Krim hat sich in Russland eine euphorische Stimmung verbreitet, die mit kaum einem zweiten Begriff so eng assoziiert wird wie Krim nasch – die Krim gehört uns. Der Ausdruck wird inzwischen nicht nur aktiv im Sprachgebrauch verwendet, sondern ziert auch zahlreiche beliebte Merchandise-Artikel.  

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