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Historische Presseschau: Der sowjetische Truppenabzug aus Afghanistan

Am 15. Februar 1989 hat der letzte sowjetische Konvoi die „Freundschaftsbrücke“ von Afghanistan aus Richtung Sowjetunion überquert. Damit endete nach beinahe zehn Jahren die sowjetische Invasion. Dies war ein historischer Moment, doch auch einer, an dem sich längst schwelende Konflikte neu entzündeten. So fiel die Resonanz auf dieses Ereignis in der sowjetischen und internationalen Presse vielstimmig und kontrovers aus. 

Während die Intervention für die einen zur militärischen Katastrophe wurde, vergleichbar mit dem Vietnam-Desaster, stand sie für andere sinnbildlich für ein neues politisches Denken im Geiste von Perestroika und Glasnost. Genauso unterschiedlich wie die Bewertung des Einsatzes und seiner Erfolge war auch die Einschätzung der Lage nach dem Abzug.

Zum 30. Jahrestag des Truppenabzugs bringt dekoder in Kooperation mit dem Institut für Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin eine internationale historische Presseschau: kontroverse Meinungsstücke, die in sowjetischen, afghanischen, deutschen, US-amerikanischen und französischen  Medien im Februar 1989 zum Abzug der sowjetischen Truppen erschienen sind.

Die Novaya Gazeta hat diese Presseschau ins Russische übertragen.

Источник dekoder

Izvestia: Die Pflicht ist erfüllt

Die Lobeshymnen auf die Soldaten, die die sowjetische Regierungszeitung Izvestia singt, entsprechen der offiziellen Rhetorik:

Deutsch
Original
Das Hauptthema heute: die Rückkehr, die Freude über das Wiedersehen mit der Heimat und den Verwandten. Man wird nicht müde, die Gesichter der Soldaten zu betrachten. Jeder dieser Jungs wurde zum Mann, wurde stärker und hat Charakter ausgebildet. Hier – ein tapferer Junge, mit Kriegsauszeichnungen, einer Telnjaschka, völlig unverzagt. Ja, und warum sollte er auch verzagen, in Verlegenheit geraten. Dieser Soldat hat, wie Tausende seiner Mitstreiter, würdig seine Kampfespflicht erfüllt.
Главная тема сегодня: возвращение, радость встречи с Родиной и родными. И не устаешь вглядываться в солдатские лица. Каждый из этих ребят и возмужал, и окреп, и проявил характер. Вот [...] – парень бравый, знаки отличия, тельняшка десантника, не робеет. Да и чего ему-то робеть, чего смущаться или конфузиться? Этот солдат, как и тысячи его соратников, свой боевой долг выполнил достойно.

 
Izvestija, 15.02.1989, Na swojem beregu. Wywod sowetskich woisk polnostju sawerschen, R. Armejew

L’Humanité: Versprechen wurden gehalten

L’Humanité, das Zentralorgan der Kommunistischen Partei Frankreichs, spricht hingegen von zwei Gefühlen, die den Abzug begleiten:

Deutsch
Original
Die UdSSR schließt ein Kapitel ihrer Geschichte. Glorreich für die einen, bitter für die anderen. Beides für viele. Doch zwei Gefühle überwiegen: die Erleichterung und die Zufriedenheit darüber, zu sehen, dass die Versprechen [der sowjetischen Regierung zum Abzug der Truppen – dek] eingehalten wurden.
L’URSS tourne une page de son histoire. Glorieuse, selon certains, amère selon d’autres. Les deux, pour beaucoup. Mais deux sentiments dominent : le soulagement et la satisfaction de voir que les promesses sont tenues.

 
L’Humanité, 16.02.1989, Promesses tenues, Bernard Frédérick

Le Figaro: Flucht aus der Hölle

Die konservative französische Tageszeitung Le Figaro zieht dagegen bereits am 6. Februar 1989 ein ganz anderes Fazit – und historische Parallelen:

Deutsch
Original
Die Fotos, die uns von dort erreichen, sind jene von lächelnden Soldaten, die ihre Freude darüber nicht verbergen, diese Hölle zu verlassen und nach Hause zu kommen … lebendig! Und von dieser Freude berichten sie den Reportern der westlichen Presse nicht nur ohne Scham, diese erstreckt sich sogar – Glasnost verlangt es – bis in die Kolumnen der Moskauer Zeitungen. Diese 20-jährigen Gesichter erinnern an jene der G.I.s, eilig, dem „schmutzigen Krieg“ zu entkommen, und an ihre „Let’s go home!“-Rufe am 30. April 1975 in Saigon.
Les photographies qui nous parviennent de là-bas sont celles de jeunes soldats souriants, ne cachant pas leur joie de sortir de l’enfer et de rentrer chez eux… vivants ! Et cette joie, ils la disent sans pudeur aux reporters de la presse occidentale et elle s’étale même – glasnost oblige – dans les colonnes des journaux de Moscou. Ces visages de vingt ans rappellent ceux des GI pressés de fuir la „sale guerre“, aux cris de „Let’s go home“, à Saigon le 30 avril 1975.

 
Le Figaro, 06.02.1989, Sauve qui peut!, Jacques Jacquet-Francillon

The New York Times: Die Umkehrung historischer Entwicklungen

Auch die linksliberale The New York Times zieht den Vergleich mit Vietnam – und analysiert die balance of power:

Deutsch
Original
Für beide Großmächte war es die erste Niederlage. Beide mussten die Demütigung durch eine schwächere, aber engagiertere, landeseigene Streitkraft stellen, die von der anderen (Groß-)Macht mit Waffen versorgt wurde. Beide erachteten ihr riesiges nukleares Potential als zu schrecklich, um es einzusetzen. Das Risiko eines direkten Konflikts mit der gegnerischen Supermacht machte es unmöglich, in das Heiligtum des Feindes einzufallen.

Noch scheint der sowjetische Rückzug bemerkenswerter als der amerikanische, eben wegen des autoritären, sowjetischen politischen Systems, der Nähe Afghanistans zur Sowjetunion und der russischen Tradition eines sukzessiven Expansionismus. Es ist eine grundlegende Umkehrung des historischen Trends.

For each of the great powers, it was the first defeat. Each faced humiliation by a weaker but more committed indigenous force using weapons supplied by the other power. Each found its vast nuclear arsenal too terrible to be of any use. Because of the risk of a direct clash with the opposing superpower, each found it impossible to invade the sanctuary of the enemy […].

Yet the Soviet withdrawal seems more remarkable than the American, precisely because of the authoritarian Soviet political system, the proximity of Afghanistan to the Soviet Union and the Russian tradition of contiguous expansionism. It is a fundamental reversal of historic trends.

 
The New York Times, 15.02.1989, Our Vietnam, And the Soviets’, David K. Shipler

Prawda: Triumph des neuen politischen Denkens

Das sowjetische Leitmedium, die Zeitung Prawda, feiert den Truppenabzug aus Afghanistan nicht als Niederlage, sondern als Sieg des gesunden Menschenverstandes:

Deutsch
Original
Dies ist ein Sieg des gesunden Menschenverstandes, der Triumph eines neuen politischen Denkens, ein Schritt, der breite Unterstützung im Sowjetvolk gefunden hat. […] Wir sind weiser geworden. Wir haben viele Stereotype gebrochen. Das neue politische Denken ist nicht im stillen Kämmerlein und auch nicht in hypothetischen Vorstellungen eines „atomaren Weltunterganges“ geboren. Ihre Schule, und nicht nur für uns, waren Afghanistan und Tschernobyl.

Das Genfer Abkommen zum Beispiel zeigte eine Möglichkeit, bei der Suche nach einer  Regulierung schwerster regionaler Probleme zu einer Vereinbarung zu gelangen. Der Übergang von einer Konfrontation zur Zusammenarbeit,  und mehr noch, die Rolle als Garant der erreichten Vereinbarungen  – genau dies ist ein Weg hin zum Zusammenwirken der Großmächte […].

Это — победа здравого смысла, торжество нового политического мышления, шаг, получивший широкую поддержку советского народа. […] Мы стали мудрее. Мы сломали многие стереотипы. Новое политическое мышление рождалось не в тиши кабинетов и не в гипотетических представлениях о «ядерном конце света». Его школой, и не только для нас стали и Афганистан, и Чернобыль. Женевские соглашения, например, показали возможность достижения договоренностей в поисках урегулирования сложнейших региональных проблем. Перейти от конфронтации к сотрудничеству, более того, стать гарантами достигнутых соглашений — вот путь взаимодействия великих держав […].

 
Prawda, 15.02.1989, Podwodja tschertu, Yu. Gluchow

Frankfurter Allgemeine Zeitung: War Afghanistan nur eine Sünde?

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung glaubt hingegen nicht an einen neuen sowjetischen Politikstil. Sie ordnet Gorbatschows Neubewertung des Konflikts ganz anders ein:

Deutsch
-
Schon das „begrenzte Kontingent“ ist den sowjetischen Staat teuer zu stehen gekommen, von den Gefallenen und Verwundeten gar nicht zu reden, die das Moskauer Politbüro anklagen. Von seinem Versagen, von seinen Fehlkalkulationen soll heute mit allerlei schönfärberischen Floskeln abgelenkt werden. Auch Gorbatschow beteiligt sich an den propagandistischen Rückzugsfechten [sic], wenn er Afghanistan als eine von mehreren anderen „Sünden“ der Vergangenheit und Gegenwart bezeichnet, die der Sowjetunion die „Umgestaltung“ erschwerten. Wer die sowjetische Intervention in Afghanistan so verharmlost, darf sich nicht darüber wundern, dass die afghanischen Mudschahedin auch noch die abziehenden sowjetischen Truppen mit Angriffen verfolgten.

 


Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.02.1989, War Afghanistan nur eine Sünde?, Klaus Natorp

Junge Welt: Wenig Grund zum Optimismus

Im Unterschied dazu betrachtet die DDR-Zeitung Junge Welt nicht die sowjetische Position, sondern die Proteste der afghanischen Regierung gegen die Einmischung Pakistans und der USA in den beginnenden Bürgerkrieg:

Deutsch
-
Nachrichten der letzten Tage geben vorerst wenig Grund zum Optimismus. Die „unversöhnliche Opposition“ beschießt weiter afghanische Städte, moralisch und materiell unterstützt von Pakistan und den USA, die ebenfalls die Genfer Vereinbarungen unterschrieben haben, aber offenbar gar nicht daran denken, sich auch daran zu halten. Gerade hat das afghanische Außenministerium der UNO-Mission in Kabul die 217. (!) Note zugeleitet, in der dagegen protestiert wird, dass Pakistan nach wie vor den Extremisten Waffen und Munition liefert. Nachdem man im Westen jahrelang der Sowjetunion den Schwarzen Peter für die blutigen Auseinandersetzungen im Lande zuschieben wollte, wird nun ganz deutlich, wer wirklich daran Schuld hat.

 
Junge Welt, 15.02.1989, Wer liefert Munition gegen den Dialog?, Holger Reischock

Kabul Times: Und jetzt Pakistan?

Deutlich pessimistischer äußert sich das englischsprachige afghanische Regierungsblatt Kabul Times. Die Zeitung befürchtet nach dem Verlust des sowjetischen Schutzes den Einmarsch pakistanischer Truppen:

Deutsch
Original
In der Vergangenheit sprachen die pakistanischen Militärs beständig von der Gefahr, welche ihrer Ansicht nach von der sowjetischen Präsenz auf dieses Land [Pakistan] ausging. Doch welche Absichten werden mit dem Aufmarsch pakistanischer Truppen entlang der  [afghanischen] Grenzen verfolgt, wenn nicht aggressive und interventionistische? [Welche] Gründe können die Handlungen Pakistans derzeit rechtfertigen, wenn nun die letzten sowjetischen Soldaten Afghanistan verlassen.
In the Past, the Pakistani military tops used to persistently speak of a danger, as they claimed, the presence of the Soviet troops have faced to that country. If the deployment of the Pakistani armed forces along the borders does not follow aggressive and interventionist designs, what does it follow? grounds to justify the way Pakistan behaves at present when the last Soviet soldiers leave Afghanistan.

[Grammatik des Ausschnittes wie im Original – dek]

 
Kabul Times, 15.02.1989, BIA Commentary: Pakistan is playing with fire

Süddeutsche Zeitung: Nach dem Abzug das Chaos

Die Süddeutsche Zeitung kritisiert die massive Einmischung beider Supermächte in Afghanistan – und warnt vor den Folgen:

Deutsch
-
So einfach kann sich die kommunistische Supermacht nicht aus ihrer Verantwortung davonstehlen, die sie für Afghanistan weiterhin trägt – moralisch, wirtschaftlich, aber auch politisch. [...] Von der Verantwortung dafür [gemeint ist die Entwicklung des sowjetisch-afghanischen Konflikts zu einem reinen afghanischen „Bruderkrieg“ und die daraus resultierende eskalierende Gewalt – dek] wären dann allerdings auch die USA nicht freizusprechen. Beide Supermächte, eigentlich doch Garanten eines Abkommens, das Afghanistan einem blockfreien, friedvolleren Weg zuführen soll, setzten sich von diesem Krisenherd der Dritten Welt ab unter Zurücklassen wahrer Danaergeschenke: Sie überantworteten das Land zynisch einer Selbstbestimmung der Selbstauslöschung, indem sie ihre jeweiligen Klientel mit soviel Kriegsmaterial ausstatteten, dass diese sich damit noch jahrelang umbringen könnten.

 


Süddeutsche Zeitung, 16.02.1989, Nach dem Abzug das Chaos?, Olaf Ihlau

 

Recherche, Auswahl der Ausschnitte und Übersetzung: Jana Brzoska, Raphaela Käppeli, Cora Litwinski, Bennet Ledwig

Diese Veröffentlichung ist im Rahmen eines Lehrprojekts an der Humboldt-Universität zu Berlin unter der Leitung von Robert Kindler entstanden. Das Vorhaben wurde vom bologna.lab der HU Berlin finanziell unterstützt.

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Erinnerung an den Afghanistan-Krieg

Mit dem Abzug der letzten Rotarmisten am 15. Februar 1989 endete die zehnjährige militärische Intervention der Sowjetunion in Afghanistan. Doch um die Deutungshoheit wird weiterhin gerungen: Heroischer Einsatz für das Vaterland oder sinnloses Sterben in einem fernen Land? Eine Gnose über die schwierige Aufarbeitung eines zentralen Ereignisses der Perestroika.

Gnose

Afghanistan-Krieg

Das militärische Eingreifen der Sowjetunion in Afghanistan dauerte von 1979 bis 1989 an. In der sowjetischen Armee dienten neben den Eliteeinheiten vor allem junge Wehrpflichtige. Auf der sowjetischen Seite wurden 15.000 Soldaten getötet und 54.000 verwundet. Der Krieg führte bei der Bevölkerung zu einem Trauma, das bis heute nachwirkt und die Deutung des aktuellen Einsatzes der russischen Luftwaffe in Syrien nicht unerheblich beeinflusst.

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Leonid Breshnew

Am 19. Dezember vor 115 Jahren ist Leonid Breshnew (1906-1982) als Sohn eines Metallarbeiters geboren.  Von 1964 bis 1982 prägte er als erster Mann im Staat fast zwei Jahrzehnte lang das Geschehen der Sowjetunion. Seine Herrschaft wird einerseits mit einem bescheidenen gesellschaftlichen Wohlstand assoziiert, gleichzeitig jedoch auch als Ära der Stagnation bezeichnet.

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Perestroika

Im engeren Sinne bezeichnet Perestroika die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Umgestaltung, die auf Initiative von Michail Gorbatschow ab 1987 in der Sowjetunion durchgeführt wurde. Politische Öffnung und größere Medienfreiheit führten bald dazu, dass sich die Forderungen nach Veränderung verselbständigten – obwohl die Reformen neben viel Hoffnung auch viel Enttäuschung brachten. Die Perestroika läutete einen unaufhaltsamen Prozess des Wandels ein und mündete im Ende der Sowjetunion.

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Afghanistan-Krieg

Das militärische Eingreifen der Sowjetunion in Afghanistan dauerte von 1979 bis 1989 an. In der sowjetischen Armee dienten neben den Eliteeinheiten vor allem junge Wehrpflichtige. Auf der sowjetischen Seite wurden 15.000 Soldaten getötet und 54.000 verwundet. Der Krieg führte bei der Bevölkerung zu einem Trauma, das bis heute nachwirkt und die Deutung des aktuellen Einsatzes der russischen Luftwaffe in Syrien nicht unerheblich beeinflusst.

Bevor die sowjetischen Truppen Ende 1979 in Afghanistan einmarschierten, sprach nichts dafür, dass dieser entlegene Landstrich für die nächsten Jahrzehnte die internationale Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Für die USA war das Land weder wirtschaftlich noch geostrategisch von besonderem Interesse. Und es gehörte in der Topographie des Kalten Krieges als direkter Nachbar unangefochten in die Einflusssphäre der Sowjetunion.1

Enge Beziehungen

Die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Afghanistan waren seit den 1950er Jahren entsprechend eng: die UdSSR leistete Wirtschaftshilfe, sowjetische Experten arbeiteten in Afghanistan und auch im Bildungssektor gab es enge Kooperationen. Diese stabile Konstellation zerbrach mit dem Sturz des Königs und der Machtergreifung der Demokratischen Volkspartei (DVPA) im Jahre 1978. Die Partei, die 1965 gegründet und von Nur Mohammad Taraki geführt wurde, pflegte bis zu ihrer Machtergreifung enge Kontakte zu Moskau. Von den Umsturzplänen war die Sowjetunion jedoch nicht unterrichtet gewesen.

Laut den Protokollen der Politbürositzungen beobachtete die sowjetische Führung mit großer Sorge die brutalen Reformen, die den Anspruch hegten, das Land nach sowjetischem Vorbild umzustrukturieren.2 Bezeichnend ist die Bewertung des Landes, die der KGB-Chef Juri Andropow im März 1979 in einer Sitzung des Politbüros geäußert hat: „Dass in Afghanistan heute der Sozialismus noch nicht die Antwort auf alle Probleme des Landes sein kann, steht außer Frage. Die Wirtschaft ist rückständig, fast die gesamte Landbevölkerung kann weder lesen noch schreiben, und die islamische Religion besitzt entscheidenden Einfluss.“3 Auch in der afghanischen Bevölkerung stieß das neue Terrorregime auf starken Widerstand; zudem war es durch Auseinandersetzungen innerhalb der Führungsspitze gespalten. In diesen bürgerkriegsähnlichen Zuständen folgte im Herbst 1979 ein weiterer Putsch, bei dem Taraki von seinem Stellvertreter Hafizullah Amin ermordet wurde.4

Verbreitung des Kommunismus vs. Grenzsicherung

Die sowjetischen Truppen überschritten am 25. Dezember 1979 die Grenze zu Afghanistan und brachten das Regime unter ihre vollständige Kontrolle.5 Dabei wurde Amin von Spezialkräften getötet und eine neue Regierung unter Babrak Karmal installiert. Diese Aktion war die größte Militäroperation der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg. Die sowjetischen Truppen sicherten schnell die Städte und strategischen Punkte, aber die Intervention rief auf der afghanischen Seite einen „Heiligen Krieg“ (Dschihad) hervor. Die aus unterschiedlichsten Gruppierungen zusammengesetzten Mudschaheddin6 führten den Krieg aus den unzugänglichen Gebirgsregionen Afghanistans und des angrenzenden Pakistans. Sie verfügten weder über eine zentrale Führung noch über moderne Waffen, trotzdem waren sie durch ihre enorme Ortskenntnis den sowjetischen Einheiten überlegen. Ab 1986 bekamen sie tragbare Luftabwehrsysteme vom Typ „Stringer“ von den USA geliefert, was als Wendepunkt des Krieges gilt. Es gelang den Mudschaheddin, immer mehr ländliche Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen.

Die neueste Forschung geht immer mehr davon aus, dass es der sowjetischen Führung in diesem Konflikt weniger um die vor allem von den Zeitgenossen unterstellte Verbreitung des Kommunismus gegangen sei, sondern um die Sicherung ihrer südlichen Grenzen. Die zehnjährige Besetzung Afghanistans erfolgte in einer Phase der Verschärfung des Kalten Krieges, in die auch der Nato-Doppelbeschluss fiel, was die Lösung des Konflikts erschwerte. Erst ab 1985 unter den Vorzeichen der Glasnost durften die sowjetischen Medien über den Einsatz berichten. Gorbatschow bemühte sich um eine politische Lösung, aber erst am 14. April 1988 wurde das Genfer Abkommen unterzeichnet. Darin verpflichtete sich die Sowjetunion, bis zum 15. Februar 1989 die Truppen abzuziehen.

Tiefes Trauma

Der Krieg führte zu einer Massenflucht der afghanischen Bevölkerung, zur Zerstörung des Landes und, nach dem Abzug der sowjetischen Truppen, zum Bürgerkrieg. Auf der sowjetischen Seite hinterließ der Krieg ein tiefes Trauma, symbolisiert durch zurückkehrende Särge mit getöteten Soldaten, die unter der militärischen Bezeichnung Fracht 200 bekannt sind.
Die fehlende Berichterstattung und die unklaren Ziele des Krieges, der mit sehr hohen Verlusten und aus Sicht der Bevölkerung „irgendwo am Ende der Welt“ geführt wurde, verdeutlichte, dass das System im Kern marode war und führte zu einer Delegitimierung der staatlichen Führung.
Die große Zahl der durch die Kampfhandlungen traumatisierten und nach ihrem Ausscheiden nicht weiter betreuten ehemaligen Kriegsteilnehmer stellte ein soziales Problem dar. Viele von ihnen ließen sich von Kampftruppen anwerben oder gerieten ins Räderwerk der organisierten Kriminalität.

Kulturelle Aufarbeitung fand das Thema unter anderem in bekannten Filmen wie 9 Rota (Die Neunte Kompanie, 2005) von Fjodor Bondartschuk oder Grus 200 (Fracht 200, 2007) von Alexej Balabanow sowie im Buch Zinkjungen von Swetlana Alexijewitsch (erschienen 1992). Auch in der Popmusik wurde der Krieg häufig thematisiert, unter anderem von den Bands Kino, DDT, Alisa und Nautilus Pompilius. Bis heute wird der Krieg in Afghanistan offiziell lediglich als „Entsendung eines begrenzten Kontingents“ bezeichnet.


1.Gibbs, David N. (2006): Die Hintergründe der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1979, in: Greiner, Bernd / Müller, Christian Th. (Hrsg.): Heiße Kriege im Kalten Krieg, Hamburg, S. 291-314
2.Schattenberg, Susanne (2014): Der Militäreinsatz in Afghanistan 1979, in: dies. (Hrsg.): Sowjetunion II – 1953–1991: Informationen zur politischen Bildung 323, S. 39
3.Wilson Center Digital Archive: Sitzung des Politbüros am 17. März 1979
4.Dorronsoro, Gilles (2005): Revolution Unending: Afghanistan: 1979 to the Present, London
5.1000dokumente.de: Der Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan: Beschluss des CK der KPSS, Nr. P 176/125, 12. Dezember 1979
6.Das Wort Mudschaheddin bezeichnet jemanden, der für den „Heiligen Krieg“ kämpft, um damit den Islam zu schützen. Eine breite Verwendung fand der Begriff während der sowjetischen Besatzung Afghanistans. Seitdem verwenden die Angehörigen islamischer Guerilla-Gruppen den Begriff als Eigenbezeichnung.
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Am 19. Dezember vor 115 Jahren ist Leonid Breshnew (1906-1982) als Sohn eines Metallarbeiters geboren.  Von 1964 bis 1982 prägte er als erster Mann im Staat fast zwei Jahrzehnte lang das Geschehen der Sowjetunion. Seine Herrschaft wird einerseits mit einem bescheidenen gesellschaftlichen Wohlstand assoziiert, gleichzeitig jedoch auch als Ära der Stagnation bezeichnet.

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Auflösung der Sowjetunion

Heute vor 31 Jahren trafen sich die Staatsoberhäupter von Russland, Belarus und der Ukraine und vereinbarten, die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten zu gründen. Damit besiegelten sie faktisch das Ende der Sowjetunion. Welche Dynamiken damals die einstige Supermacht zum Zerfall brachten, skizziert Ewgeniy Kasakow.

 

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Großer Vaterländischer Krieg

Als Großen Vaterländischen Krieg bezeichnet man in Russland den Kampf der Sowjetunion gegen Hitlerdeutschland 1941–1945. Der Begriff ist an den Vaterländischen Krieg gegen Napoleon im Jahr 1812 angelehnt. Galt der Sieg über den Faschismus offiziell zunächst als ein sozialistischer Triumph unter vielen, wurde er seit Mitte der 1960er Jahre zu einem zentralen Bezugspunkt der russischen Geschichte.

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