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Pimp my Shiguli

Toljatti ist die Hauptstadt der sowjetischen Autoindustrie, die Heimat des Shiguli. Billige – und doch lieb und teure Kopejki (Kopeken), Schestjorki (Sechser) und Dewjatki (Neuner) werden hier getuned und lackiert, und mit den schrottreifen Karren werden dann Rennen gefahren.

Anar Mowsumow hat für das Online-Medium Zapovednik fotografiert, wie die Traditionen der sowjetischen Autoindustrie heute aussehen.

Источник dekoder

Nächtliche Drift-Wettbewerbe um einen brennenden Autoreifen auf dem riesengroßen Parkplatz von AwtoWAS. Bei solchen Treffen versammeln sich mehrere Dutzend Teilnehmer in Autos unterschiedlich hoher Schrottreife / Fotos © Anar Mowsumow

Toljatti wurde erbaut als Stadt des sowjetischen Traums: Breite Prospekte, idealtypisch gleichmäßige rechteckige Wohnviertel, große Parks und modernistische Architektur, attraktiv für Touristen aus der ganzen Welt. Alles nur deswegen, weil die sowjetische Führung 1968 beschloss, Toljatti zur unionsweiten Hauptstadt der Autoindustrie zu machen – und nur zwei Jahre später lief im Automobilwerk AwtoWAS das erste Auto vom Band: der WAS-2101, genannt Kopejka. Doch heute zählt die größte Monostadt des Landes in Untersuchungen häufig zu den ärmsten Orten Russlands, da sich die Wirtschaft hier allein auf die Autoherstellung konzentriert.

Viele hier haben Eltern und Großeltern, die bei AwtoWAS arbeiten oder gearbeitet haben – so wurde das dann eine Art Familientradition. Doch die Zahl der Beschäftigten des Werks ist in den letzten zehn Jahren fast um die Hälfte gesunken und die Zugehörigkeit zur sowjetischen Legende gelingt den jungen Leuten nur über Tuning und Rennen in alten Shiguli.

Obwohl weiterhin neue Lada vom Band laufen, ist hier die sogenannte Bojewaja Klassika beliebter – so heißt der Club von Jugendlichen, die sich für sowjetische Autos begeistern. Die jungen Leute kaufen für ein paar Kopeken Autos, die oftmals nicht mal fahrtauglich sind, richten sie wieder her, motzen sie in ihren Garagen auf und veranstalten dann bei Nacht auf Straßen und Parkplätzen vor Einkaufszentren oder auf zugefrorenen Seen unweit der Stadt ihre Rennen.

Alexej Lewin:

„Meine Philosophie ist, nicht zu viel Gewese um die Autos zu machen. Meistens kauft man sich billige Klapperkisten, da braucht man nicht sehr vorsichtig zu sein. Das ist ziemlich irrsinnig: sich eine offensichtlich lausige, dahinsterbende Konstruktion zu schnappen und daran herumzuschrauben. Deswegen ist jede Rempelei miteinander, mit einem Zaun oder einem zerschranzten Verkehrskegel ein echtes Vergnügen, Adrenalin. Besonders lustig ist es, die Reaktionen der anderen zu beobachten, wenn man im Stau steht, wenn wir einander schubsen oder mit den Karosserien kuscheln. Bei den Rennen macht erstmal vor allem das Driften Spaß, das reicht dann nicht mehr und es kommen Tandem-Drifts, bei denen man sich möglichst nah am Nebenfahrzeug halten muss. Da kommt es dann garantiert zu Kollisionen. Und weil der Zustand der Autos ja allen schnurz ist, auch die Farbe, lackieren die Jungs ihre Kisten selber nach, so gut sie können.

Polizisten mögen uns eher mal nicht, halten uns für Verkehrssünder und Gesetzesbrecher. Wenn sie uns anhalten, wollen sie allem auf den Grund gehen. Wenn bei unseren Treffen viele Leute auf einem Haufen sind, kommen garantiert auch Polizisten und meistens lösen sie alles auf und wollen uns verjagen – manchmal hat das seinen Reiz, ist ein Teil des Spiels.“

Parkplatz vor dem Wolga-Automobilwerk AwtoWAS bei Sonnenaufgang. Vorwiegend sind es Lada: Lada Kalina, Lada Granta und Lada Vesta – es gibt einen Mitarbeiter-Rabatt für die Werksangehörigen

Alexej Lewin, einer der Ideenträger der Bojewaja Klassika in der Autostadt Toljatti

 

Die Garage von Alexejs Vater. Der Raum ist gefüllt mit Ersatzteilen – jenseits der Bildfläche steht ein alter Shiguli

 

Alexander Romanow, ein weiterer informeller Kopf der Bojewaja Klassika, in seiner Garage

 

Alexej Galajew, eines der ersten Mitglieder der Bojewaja Klassika, baut zu Hause ein naturgetreues Shiguli-Modell zusammen

 

Tiefergelegt

Maxim, ein Mitglied der Bojewaja Klassika, mit seinem Auto

In Toljatti gibt es viele Garagen-Anlagen, in denen man sich für wenig Geld eine Zelle mieten kann

Junge Menschen warten auf dem Parkplatz vor dem Einkaufszentrum darauf, dass das Rennen losgeht

Vitali träumte lange davon, sein Auto zu lackieren – an seinem Geburtstag hatten seine Freunde dann ein Geschenk für ihn

 

Ramil und sein 50 Jahre altes Auto. Wie sein Vater arbeitet Ramil bei AwtoWAS
 
Vor den Rennen wird der Asphalt gewässert, damit es flutscht

 

Zuschauer bei einem Treffen

 

Stadtstraßen

 

Lewins Auto hat nachts schlapp gemacht, die anderen kommen zum Helfen und zum Reden

 

Lewin und Romanow machen einen Burnout während des Rennens

 

Manche kaufen spottbillige Shiguli und behandeln das Auto betont schonungslos, auch bei den Rennen

 

Andere unterstützen den Kultstatus dieser sowjetischen Autos und fahren ihren Shiguli im Alltag, hegen und pflegen ihn

 

Die Autos bleiben oft liegen, kein Wunder, bedenkt man ihr Alter und wie draufgängerisch ihre Fahrer damit umgehen. Aber nachts genügt es, jemanden in den Sozialen Medien der Bojewaja Klassika zu rufen – es kommt ganz sicher jemand zu Hilfe mit Werkzeug, Ersatzteilen und Wagenheber
Auto, bei den Jungs bekannt als „Cher“ (dt. Schwanz) – so stand es auf dem Nummernschild. Kurz nach dieser Aufnahme kam „Cher“ auf den Schrottplatz

Springt das Auto nicht von allein an, ist immer jemand da, um anzuschieben, oder hilft, das Auto an den Straßenrand zu bugsieren

 

Der Schrottplatz – hier endet der Lebensweg vieler Shiguli aus Toljatti. Und hier kaufen viele Jungs aus der Bojewaja Klassika und andere Leute von hier ordentlich ein: Hier kann man das Ersatzteil finden, selber abschrauben und es für kleines Geld beim Besitzer des Schrottplatzes kaufen

 

Text und Fotos: Anar Mowsumow
Quelle: Zapovednik (31.03.2020)
Übersetzung: dekoder-Redaktion
veröffentlicht am 23.04.2020

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Infolge des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion wurde das Moskauer Stalinwerk (Zawod imeni Stalina/ ZIS - heute ZIL, Zawod imeni Lichatschowa) 1941 nach Uljanowsk evakuiert. Zunächst liefen Granaten zur Flugzeugabwehr über das Band, ab 1942 wurden dann auch Lastwagen für die Front hergestellt. Den Krieg überstand das Werk weitgehend unbeschadet.  Ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre spezialisierte es sich auf die Produktion kleinerer geländegängiger Fahrzeuge wie Geländewagen, Minibusse und Kleinlastwagen. Auch nach dem Ende der Sowjetunion konnte es seinen Betrieb mit dieser Ausrichtung beibehalten.

Zu den in ganz Russland bekannten Fahrzeugen des Werkes gehört das Modell UAZ-452, ein seit 1965 produzierter Minibus. Seine kompakte, kastenartige Form brachte dem Fahrzeug die umgangssprachlichen Bezeichnungen Buchanka (Kastenbrot) und, da es vor allem auch als Krankenfahrzeug Verwendung fand, Tabletka (Tablette) ein.

Der UAZ-452 als Krankenwagen

Eines der erfolgreichsten Modelle ist der ab 1971 gebaute UAZ-469, ein allradbetriebener Geländewagen, der zunächst als Militär- und Polizeifahrzeug im gesamten ehemaligen Ostblock verbreitet war. Seit den späten 80ern wurde der Verkauf des Fahrzeugs auch für den zivilen Markt geöffnet. Der Wagen erreichte dabei einen geradezu legendären Status, zum einen aufgrund seiner technischen Schlichtheit (er ist mit den einfachsten Werkzeugen zu reparieren), vor allem aber, weil er praktisch jedes noch so unwegbare Terrain überwinden kann. Diese Fähigkeit brachte ihm den Spitznamen Koslik (Ziegenbock) ein.

Ein UAZ-469 als Militärfahrzeug / © Vitaly V. Kuzmin unter CC-BY-SA 4.0

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