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Presseschau № 23

Am Dienstag ging nach mehrmonatiger Verhandlung der Prozess gegen die ukrainische Militärpilotin Nadeshda Sawtschenko mit einem Schuldspruch zuende. Und die Ursachen und Hintergründe der tragischen Ereignisse in Brüssel werden auch in Russland diskutiert.

Quelle dekoder

Hartes Urteil. Nach zwei Tagen, an denen Richter Leonid Stepanenko mit monotoner Stimme das Urteil verlas, verurteilte er am Dienstag die ukrainische Militärpilotin Nadeshda Sawtschenko zu 22 Jahren Haft in einer Strafkolonie. Das Gericht sah es nach einem umstrittenen und international kritisierten Verfahren als erwiesen an, dass Sawtschenko verantwortlich für die Ermordung zweier russischer Journalisten im Juni 2014 in der Ostukraine sei. Sie habe deren Aufenthaltsort an das ukrainische Militär weitergegeben und im Anschluss daran illegal die Grenze nach Russland überquert. Dafür muss sie noch zusätzlich eine Geldstrafe in Höhe von 30.000 Rubel (etwa 400 Euro) zahlen. Der Kommersant fasst die wichtigsten Fakten des Verfahrens noch einmal zusammen.

Die 34-jährige Offizierin, Berufssoldatin der ukrainischen Armee und Parlamentsabgeordnete, die als erste Frau die Ausbildung zur Kampfpilotin absolvierte und während des Krieges in der Ostukraine in den Reihen des berüchtigten Freiwilligenbataillons Aidar kämpfte, bezeichnete sich selbst bis zum Schluss als unschuldig. Sie erkenne die Hoheit des Gerichts nicht an, werde deshalb das Urteil auch nicht anfechten, so die Pilotin. Wiederholt nutzte Sawtschenko den Gerichtssaal für ihre politischen Botschaften, zeigte dem Gericht ihren Mittelfinger, sagte Moskau einen Maidan voraus und bezeichnete Putin als Diktator und Russland als totalitäres Regime. Unmittelbar vor der eigentlichen Verkündung des Strafmaßes stimmte sie ein ukrainisches Revolutionslied an, ihre Unterstützer entrollten im Gerichtssaal eine ukrainische Flagge, der Ausruf „Ruhm der Ukraine!“ war zu hören.

Die lange Haftstrafe überrascht nicht. Seit dem Zeitpunkt ihrer Festnahme wird Sawtschenko in den staatsnahen Medien als kaltblütige Tötungsmaschine und „Mörderin“ bezeichnet. Der Korrespondent des kremlnahen Boulevardblattes Komsomolskaja Prawda berichtet über die Geschmacklosigkeit, mit welcher sich anwesende ukrainische Journalisten über ihre ermordeten Kollegen geäußert hätten. Die Verteidigung Sawtschenkos kritisierte jedoch fehlende Beweise und Ungereimtheiten während des Verfahrens. Die Auswertung ihres Mobiltelefons etwa habe klar ergeben, dass sie zum Zeitpunkt des Angriffs, bei dem die beiden Journalisten ums Leben kamen, bereits von prorussischen Separatisten festgehalten wurde. Ein Kämpfer aus Luhansk mit dem Pseudonym Ilim, berichtete vor Kurzem dem in Lettland beheimateten Exilmedium Medusa, er habe Sawtschenko gefangengenommen und sie persönlich Igor Plotnizky, Chef der selbsternannten Volksrepublik Luhansk, übergeben. Vor Gericht wurde er jedoch nicht als Zeuge geladen.

Die Anwälte Sawtschenkos gehen nun davon aus, dass die Verurteilte nach dem Ende des Prozesses im Rahmen eines Gefangenenaustausches an die Ukraine übergeben werden könnte. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sagte, Wladimir Putin habe ihm einen solchen Austausch bereits in Aussicht gestellt. Kreml-Sprecher Dimitri Peskow stellte ein solches Versprechen allerdings in Abrede. Er wisse nichts von einer Absprache zwischen den beiden Präsidenten, so Peskow. Spekuliert wird nun, wie hoch Moskau den Preis für eine Rückkehr Sawtschenkos ansetzt. Kiew fordert einen bedingungslosen Gefangenenaustausch „alle gegen alle“: neben Sawtschenko gehöre dazu unter anderem auch der zu 20 Jahren Lagerhaft verurteilte Regisseur Oleg Senzow. Die Ukraine ist dazu bereit, Moskau Alexander Alexandrow und Jewgeni Jerofejew zu übergeben, die 2015 im Donbass verhaftet wurden. Laut der Ukraine gehören die beiden dem Militärgeheimdienst GRU an, Moskau hat das allerdings nie bestätigt. Eine zweite Theorie wäre laut der kremlkritischen Zeitung Novaya Gazeta, die ein Interview mit einem Sprecher des ukrainischen Geheimdienstes veröffentlichte, dass die Pilotin nur ausgetauscht wird, wenn Russland dafür einen Landweg von Rostow auf die Krim erhält.

Anschlag in Brüssel. Die tragischen Ereignisse in Brüssel vom Dienstag sorgten auch in Russland für Schlagzeilen. Viele Medien richteten während des ganzen Tages einen Liveticker ein, in den Abendnachrichten im Staatsfernsehen war das „barbarische Verbrechen“ die Hauptnachricht. Die Rede war allerdings nicht von Prävention, Integration oder religiöser Toleranz, sondern vielmehr von Aufrüstung, Grenzschließungen und Polizisten in Hightech-Uniformen. Erneut wurde auch Merkels Willkommenskultur kritisiert. Die Bundeskanzlerin verliere die Unterstützung für ihre Flüchtlingspolitik, rechte Kräfte wie Pegida seien auf dem Vormarsch. Mit dem Abkommen zwischen der EU und der Türkei hätte nun der türkische Präsident Erdogan die Entscheidungsgewalt darüber, wer nach Europa gelangt und wer nicht, berichtet der Korrespondent des staatlichen Fernsehens weiter.

Es gab nicht nur  Trauer und Beileidsbekundungen, etwa von Kreml-Chef Putin, sondern russische Politiker versuchten auch, die Tragödie für eigene Zwecke zu nutzen. Die EU müsse nun einsehen, dass ihre Migrationspolitik ein Fehler war, lautete vielfach der Tenor. Die russischen Geheimdienste hätten Belgien vor einem Anschlag gewarnt, hieß es gar auf dem kremlnahen Sender LifeNews. Präsident Putin habe auf der UNO-Vollversammlung für eine internationale Anti-Terrorallianz geworben, der Westen hätte sich dieser aber nicht anschließen wollen, heißt es aus den Reihen russischer Parlamentarier. Das unabhängige kremlkritische Internetfernsehen TV Dozhd hat hier einige Aussagen gesammelt. Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, warf dem Westen doppelte Standards vor. Mit Verweis auf Syrien meinte sie, man könne nicht zwischen guten und bösen Terroristen unterscheiden. In der Staatsduma sprach sich Wladimir Shirinowski, Parteichef der LDPR, gegen eine Schweigeminute für die Opfer aus. Darauf wies Parlamentssprecher Sergej Naryschkin ihn mit den Worten zurecht, der Westen würde liebend gerne über Humanismus und moralische Werte reden. Für Russland seien das aber nicht nur Worte, deshalb die Gedenkaktion im Parlament, sagte Naryschkin weiter.

Terrorexport. Die Gefahr von Anschlägen bleibt aber auch in Russland bestehen, kämpfen doch laut dem FSB 2900 Russen in den Reihen des Islamischen Staates. Eine aktuelle Studie der International Crisis Group (ICG) kommt zu dem Schluss, dass von Seiten der russischen Politik gezielt versucht worden ist, die eigenen Terroristen zu „exportieren“. Vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 wurde der Druck auf den islamistischen Untergrund in Russland verstärkt, viele Extremisten seien darauf nach Syrien oder in den Irak gereist, kommentiert Vedomosti. Russisch sei zur drittwichtigsten Fremdsprache im IS geworden, erzählt Jekaterina Sokirijanskaja von der ICG im Interview mit der kremlkritischen Novaya Gazeta. Kämpfer aus Russland würden innerhalb der Terrormiliz hohe Positionen bekleiden. Von ihnen könnte nach ihrer Rückkehr Gefahr ausgehen, oder sie aktivieren ihre Anhänger, so die Expertin weiter.

Beatrice Bösiger aus Moskau für dekoder.org

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Blat-Korruption

Die Wortherkunft ist unklar. Das Wort blat bezeichnet die Möglichkeit, knappe Güter, Dienstleistungen oder Positionen auf inoffiziellen Umwegen zu erhalten – z. B. durch Beziehungen oder Tauschnetzwerke. Die adjektivierte Form blatnoi wird heutzutage hauptsächlich als Attribut der kriminellen Welt verwendet.

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Krieg im Osten der Ukraine

Bei dem bewaffneten Konflikt im Osten der Ukraine beziehungsweise im Donbass handelt es sich um einen Krieg, der von seit April 2014 zwischen ukrainischen Streitkräften und Freiwilligenbataillonen auf der einen Seite sowie separatistischen Milizen der selbsternannten Volksrepubliken von Donezk und Luhansk (DNR und LNR) und russischen Soldaten auf der anderen Seite geführt wurde. Am 24. Februar 2022 befahl Putin den Angriff auf das Nachbarland – aus dem verdeckten ist ein offener Krieg geworden.

Die zentralen Vorgänge, die den Krieg in der Ostukraine bis dahin geprägt hatten: Vorgeblich ging es dabei um die Gebietshoheit der beiden ostukrainischen Verwaltungsbezirke Donezk und Luhansk – dem sogenannten Donbass, der zu etwa einem Drittel nicht unter Kontrolle der ukrainischen Regierung ist. In der Ukraine sowie in der Europäischen Union ist man bis heute überzeugt, dass Russland die Separatisten immer finanziell, personell und logistisch unterstützt hat. Demnach hat Russland den Donbass vor allem als Instrument genutzt, um die Ukraine langfristig zu destabilisieren und somit gleichzeitig kontrollieren zu können. Russland hatte eine militärische Einflussnahme und Destabilisierungsabsichten stets bestritten.

Die Entstehung des Krieges und wie die EU und die USA mit Sanktionen darauf in dem jahrelangen Konflikt reagiert hatten – ein Überblick. 

Nachdem Ende Februar 2014 der ukrainische Präsident Janukowytsch im Zuge der Maidan-Proteste gestürzt wurde, russische Truppen kurze Zeit später die Krim okkupierten und die Annexion der Halbinsel auf den Weg brachten, ist die Situation im Donbass schrittweise eskaliert.

Zunächst hatten pro-russische Aktivisten im April 2014 Verwaltungsgebäude in mehreren ostukrainischen Städten besetzt. Forderungen, die hier artikuliert wurden, waren diffus und reichten von mehr regionaler Selbstbestimmung bis hin zur Unabhängigkeit von der Ukraine und einem Anschluss an Russland.

Während sich in Charkiw die Situation nach der polizeilichen Räumung der besetzten Gebietsverwaltung rasch entspannte, kam es in Donezk und Luhansk zur Proklamation eigener Republiken. Parallel wurden Polizeistationen und Gebäude des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes gestürmt sowie dortige Waffenarsenale gekapert. Wenige Tage später traten in der Stadt Slowjansk (Donezker Verwaltungsbezirk) unter dem Kommando des russischen Geheimdienstoberst Igor Girkin erste bewaffnete „Rebellen“ in Erscheinung. Girkin, der bereits zuvor an Russlands Okkupation der Krim beteiligt gewesen war und zwischen Mai 2014 und August 2014 als Verteidigungsminister der DNR fungierte, behauptete später, dass der Krieg im Donbass mitnichten aus einem Aufstand russischsprachiger Bewohner der Region resultierte. Er betonte indes, dass dieser „Aufruhr“ ohne das Eingreifen seiner Einheit schnell zum Erliegen gekommen wäre.1

Eskalation

Tatsächlich begannen die bewaffneten Kampfhandlungen in dem von Girkins Einheit besetzten Slowjansk. Um die Stadt zurückzugewinnen, startete die ukrainische Regierung eine „Anti-Terror-Operation“ mit Beteiligung der Armee. Während die Separatisten in den von ihnen kontrollierten Orten des Donbass im Mai 2014 sogenannte Unabhängigkeitsreferenden durchführen ließen, weiteten sich in der Folgezeit die Gefechte zwischen ukrainischen Streitkräften und Freiwilligenverbänden auf der einen und den Separatisten auf der anderen Seite stetig aus.

In deutschsprachigen Medien und in der internationalen Diplomatie wurde seither häufig von einer „Krise“ oder einem „Konflikt“ gesprochen. Tatsächlich erreichte die militärische Eskalation unter quantitativen Aspekten, die sich auf eine bestimmte Anzahl von zivilen und nicht-zivilen Opfern pro Jahr beziehen, bereits 2014 den Zustand eines Krieges.2 Auch unter qualitativen Gesichtspunkten erfüllte der bewaffnete Konflikt ab 2014 sämtliche Merkmale eines Krieges, wie ihn beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg definiert3.

Neben der Involvierung russischer Freischärler und Söldner4 mehrten sich im Verlauf der kriegerischen Auseinandersetzungen Berichte über großkalibrige Kriegsgeräte, die den von den Separatisten kontrollierten Abschnitt der russisch-ukrainischen Grenze passiert haben sollen.5 Hierzu soll auch das Flugabwehrraketensystem BUK gehören, mit dem nach Auffassung des internationalen Ermittlungsteams das Passagierflugzeug MH17 im Juli 2014 über Separatistengebiet abgeschossen wurde.6 Reguläre russische Streitkräfte sollen indes ab August 2014 erstmalig in das Geschehen eingegriffen haben, nachdem die ukrainische Seite zuvor stetige Gebietsgewinne verbuchen und Städte wie Kramatorsk, Slowjansk, Mariupol und Awdijiwka zurückerobern konnte.7

Die EU verhängte im Sommer 2014 aufgrund der „vorsätzlichen Destabilisierung“8 der Ukraine weitreichende wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland. Russland stritt eine Kriegsbeteiligung eigener regulärer Soldaten jedoch stets ab: So hätten sich beispielsweise Soldaten einer russischen Luftlandlandedivision, die in ukrainische Gefangenschaft geraten waren, nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums verlaufen und die Grenze zur Ukraine nur  aus Versehen überquert.9 Die russische Menschenrechtsorganisation Komitee der Soldatenmütter Russlands indes beziffert die Zahl russischer Soldaten, die im Spätsommer 2014 auf ukrainischem Territorium im Einsatz gewesen seien, mit rund 10.000.10

Einen Wendepunkt des Kriegsverlaufs stellte schließlich die Schlacht um die ukrainische Kleinstadt Ilowajsk dar, bei der die ukrainische Seite im September 2014 eine herbe Niederlage erfuhr und mehrere hundert gefallene Soldaten zu beklagen hatte.11

Die ukrainische Regierung hat die NATO mehrfach vergeblich um Waffenhilfe gebeten. Allerdings legte die NATO spezielle Fonds an, die zu einer Modernisierung der ukrainischen Streitkräfte beitragen sollen. Diese Fonds dienen unter anderem der Ausbildung ukrainischer Soldaten, der Verbesserung von Kommunikationsstrukturen, der Stärkung von Verteidigungskapazitäten im Bereich der Cyberkriegsführung sowie der medizinischen Versorgung von Soldaten.12 Darüber hinaus erhält die Ukraine Unterstützung in Form von sogenannter nichttödlicher Militärausrüstung wie Helmen und Schutzwesten, Funkgeräten und gepanzerten Geländewagen, unter anderem von den USA.13 

Verhandlungen

Die zunehmende Eskalation des Krieges brachte eine Intensivierung internationaler Vermittlungsbemühungen mit sich. Bereits im März 2014 hatte der Ständige Rat der OSZE eine zivile Sonderbeobachtermission für die Ukraine beauftragt und wenig später eine trilaterale Kontaktgruppe zwischen der Ukraine, Russland und der OSZE ins Leben gerufen. Auf Ebene der Staats- und Regierungschefs etablierte sich das sogenannte Normandie-Format zwischen der Ukraine, Russland, Deutschland und Frankreich. Im September 2014 machte es die Unterzeichnung des sogenannten Minsker Protokolls durch die OSZE-Kontaktgruppe möglich.

Nach anhaltenden Kämpfen, vor allem um den Flughafen von Donezk sowie die Stadt Debalzewe, kam es im Februar 2015 zu einem erneuten Zusammentreffen des Normandie-Formats in Minsk. Im Minsker Maßnahmenpaket (Minsk II) konkretisierten die Parteien sowohl einen Plan zur Entmilitarisierung als auch politische Schritte, die zur  Lösung des Konflikts beitragen sollten.

Das Maßnahmenpaket umfasst dreizehn Punkte, die schrittweise unter Beobachtung der OSZE umgesetzt werden sollen. Hierzu gehört der Waffenstillstand sowie der Abzug schwerer Kriegsgeräte und sogenannter „ausländischer bewaffneter Formationen“. Außerdem soll in der ukrainischen Verfassung ein Sonderstatus für die Separatistengebiete verankert werden. Nicht zuletzt sieht das Maßnahmenpaket vor, dass Kommunalwahlen in diesen Gebieten abgehalten werden. Außerdem soll die ukrainisch-russische Grenze wieder durch die ukrainische Regierung kontrolliert werden.14

Entwicklung seit Minsk II

Auch unmittelbar nach der Unterzeichnung des Minsker Abkommens hielten jedoch vor allem in Debalzewe heftige Gefechte an, bis die Stadt schließlich wenige Tage später unter die Kontrolle der Separatisten fiel. Auch hier soll – wie bereits zuvor in Ilowajsk – reguläres russisches Militär massiv in das Kriegsgeschehen eingegriffen haben.15 Erst nach dem Fall von Debalzewe nahmen die Kampfhandlungen ab. Zu Verletzungen der Waffenruhe, Toten und Verletzten entlang der Frontlinie kam es seither dennoch beinahe täglich.16 Dies macht eine Umsetzung des Minsker Maßnahmenpakets bis heute unmöglich.

Schwere Gefechte mit dutzenden Toten brachen zuletzt rund um die Stadt Awdijiwka aus. Awdijiwka, das im Sommer 2014 von ukrainischer Seite zurückerobert wurde und dem Minsker Protokoll entsprechend unter Kontrolle der ukrainischen Regierung steht, hat als Verkehrsknotenpunkt sowie aufgrund der dort ansässigen Kokerei eine besondere strategische und ökonomische Bedeutung. Die Stadt ist in der Vergangenheit immer wieder unter Beschuss geraten.17 Im Januar 2017 kam es dort auch zur Zerstörung kritischer Infrastruktur: Dabei fielen in der Stadt bei Temperaturen von unter minus 20 Grad mehrere Tage die Strom-, Wasser- und Wärmeversorgung aus. Allein am 31. Januar 2017 berichtete die Sonderbeobachtermission der OSZE von mehr als 10.000 registrierten Explosionen – die höchste von der Mission bisher registrierte Anzahl an Waffenstillstandsverletzungen.18

Laut Schätzungen der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2019 sind seit Beginn des Krieges im Donbass rund 13.000 Menschen gestorben. Die Anzahl der Verletzten beziffern die Vereinten Nationen mit über 24.000. Bei mehr als 2000 Todesopfern sowie etwa 6000 bis 7000 Verletzten handelt es sich um Zivilisten.19 Menschenrechtsorganisationen geben zudem an, etliche Fälle von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen dokumentiert zu haben.20 Im November 2016 erklärte die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag, dass Anzeichen für einen internationalen bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine vorliegen.21 Die russische Regierung zog daraufhin ihre Unterschrift unter dem Statut des ICC zurück. 

Neben tausenden Toten und Verletzten hat der Krieg auch zu enormen Flüchtlingsbewegungen geführt. Das ukrainische Ministerium für Sozialpolitik registrierte bis Mitte 2016 über 1,6 Millionen Binnenflüchtlinge; das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen geht in seinen eigenen Berechnungen derweil von 800.000 bis einer Million Binnenflüchtlingen aus.22 Daneben haben knapp 1,5 Millionen Ukrainer seit Ausbruch des Krieges Asyl oder andere Formen des legalen Aufenthalts in Nachbarstaaten der Ukraine gesucht. Nach Angaben russischer Behörden sollen sich rund eine Million Ukrainer in der Russischen Föderation registriert haben.23


1.vgl.: Zavtra.ru: «Kto ty, «Strelok»?» und Süddeutsche Zeitung: „Den Auslöser zum Krieg habe ich gedrückt“
2.vgl. University of Uppsala: Uppsala Conflict Data Program
3.vgl. Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg: Laufende Kriege
4.Neue Zürcher Zeitung: Nordkaukasier im Kampf gegen Kiew
5.The Guardian: Aid convoy stops short of border as Russian military vehicles enter Ukraine sowie Die Zeit: Russische Panzer sollen Grenze überquert haben
6.vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Minutiös rekonstruiert
7.Für eine detaillierte Auflistung der im Krieg in der Ukraine involvierten regulären russischen Streitkräfte siehe Royal United Services Institute: Russian Forces in Ukraine
8.vgl. europa.eu: EU-Sanktionen gegen Russland aufgrund der Krise in der Ukraine
9.vgl. tass.ru: Minoborony: voennoslzužaščie RF slučajno peresekli učastok rossijsko-ukrainskoj granicy
10.vgl. TAZ: Es gibt schon Verweigerungen
11.vgl.Frankfurter Allgemeine Zeitung: Ein nicht erklärter Krieg
12.vgl. nato.int: NATO’s support to Ukraine
13.vgl. Die Zeit: US-Militärfahrzeuge in Ukraine angekommen
14.vgl. osce.org: Kompleks mer po vypolneniju Minskich soglašenij
15.vgl. ViceNews: Selfie Soldiers: Russia Checks in to Ukraine
16.vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Wer bricht den Waffenstillstand?
17.vgl. Die Zeit: Wo Kohlen und Geschosse glühen
18.osce.org: Latest from the OSCE Special Monitoring Mission to Ukraine (SMM), based on information received as of 19:30, 31 January 2017
19.vgl.: Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: Report on the human rights situation in Ukraine: 16 August to 15 November 2016
20.vgl. Helsinki Foundation for Human Rights/Justice for Peace in Donbas: Surviving hell - testimonies of victims on places of illegal detention in Donbas
21.vgl. International Criminal Court/The Office of the Prosecutor: Report on Preliminary Examination Activities 2016
22.vgl. unhcr.org: Ukraine
23.vgl. unhcr.org: UNHCR Ukraine Operational Update
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Donezker Volksrepublik

Die Donezker Volksrepublik ist ein von Separatisten kontrollierter Teil der Region Donezk im Osten der Ukraine. Sie entstand im April 2014 als Reaktion auf den Machtwechsel in Kiew und erhebt zusammen mit der selbsternannten Lugansker Volksrepublik Anspruch auf Unabhängigkeit. Seit Frühling 2014 gibt es in den beiden Regionen, die eine zeitlang Noworossija (dt. Neurussland) genannt wurden, Gefechte zwischen den Separatisten und der ukrainischen Armee.

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Grüne Männchen

Als kleine grüne Männchen, manchmal auch höfliche Menschen, werden euphemistisch die militärischen Spezialkräfte in grünen Uniformen ohne Hoheitsabzeichen bezeichnet, die Ende Februar 2014 strategisch wichtige Standorte auf der Krim besetzt haben. Bestritt Moskau zunächst jegliche direkte Beteiligung und verwies auf „lokale Selbstverteidungskräfte“, so gab Präsident Putin später zu, dass es sich dabei um russische Soldaten gehandelt hat. Die grünen Männchen sind inzwischen zu einem kulturellen Symbol geworden.

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