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Der Vater der Internet-Katzen

Dicke breitmaulige Katzen, graubetuchte Großmütter oder grienende rosa Schweine nebst verdutzt blickenden Bären – was Wassja Loshkin zeichnet, ist meist das Gegenteil von süß. Wie Kritiker darüber denken, so sagt er, ist ihm herzlich egal, und es bringt ihm eine Menge Geld ein. Seine Bilder werden seit Jahren zigfach im russischsprachigen Internet geteilt, weiterverwendet oder animiert. Eines der ihm ebenfalls zugeschriebenen Motive (ausnahmsweise keine Katze oder anderes Getier, sondern eine Karte, auf der quer über das in Rot getünchte Land geschrieben steht: „Großes wunderschönes Russland“) ist gar mal auf der Liste extremistischer Materialien gelandet.

Dabei scheint Loshkin alles andere als politisch zu sein, wie der Besuch des Kommersant-Dengi in seinem Atelier zeigt. Der Journalist, offenbar ein Fan, zeichnet das Porträt eines Mannes, der zumindest schwer zu greifen ist: ein äußerst ironischer Zeitgenosse, der sich selbst nicht allzu ernst nimmt und doch oft ernst genommen wird. Für seinen Geschmack vielleicht zu oft.

Источник Kommersant-Dengi

„Ich kämpfe ständig gegen meinen Hochmut, damit ich von der Seite nicht wie ein Idiot aussehe.“ Foto: © Kristina Kormilizyna/Kommersant

Wenn man Wassja Loshkin anschaut, denkt man eher an einen coolen Hipster als an einen Künstler: sorgfältig getrimmter Bart, trendige Brille. Aber im Atelier ist alles wie es sich gehört – ein kreativer Saustall. Von den Wänden blicken einen finstre Kerle mit Axt in der Hand oder menschenähnliche Hasen und Bären an. Mitten im Raum steht eine riesige Statue aus Plastik: ein Fettwanst mit Flügelchen. Und unter dem Tisch schaut Putin von einem Portrait verurteilend hervor. Loshkin ist fleißig, bald hat er eine Ausstellung in der Neuen Tretjakow-Galerie. Etwa 70 Bilder sollen es sein, aber im Atelier sind nur noch ein paar – es wird ordentlich gekauft: „Ich versuche, ein Bild pro Tag zu malen.“

Manchmal erwachsen die Ideen aus irgendwelchen Wortspielen: Einfach ein Wort ausgedacht, „Schworsche“, sich hingesetzt und ein schweineartigen Sportwagen gemalt. Manchmal ist es genau umgekehrt: Er zeichnet eine Komposition, malt sie aus und klatscht irgendein Wort drauf, fast wie früher die sowjetischen Plakatkünstler: „Arbeit“ – und fertig ist das Meisterwerk!

Gleich an der Tür erfreue ich ihn mit einer Nachricht: „Ich kenne das Geheimnis Ihres Erfolgs!“ Vor drei- bis vierhundert Jahren gab es doch diese Lubok-Bilder, da malten Künstler etwa die Hexe Baba Jaga hoch zu Ross auf einem Krokodil oder Mäuse, die einen gefesselten Kater aufs Schafott schleppen. Die These, er habe die freigewordene Nische des Lubok besetzt, gefällt ihm: „Ja, stimmt, das waren witzige Bilder mit lustigen Sprüchen, die auf dem Markt verkauft wurden: Hatte der Bauer seine Produkte an den Mann gebracht, wurde für das Geld ein Bild erstanden und das Haus damit geschmückt.“

Das Schlimmste für ihn: seine Bilder erklären zu müssen. Als er begann, in Galerien auszustellen, kam er plötzlich mit einer ganz neuen Kategorie von Fan in Kontakt: „Im Internet gibt’s keine Rentnerinnen, und hier kommen sie in Scharen, inspizieren, loben und dann martern sie einen mit Fragen: ‚Was wollen Sie damit ausdrücken? Woher nehmen Sie Ihre Inspiration?‘ Keinen Schimmer, was weiß ich denn woher.“

Als andere Kinder Kosmonaut werden wollten, träumte Wassja Loshkin davon, Schauspieler zu werden. Später in den 90ern, als die Klassenkameraden einen auf Gangster machten, spielte Wassja Punk-Rock: „In den Liedern ging es um Tod und Teufel – kein düsterer russischer Rock, sondern Klamauk mit leichtem Hang zum Wahnsinn. Und das ist irgendwann in Malerei übergegangen.“

Er nahm mehrere Anläufe zum Malen. 1996 fand er auf der Müllhalde eine Rolle Zeichenpapier und machte sich daran, krankes Zeug zu malen – Folter, Mord, ausgeweidete Leichen. Seine Bekannten beeindruckte das nicht. Also machte er einen Abschluss in Jura, um dann keinen einzigen Tag als Jurist zu arbeiten. Er saß ohne Geld da. Anfang der 2000er Jahre versuchte er sich dann in sujethafter Ölmalerei. Und schließlich „verwirklichte er sich in Katzen“. Er hatte ein Bild auf LiveJournal hochgeladen und jemand kaufte es für 3000 Rubel [100 Euro – dek]. Von da an pinselte er Kater wie am Fließband.

Der Preis hängt vom Schwierigkeitsgrad ab: Ein kleines Bild mit zwei Figuren kostet 40.000 Rubel [knapp 600 Euro – dek]; ist das Bild größer und sind mehr Figuren drauf, verdoppelt oder verdreifacht sich der Preis. Gekauft wird in ganz Russland: „Ins Ausland verkaufe ich nicht. Unsere ehemaligen Landsleute wollen zwar gern etwas kaufen, aber die haben da oft ziemlich wenig Geld. Außerdem muss man Bescheinigungen besorgen, dass es sich bei dem Bild nicht um ein Kulturgut handelt …“

Das ist eine ernste Sache: Kunsthistorikerinnen fortgeschrittenen Alters versammeln sich, begutachten das Bild, wiegen den Kopf: wertvolles Kulturgut oder nicht? Meistens fällt das Ergebnis unerfreulich für den Künstler aus. Aber Wassja braucht die Wertschätzung der Kritiker nicht:

„Von den Malern mag ich Schischkin. Wald, irgendwelche Flüsschen – einfach schön. Außerdem mag ich Sawrassow und Aiwasowski. Also alles, was in einer sowjetischen Kindheit in den Wohnungen hing. Meine Bilder sind genauso – in erster Linie was fürs Auge. Hier zum Beispiel: Bären telefonieren mit einem Clown, der oben auf einem Baum hockt. Die Bären lächeln, der Clown hat Angst. Natürlich hat das auch einen Sinn, aber darüber denke ich nicht nach. Mir ist wichtiger, das Auge zu erfreuen.“

Ziel seiner Kunst, so der Maler, sei, dass einer das Bild sieht und „Woah!“ sagt. Dass ihm die Sicherungen durchbrennen und er vor Lachen weinen muss. Er sagt, der beste Ort für seine Bilder seien Büros, zu schade, dass nicht alle Unternehmen das so sähen.

Alle seine Figuren haben denselben Prototyp – als Vorlage dient immer er selbst: „Wenn ich irgendeine Fratze malen muss, dann ziehe ich sie und male sie ab. Mittlerweile schaue ich nicht mehr in den Spiegel. Die sind doch alle gleich bei mir und wandern von einem Bild aufs nächste. Ich kann ja gar nicht malen.“ In Zeiten, wo sich jeder, der eine Vase zeichnen kann, Künstler nennt, besticht Wassja mit Bescheidenheit: Kann ich nicht, weiß ich nicht, darüber denke ich nicht nach. „Ich kämpfe ständig gegen meinen Hochmut, damit ich von der Seite nicht wie ein Idiot aussehe.“

Mit seinem Leben ist er außergewöhnlich zufrieden, mit der Epoche eigentlich auch: „Ich habe noch nie so gut gelebt wie jetzt, auch finanziell gesehen.“ Nennt ihn jemand Kämpfer gegen das Regime, ist er sichtlich überrascht, macht aber keine Anstalten, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. „Kaum postest du etwas im Internet, geht’s auch schon los: Krim, Putin, Ukraine, Misulina – jeder schreibt, was ihn bewegt. Die Leute sind gerade verrückt nach Politik, das ist das Pop-Thema schlechthin. Wir können nicht über Neurochirurgie reden. Aber wie man Russland retten soll, das weiß jeder.“

Dass jeder in seinen Bildern etwas Eigenes sieht, hat einen großen Vorteil: Jeder kann etwas mit ihnen anfangen. Aber es hat auch Nachteile: Ständig werden ihm fremde Ideen angedichtet, manchmal sogar fremde Bilder. Seine Bilder haben sich längst in ein „Do it yourself“-Bastelset verwandelt: Man macht in Photoshop Collagen aus ihnen und alle glauben, Wassja Loshkin hätte das gemalt. Auch beim Bild „Großes wunderschönes Russland“, das auf der Liste extremistischer Materialien gelandet ist, herrscht Unklarheit über den Urheber. Man findet im Internet verschiedene Versionen. Das lässt ihn ruhig schlafen.

Auch ohne Politik findet er das Leben interessant genug. Er hat nicht einmal feste politische Überzeugungen: „Ästhetische habe ich: Ich bin orthodoxer Stalinist. Mir gefällt die Antithese ,Wir und die‘. Wir sind die Lichten, Guten, Wunderschönen, und die haben da Schwule, Lesben, Ausländer.”Bei dem Einwand, unter Stalin hätte er wohl kaum solche Bilder malen können, lacht er: „Ich hätte das gleiche gemalt! Ich bin doch Opportunist. Dann wären es eben Bourgeois, Faschisten und Kapitalisten mit solchen Gesichtern gewesen. Den Bourgeois male ich ja jetzt auch.“ Seine Bilder sind zeitlos, denn er malt nie zur Tagespolitik: „Merinow und andere Karikaturisten machen das, was hier und jetzt ist. Bei mir ist alles ewig. Mystik, ein Appell an den innersten Zustand der Seele. Hier zum Beispiel…“, Loshkin bleibt neben einem Bild stehen, es trägt die Aufschrift: Nur durch Glauben, Liebe, Arbeit und Medizin können wir die schlimme Krankheit Homosexualität besiegen. „Dieses Bild ist neulich bei Facebook aufgetaucht:

Zwischen dem Künstler und seinen Fans klafft ein tiefer Graben des Missverstehens: „Meine Bilder sind in Wirklichkeit gar nicht böse. Und die stopfen sie auf Teufel komm raus mit Politik voll – malen die ukrainische oder die DNR-Fahne rein und geben diese tollen Meisterwerke der Kunst als meine Arbeit aus. Es gab mal diese Talkshow NTWschniki, die haben eine fürchterliche Collage aus meinen Bildern zusammengeschnippelt, um das Studio zu dekorieren. Darin haben sich dann zwei Gruppen – sogenannte Russophobe und Patrioten – versammelt und angefangen zu streiten. Plötzlich zeigt Anton Krassowski auf diesen Schund aus Äxten und schreit: ‚Sogar Wassja Loshkin hasst Russland!‘ Mir blieb fast die Luft weg, als ich das sah: Ey, du mieses Schwein! Oder dieser Trickfilm, der gerade im Netz kursiert. Der Macher ist auf meine Webseite gegangen, hat 400 Figuren ausgeschnitten, das Ganze animiert und einen 40-minütigen Trickfilm unter dem Motto ‚Das finstere Russland‘ daraus gemacht. Stellen Sie sich mal vor, was für eine Arbeit das gewesen sein muss. Der Typ hat sie doch nicht alle. Ich hab mal reingeschaut – du meine Güte! Und überall steht ‚Wassja Loshkin‘ drunter.“

Der Künstler wird nicht müde zu betonen, dass sich seine Bilder an das Herz richten, nicht an den Verstand: „Die Bilder berühren eine Saite der Seele. Eine gute! Heutzutage sind die Menschen in Liberale und Patrioten gespalten. Sie hassen einander, und dann sehen sie mein Bild und allen gefällt es. Mag sein, dass sie durch mich keine Freunde werden, aber ich spinne einen dünnen Faden zwischen ihnen. Eine gottgefällige Tat.“

Höhenflüge in Traum und Wirklichkeit

Wassja Loshkin ist ein Pseudonym. Irgendwann hat sich Alexej Kudelin mal unter diesem Namen im Internetforum von Solnetschnogorsk registriert und ihn später zu LiveJournal mitgenommen. Mittlerweile hat er sich daran gewöhnt, dass man ihn damit anspricht: „Ein Kumpel von mir, der Petersburger Künstler Kopeikin nennt mich Wassja und ich ihn Kolja. Obwohl er eigentlich Oleg heißt und ich Alexej.“ Berühmt fühlt er sich seit etwa fünf Jahren: Sogar seine Mutter hat sich einen Facebook-Account zugelegt und liked die Kunst ihres Sohnes.

Vor drei Jahren ist er mit seiner Familie nach Jaroslawl gezogen. Hier gefällt es ihm sehr: alte Häuschen, ruhige Uferstraßen, alles ist langsamer und sicherer als im Großraum Moskau. Wenn politisierte Fans ihm etwas von Emigration ins ferne Ausland erzählen wollen, wird er fuchsig: „Wohin soll ich bitteschön? Mir haben schon die 300 Kilometer nach Jaroslawl gereicht! Alle hatten versucht, mich davon abzuhalten: Bist du verrückt geworden? Da gibt’s Junkies und ‘ne Farbenfabrik. Und überhaupt: Ich bin Russe und muss hier leben. Auch wenn es pathetisch klingt.“ Russland liebt er, weil es groß und schön ist und Seele hat. Die Natur mag er – die Wälder, Flüsse und Felder. Würde er irgendwo unter Palmen leben, würde er sofort anfangen zu trinken.

Zugegebenermaßen hat er auch hier mal gesoffen. Da gab es so eine Phase in seiner künstlerischen Laufbahn. „Ich hab gesoffen wie ein echter Alki, nicht wie so’n Amerikaner.“

Aber es gibt Dinge, die um einiges interessanter sind als der Suff: Er träumt davon, ein Panorama im Stil der Schlacht von Borodino zu machen, nur mit mystischem Sujet, dass zum Beispiel Engel und Dämonen miteinander kämpfen. Die Leute sollen da reingehen und völlig durchdrehen. Außerdem spielt er in der Band Ebonitowy kolotun [dt. Ebonit-Schlotterei]. Zu den Konzerten kommen rund 50 Leute. Kann ja nicht jeder ein Rockstar sein. Dafür mag sein Kind die Musik vom Papa immer mehr, will ständig, dass er sie beim Autofahren anschaltet. Ist das etwa nix?

Kurzum, nun lebt er das ruhige Leben eines rechtschaffenen Mannes und nicht einmal die Frage, was sein wird, falls seine Kater beginnen sollten, die Leute zu langweilen, kann ihn beunruhigen: „Ich denke mir ja selbst, dass die Kunden bald die Nase voll haben werden davon. Dann werde ich Schauspieler. Ich hatte letztens mein Debut im Gogol-Center in einem Stück mit dem Titel Achtung, F. Das sind mehrere Novellen über Frauen: Mutter und Tochter, Ehefrau und Geliebte, Arzt und Patientin, irgendwelche Leidensgeschichten. Und ich war die männliche Figur, die verbindet – Vater, Ehemann, Geliebter, und sogar ein Kater. Die Rolle war eher klein, aber ich hab gut gespielt und man wird mich wieder fragen. Ach, wär ich doch jünger, es ist ziemlich anstrengend, für die Proben zwischen Moskau und Jaroslawl zu pendeln.“

Außerdem hat Wassja noch ein UFO gesehen – ein riesiges Dreieck aus Licht, das direkt über den Dächern schwebte und dann – zisch! – davongerauscht ist in den Himmel: „Der Kosmos ist ja riesig, der passt gar nicht in unseren Kopf. Da kann es alles geben. Aber noch interessanter ist der Gedanke, dass da gar keiner ist, in diesem wahnsinnig großen Kosmos; dass wir die Einzigen sind und der Kosmos selbst uns erschaffen hat, um rauszufinden: Was bin ich denn nun?“

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Lubok

Die heutige Bildübersättigung lässt uns oft vergessen, wie selten und für den normalen alltäglichen Gebrauch unzugänglich Bilder vor dem 16. Jahrhundert waren. Die „Revolution des Bildes“ setzte erst mit der Entstehung von Reproduktionstechniken wie Holzstichen, Kupferstichen und Radierungen ein.1 Ebenfalls in die Reihe dieser Techniken gehört die russische Tradition des Volksbilderbogens, der unter der Bezeichnung Lubok bekannt ist.

Die Hexe Baba-Jaga, auf einem Schwein reitend, kämpft mit einem Krokodil. Lubok aus dem 17. Jahrhundert

Der Einblattdruck, der meistens von Hand koloriert wurde, bekam seinen Namen vermutlich von den Tragekörben aus Lindenrinde, Lubok, in denen die Verkäufer die Bilderbögen transportierten. Eine weitere Theorie führt den Namen auf die Herstellungsmethode zurück: Früher wurde in Russland Lindenbast, die etwas weichere und nachgiebigere Schicht unter der Rinde, zum Schreiben und wohl auch zur Anfertigung der Bilderbögen verwendet.2  Im übertragenen alltäglichen Sinne kann der Begriff Lubok oder das Adjektiv lubotschny heute auch für Dinge benutzt werden, die als plump, vulgär oder unbeholfen gelten.

Die genaue Entstehung des russischen Volksbilderbogens liegt für die Forscher im Dunkeln. Die frühesten Blätter werden auf das 17. Jahrhundert datiert. Die ersten Motive waren religiöser Natur, so dass man sie auch häufig „Papierikonen“ nannte. Die Ursprünge des Luboks liegen in der ausländischen und höfischen Kultur, da die meist anonymen Lubok-Künstler sich an ausländischen Vorbildern orientierten. Die Forscher weisen hier zum Beispiel auf die Vorbildfunktionen der Illustrationen aus der Lutherbibel oder Illustrationen und Bilderbögen aus Deutschland, den Niederlanden und Skandinavien hin. Somit ist die Geschichte des russischen Volksbilderbogens auch eine Geschichte der Transformationen, der Synthese und des kulturellen Austauschs.3

Im 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde der Lubok als Holzschnitt gefertigt. Ab den 1860er Jahren verbreitete sich die schnellere und genauere Technik der Metallgravur (Stich und Radierung). Die Motive veränderten sich im Laufe der Zeit, und infolge der günstigeren Herstellungstechnik wurden die Lubki im 19. Jahrhundert zunehmend auch auf dem Land verkauft. Sie wurden häufig an den Wänden der Hütten aufgehängt. Zu jedem Zeitpunkt handelte es sich aber um ein Produkt, das alle Verbraucherschichten vom Bauern bis zu den Provinzadligen erreichte.4

Die Mäuse beerdigen die Katze. 18. Jahrhundert.

Die Themenvielfalt war enorm, sie bewegte sich zwischen Witz und Satire, Ikonen, Lehre und Romanen, Sagen und Heldenlegenden, Tugenden und Lastern.5 Einen großen Aufschwung erfuhren die Bilderbögen 1812 während des Krieges gegen Napoleon und während des Russisch-Japanischen Krieges 1905. Die humoristische Darstellung des Feindes auf zahlreichen Lubki hatte eine große propagandistische und mobilisierende Wirkung.6

Was ist aber das Besondere an dieser Kunstgattung? Erstens liegt die Besonderheit der Lubki, so der berühmte russische Theoretiker Juri Lotman, in ihrer Nähe zum Theatralischen. Ein Lubok bewegt sich zwischen mündlicher und schriftlicher Kultur. Beim Betrachten entsteht eine dynamische, beinahe spielend-nachempfindende Komponente, ähnlich der eines Kindes beim Spielen mit Bildern oder Spielzeug. Zweitens besteht in einem Lubok ein spezifisches Verhältnis zwischen Bild und Text. Die Texte sind keine bloßen Beschreibungen oder Überschriften, sondern sind häufig schwer verständlich oder stehen sogar im deutlichen Gegensatz zu den dargestellten Szenen. Der Text dient, so Lotman, als eine szenische Vertiefung des eigentlichen Bildes.7

Die Kunstform des Lubok hat vor allem die russischen Künstler der Avantgarde wie zum Beispiel Malewitsch und Maler wie Kandinsky und Chagall beeinflusst. Auch heute ist die Verbindung zu den Volksbilderbögen im kulturellen Gedächtnis und im künstlerischen Schaffen Russlands ungebrochen, wie unter anderem die Bilder des satirischen Malers und Grafikers Wasja Loshkin zeigen8.

Zeichnung des satirischen Künstlers Wasja Loshkin mit stilistischen Anleihen beim Lubok


1.vgl. Burke, Peter (2003). Augenzeugenschaft: Bilder als historische Quelle, Berlin, S. 18f
2.vgl. Danilowa, Irina (1962). Der russische Volksbilderbogen, Dresden. oder: Ziel, Wulfhild (1998).  Der russische Volksbilderbogen in Bild und Text: Ein kultur- und kunsthistorisches Intermedium, Frankfurt am Main. oder: Ovsjannikov, Jurij M. (1968).  Lubok: russkie narodnye kartinki XVII - XVIII vv. The Lubok, Moskau
3.vgl. Pesenti, Maria Chiara (2015). Das Anekdotische im Lubok - interkulturelle Beziehungen, in: Vanja, Konrad; Lorenz, Detlef (Hrsg.): Arbeitskreis Bild Druck Papier: Tagungsband Bergamin 2014, Münster, S. 34-51
4.vgl. Sokolov, Boris (1999). Zum Stand der russischen Bilderbogenforschung. Der Volksbilderbogen als Erscheinung der russischen Kultur, in: Peiske, Christa; Ziehe, Irene (Hrsg.): Arbeitskreis Bild Druck Papier: Tagungsband Chemnitz 1997, Münster, S. 45-53. oder: Rejtlblat, A. I. (2000): Čto nes s bazara russkij narod. Lubok v issledovanijach poslednich let, in: NLO (44/2000)
5.für genauere Kategorien siehe Rovinski, D. (1881). Russkie narodnye kartinki, Moskau. Lubki wurden nie systematisch gesammelt, außer von einigen Privatpersonen wie Rowinski, und befinden sich heute verstreut in zahlreichen russischen Archiven und Bibliotheken
6.vgl. Norris, Stephen M. (2006). A War of Images: Russian popular prints, wartime culture and national identity 1812-1945, DeKalb (III. 2006). oder: Višlenkova, Elena (2011). Vizual'noe narodovedenije imperii ili "Uvidet' russkogo dano ne každomu", Moskau
7.grundlegend siehe dazu: Lotman, Jurij (2002). Chudožestvennaja priroda russkich narodnych kartinok, in: ebd.: Stat'i po semiotike kul'tury i iskusstva, Moskau, S. 322-339. Für eine deutsche Version des Textes siehe: Lotman, Jurij (1985). Die künstlerische Natur der russischen Volksbilderbögen, in: Till, Wolfgang (Hrsg.): Lubok. Der russische Volksbilderbogen. Städtisches Reiss-Museum Mannheim, 23. September bis 27. Oktober 1985. Münchner Stadtmuseum, 8. November 1985 bis 6. Januar 1986, München, S. 21–34. Ebenfalls aufschlussreich: Koschmal, Walter (1989). Der russische Volksbilderbogen: Von der Religion zum Theater, München
8.Homepage von Wasja Loshkin und Mirtesen.ru: Tradizii russkowo lubka w twortschestwe Wasi Loshkina
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Walenki sind nahtlose, in einem Stück gefertigte Filzstiefel aus Schafswolle. Sie halten auch bei großer Kälte warm und gelten deshalb als ideales Winterschuhwerk für die trockenen russischen Winter. Walenki werden als ein Symbol traditioneller russischer Kultur betrachtet, heute aber in erster Linie mit dem Landleben assoziiert.

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Menty (sg. Ment) ist eine umgangssprachlichе, überwiegend abwertend verwendete Bezeichnung für Polizisten.

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