Bislang galten sie als Brüder im Geiste, nun bekämpfen sie sich öffentlich: Dimitri Kisseljow, Chef der staatlichen Medienagentur Rossija Sewodnja, und der erzkonservative Dumaabgeordnete Jewgeni Fjodorow. Kisseljow wird von Kritikern gerne als „Chefpropagandist des Kreml“ bezeichnet, Fjodorow sitzt der Nationalen Befreiungsbewegung vor. Ausgerechnet die wirft Kisseljow nun „Trumpophilie“ vor.
Was der Konflikt vor allem mit Putin, der Krim und dem Donbass zu tun hat – und nur am Rande mit Trump – das analysieren Andrej Perzew und Gleb Tscherkassow im Kommersant-Vlast.
Bis vor Kurzem schienen Dimitri Kisseljow und Jewgeni Fjodorow noch auf der gleichen Seite der Barrikaden zu stehen. Kisseljow ist Fernsehmoderator und Generaldirektor von Rossija Sewodnja, Fjodorow sitzt für die Regierungspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ist außerdem Vorsitzender der Nationalen Befreiungsbewegung (NOD). Sei es die bedingungslose Unterstützung des Präsidenten Wladimir Putin und all seiner Vorhaben, sei es die harte Kritik an den USA und der Außenpolitik des Weißen Hauses, die klare Ablehnung der derzeitigen ukrainischen Führung – in vielerlei Hinsicht wirkten die beiden wie Brüder im Geiste.
In seiner Sendung Westi Nedeli [dt. Nachrichten der Woche – dek] behauptete Dimitri Kisseljow unter anderem, dass Russland die USA in „radioaktive Asche verwandeln“ könne, er prangerte nicht-systemische Oppositionelle und auch den durch und durch verdorbenen Westen an. „Schwule für Homosexuellen-Propaganda unter Minderjährigen zu bestrafen, ist nicht genug. Ihnen muss es verboten werden, Blut oder Sperma zu spenden und im Falle eines Autounfalls müssen ihre Herzen tief in der Erde vergraben oder verbrannt werden.“ Das ist eines der bekanntesten Zitate des Fernsehmoderators.
Jewgeni Fjodorows Äußerungen wirkten wie eine logische Fortsetzung dieser Position, und seine Sympathisanten von der Nationalen Befreiungsbewegung setzten diese Ideen in die Praxis um, indem sie Kundgebungen Oppositioneller überfielen und Protestaktionen vor Medienbüros und Botschaften der „feindlichen westlichen Staaten“ abhielten. Auf der Homepage der Gruppe für das Swerdlowsker Gebiet, einer der aktivsten der NOD, wurden sogar regelmäßig Videoaufzeichnungen von Westi Nedeli verlinkt.
Wie gewohnt haben nun Vertreter der Bewegung mit Plakaten vor einem Medienhaus protestiert. Doch diesmal war es nicht etwa das Medienunternehmen RBC – sondern die internationale Nachrichtenagentur Rossija Sewodnja. Die Anhänger von Jewgeni Fjodorow beschuldigen die Agentur und ihren Direktor der „Trumpophilie“.
Die Anhänger von Jewgeni Fjodorow beschuldigten Kisseljow der „Trumpophilie“. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, und Kisseljow holte zum harten Gegenschlag aus
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. In der Sendung vom 19. Februar holte Dimitri Kisseljow zum harten Gegenschlag aus – gegen Jewgeni Fjodorow, gegen die Nationale Befreiungsbewegung, gegen Witali Milonow, den ultrakonservativen Dumaabgeordneten der Partei Einiges Russland, und gegen die Organisation Offiziere Russlands, die nach ihrem Angriff auf die Fotoausstellung von Jock Sturges Ruhm erlangt hatten – gegen alle radikal konservativen Kräfte also.
Kisseljow sprach vor einer Fotocollage verschiedener Politiker mit der Bildaufschrift Die Spinnerten. Neben Milonow und Fjodorow waren darunter auch die in die Ukraine emigrierte ehemalige Dumaabgeordnete für Einiges Russland Maria Maksakowa und der St. Petersburger Jabloko-Politiker Boris Wischnewski.
„Eigentlich gehen wir in Russland milde und nachsichtig mit spinnerten Politikern um, die uns in Erstaunen versetzen, zu irgendetwas aufrufen, oder irgendwohin abkommandieren wollen. Überraschenderweise schleichen sich diese Spinnerten in die Strukturen ein und erlangen, wenn auch nur kurzzeitig, Geltung. Mit schlauer Miene zwingen sie uns ihre dummen Diskussionen auf. Derzeit wird derart viel Blödsinn in den Äther geblasen, dass man in diesem Informationslärm untergehen könnte“, empörte sich Kisseljow. Die Nationale Befreiungsbewegung bezeichnete er dabei als einen „Wanderzirkus“, der „in Moskau umherzieht“.
„Besonders traurig ist, dass der Abgeordnete Fjodorow diese armen Menschen zusammengeschart hat und sie mit überdimensional großen, geradezu grotesken Georgsbändern als Fahnen ausgerüstet hat. Das stolze Symbol der russischen Wehr und der Schlacht gegen den Faschismus – das Symbol des Sieges – hat Fjodorow mit dem Namen seiner Pseudobewegung besetzt und aus dem Ganzen ein Tingeltangel unter Mitwirkung irgendwelcher Trachtenträger oder Wandersänger gemacht. Was für ein Frevel! Überhaupt ist diese Manier der Spinnerten, edle Symbole für inszenierte Skandale und leere Parolen zu vereinnahmen, wenig sympathisch“, rügte der Fernsehjournalist den NOD.
Das stolze Symbol der Schlacht gegen den Faschismus – das Symbol des Sieges – hat Fjodorow mit dem Namen seiner Pseudobewegung besetzt und aus dem Ganzen ein Tingeltangel unter Mitwirkung irgendwelcher Trachtenträger oder Wandersänger gemacht
Dimitri Kisseljow erinnerte auch an die Organisation Offiziere Russlands, wie sie im Herbst versucht hatte, eine Fotoausstellung von Jock Sturges, dem sie Pädophilie vorwarf, zu verwüsten. Und er brandmarkte sie dafür, sich vom Staat finanzieren zu lassen.
Auch der größte Hüter der traditionellen Werte, Witali Milonow aus der Partei Einiges Russland, bekam sein Fett weg: „Im Sticharion – dem geistlichen Gewand für den Kirchendienst – verteidigte er die Übergabe der Isaakskathedrale, und da schickt er sich an, antisemitische Äußerungen von sich zu geben.“
Allerdings klang auch ein Seitenhieb auf die liberalen Verteidiger der Isaakskathedrale an. Dabei sah der Moderator jedoch von persönlichen Angriffen ab und beklagte lediglich, dass die damit verbundene Diskussion den „gesunden Menschenverstand abtöten“ würde.
Die Antwort Jewgeni Fjodorows folgte schnell: Er drohte Dimitri Kisseljow mit einem Gerichtsverfahren und Anzeigen tausender gekränkter NOD-Anhänger, unterstellte ihm eine „Verschwörung gegen den Präsidenten“ und dass er auf Staatskosten eine Kampagne führe für den Präsidenten eines anderen Staates: Donald Trump.
Die Haltung zum US-Präsidenten war der formale Auslöser des Konflikts: Der Pressesprecher des Weißen Hauses Sean Spicer hatte erklärt, dass Trump von Russland erwarte, in der Ukraine für Deeskalation zu sorgen und die Krim „zurückzugeben“. Bis dahin hatte das russische Fernsehen mit Donald Trump sympathisiert, nun aber fast komplett aufgehört, über ihn zu berichten. Doch auch die Kritik, die zuvor unter anderem von Kisseljow gegen Barack Obama vorgebracht worden war, blieb gegenüber dem neuen Staatsoberhaupt der USA aus. Das nahmen die NOD-Aktivisten zum Anlass für ihre Empörung. Die wahren Gründe aber liegen viel tiefer.
Die Kritik, die unter anderem von Kisseljow gegen Barack Obama vorgebracht worden war, blieb gegenüber dem neuen Staatsoberhaupt der USA aus. Das nahmen die NOD-Aktivisten zum Anlass für ihre Empörung. Die wahren Gründe aber liegen viel tiefer
Der Krim-Konsens von 2014 hatte nicht nur dazu geführt, dass 86 Prozent der Bevölkerung den politischen Kurs des Präsidenten unterstützen, sondern es hat sich auch eine recht bunte gesellschaftliche Koalition herausgebildet: von solchen, die dienstlich zum Patriotismus verpflichtet sind, bis hin zu radikalen Fürsprechern eines Konflikts mit dem Westen und Russlands „Erhebung von den Knien“. Die Frage, inwiefern die Mitglieder dieser Koalition solche Überzeugungen aufrichtig vertreten, bleibt nach wie vor offen: Der Fall von Denis Woronenkow und Maria Maksakowa hat gezeigt, dass bereits bei den ersten Anzeichen von Ärger glühende Verfechter eines gesamtnationalen Konsens bereit sind, sich als eingefleischte Dissidenten erkennen zu geben.
Die Heterogenität dieser Koalition war auch in ihrer besten Zeit zu spüren: Die radikalen Kräfte forderten die sofortige Anerkennung der Volksrepubliken Luhansk und Donezk, eine härtere Linie gegenüber den USA sowie grundlegende Umwälzungen im Land. Gemäßigte und radikale Positionen unterschieden sich beispielsweise beim Verhältnis zum finanzwirtschaftlichen Block der Regierung. Die Radikalen sahen in ihm geradezu eine fünfte Kolonne, die das Land daran hindern würde, „sich von den Knien zu erheben“.
Ein klarer Sieg dieser „Krim-Koalition“ war das Resultat der Dumawahl 2016. Kein einziger oppositionell eingestellter Abgeordneter schaffte es ins Unterhaus und gleichzeitig ging ein Teil der Mandate an Bewerber, die noch vor wenigen Jahren als absolute Randfiguren in der Politik galten. Diese Glanzleistung ist zum entscheidenden Wendepunkt geworden: Radikale sahen, dass ihre Kräfte gefragt waren und fingen an, nach mehr zu streben. Die Machthaber wiederum wollten sich im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2018 und vor dem Revolutionsjubiläum 2017 von radikalen Gesinnungen distanzieren.
Dabei war die Regierung bereits vor den Parlamentswahlen dem radikalen Aktionismus etwas überdrüssig geworden. Fragen nach den Übergriffen auf Ausstellungen wurden auch schon bei Wladimir Putins letztjähriger Pressekonferenz gestellt. Der Präsident verurteilte sie, merkte jedoch an, dass es unter den Kulturschaffenden trotzdem Selbstbeschränkungen geben müsse.
Die Dumawahlen waren der Wendepunkt: Radikale sahen, dass ihre Kräfte gefragt waren und strebten nach mehr
Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte Dimitri Kisseljow den versöhnlichen Ton herausgehört. „In den Westi Nedeli vom vergangenen Sonntag haben wir das Thema [die Proteste gegen die Ausstellung von Jock Sturges und die Schließung der Fotoschau – dek] gleich zu Beginn gebracht, sogar noch vor den Wahlergebnissen (der Dumawahl im September 2016, Anm. d. Red. Vlast). Darin haben wir erklärt, dass wir gegen Vandalismus sind und gegen gesellschaftliche Organisationen, die Ausstellungen schließen oder eröffnen können“, erläuterte er im Radio Westi FM.
Der Regierung vorzuwerfen, dass sie von den formulierten Werten abweiche, das geht den radikalen Kräften zu weit, zumindest fürs Erste. Sie haben sich unter Putins Fahne versammelt und es ist klar, dass es unmöglich ist, direkte Kritik am Präsidenten zu üben. Deshalb ist die Strategie, ehemaligen Bündnispartnern vorzuwerfen, sie würden den Präsidenten dabei hindern, die richtige Politik umzusetzen, sowohl aus systemischer als auch aus ideologischer Sicht durchaus verständlich.
Das ist im Grunde klassisch für jede Revolution. Früher oder später machen sich unter den Siegern diejenigen bemerkbar, die nicht gänzlich einverstanden damit sind, dass dies schon der ganze und endgültige Erfolg ist. Die Radikalen – sie hatten viele Namen – bestehen darauf, dass es weiter gehen muss. Die entscheidende Frage ist, ob sie dafür die nötigen Mittel haben.
Der Leiter des Lewada-Zentrums Lew Gudkow ist sicher, dass der Großteil der Gesellschaft sich nicht weiter radikalisieren wird und die Regierung vorhat, Druck aus dem Kessel zu lassen. „Die Norm ist in diesem Fall nicht Jewgeni Fjodorow, sondern Dimitri Kisseljow. Fjodorow ist ein Provokateur, er lotet die Grenzen des Zulässigen aus. Kisseljow hingegen wird oft als Kreml-Stimme wahrgenommen, obwohl er zu Formulierungen greifen darf, die härter sind als die offiziellen. Dieser Konflikt deutet darauf hin, dass der Kreml und die Präsidialverwaltung den radikalen Kräften vor den Wahlen und dem Revolutionsjubiläum Einhalt gebieten möchten“, meint der Soziologe.
Dieser Konflikt deutet darauf hin, dass der Kreml den radikalen Kräften vor den Wahlen und dem Revolutionsjubiläum Einhalt gebieten möchte
Laut des führenden wissenschaftlichen Mitarbeiters des Instituts für Soziologie der Russischen Akademie der Wissenschaften Leonti Bysow spüren die radikalen Kräfte diese Tendenz und werden nervös: „Ihnen ist klar, dass sie nicht mehr gebraucht werden, dass die Machthaber nicht viel auf sie halten und über sie hinweggehen können.“
Zudem besteht das Problem auch darin, dass die ideologische und politische Wende von 2014 die Lage nicht nur in der Gesellschaft sondern auch auf der Straße verändert hat.
„Vor 2014 (vor der Angliederung der Krim und dem Beginn des Konfliktes im Donbass – Anm. d. Red. Vlast) haben ein bis zwei Prozent der Bevölkerung radikale rechte Ansichten geteilt, vergleichbar mit denen von Fjodorow. Bewegungen wie NOD hätten nie genügend Menschen für eine Großkundgebung sammeln können. Die Regierung machte sich diese radikalen rechten Ideen jedoch zu eigen und bekam Zuspruch von einem Großteil der konformistisch eingestellten Wähler, die diese Überzeugungen ansonsten nicht geteilt hätten. Auch Dimitri Kisseljow hat seinen Teil dazu beigetragen“, erklärt Leonti Bysow.
Wenn es um den Zuspruch für die Ideen der Russischen Welt und um eine „antiwestliche Einstellung“ geht, bemerkt er folgende Besonderheit: Der harte Kern der Befürworter sei gleich geblieben und nach wie vor übersichtlich, aber um ihn herum habe sich eine „riesige Peripherie“ gebildet.
„Wenn die Gesellschaft einer derart aggressiven und suggestiven Propaganda ausgesetzt ist, fängt ein Teil davon an, sich zu radikalisieren. Früher haben die radikalen Kräfte die Opposition angegriffen, heute greifen sie Gruppen und ihre öffentlichen Vertreter an, die der Regierung gegenüber loyal eingestellt sind“, so Bysow.
Wenn die Gesellschaft einer derart aggressiven und suggestiven Propaganda ausgesetzt ist, fängt ein Teil davon an, sich zu radikalisieren
Gudkow ist im Übrigen der Meinung, dass das Fernsehen durchaus in der Lage wäre, die öffentliche Meinung von radikalem Gedankengut zu befreien: „Fjodorow ist kaum bekannt, in den Umfrage-Ranglisten der Politiker taucht sein Name nicht auf. Kisseljow ist ein Prominenter, der beliebteste Fernsehmoderator nach Wladimir Solowjow. Jewgeni Fjodorow wurde als spinnert bezeichnet, als solchen wird man ihn jetzt auch wahrnehmen“, resümiert der Soziologe.
Allerdings ist eine derartige Abspaltung der radikalen Kräfte von den gemäßigten ein viel zu langwieriger Prozess, um schon jetzt mit absoluter Sicherheit sagen zu können, wer letzten Endes gewinnt und wessen Beitrag zum gemeinsamen Erfolg mehr wert sein wird. Dies wird sich bestenfalls zum Ende des Präsidentschaftswahlkampfs herauskristallisieren.
Da die Innenpolitik derzeit so abhängig ist von äußeren Faktoren, könnte eine negative Konjunkturentwicklung jedoch bewirken, dass die „Krim-Koalition“ erneut zusammenrückt. Nicht zufällig war ja der Auslöser des Streits ausgerechnet der US-Präsident mit seinen Tweets.