Gnose
Außerhalbsein – auf Russisch wnenachodimost – ist ursprünglich ein Schlüsselbegriff aus der Literaturtheorie des Philosophen und Literaturwissenschaftlers Michail Bachtin (1895–1975). Der schwer übersetzbare Neologismus, der im Deutschen auch als Außerhalbbefindlichkeit wiedergegeben wird (und im Englischen als exotopy, extralocality oder outsidedness), bezeichnet das Verhältnis des Autors zu seinem Werk: eine paradoxe Distanz, die zugleich die Identifikation mit dem literarischen Helden fordert wie auch die totale Unverbundenheit und Fremdheit seinen Gedanken und seinem Handeln gegenüber. Yurchak überträgt diesen Begriff auf soziologische Phänomene, insbesondere in der sowjetischen und postsowjetischen Gesellschaft: Der Einzelne vermag Handlungsweisen zu entwickeln, die Funktionen des staatlich kontrollierten Gesellschaftssystems ins Gegenteil umzudeuten, ohne dabei selbst zu diesem System in einen Widerspruch zu treten – er befindet sich zugleich innerhalb und jenseits des Systems.
Von dekoder-Team