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Chinesisch für Anfänger

Russland ist zum Westen auf Distanz gegangen – nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich. Bereits bei den Präsidentschaftswahlen 2012 bereitete Putin eine „Wende nach Osten“ vor, um „chinesischen Wind in den Segeln der russischen Wirtschaft einzufangen”. Doch China reagiert weniger enthusiastisch, als man erwartet hatte.

Quelle Kommersant-Vlast

Das erste Jahr der „Wende gen Osten“ ist um, und kaum jemand lässt ein gutes Haar daran. Nach Meinung der meisten von Kommersant-Wlast befragten Politiker und Unternehmer ist das Projekt gescheitert, sogar einige Beamte sind der gleichen Meinung. Das ist zwar nur eine subjektive Wahrnehmung (im Vorfeld waren keine Erfolgskriterien festgelegt worden), aber deswegen nicht weniger bemerkenswert.

Vor dem Hintergrund der eindeutigen politischen Erfolge wirkt das vielleicht seltsam: Schließlich haben Wladimir Putin und Xi Jinping im Mai 2015 eine Kooperation zwischen der Eurasischen Wirtschaftsunion und dem Wirtschaftsgürtel entlang der Seidenstraße vereinbart, und beide Staatsführer besuchten die jeweiligen Militärparaden in Moskau und Peking am 9. Mai und 3. September.

Obwohl keiner offiziell eine Wende nach Osten verkündet hat, ist die Aufmerksamkeit russischer Beamter gegenüber China stark gewachsen.

Auch die traditionelle Zusammenarbeit im Militärbereich hat sich positiv entwickelt: China war der erste ausländische Käufer von S-400 Luftabwehrsystemen und Kampfjets des Typs SU-35. Und das Unterwasserkabel für die vom Stromnetz getrennte Krim wurde auch in China hergestellt, bei Jiangsu Hengtong. Was also ist hier schiefgegangen?

Putin richtet 2012 Kurs auf Osten

Der Grundstein für die Wende wurde bereits 2012 im Vorfeld des APEC-Gipfeltreffens in Wladiwostok gelegt. Ein halbes Jahr zuvor, im Februar 2012, hatte Putin im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen einen Artikel veröffentlicht und darin bemerkt, Russland habe nun „die Chance, chinesischen Wind in den Segeln der russischen Wirtschaft einzufangen“. Drei Monate später wurde offiziell das Ministerium für Ostentwicklung eröffnet, zu dessen Aufgaben die Anwerbung von asiatischen Geldern zählte, insbesondere von chinesischen. Die Zusammenarbeit zwischen den Ländern entwickelte sich jedoch ziemlich schwach, abgesehen vom Energiesektor (Rosneft-Verträge von 2013 und 2014). Russische Unternehmer und Beamte waren misstrauisch gegenüber ihren chinesischen Partnern. Die Verhandlungen mit ihnen nutzten sie in erster Linie als Druckmittel gegenüber den Europäern in Energiepreisfragen.

Die Reaktion der Chinesen auf unsere plötzliche Aufmerksamkeit war eher zurückhaltend und kühl.

Alles änderte sich nach der Einführung der westlichen Sanktionen gegenüber Russland nach der Angliederung der Krim. „Obwohl keiner offiziell eine Wende gen Osten verkündet hat und der erste Vize-Premier Igor Schuwalow diese im Juni 2015 sogar bestritt“, erinnert sich für Kommersant-Wlast der Leiter des Asien-Programms des Carnegie-Zentrums in Moskau Alexander Gabujew, „ist die Aufmerksamkeit russischer Beamter gegenüber China spürbar gewachsen.“

Zum „asiatischen Davos“ in Bo’ao im April 2014 reiste zum ersten Mal eine riesige russische Delegation an, unter der Leitung des Vize-Premiers Arkadi Dworkowitsch. Gazprom und CNPC, die sich zehn Jahre lang nicht über Gaslieferungen nach China einigen konnten, unterschrieben im Schnellverfahren einen Vertrag mit einer Laufzeit von 30 Jahren über die Lieferung von 38 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich, der auch den Bau der Pipeline Sila Sibiri umfasst. Ein Jahr später, am 8. Mai 2015, wurde er um einen Vertrag über den Bau eines zweiten Pipelinestranges und am 3. September um ein Memorandum über einen dritten Pipelinestrang ergänzt.

Obwohl diese Vereinbarungen eine starke politische Komponente hatten sowie ernsthafte Fragen bezüglich ihrer Wirtschaftlichkeit aufwarfen, vermittelten sie das Gefühl einer wachsenden Kooperation und der Bereitschaft Chinas, langfristig in Russland zu investieren. Dies wiederum schaffte die angenehme Illusion, dass im Fall der Fälle Peking aktiv an der finanziellen Unterstützung Russlands interessiert bleiben würde, und sei es nur, um die investierten Mittel nicht zu verlieren.

China findet wenig Anreize, in Russland zu investieren

Aber schon Ende 2015 hat sich durch unbarmherzige Zahlen das ganze Pathos der unzerstörbaren russisch-chinesischen Freundschaft in den Augen von Experten in Luft aufgelöst. Zwar gab es Vereinbarungen über eine ganze Reihe von Großprojekten in der Maschinenbau- und Energiebranche, durch den Rubelverfall konnte man aber keinen Nutzen aus diesen Erfolgen ziehen. Der Rückgang des Handelsvolumens mit China wird 2015 circa 30 Prozent betragen.

Chinesische Investoren machten sich nicht einmal den Preisverfall für russische Aktiva zunutze. Gerade mal 0,7 Prozent (794 Millionen US-Dollar von 116 Milliarden) aller chinesischen Auslandsinvestitionen wurden in Russland getätigt. Die Öllieferungen nach China sind zwar um 30 Prozent gestiegen, jedoch sanken aufgrund des Rubelverfalls die daraus resultierenden Einnahmen im gleichen Maße. Die Flüssiggaslieferungen fielen von Januar bis September 2015 um 51,3 Prozent, was im Geldäquivalent einem Rückgang von 71,5 Prozent entspricht. Und was den Bau des zweiten Pipelinestranges betrifft, so dringen in regelmäßigen Abständen beunruhigende Nachrichten über Verzögerungen und merkwürdige Kapriolen der chinesischen Partner durch und lassen um das Schicksal des Projekts bangen.

Auch die Versuche russischer Staatsunternehmen, versiegte Kreditströme aus Europa durch chinesische zu ersetzen, blieben erfolglos. Chinesische Banken wissen ihre guten Beziehungen zu amerikanischen Kollegen zu schätzen (mit Ausnahme der ExIm Bank und China Development Bank, chinesischen Entsprechungen der russischen staatlichen Wneschekonombank VEB und VTB-Bank, bei deren Handeln politische Motivationen eine Rolle spielen). Sie schlossen sich faktisch den anti-russischen Sanktionen an und setzten alles daran, um Kreditvergaben herumzukommen.

Projekte, bei denen die russische Seite nur ihr geistiges Eigentum anbietet, rufen bei den Chinesen meistens keinen Enthusiasmus hervor.

Außerdem wurden, wie Kommersant-Wlast vom Geschäftsführer des Russland-ACEAN Business-Rates Viktor Tarussin erfuhr, viele Russen gezwungen, ihre Konten bei chinesischen Banken zu schließen und die Mittel zu anderen Banken zu transferieren. Und Gazprom verkündete, enttäuscht von den asiatischen Kollegen, am 9. Dezember, der alljährliche Investorentag, der 2015 in Singapur und Hong Kong stattgefunden hatte, würde nach London und New York zurückverlegt. Als Grund dafür nannte Gazprom Interfax „die Unentschlossenheit und den Konservativismus der asiatischen Investoren“.

China hat kaum Gründe, aktiv in Russland zu investieren. Peking lässt sich meist von harter Wirtschaftslogik leiten und investiert normalerweise entweder in die Staaten der Ersten Welt, die in der Lage sind, Technologien oder Management-Knowhow zur Verfügung zu stellen (USA) oder Dritte-Welt-Staaten, die sich vergleichsweise billig und ohne arbeitsrechtliche Sperenzchen von Ressourcen und Anbauflächen trennen (Sudan, Simbabwe). Russland gehört weder zur ersten noch zur zweiten Kategorie.

Im Ranking zur Geschäftsfreundlichkeit, dem Doing Business-Index, bei dem Russland im Oktober auf Platz 51 gestiegen ist, liegt China im Umfeld von Singapur (Platz 1), Hong Kong (Platz 5), Südkorea (Platz 4), Taiwan (Platz 11) und Malaysia (Platz 18). Im Global Opportunity-Index, der die Investitionsattraktivität eines Staates misst, belegt Russland den 81. Platz, Singapur den 1., Hong Kong den 2., Malaysia den 10., Südkorea den 28. und Japan den 17. Wenn es um Rechtstaatlichkeit geht, rutscht Russland sogar auf Platz 119 und landet damit in der Nachbarschaft von Nigeria und Mosambik.

Russland hat die chinesischen Bedürfnisse falsch eingeschätzt

Durch all die politischen Vereinbarungen und die pompösen gegenseitigen Freundschaftserklärungen entstand sowohl bei russischen Unternehmern als auch bei der Staatsbürokratie der Eindruck, nun würden die chinesischen Firmen von oben Anweisung bekommen, mit Russland Verträge unter dem Marktwert abzuschließen. Dies ist nicht geschehen.

„Ich denke, Russland hat zu emotional auf die Verkündung der Wende gen Osten reagiert. Die Reaktion der Chinesen auf unsere plötzliche Aufmerksamkeit war dann eher zurückhaltend und kühl“, so Irina Sorokina, geschäftsführende Leiterin der Russisch-chinesischen Kammer zur Förderung des Handels in der Maschinenbau- und Innovationsindustrie. „Wir haben eine Investitionsflut aus China erwartet, aber dort zögert man lieber erst einmal und wiegt alles sehr sorgfältig ab.“

Wo die Europäer meinen, es sei bereits eine Entscheidung getroffen, sehen die Chinesen bloß eine Grundlage für Verhandlungen.

Ihrer Meinung nach ist für chinesische Unternehmer – egal bei welchem Projekt – die Rentabilität ihrer Investitionen am wichtigsten. Außerdem schätzen sie die Bereitschaft der Partner, auch finanziell einzusteigen, doch dazu sind russische Unternehmer oft nicht bereit. „Projekte, bei denen die russische Seite nur ihr geistiges Eigentum anbietet und von den Partnern Geld als Anteil für das gemeinsame Unternehmen verlangt, rufen bei den Chinesen meistens keinen Enthusiasmus hervor“, ergänzt Irina Sorokina.

Wegen der Probleme bei der Wende nach Osten entstand in der russischen Staatsführung offensichtlich der Wunsch, die Situation zu verbessern. „Die Regierung hat versucht, gezielt Expertise aufzubauen“, sagt Alexander Gabujew. „Also wurde ein Ausschuss für die Förderung der Wirtschaftsinteressen in der Asien-Pazifik-Region gegründet. Ansonsten haben die unter dem ersten Vize-Premier Igor Schuwalow im Vorjahr eingeführten Gremien ihre Arbeit fortgesetzt.“ Nach Meinung von Experten reichen diese Bemühungen jedoch nicht für grundlegende Veränderungen.

Es gibt einzelne Erfolgsbeispiele

Gelingt der Zugang zu den chinesischen Partnern, sind die Ergebnisse oft interessant. Maxim Sokow, Generaldirektor des Metall-, Bergbau- und Energiekonzerns En+, ist überzeugt, dass es zwar nicht einfach sei, sich an die Eigentümlichkeiten des chinesischen Geschäftsgebarens zu gewöhnen, aber durchaus möglich. „Man muss bedenken, dass man mit China nicht von heut auf morgen Geschäftsbeziehungen aufbauen kann. Du musst mit den Menschen zunächst große Mengen Tee trinken und viele Worte des Respekts äußern, doch dann geht alles ziemlich schnell“, so Sokow im Gespräch mit Wlast. „Das russische Sprichwort ‘Wer langsam einspannt, der fährt schnell’ hat in China eine Entsprechung.“ Wo die Europäer meinen, es sei bereits eine Entscheidung getroffen, sehen die Chinesen bloß eine Grundlage für den nächsten Verhandlungsschritt, so Sokow.

Im Jahr 2015 gab es eine Vereinbarung über die Gründung eines Zentrums für Datenverarbeitung. Beteiligt waren die Konzerne En+ und Lanit, die Regierung der Region Irkutsk sowie die chinesischen Unternehmen Huawei und Centrin Data Systems. Schon im Sommer 2016 soll das Rechenzentrum in Betrieb gehen. Es wird Informationen chinesischer Firmen auf von Huawei gelieferten Anlagen verarbeiten.

Im Gegensatz zur teilweise „politischen“ Pipeline Sila Sibiri steht dieses Projekt auf rein kommerziellen Füßen und hat somit gute Aussichten auf Erfolg. Das ökonomische Kalkül ist einfach: kaltes sibirisches Klima (Server brauchen ständige Kühlung) plus billiger Strom aus sibirischen Wasserkraftwerken (hierauf entfallen 60 Prozent der Selbstkosten des Zentrums) plus der unendliche chinesische Markt, der nach immer mehr Rechenkapazität verlangt.

Ob Russland und China sich wirklich wirtschaftlich aufeinander zubewegen, ist offen

Das wichtigste Ergebnis des Jahres ist, dass russische Beamte und Unternehmer Asien für sich entdeckt haben und und nun beginnen, sich für die landesspezifischen Businessregeln zu interessieren. „Der Osten wurde ein Thema in Strategiesitzungen großer Unternehmen, und nicht nur in Staatsbetrieben. Wobei die Überlegungen dort bisher noch nicht sehr qualifiziert sind“, so die Beobachtungen von Dimitri Ontojew, dem Leiter des Labors für regionale Studien im Institut für Schwellenländer an der Skolkowo School of Management in Moskau. „Das Hauptproblem ist: Der Markt ist voll. Westliche Unternehmen haben sich schon vor 40 Jahren Richtung Osten gewandt, daher sind russische Firmen jetzt gezwungen, ziemlich entschieden mit den Ellbogen zu arbeiten, worauf sie nicht vorbereitet waren.“

Das Hauptproblem ist: Der Markt ist voll. Westliche Unternehmen haben sich schon vor 40 Jahren Richtung Osten gewandt.

Das Jahr 2016 hat vielversprechend begonnen: Am 18. Januar lud die russische Delegation im Asia Society Hong Kong Center in Hong Kong zu einer Veranstaltung ein namens Russlands Platz im Wirtschaftsmodell der Asien-Pazifik-Region – neue Möglichkeiten für Wachstum und Investitionen. Vize-Premier Arkadi Dworkowitsch und der Magnat Viktor Wexelberg versuchten, die Teilnehmer aus einflussreichen asiatischen Wirtschaftskreisen zu überzeugen, dass sich Investitionen in Russland lohnen.

Das Auditorium reagierte zugänglich. Aber mit einer Antwort, die er auf eine Frage des Moderators Ronnie Chan gab, plauderte Arkadi Dworkowitsch zufällig das wichtigste russische Staatsgeheimnis aus: das Fehlen einer langfristigen Planung. „Wie sehen Sie Russland in 10 bis 20 Jahren?“, fragte Ronnie Chan und fügte hinzu, dass Chinas Staatsoberhaupt Xi Jinping auf diese Frage wohl wie aus der Pistole geschossen antworten würde. Arkadi Dworkowitsch sagte: „Als einen normalen Staat.“ Um dann zu präzisieren: „Stark und offen für die Weltgemeinschaft.” Ob diese Antwort die asiatischen Investoren zufrieden gestellt hat, sehen wir dann an den Ergebnissen des Jahres 2016.

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Sila Sibiri

Sila Sibiri (dt. Kraft Sibiriens) ist der offizielle Name einer Pipeline, die seit Dezember 2019 Erdgas aus der Republik Jakutien und der Region Irkutsk in die Länder des pazifischen Raums transportiert. Das Pipelineprojekt wurde im Jahr 2012 im Auftrag des Präsidenten Wladimir Putin vom staatlichen Gasmonopolisten Gazprom initiiert. Nach dem geplanten Ausbau aller Stufen soll  die Pipeline  insgesamt rund 61 Milliarden Kubikmeter Erdgas im Jahr über eine Gesamtlänge von 4000 Kilometern transportieren.

Ein wesentlicher Teil der Lieferungen ist für den chinesischen Energiemarkt bestimmt. Laut dem Liefervertrag, den Gazprom und der chinesische Energiekonzern CNPC im Mai 2014 mit einer Laufzeit von 30 Jahren abschlossen, wird Gazprom jährlich bis zu 38 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach China pumpen. Die Gesamtkosten der Sila Sibiri bezifferte Gazprom zunächst auf 55, später auf bis zu 70 Milliarden US-Dollar. Anlässlich des offiziellen Baustarts am 1. September 2014 nannte Putin das Vorhaben „das größte Bauprojekt der Welt“. Und die staatsnahen Medien Russlands lobten das Vorhaben auch, weil es die Abhängigkeit Russlands von den Gaslieferungen in den Westen verringere. 

Die Inbetriebnahme der Pipeline war ursprünglich für 2018 vorgesehen. Allerdings gingen die Bauarbeiten nur sehr schleppend voran. Gazprom fehlten die notwendigen finanziellen Mittel sowohl für die Förderung in schwer zugänglichen Gasfeldern als auch für die Durchführung des eigentlichen Pipeline-Projekts. Die im Zuge des Ukraine-Konflikts beschlossenen westlichen Sanktionen gegen Gazprom erschwerten zudem den Zugang zu westlichen Krediten und verhinderten die Teilnahme westlicher Investoren am Projekt. Aus diesen Gründen verzögerte sich die Inbetriebnahme bis Dezember 2019. Volle Leistung soll die Pipeline 2025 entwickeln, außerdem plant Gazprom einen Ausbau des Leitungsnetzes.

Doch stellen die derzeit relativ niedrigen Gaspreise die Rentabilität der Pipeline infrage. Laut Gazproms Berechnungen sollte der Konzern für die Gaslieferungen nach China insgesamt 400 Milliarden US-Dollar erhalten. Der Preis, den die chinesische Firma für das russische Gas zahlen muss, ist dabei an den aktuellen Ölpreis gebunden. Infolge der fallenden Ölpreise schrumpfen die erwarteten Einnahmen jedoch zusammen, allein die anfangs anberaumten Investitionen in Höhe von 55 Milliarden US-Dollar würden sich laut Schätzungen erst bei einem Ölpreis von 100 US-Dollar je Barrel amortisieren.1 Da der Rubel-Kurs zum US-Dollar in den folgenden Jahren allerdings massiv abgesackt ist, verringerten sich die in US-Dollar berechneten Investitionen. Doch bleibt unklar, welche Anteile der Investitionen in Rubel und welche in US-Dollar getätigt wurden. Auch aus diesem Grund glauben einige Kritiker, dass Sila Sibiri erst 30 Jahre nach Inbetriebnahme die Kosten einspielen werde.2 

Derzeit fehlen außerdem noch große Teile der geplanten Infrastruktur, die die Gasfelder in West- und Nordsibirien miteinander und mit der Sila Sibiri verbinden soll. Ebenso in der Schublade ist noch der Plan, Sila Sibiri bis nach Chabarowsk zu verlängern, von wo das Erdgas anschließend zu Gasverflüssigungsanlagen in Wladiwostok und auf der Pazifikinsel Sachalin transportiert werden sollte. Während der Bau einer Verflüssigungsanlage in Wladiwostok erst für 2020 geplant ist, sind die Kapazitäten auf Sachalin noch viel zu klein, um LNG (Flüssigerdgas) wie geplant exportieren zu können. Außerdem verteuert eine Verflüssigung das Endprodukt zusätzlich.

Finanzieller Erfolg von Sila Sibiri wird somit auch weiterhin vom Ölpreis, westlichen Sanktionen sowie von der Entwicklung der geopolitischen Lage im pazifischen Raum abhängen. Dasselbe gilt für das Gesamtvorhaben Gazproms, seine Abhängigkeit von Exporten in den Westen zu verringern.

Stand: 02.12.2019


1.Vedomosti: Vvod gazoprovoda Sila Sibiri sdvigaetsja minimum na polgoda 
2.vgl. news.ru: „Gazprom“ počti dostroil „Silu Sibiri“ Postavki gaza po magistral'nomu puti v Kitaj načnutsja v dekabre.

 

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