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Krim. Sommer

Gast im Hotel Nowy Swet. Wegen himmelschreiend schlechtem Service und hohen Preisen ist der Kurort bei jungen Menschen nicht beliebt. Die meisten Sommergäste sind Rentner, die sich zurücksehnen in die Zeiten der Sowjetunion / Foto © Stanislava Novgorodtseva

Fotografin Stanislava Novgorodtseva kennt die Krim aus ihrer sowjetischen Kindheit. Heute trifft sie auf der Halbinsel auf alte Mythen und neue politische Tatsachen.
Zu ihrem Fotoessay, den Colta veröffentlicht hat, schreibt sie:

„In der Kindheit war die Krim für mich ein heiliger, unpolitischer Ort, eine Insel mit ganz eigener Mythologie, mit Spuren antiker Zivilisationen. Hier habe ich zum ersten Mal das Meer gesehen.
Im Schmelztiegel der Völker hat die Halbinsel Krim eine eigene Identität entwickelt. Im Jahr 1783 wurde dieser Kreuzungspunkt unterschiedlicher Glaubensrichtungen und Kulturen Teil des Russischen Reichs. Mit Entstehen der UdSSR entwickelte sich die Krim mit ihrer Zarenresidenz zu einem erschwinglichen Erholungsgebiet für den Sowjetmenschen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion gehörte die Krim zur Ukraine, im März 2014 stand die Krim plötzlich im Zentrum politischer Auseinandersetzungen. Die neuen Realitäten führten auch bei mir zu Korrekturen im Verhältnis zu diesem Ort. In die Welt der Kindheit und der dortigen Mythologie mischte sich eine neue politische Ebene.“

Quelle dekoder
Badende am Stadtstrand in Jewpatorija / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 
Open-air Festival im Tal von Tscherkes-Kermen. Vor ihrer Deportation 1944 lebten hier mehrere hundert Krimtataren / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 
Der Golizyn-Pfad führt am Wasser entlang durch das Naturschutzgebiet Nowy Swet/Nowyj Swit / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 

Holocaust-Gedenktag in der Jüdischen Gemeinde. Jewpatorija / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 
Verlassenes Sanatorium am Ufer des Moinakskoje Osero, dem große Heilkraft zugeschrieben wird / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 
Schlafbezirk von Armjansk / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 
Orthodoxe Gläubige an Ostern. Jewpatorija / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 
Von 2001 bis 2014 fand hier das internationale Open-Air-Festival KaZantip statt. Popowka / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 
Weinprobe während einer Exkursion durch die Sektkellerei in Nowy Swet/Nowyj Swit / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 
Schönheitssalon mit Fischpeeling. Hursuf / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 
Bad in der Schwefelquelle. Dshankoiski Rajon, Nowaja Shisn/Nowaja Shittja / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 
Das alte Schwimmbecken des Internationalen Kinderferienlagers Artek. Seit dem Umbau ist das Gelände komplett verändert, nur wenige Elemente erinnern noch an die sowjetische Vergangenheit. Hursuf / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 
Schulabsolventinnen an ihrem letzten Schultag, dem „Tag des letzten Klingelns“. Armjansk / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 
Amateurteleskope auf dem Gelände der Astrophysikalischen Sternwarte der Krim. Dorf Nautschny / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 
Feriengäste am Strand. Badesaison in Sudak / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 
Kopie eines britischen Schiffes aus dem 17. Jahrhundert in der Bugas Bucht, Kap Meganom / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 
Nationales Weltraum-Kontroll- und Testzentrum. Von hier aus wurden zu Sowjetzeiten die ersten Flüge in den Weltraum überwacht. Jewpatorija / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 
Das Kap Meganom ist ein beliebtes Kletter- und Wandergebiet. Es gilt als Kraftort, der viele Pilger und spirituelle Menschen anzieht. Kap Meganom  / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 
Am Kap Fiolent. Der Ort ist beliebt bei wilden Campern und spirituell praktizierenden Touristen / Foto © Stanislava Novgorodtseva

 
Vergnügungsparks, Bars und Unterhaltungsgeschäfte, die nur während der Saison geöffnet sind. Jewpatorija / Foto © Stanislava Novgorodtseva

Fotografin: Stanislava Novgorodtseva
Bildredaktion: Andy Heller
Original: Colta.ru
Übersetzung: dekoder-Redaktion
Veröffentlicht am 06.08.2020

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Gnose

Die Krim – ein jüdischer Sehnsuchtsort

Nach der Revolution 1917 entsponn sich eine hitzige Debatte über jüdische Ansiedlungsprojekte. Eine der damals debattierten Fragen lautete: Krim oder Zion? Und einige zogen eine Ansiedlung auf der Krim der in Palästina vor. Jakob Stürmann über den jüdischen Sehnsuchtsort Krim, der allerdings nur von kurzer Dauer war.

Gnosen
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Krim

Es war kein Zufall, dass die russische Präsidentschaftswahl 2018 am 18. März stattfand. Dieses Datum verbindet sich mit dem Schlüsselereignis der dritten Amtsperiode von Wladimir Putin: der Annexion der Krim. An diesem Tag formalisierte Putin den Anschluss der Krim an die Russische Föderation, der die Besetzung der Halbinsel durch russische Sondertruppen und ein sogenanntes Referendum unter russischer Kontrolle vorangegangen waren. Auf der Krim setzte Putin einen im Detail vorbereiteten Plan um, für den sich im Kontext des ukrainischen Euromaidan – Massendemonstrationen, die zu einem Machtwechsel in Kiew führten und die Westorientierung der Ukraine bestärkten – die Gelegenheit ergab. 

Die militärische Aktion und Russlands Verletzung des Völkerrechts, das von der Souveränität und territorialen Integrität eines Staates ausgeht, überraschten nicht nur die westliche Politik, sondern auch die Bevölkerung der Krim und Russlands. Die USA und die EU reagierten mit Sanktionen. Dieses Sanktionsregime ist im Zuge des Krieges in der Ostukraine noch verstärkt worden. 

Dieser Krieg, in dem Russland lokale Separatisten im Donbass unterstützt, hat die Krimthematik zunehmend überschattet. Auch wenn die offizielle Politik westlicher Staaten weiterhin auf der Nichtanerkennung der Annexion der Krim beruht, so geht dies einher mit der Einschätzung, dass sich am derzeitigen Status quo in nächster Zeit wenig ändern wird. Diese Haltung lässt das Thema somit nicht zur Priorität werden. 

Dieser politische Kontext ist ein wichtiger Teil der Erklärung dafür, warum im Rückblick die Konturen der Ereignisse von 2014 verschwimmen und auch in der deutschen Berichterstattung und Öffentlichkeit bedenkliche Schlussfolgerungen möglich sind. Die Krim-Annexion war, anders als mitunter behauptet, nicht das Resultat einer Mobilisierung der Krim-Bevölkerung für einen Anschluss an Russland, und die Krim war auch nicht „schon immer Teil Russlands“, was der Annexion den Anschein einer historischen Berechtigung verleiht.

Zugehörigkeit der Krim

In der ersten Hälfte der 1990er Jahre gab es auf der Krim politische Gruppierungen, die für die Unabhängigkeit der Krim beziehungsweise einen Anschluss an Russland eine Mehrheit der regionalen Bevölkerung mobilisieren konnten. Diese Bewegung scheiterte an inneren Spaltungen und an ihrer Unfähigkeit, auf die realen sozioökonomischen Probleme der Region einzugehen. Dazu kam noch die bewusste Entscheidung des damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin, die Zugehörigkeit der Krim zum postsowjetischen ukrainischen Staat nicht in Frage zu stellen – das Interesse an einem guten Verhältnis zum Westen war wesentlich höher.1 Die regionale Mobilisierung auf der Krim mündete letztendlich in einen schwachen, durch seine sichtbare Institutionalisierung in der ukrainischen Verfassung jedoch symbolisch bedeutsamen Autonomiestatus der Krim. 

Auch wenn russische Politiker wie zum Beispiel der ehemaliger Moskauer Bürgermeister Juri Lushkow, seitdem mitunter versuchten, mit Blick auf ihre Wählerschaft in Russland die Krimthematik politisch zu instrumentalisieren, gab es bis 2014 keine breitere Mobilisierung auf der Krim. Die wirtschaftliche Entwicklung der Region stagnierte, der kleine, durch die Krimverfassung definierte Spielraum der Autonomie blieb ungenutzt. Die Integration der seit dem Ende der Sowjetunion zurückgekehrten Krimtataren, die von Stalin nach Zentralasien und Sibirien deportiert worden waren, wurde nicht zur Priorität Kiews, aber am politischen Wahlverhalten gemessen, war die Region fest in den Südosten der Ukraine integriert.

Chruschtschows Geschenk

Die inzwischen weit verbreitete, zu wenig hinterfragte These des historischen Anspruchs Russlands auf die Krim ist das Resultat einer höchst selektiven Interpretation der Geschichte. Das russische Narrativ der „russischen Krim“ leitet sich ab aus der Zeit von 1783, der Eroberung der Krim durch Zarin Katharina der Großen, bis 1954, dem vermeintlichen Geschenk Chruschtschows an die ukrainische Sowjetrepublik. Die Tatsache, dass die Krim vor 1783 jahrhundertelang unter krimtatarischer und osmanischer Herrschaft war, wird in der russischen Geschichtsschreibung ausgeblendet und ist im Westen einfach zu wenig bekannt. Darüber hinaus hält sich das stark simplifizierende Bild des Transfers der Krim als Chrutschtschows persönliches Geschenk an die Ukraine im Rahmen der 1954 gefeierten „brüderlichen“ russisch-ukrainischen Beziehungen (eine sowjetische Interpretation des Perejaslaw-Vertrags von 1654, in dem sich die Kosaken unter Hetman Bohdan Chmelnyzky durch einen Treueeid den Schutz des russischen Zaren Alexej I. sicherten). Archivdokumente zeigen, dass Chruschtschow zwar eine zentrale Rolle beim territorialen Transfer der Ukraine zukommt, dass er jedoch nicht in einer politisch derart gefestigten Position war, die eine alleinige Entscheidung erlaubt hätte, und dass wirtschaftliche Gründe eine wichtige Rolle bei der Entscheidung spielten. Der Symbolgehalt von 300 Jahren Perejaslav wurde hingegen erst im letzten Moment hinzu addiert.2

Narrativ der „russischen Krim“

Das russische Narrativ des Krimnasch („Die Krim gehört uns“), das Kontinuität auf die facettenreiche Geschichte der multiethnischen Krim projiziert, speist sich aus einer selektiven Geschichtsschreibung. Die Region spielt dabei vornehmlich eine Symbolfunktion, die bereits in der Zarenzeit geprägt, in der Sowjetunion umgewidmet und in der postsowjetischen Zeit wiederbelebt wurde. Die Grenzen zwischen Mythen und Fakten sind hierbei fließend. Die Krim ist die Region mit einem subtropischen Klima an der Südküste, die viele an die südeuropäischen Länder, vor allem an Italien und Griechenland erinnert, und in der die russische Zarenfamilie und Aristokratie (nicht nur aus Russland) Urlaub machte. Die Region ist fest in der russischen Literatur und Kunst des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verankert. Puschkin, Tolstoi und Tschechow gehören zu den prominentesten Autoren, die die Krim in ihren Gedichten und Erzählungen verewigten. Die Krim wurde schließlich zum sowjetischen Urlaubsparadies der Arbeiterklasse, Pioniere und Parteinomenklatura umdefiniert.

Um die Krim ranken sich zahlreiche, von verschiedenen Völkern geprägte Legenden und Mythen. Viele Küsten- und Bergformationen tragen bildhafte krimtatarische Namen. Diese haben die Zeit der krimtatarischen Deportation überlebt und sind (wie beispielsweise der Berg Ai-Petri, ein beliebtes Touristenziel in der Nähe von Jalta) bis heute ein fester Bestandteil der regionalen Identität.

Am Beispiel der Krim gelang sowohl dem zaristischen Russland als auch dem sowjetischen Regime die Umdeutung verlustreicher Schlachten – während des Krimkriegs Mitte des 19. Jahrhunderts und während des Zweiten Weltkriegs – in russische beziehungsweise russisch-sowjetische Heldentaten. Die Präsenz der Schwarzmeerflotte vor der Küste Sewastopols, die nach 1991 zum Streitpunkt zwischen Russland und der Ukraine wurde und nach langen Verhandlungen Ende der 1990er Jahre unter Verrechnung ukrainischer Schulden für Energielieferungen aus Russland aufgeteilt wurde, symbolisiert diesen Teil der Geschichte. 
Die Stadt Chersones in der Nähe von Sewastopol gilt als die Wiege der russisch-orthodoxen Zivilisation – seit 2014 ist die mutmaßliche Taufe von Großfürst Wladimir in Chersones Ende des 10. Jahrhunderts erneut zu einem wichtigen Bezugspunkt geworden.

Terra incognita 

Seit der Annexion der Krim durch Russland ist die Krim für westliche Beobachter und UkrainerInnen ohne familiären Bezug zur Krim weitgehend zur terra incognita geworden. Der ukrainische Staat erlaubt den Zugang zur Region nur in einem streng definierten gesetzlichen Rahmen, und die Einreise in die Region über Russland stellt einen Verstoß gegen ukrainisches Gesetz dar. Aus den Berichten derer, die die Krim seit 2014 verlassen haben – Schätzungen zufolge etwa 40.000 bis 60.000 Menschen, darunter mindestens zur Hälfte Krimtataren3 – und aus den Berichten krimtatarischer und Menschenrechtsorganisationen sowie einiger weniger westlicher JournalistInnen, lässt sich das Ausmaß der in erster Linie gegen die krimtatarische Bevölkerung gerichteten Repressionen ablesen. Außerdem ist ein Wandel von einer von Russland geschürten Hochstimmung 2014 in eine eher abwartende Haltung erkennbar. 

Einer repräsentativen Umfrage4 zufolge, die das Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) von März bis Mai 2017 mit Hilfe eines internationalen Dienstleisters und ausgebildeten lokalen Interviewern durchführte, ist unter der Krim-Bevölkerung eine Orientierung nach innen festzustellen. Die Kontakte der Krim-Bevölkerung zum Rest der Ukraine sind fast vollständig unterbrochen. Eine schon immer stark ausgeprägte regionale Identität (krymchanin = „Krim-Bewohner“) wurde durch die Ereignisse von 2014 noch gestärkt. Die ZOiS-Umfrage zeigt in diesem Zusammenhang, dass nur sechs beziehungsweise ein Prozent der Befragten Russland beziehungsweise die Ukraine als ihr Zuhause begreifen.  Zugleich haben die Menschen auf der Krim ein sehr geringes Vertrauen in die lokalen und regionalen politischen Institutionen. Die Umfrage veranschaulicht darüber hinaus das Ausmaß sozialer und wirtschaftlicher Nöte der Bevölkerung. 

Nach der Präsidentschaftswahl am 18. März 2018 hat der Kreml die Wahlbeteiligung und die Zustimmung für Putin auf der Krim als eine Art zweites Referendum über die Zugehörigkeit der Krim zu Russland dargestellt. Damit schrieb er eine neue Seite in die mythenumwobene Geschichte der Halbinsel.


1.Sasse, Gwendolyn (2007): The Crimea Question: Identity, Transition, and Conflict, Cambridge
2.ebd.
3.Freedom House: Crimea
4.Sasse, Gwendolyn (2017): Terra Incognita: The Public Mood in Crimea, ZOiS Report 3/2017. Die Umfrage hatte zum Ziel, einen Einblick in die Stimmung und das Alltagsleben auf der Krim zu bekommen. Die derzeitige Lage auf der Krim entspricht nicht den soziologischen Idealbedingungen für eine Umfrage. Dennoch kann die Schlußfolgerung  nicht sein, lieber gar nicht zu versuchen, die Stimmen der betroffenen Menschen hörbar zu machen. Die Umfrage versteht sich als ein Beitrag dazu, die Situation auf der Krim im öffentlichen Diskurs präsenter zu machen.
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