Regen und Einlasskontrollen hielten sie nicht auf: Zehntausende haben am Samstag an der genehmigten Demonstration im Moskauer Stadtzentrum teilgenommen. Die Polizei spricht von 20.000 Teilnehmern, die NGO OWD-InfoOWD-Info ist ein unabhängiges russisches Bürgerrechtsprojekt, das seit 2011 Menschenrechtsverstöße und politische Repressionen dokumentiert. Das Projekt bietet eine Beratungs-Hotline für festgenommene Demonstranten und ruft russische Bürger dazu auf, Menschenrechtsverstöße zu melden. Außerdem vermitteln die Macher von OWD-Info juristische Hilfe für Betroffene. berichtet von 60.000 Demonstranten, 256 seien allein in Moskau festgenommen worden. In Moskau traten auch bekannte russische Musiker wie IC3PEAK„Wir sind in dem finsteren Märchen gelandet, von dem wir singen“ Am laufenden Band hat es in letzter Zeit Konzertverbote gegeben. Auch das Duo IC3PEAK ist davon betroffen. Im Interview erzählen Nastya und Nick, warum sie weiter gegen das System ansingen und nur das machen, worauf sie Bock haben.
und Face„Russland ist ein einziges großes Meme“ Mit seinem neuen Album bringt Face den Rap zurück zu seinen Wurzeln: zur Gegenkultur und scharfen Gesellschaftskritik. Sich selbst sieht er als „Spiegel der Jugend“. Eschtschkere!
auf, die Schriftstellerin Ljudmila UlitzkajaLjudmila Ulitzkaja (geb. 1943) ist eine der bekanntesten russischen Schriftstellerinnen. Die Werke der international ausgezeichneten Autorin wurden in über 25 Sprachen übersetzt. Neben dem Schreiben engagiert sich Ulitzkaja in zivilgesellschaftlicher Opposition gegen das politische Regime Putins. Unter anderem war sie Mitbegründerin der Liga Isbiratelei (dt. „Liga der Wähler“) – einer NGO, die für die Einhaltung des verfassungsmäßigen Wahlrechts der Staatsbürger Russlands eintritt. Wegen solcher Tätigkeiten wurde Ulitzkaja schon mehrmals Opfer von Diffamierungen seitens staatsnaher Aktivisten. trug ein Gedicht vor. Die Menschen in der Hauptstadt protestieren seit Mitte Juli„Ein Fehler historischen Ausmaßes“ Seit über einer Woche protestieren tausende Moskauer gegen die Nichtzulassung von Oppositionskandidaten zur Regionalwahl. Am Samstag haben die Proteste einen Höhepunkt erreicht. Fotograf Wlad Dokschin war dabei und hat die Massenkundgebung in einer Fotoreportage für die Novaya Gazeta festgehalten.
: Auslöser war, dass oppositionelle Kandidaten unter fadenscheinigen Begründungen nicht zur Regionalwahl zugelassen worden waren.
Gleichzeitig drangen am Wochenende immer mehr Einzelheiten über einen atomaren Unfall auf einem Militärstützpunkt am Weißen MeerDas Weiße Meer (russ. „Beloje More“) ist ein Meer im Norden des europäischen Teils Russlands. Angrenzende Regionen sind die Republik Karelien im Westen, die Oblast Archangelsk im Süden und Osten und die Oblast Murmansk im Norden. Das Weiße Meer war mit dem Hafen in Archangelsk eine bedeutende Verbindung des nördlichen Russlands mit Europa. Im Weißen Meer liegen die Solowezki-Inseln, die mit ihren Klöstern aus der Frühen Neuzeit eines der Zentren der russischen Kultur waren und in der Sowjetzeit zum ersten Häftlingslager wurden. ans Licht der Öffentlichkeit. Dieser hatte sich am Donnerstag ereignet. Die Behörden informierten die Bevölkerung jedoch nur spärlich darüber, viele Fragen sind immer noch offen.
In seinem Meinungsstück auf Republic macht Andrej Sinizyn eine Art Tschernobyl-EffektChernobyl-Serie: Der fremde Spiegel Chernobyl ist eine neue Fernsehserie – keine russische, dort sei eine solch kritische und ernste Auseinandersetzung mit der Reaktorkatastrophe derzeit nicht möglich, schreibt Andrej Archangelski. Ein Hohelied auf das therapeutische und versöhnende Potential des Serien-Genres.
aus und beschreibt, wie das Verschweigen und Belügen Proteste nur anheizt.
Am 1. März 2018 hat Wladimir Putin in seiner Botschaft an die FöderationsversammlungDie Föderationsversammlung ist das Parlament Russlands, das aus zwei Kammern besteht: der Staatsduma, deren 450 Abgeordneten vom Volk gewählt werden, und dem Föderationsrat, in dem 170 Abgeordnete die einzelnen Föderationssubjekte vertreten. 45 Minuten lang über die Erfolge Russlands in der Entwicklung neuer WaffenVideo #15: Putin: Jetzt hört uns zu berichtet (darunter auch Atomwaffen), begleitet wurde das alles mit durchaus aggressiven Animationsfilmen. Experten äußerten umgehend Zweifel an der Echtheit (und dem Sinn) der höchst fantastisch anmutenden Projekte, wie zum Beispiel nuklear betriebener Raketen oder einer Unterwasser-Atom-Drohne. Die Propaganda-Funktion der Präsentation indes war klar: Es galt, das westliche Publikum zu erschrecken und – ebenso – die eigene Bevölkerung.
Nun sind fast anderthalb Jahre vergangen und wir werden Zeugen, dass die Trickfilme floppen. Die Atomstolz-Propaganda funktioniert nicht.
Am 1. Juli 2019 hat es in der Barentssee während Testläufen mit einem geheimen Unterwasser-GerätDie AS-12, nach einer Zeichentrickfigur genannt Loscharik, ist ein nuklearbetriebenes U-Boot, das zur russischen Nordmeerflotte gehört. Es lief 2003 vom Stapel und wird unter großer Geheimhaltung betrieben. Im Oktober 2015 äußerten Pentagon-Experten den Verdacht, dass Loscharik unter anderem zwecks Sabotage von Unterseekabeln gebaut worden sei. Laut russischen Behörden handelt es sich bei der AS-12 dagegen um ein Forschungs-U-Boot. Im Juni 2019 sind bei einem Brand auf Loscharik in der Barentssee 14 Seeleute ums Leben gekommen. (inoffizieller Name: Loscharik) einen Unfall„Die Stimmung in Seweromorsk ist aufgeheizt“ Blogger Jewgeni Karpow aus Seweromorsk hat noch vor den Agenturen über das U-Boot-Unglück der Nordmeerflotte berichtet. Ein Gespräch mit Meduza darüber, wie er an seine Informationen kam, warum er die Meldung wieder von seiner Seite nehmen musste – und über die Hürden für unabhängige, regionale Medien in Russland. gegeben, bei dem 14 U-Boot-Offiziere, darunter sieben Kapitäne 1. Ranges und zwei Helden Russlands, ums Leben kamen. Beerdigt wurden sie unter strengster Geheimhaltung in Sankt Petersburg.
Die Atomstolz-Propaganda funktioniert nicht
Am 8. August kam es auf dem Raketen-Testgelände NjonoksaNjonoksa ist ein Dorf mit rund 450 Einwohnern in der Oblast Archangelsk, im Nordwesten Russlands. Hier befindet sich ein militärisches Übungsgelände, auf dem Raketen für Atom-U-Boote getestet werden. Anfang August 2019 missglückte ein Raketentest: Offiziellen Angaben zufolge sind bei der Explosion des flüssigen Treibstoffs eines Raketentriebwerks sieben Menschen gestorben. US-amerikanische Experten vermuten demgegenüber, dass es es sich um einen Marschflugkörper mit Atomantrieb handelte. Bisher gab es keine offizielle Bestätigung, dass bei der Explosion Radioaktivität freigesetzt wurde. in der Nähe von Sewerodwinsk аm Weißen Meer zu einer Explosion, anschließend erschien (und verschwand nach 24 Stunden) auf der Website der Stadtverwaltung eine Mitteilung über einen kurzzeitigen, sprunghaften Anstieg radioaktiver Strahlung. Der Telegram-Kanal Baza berichtete von sechs Verletzten eines Strahlungsunfalls. Das Verteidigungsministerium teilte mit, dass es auf dem Militärgelände während Versuchen mit einem Flüssigkeitsraketentriebwerk zu einer Explosion gekommen sei, bei dem zwei Menschen ums Leben gekommen und sechs weitere verletzt worden seien. Knapp 48 Stunden später veröffentlichte die Atombehörde Rosatom eine Pressemitteilung, wonach fünf Mitarbeiter ums Leben gekommen seien und drei weitere Verletzungen erlitten hätten: „Die Tragödie ereignete sich während der Arbeiten und steht in Zusammenhang mit ingenieurtechnischen Wartungen von Isotopenquellen am Flüssigkeitsantrieb.“
Wiederum verläuft alles streng geheim, die Bewohner von Sewerodwinsk kaufen für alle Fälle die Jod-Vorräte in den Apotheken auf. Es gibt die Vermutung, dass der nuklearbetriebene Marschflugkörper namens Burewestnik (eine der von Putin präsentierten Wunderwaffen) explodiert sei. Doch mit Sicherheit kann bislang nur gesagt werden, dass es mit den neuen Waffen Probleme gibt und dass diese Probleme sogar das Leben und die Gesundheit friedlicher Menschen bedrohen.
Natürlich passieren Unfälle immer und überall. Und selbstverständlich fallen militärische Tests unter Geheimhaltung. Die Einwohner von Sewerodwinsk fühlen sich aber nicht ohne Grund an TschernobylPresseschau № 28: Tschernobyl Wurde Tschernobyl vom Westen instrumentalisiert? Versagt die Ukraine bei der Bewältigung der Folgen? Und welche Rolle spielt Russland? Eine Debattenschau mit übersetzten Originalzitaten. erinnert: Die Angewohnheit der Machthaber sogar dann zu schweigen oder zu lügen, wenn Gefahr für die Bürger besteht, gibt es nach wie vor (Sewerodwinsk war zu sowjetischen Zeiten eine geschlossene militärische Stadt; die Menschen dort wissen gut Bescheid über solche Verhaltensweisen der Machthaber).
Loyalität ist wichtiger als Kompetenz
Geheimhaltung und Sicherheitsstrukturen gehen bekanntermaßen miteinander einher. Der Einfluss dieser Institutionen in Russland wächst, er ist nur durch interne Konkurrenz begrenzt. Die Gesellschaft kann hier praktisch nichts kontrollieren. Diese fehlende Kontrolle verstärkt die negative Selektion, die sowieso jeder Kaderpolitik eines jeden autoritären Staates eigen ist: Loyalität ist wichtiger als Kompetenz. Im Endeffekt werden wir von amoralischen Nichtsnutzen regiert, die zwar Studenten auf den Straßen niederzwingen können, aber nicht wissen, wie man einen funktionierenden Weltraumbahnhof oder eine Rakete baut.
Deshalb sind die Vertrauenswerte für die Machthaber niedrig und fallen weiter. Und die Machthaber selbst tun alles dafür, dass das so weitergeht. Die Wirtschaftskrise, das sinkende RealeinkommenLaut offiziellen Zahlen sinkt das Realeinkommen in Russland kontinuierlich seit fünf Jahren. Im Jahr 2017 ging es um 1,7 Prozent zurück, 2018 um 0,2 Prozent. , die Erhöhung des RentenaltersInfolge einer großen Reform 2002 stiegen die Renten deutlich an, sind jedoch noch immer auf niedrigem Niveau. Das Rentensystem umfasst seit der Reform eine staatlich finanzierte Basisrente, einen umlagefinanzierten und einen kapitalgedeckten Teil. Da dieses Modell aktuell die Renten nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Am Eröffnungstag der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 legte die Regierung einen Entwurf zur Rentenreform vor. Tausende Menschen protestieren seitdem gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters. Mehr dazu in unserer Gnose , die SteuererhöhungAm Eröffnungstag der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 legte der russische Premierminister Dimitri Medwedew die Regierungsentwürfe zur Rentenreform und zur Erhöhung der Mehrwertsteuer vor. Trotz zahlreicher Proteste gegen die Rentenreform wird das Renteneintrittsalter für Frauen damit seit Januar 2019 schrittweise von 55 auf 60 Jahre und bei Männern von 60 auf 65 Jahre angehoben. Die Mehrwertsteuer wurde ebenfalls zum Januar 2019 von 18 auf 20 Prozent erhöht. , eine MüllreformEs stinkt zum Himmel Immer mehr Bürger wehren sich gegen wachsende Müllberge. Zum Beispiel in Serpuchow nahe Moskau. Die Novaya Gazeta war bei den Protesten dabei. , fehlende politische Repräsentation und politische Repressionen – das sind die Themen, die die Menschen in Russland heute beschäftigen. Sie haben die Trickfilme mit den Wunderwaffen sowieso nicht ganz so ernst genommen (obwohl die anfangs ja doch ganz ansprechend wirkten, das kann man nicht leugnen). Und nun stellt sich heraus, dass die Wunderwaffe nicht geeignet ist, den Feind zu schlagen, dafür aber, um in der Nähe zu explodieren und die eigenen Leute zu töten und dabei auch noch das heimische Territorium zu verseuchen.
Wladimir Putin muss enttäuscht sein. Russland und die USA treten aus AbrüstungsverträgenMaximal abenteuerlich „Coole Kerle spielen ein endloses Nullsummenspiel“: Am Samstag läuft die 60-Tage-Frist für Russland ab, die USA drohen, aus dem INF-Vertrag auszusteigen. Militärexperte Alexander Golz kommentiert Politik und Weltbild des Kreml. aus, ein neues Wettrüsten hat begonnen – und bei uns gibt es einen Unfall nach dem anderen. Das Wichtigste daran ist – der Propagandaeffekt schwindet dahin. Die Bürger beginnen zu protestieren, in unterschiedlichen Regionen aus unterschiedlichen Gründen. Einige versuchen sogar, einen Regimewechsel zu erreichen.
Was soll’s, es bleibt also nur, Urlaub auf der KrimAnspielung auf ein Treffen von Wladimir Putin und Mitgliedern des Motorradclubs Nachtwölfe am 10. August 2019 in Sewastopol. 1989 gegründet, sind die Nachtwölfe der größte Motorrad- und Rockerklub Russlands. Sie sind in der Öffentlichkeit präsent, traten bereits einige Male mit Putin auf und organisierten mehrfach nationalistische Musikspektakel, die im Fernsehen übertragen wurden. Nachtwölfe unterstützen die russische Regierung und geben vor, traditionelle russische Werte zu verteidigen, darunter explizit auch die Orthodoxie. zu machen und die anderen SilowikiSilowiki ist ein Sammelbegriff für Amtspersonen aus Sicherheitsorganen des Staates. Seit den späten 1990er Jahren hat ihr Einfluss stetig zugenommen. Unter Putin gehören sie zu den einflussreichsten Akteuren innerhalb der russischen Elite. Mehr dazu in unserer Gnose zu beauftragen, auf den Straßen von Moskau die Bürger verprügeln. Wenn schon die eingangs erwähnten Silowiki [beim Militär] es nicht hinkriegen, die Wunderwaffe zu bauen.
PS
Der Direktor sowie der wissenschaftliche Leiter des Russischen Föderalen Nuklearzentrums – das Allrussische wissenschaftliche Forschungsinstitut für experimentelle Physik – haben berichtet, dass in der Nähe von Sewerodwinsk ein kleinformatiger Atomreaktor explodiert sei, der ein Teil des Motors eines Rüstungsguts ist. Mitarbeiter des Zentrums seien bei den laufenden Tests ums Leben gekommen. Die Forschung und Entwicklung im Auftrag des Verteidigungsministeriums läuft im Rahmen des wissenschaftlichen Programms des Zentrums.