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„Sklave sein – das ist nicht der beste Vibe fürs Leben”

Seit dem Jahr 2020 ist nichts mehr, wie es war in Belarus. Das Regime von Alexander Lukaschenko reagierte auf die historischen Massenproteste mit einer Brutalität, die selbst für belarussische Verhältnisse eine neue Dimension erreichte. Rund 60.000 Menschen wurden festgenommen, über 2000 NGOs und Parteien liquidiert und verboten, immer noch befinden sich fast 1200 politische Gefangene in den Gefängnissen und Lagern des Regimes, die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Bis zu 600.000 Menschen flüchteten aus ihrer Heimat. Noch immer fahndet der KGB nach Protestteilnehmern, fast täglich kommt es zu Festnahmen

Warum sind viele trotz der brutalen Staatsgewalt im Land geblieben? Wie lebt man unter einem derart repressiven Regime? Wie blicken die Menschen auf die Proteste von 2020? Welche Hoffnungen haben sie? Die Journalistin Mascha Rodé hat in Zusammenarbeit mit belarussischen Kollegen und Kolleginnen vor Ort mit vier Protestteilnehmern gesprochen.  

Recherche und Umsetzung des Projekts wurden von der Marion Dönhoff-Stiftung unterstützt. dekoder veröffentlicht die Interviews, die seltene Einblicke in das Seelenleben der Menschen in Belarus und in die Lage im Land selbst zulassen, in zwei Teilen.  

Quelle dekoder

„Du passt dich an und lebst hier. Oder du gehst weg, wenn du nicht bereit bist, dich damit abzufinden” 

Iwan – während der Proteste Teenager, heute 22 Jahre alt. 

Abgekratzter Pahonja-Sticker, dem Staatswappen von Belarus von 1991—1995, an der Haustür eines Wohnhauses. Die Darstellung dieses Wappens wird in Belarus mit hohen Geld- oder Ordnungshaftstrafen geahndet. Kommunale Behörden entfernen jegliche in Zusammenhang mit dem Protest stehenden Abbildungen oder Aufschriften, Februar 2023 / Foto © privat

Kannst du dich an 2020 erinnern? Mir scheint, dass viele Schüler damals die Proteste anders wahrgenommen haben als Erwachsene. Für sie ist das alles jetzt eher abstrakt. Als wären die Proteste nicht ihre eigene Geschichte. Sie kommen mit all dem gut klar. Siehst du das auch so? 

Das hat viel mit der emotionalen Reife zu tun, die jeder zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt erlangt. Ich bin früh erwachsen geworden und habe bereits mit 16 Jahren realisiert, dass etwas in unserem Land nicht stimmt. Darum haben mich die Ereignisse von 2020 nicht enorm überrascht. Gewundert habe ich mich allerdings, wie das Ganze ausgegangen ist. Ich dachte 2020, da würde das Schlimmste passieren. Doch dann kam das Jahr 2022 und mir wurde klar, dass es im Leben noch viel schlimmere Erschütterungen gibt.

Ich kenne viele, die das Land verlassen haben. Mindestens zehn aus meinem Bekanntenkreis. Ein solch erwachsenes Leben zu führen, dazu war ich nicht bereit, darum bin ich nicht weggegangen. Ich habe beschlossen, zunächst in Belarus zu bleiben und zu versuchen, hier etwas zu erreichen, hier all mein Potential zu investieren. Und erst später auszuwandern. 

Hattest du darüber nachgedacht, das Land zu verlassen? 

Ich denke immer wieder daran. Früher waren die Ereignisse noch frisch in Erinnerung, alles hat mich getriggert und überall sah ich reale Gefahren. Mit der Zeit verblassen die schlimmen Erinnerungen und werden weniger präsent. Doch dann wird immer wieder jemand verhaftet, den zu kennst. Oder ein Unternehmen wird geschlossen. Und du denkst nur: Oh oh, halt, stopp, alles geht weiter, es ist keineswegs vorbei. Du fragst dich: Sollte ich vielleicht doch weggehen? Vielleicht ist es sinnlos, hier deine Zukunft aufzubauen. Wozu mache ich hier meine Ausbildung oder baue ein Unternehmen auf, wenn das jeden Moment einfach vorbei sein kann? Ich wache eines Tages auf, und alle meine Bemühungen sind zunichte gemacht. Vielleicht gibt es keinen Anlass, aber da ist diese Sorge, die man ständig spürt.  

Belarus komplett abschreiben, das möchte ich nicht.

Privates Unternehmertum wird bei uns Stück für Stück abgewürgt. Die Tendenz geht dahin, so viele Bürger wie möglich in staatlichen Institutionen oder Fabriken zu beschäftigen. Um sie besser zu kontrollieren zu können und sie abhängiger vom Staat zu machen. Denn wie sich gezeigt hat, fangen Menschen, die es sich leisten können, am Morgen nicht zur Arbeit zu gehen, an, sich für Dinge zu interessieren, die jenseits vom täglich Brot oder Stück Fleisch liegen. Wenn ein Angestellter nicht ein Haufen Kredite abzahlen und nicht für eine schwangere Frau und fünf Kinder sorgen muss, kann er sagen: Wissen Sie was, Herr Chef, ich kündige. Solche Menschen sind immer unbequem, man muss ihre Meinung berücksichtigen.  

Bist du so ein Mensch? 

Ich versuche zumindest, unabhängig zu sein. Meiner Ansicht nach ist es das Wichtigste im Leben. Ein Sklave sein – das ist nicht der beste Vibe fürs Leben, finde ich. Mir liegt er jedenfalls nicht. 

Was hält dich hier fest? 

Leider, man kann aber auch sagen, zum Glück, habe ich hier nette Menschen kennengelernt. Mich halten die Menschen fest, die Natur, die Heimatliebe. Das klingt pathetisch. Aber ich war bereits im Ausland und weiß, wie es in anderen Ländern aussieht. Mir ist klar, dass es nirgends ein perfektes Leben gibt. Alles beginnt mit dir selbst. Belarus komplett abschreiben, das möchte ich nicht. 

Hattest du im Jahr 2020 das Gefühl, dass alles gelingen könnte? 

Menschen legen es immer darauf an, das Beste zu hoffen. Objektiv gesehen, hatten wir aber von Anfang an keine Chance. Ich wollte damals Veränderungen im Land und habe meine Unterschrift für Babariko gesetzt. Nicht für Sergei Tichanowski, da mir seine radikale Haltung nicht gefallen hat. Ich mochte eher den cleveren Ansatz von Babariko. Er war offen für eine Kooperation mit Russland, allerdings für eine gerechtere  und gleichberechtigte. Und er hat gleichzeitig den Dialog mit dem Westen angestrebt.  

Wenn ich damals aber mehr Ahnung von den historischen Prozessen in Russland und in unseren Ländern in den letzten 300 Jahren gehabt hätte, hätte ich Babariko vermutlich keine Unterschrift gegeben. Denn eine intensivere Annäherung an Russland, die ist unvermeidlich. Russland hat, wie jedes Imperium, eine Einflusszone. Darum war der Kriegsbeginn im Jahr 2022 kein Schock für Menschen, die die Prozesse seit längerem beobachtet hatten. Es war eine neue Etappe. 

Warum glaubst du das? 

Die Belarussen sind friedvolle und ruhigere Menschen, für uns ist es nicht so wichtig, für den eigenen Standpunkt zu kämpfen. Die Ukrainer sind anders, sie sind ein stolzes und eigenwilliges Volk, das es leider nun voll abbekommen hat. Sie werden zum Opfer im Kampf zwischen zwei Hemisphären, dem globalen Osten und globalen Westen.  

Könnten wir an ihrer Stelle stehen? 

Wenn wir das gleiche Temperament hätten, ja. Wir sind leider, oder zum Glück, anders. Man kann uns als listiger oder als eingeschüchterter, schwächer bezeichnen. Aber der Großteil unserer Bevölkerung sind nun mal keine Kämpfer. Darum wurde Belarus nicht zum Schauplatz des Kampfes zwischen den zwei Welten.  

Es gibt hierzulande viele Menschen, für die Russland näher ist als der Westen. Besonders im Osten von Belarus. Viele sehen vor allem im Privaten ihr Glück. Es juckt sie nicht, in welchem System sie leben. Für sie ist das Wichtigste, dass sie in Ruhe gelassen, ihr Geld nicht von den Konten eingezogen und ihre Autos nicht beschlagnahmt werden.  

Triffst du oft solche Menschen? 

Ja, es gibt sehr viele davon. Gleichzeitig gibt es auch eine beträchtliche Anzahl Belarussen, die sich nicht nur egoistisch um ihr privates Glück kümmern, sondern auch um die Geschichte, um das Schicksal ihres Landes. Für sie ist es wichtig, dass wir Belarussen ein unabhängiges Volk sind.  

Grab von Roman Bordarenko, des auf dem Platz des Wandels (Ploschtscha Peremen) getöteten Aktivisten. Anlässlich von Raduniza, dem Tag des Totengedenkens am zweiten Dienstag nach Ostern, geschmückt mit weißen und roten Kunstblumen. Das Grab wurde an diesem Tag von Zivilpolizisten bewacht, man hatte Angst sich zu nähern, da es schien, man würde sofort festgenommen. Dennoch tauchten Blumen auf. Kurz darauf wurde die improvisierte Gedenkstelle entfernt, April 2023 / Foto © privat 

Verfolgst du bestimmte Überlebensregeln? 

Klar, ich habe solche Regeln. Wenn du in Belarus lebst und mit etwas nicht einverstanden bist, passt du dich entweder an oder du verlässt das Land. Es gibt diese zwei Möglichkeiten. Sich anpassen bedeutet, dass du deine Meinung für dich behältst. Wenn du ein Problem damit hast, gehst du weg, wie viele Belarussen es getan haben. Doch einige sind hier geblieben, zum Beispiel, wegen ihrer kranken Angehörigen. Warum sollen sie ihre Eltern allein lassen und weggehen, wenn Belarus ihr Zuhause ist? Sie haben das Recht so zu denken. Keiner kann ihnen einen Vorwurf machen und vorhalten, dass die echten Belarussen weggefahren seien und nur die schlechten bleiben würden.     

Findest du diese Rhetorik nicht okay?

Ich mag diese Rhetorik nicht. Ich kenne zum Beispiel viele Ärzte, die geblieben sind, um für ihre Patienten da zu sein. Soll ein guter Arzt aus einem regionalen Krankenhaus weggehen, um jemandem etwas zu beweisen? Er rettet täglich Leben, im Unterschied zu euch, die ihr weg seid und euren Protest vom Ausland aus weiter manifestiert. Mehr macht ihr für dieses Land nicht. Dagegen gibt es Menschen, die hier jeden Tag „an der Front“ sind und andere Menschen retten. Man darf ihnen nicht vorwerfen, dass sie in Belarus geblieben sind. Ich teile nicht die Meinung mancher radikalen Oppositionellen, dass alle Belarus verlassen sollen und das Land krepieren soll. 

Ich habe großes Mitleid mit den Menschen, die gelitten haben oder sogar gestorben sind.

Wenn im Jahr 2020 alles geklappt hätte, hätten wir möglicherweise die gleiche Situation wie in der Ukraine. Oder vielleicht wäre bei uns alles gut gelaufen. Wir wissen es nicht. Hätte es sich gelohnt, 100.000 Opfer in Kauf zu nehmen, um ein unabhängiger Staat zu werden? Oder 30.000? Seid ihr bereit, mit dem Leben eurer Mitbürger, eurer Angehörigen, oder auch mit ihrem Eigentum dafür zu bezahlen? Diese Frage muss man sich ehrlich beantworten. Wenn die Antwort „nein“ lautet, dann habt ihr kein Recht, Vorwürfe an die anderen zu machen. Der Preis kann sehr hoch sein. So hoch, dass es wahrscheinlich besser wäre, wenn nichts anders wäre, als es war.  

Meinst du also, dass es besser gewesen wäre, gar nicht erst etwas zu versuchen? 

Nein, ich sage, dass man es auf jeden Fall zeigen soll, wenn man nicht einverstanden ist. Nur haben die Menschen nicht erwartet, dass es zu solchen Ereignissen führen würde. Keiner hat damit gerechnet, dass die Verfolgung so hart wird. Der Sicherheitsapparat hat grünes Licht für Repressionen ohne jegliche Einschränkungen bekommen. 

Ich habe großes Mitleid mit den Menschen, die gelitten haben oder sogar gestorben sind. Die in den Gefängnissen zugrunde gehen. Manche haben lange Haftstraffen bekommen, ihr Leben ist zerstört. Und das nur, weil sie gesagt haben, dass sie nicht einverstanden sind. Und leider wird dir klar, dass du jederzeit an ihrer Stelle sein könntest. Selbst wenn du jetzt mit allem mitgehen kannst, aber in Zukunft wagst, etwas zu kritisieren, dann kann es dir genauso ergehen. Darüber musst du dir im Klaren sein, wenn du hier lebst. Du musst dich an diese Lebensbedingungen anpassen. Du passt dich an und lebst hier. Oder du gehst weg, wenn du nicht bereit bist, dich damit abzufinden.  


„Hierzulande gibt es viele Mensche, die glauben, mit ihrer Einstellung allein oder in der Minderheit zu sein” 

Marina – Mutter von vier Kindern; war wegen der Protestteilnahme im Gefängnis, 42 Jahre alt. 

Oktjabrskaja Ploschtschad (Oktoberplatz) in Minsk kurz vor der 7. Allbelarussischen Volksversammlung, April 2024 / Foto © privat 

Was muss man in Belarus als Regimegegner berücksichtigen, um im Land zu überleben? Der Druck ist gewachsen. Was hat sich in deinem Verhalten seit 2020 verändert? 

Na ja, ich trage noch immer weiß-rote Kleidung. Mir ist klar, dass das ein Risiko birgt. Meine Bekannten fragen mich öfters, „Machst du das mit Absicht?“. Ich entgegne: „Ja, mit Absicht.“ Aber ein rot-weiß-rotes Bändchen sichtbar zu tragen, das wage ich nicht. Für ein rot-weiß-rotes Bändchen ohne Muster kann man im Gefängnis landen. Wenn ein Muster darauf ist, geht das aber wiederum. 

Warum? Was ist der Unterschied? 

Für ein weiß-rot-weißes Bändchen riskiert man ein Strafverfahren. Ein Bändchen mit Ornament ist aber nicht direkt verboten, obwohl es natürlich auch ein Zeichen ist. Wenn man mich fragt „Hast du keine Angst, mit diesem Outfit auf die Straße zu gehen?“, sage ich: „Was ist das Problem? Ich habe nunmal einen weißen Rock und eine weiße Bluse. Und dazu passen eben die roten Sneakers.“ 

Warum ist es dir wichtig, dich so zu kleiden? Deine Bekannten sagen dir ja nicht umsonst, dass es ein Risiko ist. 

Hierzulande gibt es viele Mensche, die glauben, mit ihrer Einstellung allein oder in der Minderheit zu sein. Sie haben niemanden in ihrer Umgebung, der ihre Meinung teilt. Ich möchte zum Ausdruck bringen, dass sie eben nicht allein sind. Ähnlich wie in den Eltern-Chats in der Schule meiner Kinder, ich schreibe dort auf Belarussisch und spreche Belarussisch bei den Elternabenden. Oft kommen zu mir danach andere Eltern und sagen: Wir sprechen auch Belarussisch, wir haben Chats, wo wir uns nur auf Belarussisch austauschen. Sie sprechen mich zwar nur leise an, aber sie sagen, dass sie sich nicht mehr allein fühlen. Ich denke, dass ich anderen durch meine Kleidung ein Hoffnungszeichen gebe, dass es noch immer Menschen mit unseren Ansichten in diesem Land gibt, wir sind nicht weg und wir sind mehr als eine Hand voll.  

Für unsere Enkel wird es wichtig sein zu wissen, dass wir nicht nur wir schweigend herumgesessen haben. 

Hast du in diesen fünf Jahren immer damit gerechnet, dass man dich verhaftet? 

Es gab mehrere Verhaftungswellen, bei denen Menschen aus meinem engeren Bekanntenkreis betroffen waren. Ich wusste, dass mein Kontakt in ihren Handys gespeichert ist. Ich habe mich schon gefragt, was ist, wenn die Ermittler alle Kontakte der Reihe nach prüfen. Doch ich kann mir nicht vorstellen, dass wir alle festgenommen werden. Es haben so viele Menschen protestiert! Sie alle zu identifizieren, ist gar nicht möglich. Nicht alle Teilnehmer der Proteste sind auf den Fotos zu sehen, manche waren vorsichtig und haben damals schon Vorsichtsmaßnahmen getroffen.   

Hast du all deine Fotos von den Protestmärschen gelöscht oder versteckst du sie noch? 

Manches habe ich gelöscht, manches versteckt, manches liegt in der Cloud. Ich glaube, oder genau gesagt hoffe ich, dass es irgendwann möglich sein wird, all diese Fotos rauszuholen. Vielleicht nicht wir, aber unsere Kinder werden unseren Enkeln erzählen, was hier passiert ist. Ich denke, dass es für unsere Enkel wichtig sein wird zu wissen, dass wir nicht nur rumgesessen und unser Leben vergeudet haben. Dass wir nicht schweigend herumgesessen haben und dass das Leben weitergegangen ist.  

Wir sitzen aber gerade ziemlich rum. 

Das scheint vielleicht so. Aber einiges findet weiterhin statt.  

Es gibt also noch immer ein Leben unterm Radar

Ja, das gibt es. Es werden Bücher veröffentlicht, manche Menschen führen mit Bedacht Blogs oder organisieren Veranstaltungen, wenn auch keine öffentlichen.  

Das alles ist aber ein Risiko? 

Ja, das ist ein Risiko. Aber dadurch bekommt das Leben einen Sinn.  

Was hat sich in der Schule seit 2020 geändert? 

Als meine ältere Tochter in der 5. oder 6. Klasse war, konnte sie auf Schulkonzerten noch Lieder von Lavon Volski singen. Als wir uns jetzt auf die Abi-Abschlussfeier vorbereitet haben, mussten wir jedes Lied und gar jedes einzelne Wort darin genehmigen lassen. Lieder auf Englisch sind verboten. Du fragst dich: Warum? Wozu lernen die Kinder in der Schule Englisch, wenn sie keine englischen Lieder bei einer Tanzvorführung auf einem Schulkonzert verwenden dürfen? 

Gibt es Selbstzensur bereits bei den Kindern? 

Mein kleinstes Kind kennt zwar noch keine Selbstzensur. Aber in der Kita gibt es Staatssymbole, Hymne und Wappen. Ich habe es bisher nicht riskiert, ihm von den Alternativen zu erzählen.  

Hattest du Bedenken, dass er es in der Kita erzählt? 

Ja. Sobald ich sicher bin, dass er den Unterschied versteht, werden wir darüber sprechen. Ich möchte, dass meine Kinder den gleichen Background haben. Ich habe meinem kleinen Sohn noch nicht von 2020 erzählt. Aber wir lesen belarussische Märchen und hören belarussische Musik, wir besuchen Museen. Darum hat er bereits einen Bezug zur belarussischen Kultur und Geschichte. 

Denkst du nicht, dass die Staatsideologie die Kinder prägt, wenn man ihnen nicht so früh es geht von der Alternative erzählt? 

Ja, das denke ich schon. Mein Sohn kann die Hymne singen und sagt dann: „Das ist unsere Hymne.“ Ich werde ihm ja nicht sagen, dass die richtige belarussische Hymne Pahonja heißt. Er ist so ehrlich, er kommt dann am nächsten Tag in die Kita und erzählt das seinen Freunden. Und die erzählen es wiederum möglicherweise zu Hause. 

Er wird euch alle noch verpfeifen! (lacht) 

Ja.  

Weiß-rot-weißes Armband (ein Protestsymbol, für das Haftstrafen drohen) am Arm einer zufälligen Passantin in Minsk. Die Frau war mit dem Foto einverstanden, Juni 2023 / Foto © privat

Welche Zukunft siehst du für deine Kinder in Belarus? 

Das ist eine schwierige Frage. Immer mehr Kinder werden Mitglieder des Jugendverbandes. Wenn es früher lediglich ein paar Kinder in jeder Klasse waren, so sind heutzutage umgekehrt, lediglich ein paar Kinder nicht Mitglieder des Jugendverbandes. Mir scheint, als hätten die Eltern heutzutage kaum ein Problem damit.  

Haben sie Angst, dagegen zu sein? 

Ja. Sie fragen sich nicht, ob es problematisch ist. „Wenn alle im Jugendverband sind, dann wird das schon richtig sein.“ Es gibt viele solcher Menschen. „Was ist daran falsch?“, sagen sie.

Ich möchte, dass meine Kinder in Belarus leben, gleichzeitig will ich nicht, dass sie hier studieren. Ich möchte, dass sie im Ausland studieren und danach eine Wahl treffen, ob sie, sollte sich hier bis dahin etwas verändert haben, ihr Wissen und ihre Erfahrung hier zum Einsatz bringen wollen.  

Denkst du nicht, dass deine Kinder eventuell mit der Zeit auch so gleichgültig und antriebslos werden, wie das Staatssystem sie prägt? 

Ich sehe meine Aufgabe darin, ihnen von der anderen Meinung zu erzählen. Ich mache mir besonders um den Kleinsten Sorgen, er wird mitten in der Propaganda groß. Einerseits will ich nicht zu früh anfangen, andererseits will ich nicht den richtigen Zeitpunkt verpassen, wenn ein Kind das andere nicht mehr verstehen wird. Wenn eins von den Geschwistern die eine Version der Geschichte gelernt hat, das andere aber die entgegengesetzte. Das, was du im Kindesalter lernst, prägt ja deine Ansichten. Es ist schwierig, im Erwachsenenalter zu akzeptieren, dass das, was du als Kind gelernt hast, eine Lüge war. Darum mache ich mir Sorgen. Ich denke aber, dass ich noch einen Einfluss auf ihn habe. Und das Buch „Vaterland“ (belaruss. Aitschyna, ein Geschichtsbuch von Uladsimir Arlou, gilt heute als extremistisch) habe ich nicht weggeworfen. (lacht) 

Manche Leute haben buchstäblich alles Verdächtige weggeworfen, um das Risiko zu minimieren. 

Dinge, die nicht offensichtlich regimekritisch sind, haben wir behalten. Die Flagge habe ich aber nicht im Haus.   

Hast du sie vergraben? 

Sie ist in Belarus, aber nicht zu Hause, sondern außerhalb der Stadt.   

 

Der zweite Teil der Interviews erscheint am morgigen 13. August 2025 auf dekoder.  

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Die moderne belarussische Sprache

Eine Fahrt mit der Minsker Metro verrät einiges über die sprachliche Situation in der Belarus. Die Fahrgäste unterhalten sich auf Russisch. In dieser Sprache sind auch die Bücher und Zeitschriften in ihren Händen, genau wie die Werbeanzeigen an den Wänden. Und gibt es einmal Störungen im Betriebsablauf, so erfolgt die entsprechende Durchsage ebenfalls auf Russisch. Wird jedoch ein planmäßiger Halt angekündigt, hört man aus den Lautsprechern plötzlich eine andere Sprache: das Belarusische.

Wären auf dem Gebiet der heutigen Belarus vor 200 Jahren auch schon Metros gefahren, hätte sich ein anderes Bild geboten. Russisch wäre kaum zu hören gewesen, denn die Gebiete der heutigen Belarus sind zu Beginn des 19. Jahrhunderts erst seit kurzer Zeit Teil des Russischen Zarenreichs. Zuvor hatten sie jahrhundertelang zur Adelsrepublik Polen-Litauen gehört, und deswegen wären auch zu jener Zeit die offiziellen Durchsagen der nächsten Station wohl noch auf Polnisch erfolgt. Auch die Namen der Stationen hätte man auf Polnisch ausgeschildert. Zwar hatte es im 16. und 17. Jahrhundert auf den Gebieten der Belarus bereits eine autochthone, ostslawische Schriftsprache1 gegeben, diese war aber längst vom westslawischen Polnischen verdrängt worden. Unterhalten hätten sich die Fahrgäste des 19. Jahrhunderts in unterschiedlichen Sprachen: Einige auf Polnisch, der Sprache des Adels, andere auf Jiddisch, und wieder andere in unterschiedlichen dialektalen Formen des ostslawischen Belarusischen, der Sprache der breiten Bevölkerung.

Das moderne Belarusische

Im 19. Jahrhundert setzte sich in Europa der Glaube an die Einheit von Volk, Nation und Sprache und damit das Bedürfnis nach einheitlichen Standardsprachen durch. Für die drei modernen ostslawischen Standardsprachen, für das Russische, das Ukrainische und das Belarusische, war dieses Jahrhundert das entscheidende. Auch die Idee einer belarusischen Identität gewann nun an Bedeutung und damit der Wunsch nach einer einheitlichen belarusischen Sprache. Anfang des 19. Jahrhunderts standen beide allerdings in Konkurrenz zur polnischen Sprache und Identität. Exemplarisch zeigt sich das in Biographie, Werk und Wahrnehmung der beiden befreundeten Schriftsteller Adam Mickiewicz und Jan Tschatschot. Obwohl beide am Ende des 18. Jahrhunderts unweit des heute belarusischen Nawahrudak geboren wurden, avancierte der erste zum Nationaldichter Polens, während der zweite zu einem der Gründer der belarusischen Wiedergeburtsbewegung wurde. „Von nahezu identischen Ausgangspunkten“ schlugen sie Bahnen ein, „wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten“2.

Das Polnische verlor im späteren 19. Jahrhundert in den „Nordwestprovinzen“ des Zarenreiches zunehmend seine Bedeutung. In Reaktion auf zwei Aufstände, die 1830/31 und 1863 auf den Gebieten des ehemaligen Polen-Litauens ausbrachen, nahm stattdessen der Einfluss des Russischen zu. Die westlichen Ostslawen wurden als „Teil des russischen Volkes“ betrachtet, der durch polnische Einflussnahme von diesem „entfremdet“ worden sei.3 Eine belarusische Standardsprache hatte in dieser Logik keinen Platz und wurde dementsprechend in ihrer Entwicklung behindert. Trotz dieser ungünstigen politischen Situation bildete sich bis zum Anfang des 20. Jahrhundert eine Literatur heraus, deren Sprache auf den damaligen belarusischen Dialekten aufbaute. Im Zuge der politischen Teilliberalisierung, die auf die Russische Revolution 1905 folgte, konnte das Belarusische schließlich auch in publizistischen Bereichen verwendet und stilistisch ausgebaut werden. Maßgeblich für diesen Prozess war die zwischen 1906 und 1915 herausgegebene Zeitung Nascha Niwa, das wichtigste Publikationsorgan der belarusischsprachigen Schriftsteller und Publizisten jener Zeit. 1918 wurden die orthographischen und grammatischen Regeln des Belarusischen durch Branislau Taraschkewitsch kodifiziert. Diese erste, aber nicht letzte Norm der belarusischen Standardsprache wurde nach ihrem Schöpfer als Taraschkewiza bekannt und war auf Abstand zum Russischen bedacht.

Das Belarusische in der Sowjetunion

Anfang des 20. Jahrhunderts stand die belarusische Sprache also gewissermaßen bereit, in einem künftigen belarusischen Staat die Funktionen einer Standardsprache zu erfüllen. Durchsetzen sollte sie sich jedoch letztlich nie, auch wenn es nach dem ersten Weltkrieg zunächst ganz danach aussah. Zwar gingen die westlichen Gebiete der heutigen Belarus an das neu entstandene Polen, wo eine Polonisierung der ostslawischen Bevölkerung angestrebt wurde. Im östlichen Teil, der nun als Belarusische Sozialistische Sowjetrepublik (BSSR) Teil der Sowjetunion war, erfuhr das Belarusische jedoch im Zuge der sogenannten Belarussisazyja eine nie dagewesene Förderung. Insbesondere wurde das Belarusische als Schul- und Verwaltungssprache eingeführt und auch in beträchtlichem Maße durchgesetzt.

Doch die liberale Sprachenpolitik der frühen Sowjetunion, die das Ziel verfolgte, nationale Minderheiten und ihre Eliten in den neuen Staat und die neue Ideologie einzubinden, sollte nicht lange andauern. Unter Stalin wurde 1934 das Russische zur alleinigen Sprache der innersowjetischen Kommunikation erklärt, bereits ein Jahr zuvor war es die alleinige Sprache der Armee geworden. 1938 wurde es Pflichtfach in den Schulen aller Sowjetrepubliken. Ein neues Regelwerk, die nach dem Volkskommissariat (narodny kamissaryjat) benannte Narkamauka, ersetzte 1933 die Taraschkewiza. Sie nähert das Belarusische in Grammatik, Wortbildung und Orthographie dem Russischen an. Diese Maßnahmen lesen sich heute recht nüchtern. Gleichzeitig fiel aber dem Großen Terror der 1930er Jahre auch fast die gesamte belarusischsprachige Intelligenz zum Opfer. Sich für das Belarusische einzusetzen oder lediglich Belarusisch zu sprechen, während der Kampf gegen „nationale Abweichler“ wütete, erforderte beträchtlichen Mut.

Doch nicht nur die Sowjetisierung, sondern auch der Zweite Weltkrieg hatte Folgen für die Stellung der belarusischen Standardsprache. Zwar gingen mit der sowjetischen Annexion Ostpolens 1939 große Teile des in der Zwischenkriegszeit zu Polen gehörenden belarusischen Sprachgebiets an die BSSR. Der Umstand, dass die deutschen Besatzer die belarusische Sprache im Zweiten Weltkrieg – wie auch schon im Ersten Weltkrieg – in gewissem Umfang für ihre Zwecke gefördert hatten, trug jedoch dazu bei, das Belarusische in der Sowjetunion zu diskreditieren. Vor allem aber verlor die belarusische Standardsprache ihren stärksten Trumpf gegenüber dem Russischen, nämlich die größere Nähe zur Alltagssprache der breiten Bevölkerung. Denn mit der Ermordung von Millionen Menschen und der vollständigen Vernichtung von etwa 9000 Dörfern durch die Deutschen war auch die dialektale Landschaft zu großen Teilen zerstört worden. Nach dem Krieg wurden Städte im Zuge einer raschen Industrialisierung schneller wiederaufgebaut als Dörfer. Zahlreiche junge Sprecher*innen belarusischer Dialekte zogen daher als dringend benötigte Arbeitskräfte vom Land in die rasant wachsenden Städte, wo sie sich der sozial dominanten russischen Sprache zuwandten. Hieraus resultiert die weite Verbreitung der sogenannte Trassjanka im Lande, einer gemischten Rede, die Elemente des Belarusischen und des Russischen aufweist.

Dass insbesondere in den Städten das Russische dominierte, lag einerseits daran, dass nach dem Krieg viele Russ*innen und Sprecher*innen des Russischen aus anderen Teilen der Sowjetunion in die belarusischen Städte gezogen waren, um dort Führungspositionen einzunehmen. Vor allem blieb aber auch unter Stalins Nachfolgern das Russische die Sprache des ideellen Wegs zum Kommunismus – und damit auch die Sprache des individuellen Wegs nach oben auf jedweder Karriereleiter. Seinem Ärger über eine belarusischsprachige Rede, die er wohlgemerkt auf dem 40. Jahrestag der BSSR hatte hören müssen, soll Chruschtschow mit den Worten Luft gemacht haben: „Je eher wir alle Russisch sprechen, desto eher haben wir den Kommunismus aufgebaut“.4 Das Russische hatte nun die „zweite Muttersprache“ aller nicht-russischen Ethnien zu sein. Trotz allem war das Belarusische als Unterrichtssprache bis in die Nachkriegszeit hinein aber noch recht gut vertreten. Als Eltern ab 1958 jedoch die Unterrichtssprache ihrer Kinder frei wählen durften, optierten die meisten für das in der Sowjetunion unverzichtbare Russische, nicht für das verzichtbare Belarusische.

Belarusisch im unabhängigen Belarus

Zum Ende der Sowjetzeit sah es für das Belarusische düster aus. Erst in der Perestroika-Stimmung der 1980er Jahre konnten sich national orientierte Intellektuelle für das Belarusische stark machen. Als alleinige Staatssprache der nun unabhängigen Republik Belarus erlebte es dann Anfang der 1990er Jahre einen vorerst letzten Aufschwung. Insbesondere der Anteil der Schüler*innen, die auf Belarusisch unterrichtet wurden, stieg stark an. Der Rückhalt in der Bevölkerung für die allgemeine Durchsetzung einer Sprache, die von vielen kaum benutzt und eher mittelmäßig beherrscht wurde, war jedoch nicht allzu groß. Vielen ging es zumindest zu schnell und in der postsowjetischen Wirtschaftskrise waren vielen Belarus*innen andere Probleme dringlicher. Auf diese Stimmung bauend ließ Präsident Alexander Lukaschenko kurz nach seinem Antritt im Mai 1995 ein in seiner Rechtmäßigkeit umstrittenes Referendum durchführen, das unter anderem auch auf die Staatssprache abzielte. Die entsprechende Frage war geschickt formuliert: Es ging nicht etwa darum, die Förderung des Belarusischen zurückzunehmen oder es gar zurückzudrängen, sondern darum, „dem Russischen den gleichen Status wie dem Belarusischen“ einzuräumen. Offiziell 87 Prozent der gültigen Stimmen zeigten sich damit einverstanden.

Heute sind Belarusisch und Russisch rechtlich gleichberechtigte Staatssprachen der Republik Belarus. Personen, die sich für eine stärkere Position des Belarusischen einsetzen, kann die offizielle Seite entgegnen, dass man das Belarusische ja keinesfalls zurückdränge. Man sei – so etwa Lukaschenko – lediglich dagegen, eine der beiden Sprachen mit Zwang durchzusetzen.5 Ganz ähnlich wie bei der freien Wahl der Unterrichtssprache in den 1950er Jahren ist das Belarusische ohne eine positive Diskriminierung jedoch chancenlos. Denn ob im alltäglichen Gebrauch, im öffentlichen Leben, den Medien, dem Bildungswesen, dem Buchmarkt, bei Regierungs- und Verwaltungsorganen, im Geschäftswesen, in der Wissenschaft – überall dominiert das Russische, das Belarusische spielt allenfalls eine marginale Rolle.
So gab im Zensus von 2019 zwar immerhin ein gutes Viertel der knapp acht Millionen ethnischer Belarus*innen6 an, zu Hause für gewöhnlich das Belarusische zu benutzen. Dass sich dahinter aber nicht die Standardsprache verbirgt, wird in anderen Umfragen deutlich. Können die Befragten nicht nur Belarusisch oder Russisch ankreuzen, sondern auch „Trassjanka“ oder „belarusisch-russisch gemischt“, dann sinkt der Anteil der Belarusischsprecher*innen auf unter fünf Prozent.7
 

Die Daten wurden in sieben belarusischen Städten erhoben, 1230 Menschen wurden befragt.8

Der zweifellos marginale Status des Belarusischen im Gebrauch wird zuweilen sogar in ein Argument gegen dessen Förderung umgemünzt: Dass niemand es im Alltag benutze, zeige, dass diese „Sprache der Schriftsteller“ nicht für den Alltag tauge. Das verkennt allerdings, dass das Belarusische für einige, wenn auch wenige, durchaus die praktikable und normale Alltagssprache ist. Bei dieser Gruppe handelt es sich um eine national gesinnte Minderheit, oft mit einer Vorliebe für die erste, nicht-russifizierte Norm des Belarusischen, die Taraschkewiza. Der Gebrauch des Belarusischen in der Öffentlichkeit ist ungewöhnlich und damit als Statement zu verstehen. Umgekehrt ist es jedoch keineswegs so, dass der Gebrauch des Russischen auf eine regierungstreue Haltung oder die Ablehnung einer belarusischen Eigenständigkeit schließen lässt. Die Sprachenfrage ist entsprechend auch in den gegenwärtigen Protesten „seltsam abwesend“9


Die Daten wurden in einer landesweiten Umfrage erhoben, 882 Menschen wurden befragt.10

Die Situation des Belarusischen ist heute von vielen Widersprüchen geprägt. So betrachten etwa viele Belarus*innen das Belarusische als ihre Muttersprache11, obwohl sie es kaum sprechen. Auch sehen viele die Sprache noch als wichtiges Unterscheidungsmerkmal der Belarus*innen zu den Russ*innen, stimmen jedoch der Aussage zu, dass man auch Belarus*in sein könne, ohne die Sprache zu sprechen. Grundsätzlich beherrschen solle man sie jedoch schon, auch wenn für die allermeisten das Belarusische heute eine lediglich im Klassenzimmer erlernte und auf schulische Kontexte beschränkte Sprache ist. Nach wie vor hegen aber viele junge Belarus*innen den Wunsch, dass ihre eigenen Kinder einmal nicht nur das Russische, den jasyk, beherrschen, sondern auch: die belarusische mowa.12 Ob den Belarus*innen in ihrer Mehrheit die symbolischen, aber letztlich homöopathischen Dosen des Belarusischen in Metro, Schule und anderswo ausreichen, wird sich zeigen müssen.


Anmerkung der Redaktion:

Weißrussland oder Belarus? Belarussisch oder belarusisch? Die Belarus oder das Belarus? Nicht ganz leicht zu beantworten. Da es im Deutschen keine einheitlich kodifizierten Schreibweisen für diese Bezeichnungen und deren Adjektive gibt, überlassen wir es den Autorinnen und Autoren der Gnosen, welche Schreibweise sie verwenden. Die Schreibweise in redaktionellen Inhalten (wie Titel und Erklärtexte) wird von der dekoder-Redaktion verantwortet.

 

 

Zum Weiterlesen
Bieder, H. (2001): Der Kampf um die Sprachen im 20. Jahrhundert, in: Beyrau, D./Lindner, R. (Hrsg.): Handbuch der Geschichte Weißrusslands, Göttingen, S. 451–471
Hentschel, G./Kittel, B. (2011): Zur weißrussisch-russischen Zweisprachigkeit in Weißrussland – nicht zuletzt aus der Sicht der Weißrussen, in: Bohn, Th. et al. (Hrsg.): Ein weißer Fleck in Europa ... Die Imagination der Belarus als Kontaktzone zwischen Ost und West, Bielefeld, S. 49–67
Woolhiser, Curt (2013): New speakers of Belarusian: Metalinguistic Discourse, Social Identity, and Language Use, in Bethea, David M./Bethin, Christina Y.  (Hrsg.): American Contributions to the 15th International Congress of Slavists, Minsk, August 2013, Bloomington, S. 63–115
Zaprudski, S. (2007): In the grip of replacive bilingualism: The Belarusian language in contact with Russian, in: International Journal of the Sociology of Language 183, S. 97–118

1.Moser, M. (2005): Mittelruthenisch (Mittelweißrussisch und Mittelukrainisch): Ein Überblick, in: Studia Slavica Academiae Scientiarum Hungaricae 50, S. 125–142; Bunčić, D. (2006): Die ruthenische Schriftsprache bei Ivan Uževyč unter besonderer Berücksichtigung der Lexik seines Gesprächsbuchs Rozmova/Besěda, München 
2.Kohler, G.-B. (2014): Selbst, Anderes Selbst und das Intime Andere: Adam Mickiewicz und Jan Čačot, in: Studia Białorutenistyczne 8, S. 79–94, hier S. 83 
3.Brüggemann, M. (2014): Zwischen Anlehnung an Russland und Eigenständigkeit: Zur Sprachpolitik in Belarus', in: Europa ethnica 3-4/2014, S. 88–93, hier S. 89 
4.zit. nach: Korjakov, Ju. B. (2002): Jazykovaja situacija v Belorussii i tipologija jazykovych situacij, Moskva, hier S. 39 
5.nach Brüggemann, M. (2014): Die weißrussische und die russische Sprache in ihrem Verhältnis zur weißrussischen Gesellschaft und Nation: Ideologisch-programmatische Standpunkte politischer Akteure und Intellektueller 1994–2010, Oldenburg, hier S. 112 
6.Mit ethnischen Belarus*innen sind dabei belarusische Staatsbürger*innen gemeint, die sich nicht als Russ*innen, Pol*innen, Ukrainer*innen etc. identifizierten. 
7.Kittel, B./Lindner, D./Brüggemann, M./Zeller, J. P./Hentschel, G. (2018): Sprachkontakt – Sprachmischung – Sprachwahl – Sprachwechsel: Eine sprachsoziologische Untersuchung der weißrussisch-russisch gemischten Rede „Trassjanka“ in Weißrussland, Berlin, hier S. 180; Informacionno-analitičeskij centr pri Administracii Prezidenta Respubliki Belarus’ (Hrsg.) (2018): Respublika Belarus’ v zerkale sociologii: Sbornik materialov sociologičeskich issledovanij, Minsk, hier S. 46 
8.Die Daten wurden in sieben belarusischen Städten erhoben, 1230 Menschen wurden befragt. Vgl. Kittel et al. 2018, S. 180 
9.Brüggemann, M. (2020): Demokratie nur auf Belarusisch? Eine Reise in die sprachpolitischen „Befindlichkeiten“ der Belarus, in: Bohn, T./Rutz, M. (Hrsg.): Belarus-Reisen: Empfehlungen aus der deutschen Wissenschaft, Wiesbaden, S. 53–69, hier S. 69 
10.Die Daten wurden in einer landesweiten Umfrage erhoben, 882 Menschen wurden befragt. Vgl. Hentschel, G./Brüggemann, M./Geiger, H./Zeller, J. P. (2015): The linguistic and political orientation of young Belarusian adults between East and West or Russian and Belarusian, in: International Journal of the Sociology of Language 2015/236, S. 133–154, hier S. 151 
11.In der Entsprechung zum deutschen Wort „Muttersprache“ ist weder im Belarusischen noch im Russischen von „Mutter“ die Rede. Im Belarusischen ist es „rodnaja mova“, im Russischen „rodnoj jazyk“. Das Attribut „rodnaja“ bzw. „rodnoj“ ist am ehesten vergleichbar mit dem englischen „native“. In anderen Kontexten kann es mit „leiblich verwandt“, „Heimat‑“ oder „angeboren“ übersetzt werden. Abgeleitet ist es von der Wurzel „rod“, zu übersetzen unter anderem mit „Stamm, Geschlecht“, die auch im Wort „narod“ „Volk“ vorkommt. Vgl dazu: Zeller, J. P./Levikin, D. (2016): Die Muttersprachen junger Weißrussen: Ihr symbolischer Gehalt und ihr Zusammenhang mit sozialen Faktoren und dem Sprachgebrauch in der Familie, in: Wiener Slavistisches Jahrbuch (Neue Folge) 4, S. 114–144 
12.Hentschel, G et al. 2018, S. 151 
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Janka Kupala

Vor 80 Jahren starb die Ikone der belarusischen Literatur Janka Kupala (1882–1942). Ob es Selbstmord war oder ob der Geheimdienst beteiligt war, wurde nie richtig aufgeklärt. Seine Werke sind Klassiker, die mit dem Protestsommer von 2020 wieder brandaktuell wurden. Gun-Britt Kohler in einer Gnose über den Nationaldichter Kupala, der mit seinem Werk wie kein anderer für die schwierige Suche der Belarusen nach einem nationalen Selbstverständnis steht.

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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)