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Aus und vorbei für Paragraph 282?

282 – „Artikel gegen Gedanken-Verbrechen"? Foto © F Andrey (flickr)

Ursprünglich gedacht als Paragraph gegen jede Art von Diskriminierung („... Schüren von Hass und Feindschaft sowie Erniedrigung von Individuen oder Gruppen …“), gilt Artikel 282 mittlerweile als Gummi-Paragraph des Russischen Strafrechts schlechthin: So wurden auch die Künstler, die sich 2005 an der Kunstausstellung „Achtung, Religion!“ in Moskau beteiligt hatten, nach Paragraph 282 verurteilt – ohne, dass ihre tatsächlichen Absichten berücksichtigt worden wären. Ihnen wurde vorgeworfen, die religiösen Gefühle orthodoxer Gläubiger verletzt zu haben.

In jüngster Zeit wurden außerdem immer wieder Nutzer Sozialer Netzwerke unter Anwendung von Paragraph 282 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, etwa wegen Reposts oder Likes politisch strittiger Inhalte.

Ausgerechnet Abgeordnete der rechtspopulistischen Liberal-Demokratischen Partei (LDPR) haben nun Mitte des Monats eine Gesetzesinitiative in der Staatsduma ergriffen, den umstrittenen Artikel 282 aus dem Russischen Strafgesetz zu streichen – mit dem Argument, der Paragraph könne zu leicht ad absurdum geführt werden und legalisiere letzten Endes politische Zensur.

Auf slon.ru argumentiert Oleg Kaschin, warum es vielleicht gerade gut ist, dass dieser Vorschlag aus Reihen der LDPR kommt – und weshalb er sogar Aussicht auf Erfolg haben könnte.

Quelle slon

Eines sei gleich vorweggenommen – die Schlagzeile In der Staatsduma wurde vorgeschlagen ... ist so ziemlich die peinlichste, die man sich denken kann, sie macht eine inhaltliche Erörterung eigentlich gleich überflüssig.

Wenn nämlich in den Nachrichten steht, dass in der Staatsduma etwas vorgeschlagen wurde, bedeutet dies in den meisten Fällen, dass irgendein einzelner Abgeordneter im Zuge einer eigenen kleinen Medienkampagne den Journalisten wieder einmal von einem seiner Einfälle erzählt hat, aus dem dann höchstwahrscheinlich nicht einmal ein Gesetzentwurf wird. Eigentlich ist das einzige Ziel, das die Abgeordneten damit verfolgen, selbst in die Schlagzeilen zu kommen.

Das sollte man stets im Hinterkopf haben, wenn von Initiativen seitens Abgeordneter in der heutigen Staatsduma die Rede ist. Allerdings sollte der Vorschlag der LDPR-Abgeordneten Michail Degtjarjow, Alexej Didenko und Iwan Sucharew, den Artikel 282 zu streichen, doch ein bisschen – wenn auch nicht wesentlich – ernster genommen werden als die üblichen hanebüchenen Ideen, die aus der Staatsduma kommen.

Nicht etwa, weil es sich um besonders ernstzunehmende Abgeordnete handelt. Aber wir haben es hier mit dem sehr seltenen Fall zu tun, dass eine lange geführte und höchst brisante öffentliche Diskussion eine offizielle Dimension bekommt, und sei es auch nur symbolisch. Und solche Gelegenheiten sollte man beim Schopf packen und die Debatte mit allen Mitteln vorantreiben.

Drei Monate vor den anstehenden Parlamentswahlen sollte man trotz all der offensichtlichen Unzulänglichkeiten bedenken, dass sich die Parteien der Systemopposition ein wenig Populismus leisten können. Außerdem hat die besagte LDPR schon längst den zweifelhaften Ruhm einer Partei, die vom Kreml gelegentlich genutzt wird, um die öffentliche Meinung zu verschiedenen strittigen Fragen zu sondieren.

Das abscheulichste Gesetz des Russischen Strafrechts

Im Erfolgsfall könnte die Abschaffung des Artikels 282 Realität werden. Denn letzten Endes hat der Kreml nicht so viele Optionen, die einerseits einen tatsächlichen Tauwettereffekt hätten und verkantete Schrauben lösen würden, andererseits aber auch nicht als Zugeständnis an jene Kräfte verstanden würden, denen der Kreml nicht gerne Zugeständnisse macht (die so genannten „Liberalen“, „Bolotnaja-Aktivisten“, Fünfte Kolonne usw.). In diesem Sinne erscheint die Initiative der LDPR zumindest durchaus realistisch und realisierbar.

Artikel 282 ist in der Tat das abscheulichste Gesetz des Russischen Strafrechts. Es ist zwar weder der infamste Artikel (dieser Rang sollte dem neuen Artikel 212,1 zuteil werden, bei dem dreimalige Verwaltungshaft zu einem Strafverfahren und Freiheitsentzug führt – wie im Fall des einsitzenden Aktivisten Ildar Dadin) noch betrifft er die Massen (als „volksnah“ gilt Artikel 228 über Erwerb, Besitz, Verbreitung, Herstellung und Weiterverarbeitung von Drogen; auf seiner Grundlage werden Tausende zu Haftstrafen verurteilt; seine Anwendung in der Rechtsprechung lässt auf grenzenlose Missbrauchsmöglichkeiten dieses Artikels seitens der Verurteilenden schließen), und seine Abscheulichkeit lässt sich nicht an den üblichen Kriterien festmachen.

Es gibt sogar ein T-Shirt mit der Zahl 282

Die Zahlenkombination 282 ist sogar denen ein Begriff, die noch nie das Strafgesetzbuch der Russischen Föderation aufgeschlagen haben: Sie ist in aller Munde, gar zu einem Mem geworden, taucht in Politikerreden und Künstlerinterviews auf, und sogar die Buchhandlung Falanster hatte ein T-Shirt mit der Zahl 282 im Angebot.

Die Ablehnung dieses Paragraphen eint Nationalisten, die einst als erste sein repressives Potential kritisierten, mit Linken und Liberalen (wobei es unter den Liberalen auch die verbreitete Auffassung gibt, dass ein solches Gesetz trotz allem notwendig ist und die Probleme, die im russischen Kontext mit diesem Paragraphen verbundenen sind, lediglich durch die falsche Anwendung zustande kommen) – und seit kurzem auch mit LDPR-Abgeordneten.   

Die offizielle Formulierung des Gesetzestextes: „Handlungen, die auf das Schüren von Hass und Feindschaft sowie Erniedrigung von Individuen oder Gruppen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Rasse, ihrer Nationalität, ihrer Sprache, ihrer Herkunft, ihrer Konfession oder ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe gerichtet sind und öffentlich oder mithilfe von Massenmedien oder Informations- und Telekommunikationsnetzwerken begangen werden, einschließlich des Internets […]“ fängt zwar mit dem Wort „Handlungen“ an, impliziert aber keinerlei Handlungen: Eine „Handlung” kann in den Medien oder im Internet einfach nur ein Wort oder ein Bild sein – mehr braucht es nicht.

Artikel gegen „Gedanken-Verbrechen“

Anders gesagt: Paragraph 282 betrifft das menschliche Denken und sieht die strafrechtliche Verantwortlichkeit für bestimmte sprachliche Äußerungen vor. Wie offizielle Gutachten bereits oft gezeigt haben, kann aber jedes Wort beliebig interpretiert werden, und so ist es nur allzu gerechtfertigt, diesen Artikel als Artikel gegen Gedanken-Verbrechen zu bezeichnen: Du hast vielleicht nicht direkt zu etwas aufgerufen, hast es aber impliziert; hier hast du das Gutachten und hier das Urteil, bitte sehr.

Wenn das heutige Russland einen Strafparagraphen hat, der dem sowjetischen Artikel 58 aus der Stalinzeit entspricht, so ist es ebendieser: ein offenkundiger schriftlicher Beleg für die Einschränkung der Meinungsfreiheit im Land.

Die Befürworter des Artikels 282 berufen sich gerne auf die Erfahrung europäischer Länder, in denen Meinungsäußerungen ebenfalls bestraft werden können, vor allem die Leugnung des Holocaust. Dies ist ein bewährter scholastischer Trick der Verfechter, die stets mit Sorgfalt und liebendem Eifer im Ausland nach Analogien zu russischen Niederträchtigkeiten suchen und dabei ignorieren, dass in diesen Ländern Dinge existieren, die in Russland völlig undenkbar wären – zum Beispiel ein unabhängiges Gericht.

Ein Artikel im Schlafmodus, unter Putin zum Leben erweckt

Im Grunde genommen ist die Geschichte des Artikels 282 und seine bisherige Anwendung das beste Argument gegen ihn: Er entstand mit dem ersten postsowjetischen Strafgesetzbuch der Russischen Föderation, das im Übrigen dieser Tage sein 20. Jubiläum hat. In den ersten Jahren blieb der Artikel jedoch im Schlafmodus. Unter Jelzin wurde niemand auf seiner Grundlage verurteilt oder inhaftiert, erst in den frühen Putin-Jahren nach den Ausschreitungen auf dem Manegenplatz (als Fussballfans nach dem Public Viewing eines WM-Spiels Autos und Geschäfte im Moskauer Zentrum zertrümmerten) wurde ein Paket von Anti-Extremismus-Gesetzen verabschiedet und Artikel 282 zum Leben erweckt.

Wie so oft war der erste nach dem Artikel Verurteilte nicht etwa ein bekannter Oppositioneller, sondern die exotisch anmutende Randfigur Witali Tanakow aus der Republik Mari El, der ein Buch aus der Perspektive eines heidnischen Priesters geschrieben hatte, der den christlichen Glauben verleugnet. Tanakow kam vor Gericht und wurde wegen „Schüren von Hass auf die soziale Gruppe russischer Christen“ angeklagt. Wahrscheinlich wäre er dafür auch inhaftiert worden, wenn die Anklage nicht dank seines guten Anwalts ins „Schüren von Hass auf die soziale Gruppe der Angestellten des Kulturministeriums“ abgemildert worden wäre, in deren Folge Tanakow zu 120 Stunden Arbeitsdienst verurteilt wurde.

Bei dem Urteil von 2006 klang „soziale Gruppe der Angestellten des Ministeriums“ noch wie die Pointe eines unlustigen Witzes, aber die weitere lawinenartige Gesetzesanwendung machte den Witz zur Routine.

Auf einmal gab es Prozesse zum Schutz der sozialen Gruppen, der Milizangestellten, der wohlhabenden Bürger, der Fußballfans oder der Gopniks, und der Antifaschist Igor Chartschenko wurde für das Schüren von Hass auf die „soziale Gruppe der Skinheads“ angeklagt.

Der Wahnsinn dauerte bis 2011, als ein Urteil des Obersten Gerichts der breiten Auslegung von sozialen Gruppen Einhalt gebot und den haarsträubenden Urteilen ein Ende setzte.

2011 war eine liberale Zeit: Medwedew war Präsident, die Modernisierung lief, das Tandem Putin-Medwedew zerbrach, das Land versuchte sich von seinen abscheulichsten Eigenschaften zu befreien.

Tauwetter dauert in Russland nie lange

Eine Weile lang diente Artikel 282 als Standart-Dreingabe zur Absicherung (sollte der Hauptanklagepunkt sich zerschlagen) in Verfahren zu tatsächlicher Gewalt; beispielsweise, wenn ein Islamist, der einen Bombenanschlag in Dagestan verübt hatte und zusätzlich in Sozialen Netzwerken zum Mord an Ungläubigen aufrief. Oder wenn ein Moskauer Nazi, der einen Tadschiken niedergestochen hatte, mit Ausgaben von Mein Kampf Handel trieb.

Aber Tauwetterperioden dauern in Russland nie lange. Bereits ab 2012 wurden die Schrauben wieder angezogen. Irgendwann griff der Staat auch in den Sozialen Netzwerken durch und heute wundert es keinen mehr, wenn es für Reposts im Sozialen Netzwerk VKontakte.ru Haftstrafen gibt: Im Dezember vergangenen Jahres hat Oleg Nowoschenin aus Surgut ein Jahr Strafkolonie bekommen, weil er ein Video des ukrainischen Asow-Regiments gepostet hatte. Und erst kürzlich wurde Maxim Kormelizki aus Berdsk zu 15 Monaten Strafkolonie verurteilt. Er hatte auf seiner Seite das traditionelle Eisbaden orthodoxer Christen zum Epiphanias-Fest ironisch kommentiert.

282 als Wurzel allen Übels? Ein Trugschluss

Wie man sieht, kann ein und derselbe Strafrechtsparagraph im Laufe seines 20-jährigen Bestehens zu verschiedenen Zeitpunkten mal Verwendung finden wie am Fließband, mal in Ausnahmefällen, mal auch gar nicht zum Einsatz kommen. Wobei das weniger vom Ausmaß des extremistischen Gedankenguts in der Gesellschaft abhängt, als vielmehr von der aktuellen politischen Konjunktur – wobei dieses Problem nicht nur an einem konkreten, wenn auch abscheulichen Artikel liegt, sondern an der gesamten Rechtsstruktur Russlands.

Die Rechtsprechung nach Artikel 282 ist eine wunderbar eindrückliche Illustration des Prinzips „Das Gesetz ist wie eine Deichsel [wohin man es dreht, dahin weist es – dek]“. (Dieses Sprichwort war in Russland übrigens Gegenstand eines Gerichtsverfahrens, aufgrund der Klage des Innenministeriums von Karelien gegen die Zeitung Sewernye berega  [„Nördliche Ufer“] – wenn auch nicht nach Artikel 282.) Und dieses Prinzip wird sich nicht einfach in Luft auflösen, auch wenn im Russischen Strafgesetzbuch nach Artikel 281 plötzlich gleich Artikel 283 folgen würde.

Die mediale Präsenz des Artikels hat seinen Feinden einen bösen Streich gespielt: Je mehr über diesen Artikel gesprochen wird, umso größer ist der Trugschluss, dass dieser die Wurzel allen Übels sei, und nicht etwa die Rechtswidrigkeit des gesamten russischen Staatsbaus.

Sollte die LDPR es wirklich schaffen, sich diese Schieflage zunutze zu machen und die Abschaffung des abscheulichen Artikels durchzusetzen, wird das eine Sensation. Aber mehr Gerechtigkeit wird es in Russland durch diese Sensation nicht geben.

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LDPR

Ob Jelzin oder Putin, ob Wirtschaftskrise oder Boom – im politischen Russland gibt es seit dem Zerfall der Sowjetunion zwei Kräfte, die dazugehören wie der Weihrauch zur Messe: die Kommunistische Partei und die Liberal-Demokratische Partei Russlands, die LDPR. Ihr Name leitet dabei in die Irre: Von Liberalismus ist seit den frühen 1990er Jahren kaum noch etwas in ihrem Programm zu finden – stattdessen steht sie für Nationalismus, ja offen rechtsradikale Positionen, und für einen starken, zentralisierten Staat. Auch das Etikett demokratisch ist angesichts ihrer extremen Führerfixierung zumindest zweifelhaft: Wladimir Shirinowski ist Gründer, Vorsitzender, Chefideologe und Gesicht der Partei.

Shirinowski bezeichnete die LDPR als „älteste Oppositionspartei Russlands“. Und tatsächlich: alt ist sie, zumindest verglichen mit den meisten anderen politischen Kräften. Ihre Wurzeln hat die LDPR in der Perestroika, als das politische Leben in Russland aufblühte: Zahlreiche Organisationen der demokratischen Opposition gründeten sich, fusionierten und zerstritten sich wieder. Der Staat duldete sie, beließ sie aber in der marginalisierten Halböffentlichkeit. Anders die 1989 gegründete Liberal-Demokratische Partei der Sowjetunion (LDPSU): Von Beginn an medial präsent, registrierte sie der Staat 1991 großzügig trotz formaler Fehler, was einige Beobachter persönlichen Verbindungen Shirinowskis zum KGB zuschreiben.1

erste Wahlerfolge

Im Jahr 1991 schwenkte die LDPR (damals noch LDPSU) auf einen offen nationalistischen Kurs ein, da Jelzin und seine Reformer mit der gängigen demokratisch-marktliberalen Ideologie nur schwer anzugreifen waren.2 So etablierte sich Shirinowski mit Forderungen nach territorialer Expansion, der Wiedereinführung der imperialen Flagge und einem zentralisierten, ethnisch russischen Staat als Vertreter derjenigen, die sowohl vom Kommunismus als auch von dessen Niedergang enttäuscht waren. Diese Position brachte der LDPR zunächst erhebliche Wahlerfolge ein: Im Jahr 1993 wurde sie unerwartet mit 23 Prozent der Stimmen stärkste Kraft im Parlament und sorgte damit für Panik im demokratischen Lager. Ein Großteil des Erfolgs war dabei Shirinowskis Auftreten geschuldet, der sich als dynamischer Gegensatz zu langweiligen Parteifunktionären inszenierte.3

Bedeutung im Parteiensystem

Wenngleich die Wahlergebnisse im Laufe der 1990er zurückgingen und nun zwischen 6 (1999) und 13 Prozent (2016) liegen, ist die LDPR aus dem Parteienspektrum nicht wegzudenken. Dabei nimmt sie eine eigentümliche Position im politischen Machtgefüge ein. Da ist, erstens, ihre Ideologie: Konstanten sind der rechtsradikale Nationalismus und die Forderung nach einer imperialistischen Außenpolitik. Davon abgesehen ist sie programmatisch allerdings flexibel. In einer Umfrage von 2006 waren die Befragten denn auch uneins darüber, ob die LDPR eher marktliberal (35 Prozent) oder für mehr Regulierung sei (28 Prozent), eher für individuelle Freiheit (39 Prozent) oder soziale Gleichheit (24 Prozent) einstehe, und ob sie eher der politischen Führung oder der Opposition angehöre (30 versus 34 Prozent).4 Zweitens also steht die LDPR im Ruf, eine zuverlässige Stütze von Putins Machtarrangement zu sein. Man muss nicht über personelle und finanzielle Verbindungen zwischen Kreml und Parteiführung spekulieren, um diese These zu bestätigen. Denn zwar äußert die LDPR programmatische Kritik am Kurs der Regierungspartei, stimmt aber oft genug für deren Gesetzesprojekte.5 Außerdem spart sie Putin persönlich von ihrer Kritik weitgehend aus und unterstützt damit sein Image als überparteiliche Führungsfigur der nationalen Einheit.

Satellit des Kreml?

Der Politikwissenschaftler Wladimir Gelman bezeichnet die LDPR daher treffend als „Satelliten“ des Kreml: Die Partei ziehe unzufriedene Wähler an und halte sie so davon ab, umstürzlerische Kräfte zu unterstützen. Auch ihre radikale Propaganda gegen Kommunisten wie Liberale ist der Regierung durchaus dienlich.6 Wenngleich die Partei also im politischen System ihre Nische gefunden hat, ist ihre Zukunft ungewiss. Erstens zeigt die Stagnation ihrer Wahlergebnisse, dass es ihr nicht gelingt, ihre Wählerschaft zu verbreitern7 – wobei ihr im Falle einer andauernden ökonomischen Krise das Image als Protestpartei womöglich helfen könnte. Zweitens jedoch ist sie strukturell und inhaltlich derart auf Shirinowski fixiert, dass sie ohne den mittlerweile 70-Jährigen nicht vorstellbar ist. Zwar hat er bereits seinen Sohn Igor Lebedew als Fraktionschef installiert, doch der verfügt nicht über einen Bruchteil von Shirinowskis Charisma. Ob das früher oder später zu erwartende Abtreten Shirinowskis von der politischen Bühne die Gestalt des russischen Parteiensystems nachhaltig verändern wird, muss die Zukunft zeigen.


1.Luchterhandt, Galina (1994): Die Entfesselung der Marionette: Wladimir Schirinowski und seine LDPR, S. 122, in: Eichwede, Wolfgang (Hrsg.): Der Schirinowski-Effekt: wohin treibt Russland?, S. 117-142
2.Golosov, Grigorij (2004): Political parties in the regions of Russia: Democracy unclaimed, Boulder, S. 24
3.Eatwell, Roger (2002): The rebirth of right-wing charisma? The cases of Jean-Marie Le Pen and Vladimir Zhirinovsky, S. 9, in: Totalitarian Movements & Political Religions, 3(3), S. 1-23
4.Wciom.ru: Političeskie Partii: «Idejnyj Portret»
5.Für eine Zusammenfassung der Forderungen in der Finanzkrise 2008/9 siehe March, Luke (2012): The Russian Duma ‘opposition’: no drama out of crisis?, in: East European Politics, 28(3), S. 241-255
6.Gelman, Wladimir (2008): Party Politics in Russia: From Competition to Hierarchy, S. 924, in: Europe-Asia Studies, 60(6), S. 913-930
7.Golosov, Grigorii V. (2014): Co-optation in the process of dominant party system building: the case of Russia, in: East European Politics, 30(2), S. 271-285
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