Informationen spielen eine Schlüsselrolle im Krieg. Doch je länger Russlands Krieg gegen die Ukraine dauert, umso mehr kämpfen auch die Medien ums Überleben.
Noch gibt es in der Ukraine eine vielfältige Medienlandschaft: Neben dem vielfach beschriebenen TV-Marathon der Einheit gibt es reichweitenenstarke allgemeine Online-Medien wie die Ukrajinska Prawda, thematisch spezialisierte Portale wie Graty (Gerichtsberichterstattung), Frontliner (Kriegsreportage), Zmina (Menschenrechte) oder Texty (Daten, Recherche, Visualisierung), Radiosender wie Hromadske Radio sowie zahlreiche, auch jüngere Regional- und Lokalmedien. Für die Berichterstattung ins Ausland sind The Kyiv Independent und Kyiv Post mittlerweile unersetzlich.
Mag Russlands Invasion 2022 den ukrainischen Medien noch einen Publikumszuwachs beschert haben, werden nach über drei Jahren Krieg die langfristigen Kriegsfolgen für die ukrainische Medienwelt spür- und sichtbar.
Das ukrainische Institut für Masseninformationen (IMI) hat nach dem Wegbrechen der USaid-Programme Anfang 2025 eine Umfrage unter Medienschaffenden durchgeführt und daraus Empfehlungen für den Staat, Förderer und Spender abgeleitet. Demnach seien finanzielle Stabilität und das grundsätzliche Überleben der Medien das Kernproblem, besonders für reichweitenschwächere und lokale Medien. The Kyiv Independent startete im Frühjahr ein Förderprogramm für betroffene ukrainische Regionalmedien.
Die Wissenschaftler Andreas Umland und Diana Dutsyk vom Stockholmer Zentrum für Ostereuropa-Studien betonen indes in ihrem aktuellen Bericht Between Freedom and Censorship: „Trotz finanzieller Schwierigkeiten, Zentralisierungstendenzen und kriegsbedingten strukturellen Veränderungen ist der öffentliche Diskurs in der Ukraine relativ pluralistisch geblieben, wenn auch mit einigen Einschränkungen in Bezug auf das Fernsehen.“
„Wir kämpfen um jedes Wort“: Was die Kriegsfolgen konkret für lokale und regionale Medien bedeuten, hat Wadym Pelech, Chefredakteur der Lokalzeitung Bukowyna in Tscherniwzi, in seinem Leitartikel zum ukrainischen Tag der Journalist:innen am 6. Juni kompakt und pointiert zusammengefasst.
Ein Journalist dokumentiert die Zerstörung eines Landwirtschaftsbetriebs durch russische Angriffstruppen bei Orichiw, Region Saporishshja, im September 2023. / Foto © Dmytro Smolienko/ Ukrinform/ Imago
Der LOKALJOURNALISMUS war schon immer am Puls der Gesellschaft und eine Art Barometer für die Stimmung und Entwicklungen in den Gemeinden. Zu Friedenszeiten kann man seine Bedeutung kaum überschätzen: Er prägt die lokale Identität, kontrolliert Politik und Verwaltung und informiert die Bevölkerung über relevante Prozesse. Doch nun im vollumfänglichen Krieg, der das gesamte Land auf Überleben und Kampf gegen die russischen Angreifer ausrichtet, geraten die Regionalmedien in eine beispiellos existenzielle Lage. Tscherniwzi erlebt diese Herausforderungen wie jede andere Regionalhauptstadt in voller Härte.
Das „Journalisten-Corps“ aus Tscherniwzi kämpft in verschiedenen Einheiten der Ukrainischen Armee.
Die ERSTE und wohl schmerzhafteste Herausforderung ist der Verlust von Mitarbeitern. Wie Millionen andere Ukrainer melden sich auch Journalisten zum Schutz ihres Vaterlandes. Das „Journalisten-Corps“ aus Tscherniwzi kämpft in verschiedenen Einheiten der Ukrainischen Armee. Leider gibt es auch hier Verluste. Allein seit letztem Jahr gelten zwei unserer Kollegen, Medienschaffende aus Tscherniwzi, als vermisst.
Da es kaum Freistellungskontingente gibt und oft die Besten ihres Fachs mobilisiert werden, müssen nun alle Übrigen bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten arbeiten: nicht nur über Ereignisse berichten, sondern auch die patriotische Message verbreiten, die Mobilisierungsgesetze und andere wichtige militärisch-patriotische Informationen erläutern, die von entscheidender Bedeutung für den Zusammenhalt und die Stabilität unserer Gesellschaft sind.
Das Kriegsrecht wird zu einem bequemen Instrument, um sich öffentlicher Verantwortung zu entziehen.
Die ZWEITE Herausforderung ist der erschwerte Zugang zu Informationen und, dass das Kriegsrecht teils als Vorwand genutzt wird, um zweifelhaftes Handeln zu verschleiern. Kommunale Behörden verweisen nicht selten auf „sensible“ Angaben und „Sicherheitsinteressen“ und schränken damit den Zugang zu eigentlich öffentlichen Informationen ein, die in Friedenszeiten frei zugänglich wären. Das Kriegsrecht wird zu einem bequemen Instrument, um sich öffentlicher Verantwortung zu entziehen. Und Journalisten, die versuchen ihre Arbeit zu machen, werden beschuldigt, „die Lage zu destabilisieren“ oder im Interesse bestimmter „Clans zu arbeiten“. Diese Umstände erzeugen Druck und sind eine Gefahr für den objektiven Journalismus.
Der DRITTE destruktive Faktor ist der Verlust von Werbeeinnahmen. Die Wirtschaft in der Ukraine befindet sich im Kriegszustand und zuallererst leiden darunter diejenigen Sektoren, die von der allgemeinen Wirtschaftslage abhängig sind. Der Anzeigenmarkt ist praktisch zusammengebrochen. Regionalen Medien entgeht der Löwenanteil ihrer Einnahmen. Doch ohne finanzielle Unterstützung, ohne die Möglichkeit, Personal zu halten und in Innovationen zu investieren, stehen Medien am Rande ihrer Existenz. Die Folge sind Personalkürzungen, Projektstopps und letztendlich die Gefahr des vollständigen Verschwindens.
Medienschaffende beginnen aus Angst ihr Material zu filtern.
Die VIERTE Herausforderung ist die Monopolisierung des Nachrichtenmarktes. In Kriegszeiten benötigt die Gesellschaft schnell und zentralisiert Informationen, deshalb wächst die Rolle der überregionalen Medien. Sie verfügen über Ressourcen, um unter Kriegsbedingungen zu arbeiten und ihre Nachrichten schnell zu verbreiten. Dies geschieht jedoch oft auf Kosten der regionalen Medien, die mit solchen Giganten nicht konkurrieren können. Lokale Nachrichten, lokale Konflikte, lokale Protagonisten, all das geht im Strom der landesweiten Informationen und Nachrichten schnell unter.
All diese Faktoren, ergänzt durch das weit verbreitete Narrativ „Journalisten sind an allem schuld” (oft durch jene verbreitet, die ein Interesse daran haben, Informationen zu verbergen), führen zu dem gefährlichen Phänomen der inneren Selbstzensur. Medienschaffende beginnen aus Angst vor Anschuldigungen, Druck oder Jobverlust, ihr Material zu filtern, heikle Themen zu vermeiden und „Ecken und Kanten zu schleifen“. Dies zerstört jedoch nicht nur das Vertrauen in die Medien, sondern beraubt die Gesellschaft auch wichtiger, wahrheitsgemäßer Informationen.
Zuletzt sollte außerdem auf die Sabotage der Zeitungsabos durch Ukrposchta hingewiesen werden [In der Ukraine abonniert man regelmäßig erscheinende Zeitungen und Zeitschriften direkt über die Ukrainische Post – dek]. Da Werbeeinnahmen fast vollständig ausfallen, könnten Abonnements von Printmedien ein Rettungsring sein. In der Praxis bekommt der Leser seine Lieblingszeitung jedoch nicht dank, sondern trotz des Handelns von Ukrposchta: Verzögerungen, Probleme bei der Zustellung, mangelnde Motivation der Postboten. Das trifft die wenigen Leser hart, die noch Printmedien im Abo unterstützen.
Wie überleben? Die Antwort ist komplex.
All dies stellt den Lokaljournalismus in Tscherniwzi und der gesamten Ukraine vor die existenzielle Frage: Wie überleben? Die Antwort ist komplex. Es braucht nicht nur Engagement der Journalisten selbst, sondern auch ein echtes Bewusstsein der Gesellschaft und der Politik für die entscheidende Rolle des unabhängigen Journalismus. Ohne ihn riskieren wir nicht nur den Verlust eines wichtigen Kontrollinstruments, sondern auch die Möglichkeit, eine informierte und kritisch denkende Gesellschaft zu sein, die selbst in Kriegszeiten ein Garant für die Demokratie ist.
Wir kämpfen und geben nicht auf.
Morgen ist der 6. Juni, der Tag des Journalisten, und wir werden erneut über unseren Platz in diesem Krieg nachdenken. Trotz aller Herausforderungen – Verlust von Kollegen, Ignoranz der Behörden, finanzielle Schwierigkeiten, Monopolisierung des Informationsraums und Störungen bei Abonnements – kämpfen wir weiter.
Wir arbeiten weiter: suchen nach der Wahrheit, decken Missstände auf, unterstützen unsere Soldaten und informieren die Gesellschaft darüber, was geschieht. Das ist nicht nur Arbeit – es ist, so pathetisch es klingen mag, unsere Mission. Eine Mission, die wir mit Verantwortungsbewusstsein und dem Verständnis erfüllen, dass ohne uns die unabhängigen Regionalmedien, in Tscherniwzi und anderen ukrainischen Städten, Gefahr laufen, in einem Informationsnebel und Fake News zu versinken, generiert von anonymen Bots in Sozialen Netzwerken.
WIR KÄMPFEN UM JEDES WORT, um jede wahre Nachricht, um jedes Abonnement. Und wir glauben daran, dass es dieser Kampf wert ist: Denn es geht um die Zukunft des ukrainischen Journalismus und um eine starke, tatsächlich informierte Gesellschaft.