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Editorial: dekoder an der Uni – oder von der Prawda zum kollaborativen Schreiben

Source dekoder

Linearer Text hält sich wacker in Online-Zeiten. Wo das Internet ausufert, zieht er irgendwie auch Grenzen, hegt ein, reduziert (wenn es gut läuft). Doch schöpft er die Möglichkeiten nicht aus. 
Wie können Wissen und Inhalte unter digital getriebenen Arbeits- und Rezeptionsmustern generiert und aufbereitet werden? Das war eine der Kernfragen, die sich Studierende zusammen mit dekoder in einem Projektseminar an der Universität Hamburg gestellt haben. Die Studierenden haben sich dafür mit dem Truppenabzug der vormals Roten Armee aus Ostdeutschland beschäftigt. Ein Prozess, der sich bei rund einer halben Million Menschen, Militärs mit ihren Angehörigen, über knapp vier Jahre zog. Die Soldaten waren plötzlich ein Relikt des Kalten Krieges, mitgerissen vom Strom der Geschichte und von den rasanten Umbrüchen von 1990

Wie lässt sich das Thema aufgreifen und für ein Online-Magazin aufbereiten? Dafür ist dekoder ein Semester lang an die Uni gekommen, und die Studierenden der Fachbereiche Geschichte und Osteuropastudien haben sich darauf eingelassen und ausprobiert. Wo sonst wissenschaftliche Hausarbeiten ihren Alltag dominieren, begannen sie, in Formaten zu denken, die völlig anders funktionieren, sei es eine Online-Presseschau oder ein Visual. 
Dabei gehen Wissenschaft und Journalismus ineinander über. Nicht umsonst kooperiert das vom Lehrlabor der Universität Hamburg geförderte innovative Lehrformat eng mit dem Projekt Wissenstransfer hoch zwei: Russlandstudien, an dem dekoder mit der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen arbeitet. Die Materialien erscheinen zum Jahrestag des Truppenabzugs am 31. August auf dekoder.org. 

Einige der Studierenden sagten, allein schon die Art des gemeinsamen on-offline-Arbeitens sei neu für sie gewesen: mit Redaktionskonferenzen in Gruppen oder im Plenum, per Email oder im Chat, außerdem mit kollaborativem Schreiben. Das erzeugt auch eine ständige Pseudo-Nähe, die gerade im digitalen Zeitalter zu vielen Berufsfeldern gehört, doch macht man sie sich selten bewusst. Andere überraschte, dass der Weg, Russland für ein online-Publikum zu entschlüsseln, ganz klassisch offline beginnt: mit der Wühlarbeit im Archiv über dicken, angegilbten Zeitungsstapeln – auch wenn das Internet suggeriert, alles sei nur ein paar Klicks entfernt (bei einigen Blättern, wie der Prawda und der Izvestia stimmt das sogar).

dekoder stößt damit Fragen an: Was bedeutet die digitale Gesellschaft? Welche Kompetenzen braucht es? Wie verändert sich die Wissenschaft, das Leben und Arbeiten von Wissenschaftlern? Wie funktioniert wissenschaftsbasierter Journalismus im Internet? 

Die Diskussion im Seminar zeigte, wie divers privater Medienkonsum aussieht: mit Podcasts, Videos und einer Faszination für Virtual Reality. WhatsApp nutzen alle durch die Bank. Doch als Produzenten hängen viele am klassisch linearen Text, der immer noch geläufigsten Form für Publikationen. Wie gesagt, er hält sich wacker. Warum auch nicht, Schreiben ist ein Teil des Digitalen, wird im Netz jedoch auf immer neue Weise ergänzt und transformiert. 
So ist es für die Studierenden neues Terrain, mit der verzweigten dekoder-Struktur zu arbeiten, mit den Erklärungen in Pop-ups und den Hyperlinks zu den Gnosen, im besten Fall sogar interaktiven Karten (daran basteln wir noch) Was sie von ihren Erfahrungen sonst zu berichten haben, erzählen sie übrigens in einem begleitenden Seminarblog
Mit den Materialien zum Truppenabzug aus Ostdeutschland geht es unterdessen auf die Zielgerade. Und wir sind selbst am meisten gespannt.

Aus der Uni grüßen

Monica Rüthers 
Mandy Ganske-Zapf

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Moskauer Staatliche Lomonossow-Universität

Die Staatliche Universität Moskau (Moskowski Gosudarstwenny Uniwersitet / MGU) wurde auf Initiative des Universalgelehrten Michail Lomonossow am 25. Januar 1755 per Erlass von Zarin Elisabeth gegründet. Das Gründungsdatum am Tatjanin Den (dt. Tatjana-Tag) wird bis heute in Russland als Feiertag der Studierenden begangen. Im Jahre 1940 wurde der Familienname des Gründers der Universität zum offiziellen Bestandteil ihres Namens gemacht.

Foto - Moscow State University crop © Dmitry A. Mottl unter CC BY-SA 3.0 In ihrer langen Geschichte brachte die Universität zahlreiche wichtige Persönlichkeiten und mehrere Nobelpreisträger hervor. Sie ist jedoch nicht nur die wichtigste Ausbildungsstätte des Landes, sondern fungierte seit dem 18. Jahrhundert auch immer wieder als Keimzelle für Proteste, wie zum Beispiel 1905, als die Studenten zum Sturz des Zaren und zu einer Revolution aufriefen.

Auch aus architektonischer Sicht ist die MGU bedeutsam: Befand sich die Universität ursprünglich in unmittelbarer Nähe des Kremls, wurde von 1947 bis 1953 anlässlich des 800-jährigen Jubiläums der Stadt ein neuer Campus auf den fünf Kilometer westlich vom Stadtzentrum gelegenen Sperlingsbergen erbaut. Das vom Architekten Lew Rudnew entworfene, äußerst markante Gebäude  –  bis 1990 das höchste Gebäude Europas  –  ist eine der im Stalin’schen Zuckerbäckerstil erbauten Sieben Schwestern. Die MGU sollte nicht nur symbolisch die große Bedeutung der Bildung in der Sowjetunion unterstreichen, sondern auch die Silhouette der Stadt entscheidend prägen, was in der Tat bis zum heutigen Tag auch der Fall ist. Die Ausmaße des monumentalen Bauwerks sind gigantisch: Der mit sozialistischen Heldenfiguren verzierte, neoklassizistische Turm ist 240 Meter hoch und wird von vier großen Gebäudeflügeln flankiert. In dem Gebäudekomplex befinden sich auf zusammengenommen 33 Kilometer langen Korridoren 5000 Wohn- und Studierräume für Studenten und Wissenschaftler.

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Sergej Gandlewski (geb. 1952) ist ein bekannter russischer Schriftsteller, Dichter und Übersetzer.

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