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Editorial: Was Ihr mögt an dekoder

Quelle dekoder

Was Ihr mögt an dekoder, 

liebe Leserinnen und Leser, und was Ihr weniger mögt – das wollen wir natürlich wissen. Und so haben wir im Januar eine Umfrage gestartet. Kein Zettelchen mit „Ja-nein-weiß nicht-bitte-ankreuzen“ wie aus Grundschultagen. Sondern einen für uns sehr aufschlussreichen Fragebogen, mit dem Ziel, von euch zu erfahren: Was können wir besser machen? 213 LeserInnen haben mitgemacht, dafür einen riesengroßen Dank!
 
Und wir waren erstmal überwältigt von so vielen Ja-Kreuzchen, sprich Zuspruch. „Bleibt so wie Ihr seid!“, „Einfach großartig“, „Huhu, Ihr seid doch fehlerfrei“, „Was ich schätze? Einfach alles!“, „Behaltet einen langen Atem und einen kühlen Kopf in den hitzigen Debatten um Russland. Danke für Eure Arbeit und Euren Elan!“, „Großes Lob! Empfehle euch sehr oft weiter“, „Führen Sie die vorzügliche und wissenschaftlich basierte Arbeit weiter“ – regnete es auf uns wie tausend rote Rosen.

Die kamen nicht nur von Russland-Checkern: Mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent) gab an, beruflich gar nichts mit Russland zu tun zu haben, knapp die Hälfte (43 Prozent) spricht auch kein Russisch. So legt die Umfrage nahe, dass dekoder russlandinteressierte Lesende ganz gut „abholt“, wie das im Medienjargon heißt, und zwar sowohl die Auskenner als auch die Noch-nicht-Auskenner, die sich erstmal einfach nur interessieren. 

Das will auch so sein, schließlich ist dekoder für alle da. Und will raus aus den Kategorisierungen und polarisierten Debatten – und auch da gab’s Leserlob: Eine große Mehrheit (76 Prozent) schätzt, dass dekoder viel Kontext bietet. Im freien Bereich nannte einer „die Unaufgeregtheit“, andere lobten die „Neutralität“ der Redaktion als großes dekoder-Plus.
 
Dass wir uns auf diesen Lorbeeren nicht ausruhen sollten, legen andere Werte nahe: Wenn es auch tonnenweise Lob gab, von dem wir zehren, und wenn auch die Mehrheit der Befragten just keine Schwächen an dekoder nennen wollte, so merkten manche dennoch ein paar Punkte an, die weh tun. Weil sie stimmen. 
Die öffentliche Wahrnehmung könnte größer sein, hieß es etwa. Das liegt natürlich nicht nur an uns: Kooperationen mit reichweitenstarken Medien sind für uns nicht so einfach, gerade weil wir uns eben nur auf Russland konzentrieren und das für die Auslandsseiten klassischer Medien mitunter zu wenig ist. So umgarnen wir den coolen BMX-Fahrer aus der 4b weiter und hoffen, dass er auf dem „Willst du mit mir gehen?“-Zettel bald sein Kreuzchen macht beim Ja.

Die gute Nachricht ist, dass zum Beispiel die NZZ regelmäßig Beiträge von dekoder übernimmt. Und wir versuchen, noch weitere Medien für uns zu gewinnen. Außerdem geben wir fleißig Interviews, moderieren Fach-Panels, Workshops et cetera, um unsere Präsenz zu stärken. Jedenfalls: Wir sind bereit! 
Gelobt wurde dekoder auch als „Themenfundus“: Liebe Journalisten, wenn Sie Themen bei uns finden, verlinken Sie uns gerne auch im Beitrag!
 
Und schließlich: Es ist es keine On-Off-Beziehung, die die Befragten zu dekoder pflegen. Die meisten lesen dekoder sehr regelmäßig: insgesamt mehr als die Hälfte einmal (33 Prozent) oder mehrmals (29 Prozent) pro Woche. Allerdings würden uns viele gerne noch öfter, am liebsten täglich lesen. Der Wunsch nach mehr Veröffentlichungen und einer höheren Schlagzahl an Artikeln wurde mehrfach geäußert.
Das ist mit unseren aufwändigen Redaktionsprozessen (wir checken jede Veröffentlichung in mehreren Redaktionsgängen gegen) und dem kleinen Team (sechs Redakteure, davon nur eine volle Stelle) nicht ganz ohne, wir bemühen uns aber verstärkt, täglich auf aktuelle Ereignisse zu reagieren.

Angemerkt wurde auch eine gewisse Unübersichtlichkeit der Seite. Das Geniale an Site und Design sehen viele, aber Genie ist oft unpraktisch. Also arbeiten wir mit unseren Grafikern an ein paar Tools, die euch bald schick und schnell durch das virtuelle dekoder-Russland-Buch navigieren!
 
Ein Thema, das wir gar nicht abgefragt hatten, das aber immer wieder zur Sprache kam: ob dekoder auch kremlfreundliche Stimmen abbilden soll – oder nicht. Unsere Leser brachten das von allein aufs Tapet, waren sich da aber nicht ganz einig.
 
Derzeit bewegt sich dekoder sowieso erstmal in andere Richtungen weiter: Wir entwickeln gerade neue, multimediale Formate für den Wissenstransfer (unsere Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern), und der dekoder wird 2019 – zumindest teilweise – erstmals auch in die andere Richtung dekodieren: Artikel und Gnosen auf Russisch für russischsprachige Leser.

Wir sind gespannt, wie euch das gefallen wird, sind jederzeit für euer konstruktives Feedback offen und dankbar!

Wir schließen mit einem der vielen LeserInnen-Kommentare: 
 
„dekoder – liebe ich!“
 
Wir euch auch!
 
Eure dekoderschtschiki
 
PS: Du hast das gerade gelesen und dir fällt noch was Wichtiges ein? Schreib uns an umfrage@dekoder.org. Danke!

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Lewada-Zentrum

In der Sowjetunion gab es keine soziologische Meinungsforschung. Erst mit der Gründung des Zentrums für Studien der Öffentlichen Meinung (WZIOM) im Jahr 1987 begann man, wissenschaftlich fundierte Bevölkerungsumfragen durchzuführen und Meinungsbilder zu erstellen. 1988 kam der Professor für Soziologie Juri Lewada an das Institut, unter dessen Leitung es ab 1992 zum führenden Meinungsforschungsinstitut Russlands wurde. Nach einer staatlichen Einmischung in die Zusammensetzung des Direktoriums verließ die gesamte Belegschaft 2003 das WZIOM und gründete das Analytische Zentrum Juri Lewada, kurz Lewada-Zentrum, mit Hauptsitz in Moskau. Dass auch das neue Institut regelmäßig die politischen Fehlentwicklungen in Russland kritisierte, sorgte für Unmut bei staatlichen Behörden. Bereits 2013 wurde es aufgefordert, sich freiwillig als ausländischer Agent zu registrieren. Das Institut wehrte sich, im September 2016 hat das Justizministerium es jedoch in das Agenten-Register aufgenommen. Damit befindet sich das Zentrum nun unter circa 140 stigmatisierten Organisationen. Wie vielen von ihnen droht nun auch dem Lewada-Zentrum das Ende.

Neben Umfrageergebnissen veröffentlicht das Lewada-Zentrum regelmäßig Analysen und Dossiers zum Zustand der russischen Gesellschaft. Zu den zentralen Publikationen zählt das Jahrbuch Öffentliche Meinung, das über längere Zeiträume Umfragedaten zu den Bereichen Politik, Wahlen und Wirtschaft, aber auch zu kulturellen und sozialen Themen erfasst. Für die Soziologie ist das Jahrbuch das Standardwerk zur öffentlichen Meinung.

Im Gegensatz zu den anderen großen russischen Meinungsforschungsinstituten, dem WZIOM und der Stiftung Öffentliche Meinung (FOM), gilt das Lewada-Zentrum nicht nur als unabhängig1, sondern auch als höchst professionell. Juri Lewada zählte zu den Begründern der modernen Soziologie Russlands, das Institut führt sein wissenschaftliches Vermächtnis soziologisch-sattelfest fort und bietet weitgehend ausgewogene und gut recherchierte Erkenntnisse über den Staat und die Gesellschaft Russlands.

Vor allem der langjährige Leiter des Zentrums Lew Gudkow kritisiert regelmäßig und in einer sehr pointierten Weise die politischen und gesellschaftspolitischen Fehlentwicklungen in Russland.2 Dies brachte dem Institut in jüngerer Vergangenheit Probleme mit staatlichen Behörden ein. Da das Lewada-Zentrum auch für ausländische Auftraggeber Studien durchführt und dafür Honorare erhält, wurde es im Mai 2013 vom Justizministerium aufgefordert, sich in das Register ausländischer Agenten einzutragen. Das Zentrum lehnte dies mit der Begründung ab, es gehe keiner politischen Tätigkeit nach, sondern erforsche lediglich die öffentliche Meinung.

Aufgrund der Befürchtung, das Lewada-Zentrum könnte geschlossen werden, kam es im Sommer 2013 zu einer internationalen Protestwelle zahlreicher namhafter Wissenschaftler, die sich mit dem Institut solidarisierten. Ihr Druck konnte nicht lange aufrechterhalten werden: Kurz vor der Dumawahl verkündete das Justizministerium am 5. September 2016 in einem Fünfzeiler den Eintrag des Instituts in das Agenten-Register.4

Der damalige Leiter des Zentrums Lew Gudkow nahm die Nachricht mit einer Mischung aus „Verstimmung und Wut“ auf. Die Entscheidung bedeute das Ende unabhängiger soziologischer Forschung in Russland, so Gudkow. Das Zentrum habe nämlich keine anderen Möglichkeiten, als sich aus ausländischen Marktforschungsaufträgen zu finanzieren.5

Derzeit ist die Zukunft des Instituts komplett offen.


1.taz: Opposition in Russland. Kreml will Soziologen kaltstellen. Siehe auch Sputnik: Ungenehme Umfragen: Lewada-Zentrum vor dem Aus  
2.Frankfurter Allgemeine Zeitung: Leiter des Lewada-Zentrums.„Russland bewegt sich in Richtung Diktatur“  
3.Bundeszentrale für politische Bildung: Dokumentation: Die "Verwarnung" an das Lewada-Zentrum  
4.Ministerstvo Justicii Rossijskoj Federacii: Avtonomnaja nekommerčeskaja organisacija «Analitičeskij Centr Jurija Levady» vključena v reestr nekommerčeskich organisacij, vypolnjajuščich funkcii inostrannogo agenta  
5.Novaja Gazeta: Lev Gudkov – o priznanii «Levada-centra» inostrannym agentom: «Ja v bešenstve i v rasstrojstve»  
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AGORA

AGORA ist eine bekannte russische Menschenrechtsorganisation, die sich juristisch für die Rechte von Aktivisten, Journalisten, Bloggern und Künstlern einsetzt. In jüngster Zeit geriet die Organisation in die Schlagzeilen, da sie vom Justizministerium als sog. ausländischer Agent registriert wurde.

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Jewgeni Jasin

Jewgeni Jasin (1934–2023) war ein liberaler russischer Ökonom, der zunächst als Berater von Boris Jelzin und von 1994 bis 1997 dann als Wirtschaftsminister die Wirtschaftsreformen der Jelzinzeit entscheidend mitprägte. Auch nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik war er weiterhin gesellschaftspolitisch aktiv: Jasin war Forschungsdirektor der Higher School of Economics, leitete die Stiftung Liberale Mission und war Kolumnist beim unabhängigen Radiosender Echo Moskwy. Als Vertreter der wirtschaftsliberalen Elite kritisierte er die zunehmende Autokratisierung in Putins Regime und forderte mehr Rechtsstaatlichkeit ein.

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Das Umfrageinstitut WZIOM

Das Meinungsforschungsinstitut WZIOM veröffentlicht regelmäßig umfangreiche Umfragen zu politischen und sozialen Themen. Im Jahr 2003 wurde es von einem Forschungsinstitut in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die zu 100 Prozent dem Staat gehört. Inwieweit dies und die finanzielle Abhängigkeit von Regierungsaufträgen sich auf die Methoden und Ergebnisse der Studien auswirken, ist umstritten, insgesamt gilt das WZIOM aber als regierungsnah. Uneinigkeit herrscht auch darüber, ob Umfragen im gegenwärtigen politischen Klima überhaupt die Stimmung in der Bevölkerung repräsentativ abbilden können.

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