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Gefährlicher Bluff

Nicht in Brüssel, sondern in Riga – also deutlich näher an Moskau und Minsk gelegen – kommen heute die NATO-Außenminister für ein zweitägiges Treffen zusammen. Seit Wochen berichtet das Bündnis über einen verstärkten russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine. Auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba wird als Gast bei dem Treffen dabei sein.

Die Beziehungen zwischen Russland und der NATO liegen auf Eis, Russland hat im November die Arbeit seiner Vertretung in Brüssel komplett eingestellt. Damit gibt es keine Gesprächskanäle mehr. So beschäftigt die russische Truppenkonzentration nahe der Ukraine auch internationale Beobachter: Alles nur Säbelrasseln? Oder droht ein Szenario wie 2014, als „grüne Männchen“ auf die Krim einmarschierten und Russland die Halbinsel schließlich angliederte?

Es gebe allen Grund zur Sorge, meint etwa die Politikwissenschaftlerin Tatjana Stanowaja auf Telegram. Die Ukraine sei für Russland ein wichtiger Schauplatz in der Auseinandersetzung mit dem Westen. Auch ohne „Provokationen“ von ukrainischer Seite gebe es die Bereitschaft, „die Welt zu erschüttern“, und damit über den Status quo zu siegen, der seit den Minsker Protokollen von 2015 vorherrscht. 
Dimitri Trenin sieht auf Carnegie.ru im Vorgehen Russlands dagegen eine Art Abschreckung nach (gegenseitigen) Provokationen. Deren Erfolg hänge davon ab, „wie plausibel die Bedrohung wahrgenommen wird“. 

Ähnlich argumentiert Julia Latynina in der Novaya Gazeta: Es werde keinen Krieg gegen die Ukraine geben – weil es dem Kreml dabei vor allem um die Aufmerksamkeit der USA gehe.

Источник Novaya Gazeta

Die Nachrichtenplattform Bloomberg veröffentlichte letzte Woche einen Plan Russlands über eine mögliche Invasion in der Ukraine. Der US-Geheimdienst hatte ihn seinen europäischen Bündnispartnern übermittelt.
An der Invasion sollen 100 Bataillons- und Kampfgruppen mit 100.000 Mann teilnehmen, von denen die Hälfte „bereits Stellung bezogen“ habe. Der Schlag solle von drei Seiten aus geführt werden: vom russischen Festland, von der Krim und von Belarus. Als voraussichtlicher Zeitpunkt der Invasion wird Anfang nächsten Jahres genannt. „Amerika sagt damit nicht, ein Krieg sei unvermeidlich, oder auch nur, man wisse mit Sicherheit, dass Putin wirklich angreifen wolle. Vielmehr heißt es, er sei wahrscheinlich noch unentschlossen, was er tun werde“, schreibt Bloomberg.  

Die aktuelle militärische Aufrüstung an der ukrainischen Grenze ist schon die zweite Geschichte dieser Art innerhalb kurzer Zeit. Die erste, im Sommer 2021, handelte ebenfalls von Truppenverschiebungen und endete mit einem Treffen zwischen Biden und Putin
Die jetzige steht im Kontext bedenklich sinkender Umfragewerte der russischen Regierung, der totalen Vernichtung der Opposition sowie einer Krise an der polnisch-belarussischen Grenze, im Zuge derer Lukaschenko Warschau mit einer Unterbrechung der Gaslieferungen drohte und seine Propagandisten russische Kampfflugzeuge in Aussicht stellten. 
Und jetzt folgt mein Erklärungsversuch, warum eine solche Invasion gar nicht möglich ist.   

Erstens: Der Kreml hat bisher nie richtige Kriege geführt, sondern nur hybride 

Erstens: Der Kreml hat bisher nie richtige Kriege geführt, sondern nur hybride. Ein richtiger Krieg wird geführt, um zu siegen. In einem solchen Krieg ist der Abgleich mit der Realität sehr wichtig, und wenn man da zu lügen beginnt, kann man, wie der japanische Admiral Yamamoto einmal sagte, „den Krieg schon als verloren betrachten“.  

Ein hybrider Krieg wird nicht geführt, um zu siegen, sondern um ein Bild zu erzeugen. Dabei ist die Lüge eines der wichtigsten Werkzeuge.  
In einem richtigen Krieg wird alles daran gesetzt, die Verluste des Feindes zu maximieren.
Bei einem hybriden Krieg geht es zum Teil auch darum, Informationen über angebliche Verluste in den eigenen Reihen zu maximieren. Manchmal wird ein hybrider Krieg nur geführt, um zu erzählen, wie die israelische Kriegsmaschinerie ein Kind getötet oder ukrainische Faschisten einen Jungen gekreuzigt haben. 

Zweitens: Der Kreml hat bisher bei allen Kriegen auf die Möglichkeit der Verleugnung gebaut

Zweitens: Der Kreml hat bisher bei allen Kriegen auf die Möglichkeit der Verleugnung gebaut. „Das ist nicht Russland. Das sind Privatleute.“ So kann man jede Verantwortung für bewaffnete Gar-nicht-Dorts von sich weisen und im Fall militärischer Verluste das Risiko minimieren. Wäre es Marschall Haftar in Libyen gelungen, Tripolis zu erobern, hätten unsere Skabejewas den Sieg auf allen Kanälen in die Welt hinausposaunt. Nachdem aber türkische Bayraktar-Drohnen Haftar und seinen russischen Söldnern den Garaus gemacht hatten, konnte man genauso gut schweigen. 

Und schließlich drittens: Alle Kriege des Kreml haben dem Westen immer die Option gelassen, neutral zu bleiben

Und schließlich drittens: Alle Kriege des Kreml haben dem Westen immer die Option gelassen, neutral zu bleiben und keine unumkehrbaren Entscheidungen zu treffen. „Das ist alles kompliziert dort. Ein innerukrainischer Konflikt. Das sind Freiwillige“, und so weiter. Solche Spielräume, die dem Westen erlauben, sein Gesicht zu wahren und dabei untätig zu bleiben, waren immer fixer Bestandteil der Kriegsstrategie des Kreml.     
Eigentlich gehört alles Obengenannte zu den Merkmalen eines hybriden Kriegs – eines Kriegs, in dem es nicht um den Sieg geht, sondern ums Lügen und Schädigen – der Feind soll geschädigt und das eigene Volk belogen werden. Der ideale Krieg war für den Kreml immer ein computergeneriertes Bild, auf dem Russland Raketen auf Florida feuert. 

Trotz solcher Bilder und des Versprechens, die USA „zu Atomstaub“ zu pulverisieren, hat der Kreml jeden echten Krieg immer tunlichst vermieden. 

Als die USA im Februar 2018 bei Deir ez-Zor eine Kolonne mit russischen Söldnern bombardierten, hat der Kreml nicht nur nicht reagiert, sondern einfach so getan, als wäre das gar nicht passiert.  

Als die Amerikaner im selben Jahr die syrische Infrastruktur in die Luft sprengten, verkündete Russland zwar lautstark, es werde keine US-Aggressionen dulden, verhielt sich aber dann fein artig hybrid: Man präsentierte im Fernsehen einen Haufen erdichteter Vergeltungsschläge und versuchte, diesen unangenehmen Zwischenfall, der die absolute Überlegenheit der US-Raketen vor Augen führte, alsbald zu vergessen. 
Anders gesagt, jedes Mal, wenn das Gespenst eines richtigen Kriegs durch den Kreml spukt, in dem man nicht mehr mit Fernsehbildern von gekreuzigten Kindern und abgeschossenen Raketen auskommen würde, tut Moskau so, als würde es das alles nichts angehen. 

Wahrscheinlich, weil sich der Kreml im Grunde des tatsächlichen Zustands der russischen Kriegstechnik bewusst ist. Er weiß nur zu gut, in welchen Situationen schon von einem „kleinen, siegreichen Krieg“ die Rede war, der dann weder klein noch siegreich war.  

Es liegt auf der Hand, dass eine Invasion in der Ukraine von drei Seiten mit Luftstreitkräften und 100.000 Mann starken Truppen, wie in dem Plan formuliert, nicht unter die Definition eines hybriden Kriegs fällt. Und sich gegen eine solche Invasion zu verteidigen, wäre für die Ukraine nicht schwerer, sondern leichter. 

Die Verteidigung gegen eine solche Invasion wäre für die Ukraine nicht schwerer, sondern leichter

Die ganze Stärke von Noworossija bestand darin, dass prorussische Kämpfer sich als „unterdrückte Lokalbevölkerung“ ausgaben und hinter Zivilisten verschanzten. Unter solchen Bedingungen traf jeder Schuss auf einen Kämpfer wirklich die Zivilbevölkerung, und der Westen konnte vor diesem komplexen Problem erleichtert die Augen verschließen. Die Invasion einer 100.000 Mann starken Armee böte diese Chance nicht.     
Eine solche Invasion zu legitimieren, nachdem man auf russischem Territorium eine „rechtmäßige Regierung Janukowitsch“ eingesetzt und in deren Namen um Hilfe gebeten hat, wird unmöglich sein. Auf diese Weise eroberte Gebiete könnte man nicht legal an Russland angliedern. Die Auswirkungen eines solchen Krieges auf die Gesellschaft wären katastrophal. Krim nasch war ja genau deshalb so populär, weil es keine Toten gab. 100.000 Rekruten, die man Bayraktar-Drohnen und unbemannten US-Kampfflugzeugen zum Fraß vorwirft, blieben wohl kaum vollzählig unversehrt. 

„Das tiefe Volk“ würde wie im Afghanistan-Krieg vor den Todesnachrichten und die Elite vor den Sanktionen des Westens erschaudern, die den Wert ihrer Beute mindern. 

Aber das zentrale, das fundamentale Problem ist: Dies wäre ein echter Krieg und das heißt, man kann ihn verlieren. Einen hybriden Krieg kann man prinzipiell nicht verlieren. Wenn es mit Noworossija klappt – wunderbar. Werden es nur die Volksrepubliken Donezk und Luhansk – was soll’s, stopfen wir dieses Krebsgeschwür eben zurück in den Leib der Ukraine, auch gut. Mit anderen Worten, alles, was passiert, ist ein Bluffen. Es ist immer noch derselbe hybride Krieg. Eine Nötigung zum Dialog. Eine Reaktion auf die Sanktionen. Eine Reaktion auf das Vorhaben, künftig auf russisches Öl und Gas zu verzichten. Auf den Vertrag zwischen den USA und der Ukraine. Auf die Weigerung der Ukraine, die Volksrepubliken Donezk und Luhansk zu den Bedingungen des Kreml zu akzeptieren. Und es ist eine Reaktion auf die sinkenden Umfragewerte und auf den gescheiterten Versuch, Europa mithilfe Lukaschenkos zu erpressen

Die USA und Europa haben zwei Möglichkeiten, auf diesen Bluff zu reagieren. Sie können sich einschüchtern lassen und „einen Dialog beginnen“. Oder sie können klarmachen, dass die Ukraine im Fall eines vom Kreml begonnenen Krieges so viel militärische Unterstützung erhält wie nötig, um einen Sieg Russlands zu verhindern. 

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Krieg im Osten der Ukraine

Bei dem bewaffneten Konflikt im Osten der Ukraine beziehungsweise im Donbass handelt es sich um einen Krieg, der von seit April 2014 zwischen ukrainischen Streitkräften und Freiwilligenbataillonen auf der einen Seite sowie separatistischen Milizen der selbsternannten Volksrepubliken von Donezk und Luhansk (DNR und LNR) und russischen Soldaten auf der anderen Seite geführt wurde. Am 24. Februar 2022 befahl Putin den Angriff auf das Nachbarland – aus dem verdeckten ist ein offener Krieg geworden.

Die zentralen Vorgänge, die den Krieg in der Ostukraine bis dahin geprägt hatten: Vorgeblich ging es dabei um die Gebietshoheit der beiden ostukrainischen Verwaltungsbezirke Donezk und Luhansk – dem sogenannten Donbass, der zu etwa einem Drittel nicht unter Kontrolle der ukrainischen Regierung ist. In der Ukraine sowie in der Europäischen Union ist man bis heute überzeugt, dass Russland die Separatisten immer finanziell, personell und logistisch unterstützt hat. Demnach hat Russland den Donbass vor allem als Instrument genutzt, um die Ukraine langfristig zu destabilisieren und somit gleichzeitig kontrollieren zu können. Russland hatte eine militärische Einflussnahme und Destabilisierungsabsichten stets bestritten.

Die Entstehung des Krieges und wie die EU und die USA mit Sanktionen darauf in dem jahrelangen Konflikt reagiert hatten – ein Überblick. 

Nachdem Ende Februar 2014 der ukrainische Präsident Janukowytsch im Zuge der Maidan-Proteste gestürzt wurde, russische Truppen kurze Zeit später die Krim okkupierten und die Annexion der Halbinsel auf den Weg brachten, ist die Situation im Donbass schrittweise eskaliert.

Zunächst hatten pro-russische Aktivisten im April 2014 Verwaltungsgebäude in mehreren ostukrainischen Städten besetzt. Forderungen, die hier artikuliert wurden, waren diffus und reichten von mehr regionaler Selbstbestimmung bis hin zur Unabhängigkeit von der Ukraine und einem Anschluss an Russland.

Während sich in Charkiw die Situation nach der polizeilichen Räumung der besetzten Gebietsverwaltung rasch entspannte, kam es in Donezk und Luhansk zur Proklamation eigener Republiken. Parallel wurden Polizeistationen und Gebäude des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes gestürmt sowie dortige Waffenarsenale gekapert. Wenige Tage später traten in der Stadt Slowjansk (Donezker Verwaltungsbezirk) unter dem Kommando des russischen Geheimdienstoberst Igor Girkin erste bewaffnete „Rebellen“ in Erscheinung. Girkin, der bereits zuvor an Russlands Okkupation der Krim beteiligt gewesen war und zwischen Mai 2014 und August 2014 als Verteidigungsminister der DNR fungierte, behauptete später, dass der Krieg im Donbass mitnichten aus einem Aufstand russischsprachiger Bewohner der Region resultierte. Er betonte indes, dass dieser „Aufruhr“ ohne das Eingreifen seiner Einheit schnell zum Erliegen gekommen wäre.1

Eskalation

Tatsächlich begannen die bewaffneten Kampfhandlungen in dem von Girkins Einheit besetzten Slowjansk. Um die Stadt zurückzugewinnen, startete die ukrainische Regierung eine „Anti-Terror-Operation“ mit Beteiligung der Armee. Während die Separatisten in den von ihnen kontrollierten Orten des Donbass im Mai 2014 sogenannte Unabhängigkeitsreferenden durchführen ließen, weiteten sich in der Folgezeit die Gefechte zwischen ukrainischen Streitkräften und Freiwilligenverbänden auf der einen und den Separatisten auf der anderen Seite stetig aus.

In deutschsprachigen Medien und in der internationalen Diplomatie wurde seither häufig von einer „Krise“ oder einem „Konflikt“ gesprochen. Tatsächlich erreichte die militärische Eskalation unter quantitativen Aspekten, die sich auf eine bestimmte Anzahl von zivilen und nicht-zivilen Opfern pro Jahr beziehen, bereits 2014 den Zustand eines Krieges.2 Auch unter qualitativen Gesichtspunkten erfüllte der bewaffnete Konflikt ab 2014 sämtliche Merkmale eines Krieges, wie ihn beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg definiert3.

Neben der Involvierung russischer Freischärler und Söldner4 mehrten sich im Verlauf der kriegerischen Auseinandersetzungen Berichte über großkalibrige Kriegsgeräte, die den von den Separatisten kontrollierten Abschnitt der russisch-ukrainischen Grenze passiert haben sollen.5 Hierzu soll auch das Flugabwehrraketensystem BUK gehören, mit dem nach Auffassung des internationalen Ermittlungsteams das Passagierflugzeug MH17 im Juli 2014 über Separatistengebiet abgeschossen wurde.6 Reguläre russische Streitkräfte sollen indes ab August 2014 erstmalig in das Geschehen eingegriffen haben, nachdem die ukrainische Seite zuvor stetige Gebietsgewinne verbuchen und Städte wie Kramatorsk, Slowjansk, Mariupol und Awdijiwka zurückerobern konnte.7

Die EU verhängte im Sommer 2014 aufgrund der „vorsätzlichen Destabilisierung“8 der Ukraine weitreichende wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland. Russland stritt eine Kriegsbeteiligung eigener regulärer Soldaten jedoch stets ab: So hätten sich beispielsweise Soldaten einer russischen Luftlandlandedivision, die in ukrainische Gefangenschaft geraten waren, nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums verlaufen und die Grenze zur Ukraine nur  aus Versehen überquert.9 Die russische Menschenrechtsorganisation Komitee der Soldatenmütter Russlands indes beziffert die Zahl russischer Soldaten, die im Spätsommer 2014 auf ukrainischem Territorium im Einsatz gewesen seien, mit rund 10.000.10

Einen Wendepunkt des Kriegsverlaufs stellte schließlich die Schlacht um die ukrainische Kleinstadt Ilowajsk dar, bei der die ukrainische Seite im September 2014 eine herbe Niederlage erfuhr und mehrere hundert gefallene Soldaten zu beklagen hatte.11

Die ukrainische Regierung hat die NATO mehrfach vergeblich um Waffenhilfe gebeten. Allerdings legte die NATO spezielle Fonds an, die zu einer Modernisierung der ukrainischen Streitkräfte beitragen sollen. Diese Fonds dienen unter anderem der Ausbildung ukrainischer Soldaten, der Verbesserung von Kommunikationsstrukturen, der Stärkung von Verteidigungskapazitäten im Bereich der Cyberkriegsführung sowie der medizinischen Versorgung von Soldaten.12 Darüber hinaus erhält die Ukraine Unterstützung in Form von sogenannter nichttödlicher Militärausrüstung wie Helmen und Schutzwesten, Funkgeräten und gepanzerten Geländewagen, unter anderem von den USA.13 

Verhandlungen

Die zunehmende Eskalation des Krieges brachte eine Intensivierung internationaler Vermittlungsbemühungen mit sich. Bereits im März 2014 hatte der Ständige Rat der OSZE eine zivile Sonderbeobachtermission für die Ukraine beauftragt und wenig später eine trilaterale Kontaktgruppe zwischen der Ukraine, Russland und der OSZE ins Leben gerufen. Auf Ebene der Staats- und Regierungschefs etablierte sich das sogenannte Normandie-Format zwischen der Ukraine, Russland, Deutschland und Frankreich. Im September 2014 machte es die Unterzeichnung des sogenannten Minsker Protokolls durch die OSZE-Kontaktgruppe möglich.

Nach anhaltenden Kämpfen, vor allem um den Flughafen von Donezk sowie die Stadt Debalzewe, kam es im Februar 2015 zu einem erneuten Zusammentreffen des Normandie-Formats in Minsk. Im Minsker Maßnahmenpaket (Minsk II) konkretisierten die Parteien sowohl einen Plan zur Entmilitarisierung als auch politische Schritte, die zur  Lösung des Konflikts beitragen sollten.

Das Maßnahmenpaket umfasst dreizehn Punkte, die schrittweise unter Beobachtung der OSZE umgesetzt werden sollen. Hierzu gehört der Waffenstillstand sowie der Abzug schwerer Kriegsgeräte und sogenannter „ausländischer bewaffneter Formationen“. Außerdem soll in der ukrainischen Verfassung ein Sonderstatus für die Separatistengebiete verankert werden. Nicht zuletzt sieht das Maßnahmenpaket vor, dass Kommunalwahlen in diesen Gebieten abgehalten werden. Außerdem soll die ukrainisch-russische Grenze wieder durch die ukrainische Regierung kontrolliert werden.14

Entwicklung seit Minsk II

Auch unmittelbar nach der Unterzeichnung des Minsker Abkommens hielten jedoch vor allem in Debalzewe heftige Gefechte an, bis die Stadt schließlich wenige Tage später unter die Kontrolle der Separatisten fiel. Auch hier soll – wie bereits zuvor in Ilowajsk – reguläres russisches Militär massiv in das Kriegsgeschehen eingegriffen haben.15 Erst nach dem Fall von Debalzewe nahmen die Kampfhandlungen ab. Zu Verletzungen der Waffenruhe, Toten und Verletzten entlang der Frontlinie kam es seither dennoch beinahe täglich.16 Dies macht eine Umsetzung des Minsker Maßnahmenpakets bis heute unmöglich.

Schwere Gefechte mit dutzenden Toten brachen zuletzt rund um die Stadt Awdijiwka aus. Awdijiwka, das im Sommer 2014 von ukrainischer Seite zurückerobert wurde und dem Minsker Protokoll entsprechend unter Kontrolle der ukrainischen Regierung steht, hat als Verkehrsknotenpunkt sowie aufgrund der dort ansässigen Kokerei eine besondere strategische und ökonomische Bedeutung. Die Stadt ist in der Vergangenheit immer wieder unter Beschuss geraten.17 Im Januar 2017 kam es dort auch zur Zerstörung kritischer Infrastruktur: Dabei fielen in der Stadt bei Temperaturen von unter minus 20 Grad mehrere Tage die Strom-, Wasser- und Wärmeversorgung aus. Allein am 31. Januar 2017 berichtete die Sonderbeobachtermission der OSZE von mehr als 10.000 registrierten Explosionen – die höchste von der Mission bisher registrierte Anzahl an Waffenstillstandsverletzungen.18

Laut Schätzungen der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2019 sind seit Beginn des Krieges im Donbass rund 13.000 Menschen gestorben. Die Anzahl der Verletzten beziffern die Vereinten Nationen mit über 24.000. Bei mehr als 2000 Todesopfern sowie etwa 6000 bis 7000 Verletzten handelt es sich um Zivilisten.19 Menschenrechtsorganisationen geben zudem an, etliche Fälle von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen dokumentiert zu haben.20 Im November 2016 erklärte die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag, dass Anzeichen für einen internationalen bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine vorliegen.21 Die russische Regierung zog daraufhin ihre Unterschrift unter dem Statut des ICC zurück. 

Neben tausenden Toten und Verletzten hat der Krieg auch zu enormen Flüchtlingsbewegungen geführt. Das ukrainische Ministerium für Sozialpolitik registrierte bis Mitte 2016 über 1,6 Millionen Binnenflüchtlinge; das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen geht in seinen eigenen Berechnungen derweil von 800.000 bis einer Million Binnenflüchtlingen aus.22 Daneben haben knapp 1,5 Millionen Ukrainer seit Ausbruch des Krieges Asyl oder andere Formen des legalen Aufenthalts in Nachbarstaaten der Ukraine gesucht. Nach Angaben russischer Behörden sollen sich rund eine Million Ukrainer in der Russischen Föderation registriert haben.23


1.vgl.: Zavtra.ru: «Kto ty, «Strelok»?» und Süddeutsche Zeitung: „Den Auslöser zum Krieg habe ich gedrückt“
2.vgl. University of Uppsala: Uppsala Conflict Data Program
3.vgl. Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg: Laufende Kriege
4.Neue Zürcher Zeitung: Nordkaukasier im Kampf gegen Kiew
5.The Guardian: Aid convoy stops short of border as Russian military vehicles enter Ukraine sowie Die Zeit: Russische Panzer sollen Grenze überquert haben
6.vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Minutiös rekonstruiert
7.Für eine detaillierte Auflistung der im Krieg in der Ukraine involvierten regulären russischen Streitkräfte siehe Royal United Services Institute: Russian Forces in Ukraine
8.vgl. europa.eu: EU-Sanktionen gegen Russland aufgrund der Krise in der Ukraine
9.vgl. tass.ru: Minoborony: voennoslzužaščie RF slučajno peresekli učastok rossijsko-ukrainskoj granicy
10.vgl. TAZ: Es gibt schon Verweigerungen
11.vgl.Frankfurter Allgemeine Zeitung: Ein nicht erklärter Krieg
12.vgl. nato.int: NATO’s support to Ukraine
13.vgl. Die Zeit: US-Militärfahrzeuge in Ukraine angekommen
14.vgl. osce.org: Kompleks mer po vypolneniju Minskich soglašenij
15.vgl. ViceNews: Selfie Soldiers: Russia Checks in to Ukraine
16.vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Wer bricht den Waffenstillstand?
17.vgl. Die Zeit: Wo Kohlen und Geschosse glühen
18.osce.org: Latest from the OSCE Special Monitoring Mission to Ukraine (SMM), based on information received as of 19:30, 31 January 2017
19.vgl.: Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: Report on the human rights situation in Ukraine: 16 August to 15 November 2016
20.vgl. Helsinki Foundation for Human Rights/Justice for Peace in Donbas: Surviving hell - testimonies of victims on places of illegal detention in Donbas
21.vgl. International Criminal Court/The Office of the Prosecutor: Report on Preliminary Examination Activities 2016
22.vgl. unhcr.org: Ukraine
23.vgl. unhcr.org: UNHCR Ukraine Operational Update
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Donezker Volksrepublik

Die Donezker Volksrepublik ist ein von Separatisten kontrollierter Teil der Region Donezk im Osten der Ukraine. Sie entstand im April 2014 als Reaktion auf den Machtwechsel in Kiew und erhebt zusammen mit der selbsternannten Lugansker Volksrepublik Anspruch auf Unabhängigkeit. Seit Frühling 2014 gibt es in den beiden Regionen, die eine zeitlang Noworossija (dt. Neurussland) genannt wurden, Gefechte zwischen den Separatisten und der ukrainischen Armee.

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Grüne Männchen

Als kleine grüne Männchen, manchmal auch höfliche Menschen, werden euphemistisch die militärischen Spezialkräfte in grünen Uniformen ohne Hoheitsabzeichen bezeichnet, die Ende Februar 2014 strategisch wichtige Standorte auf der Krim besetzt haben. Bestritt Moskau zunächst jegliche direkte Beteiligung und verwies auf „lokale Selbstverteidungskräfte“, so gab Präsident Putin später zu, dass es sich dabei um russische Soldaten gehandelt hat. Die grünen Männchen sind inzwischen zu einem kulturellen Symbol geworden.

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