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Der Flug des schwarzen Schwans

„Um ehrlich zu sein, hätte ich nicht erwartet, dass sich die Operation derart hinziehen würde.“ Das sagte Alexander Lukaschenko in einem Gespräch mit der US-amerikanischen Nachrichtenagentur AP in Bezug auf den Krieg, den Russland bereits seit dem 24. Februar gegen die Ukraine führt. Bevor der Kreml seine Truppen aus dem Norden des Landes in den Donbass und in den Süden der Ukraine verlagert hat, war der Krieg bekanntlich auch von belarussischem Staatsgebiet aus geführt worden. Die Monitoring-Gruppe Belaruski Hajun will herausgefunden haben, dass russische Truppen allein von Belarus aus über 630 Raketen in Richtung Ukraine abgeschossen hätten.

Seit Wochen scheint der belarussische Machthaber eine zweigleisige Strategie gegenüber seinem Kollegen Wladimir Putin zu verfolgen: In der Öffentlichkeit unterstützt er den Krieg Russlands mit hehren Worten der Loyalität. So auch am Tag des Sieges, als Lukaschenko sagte, dass die Belarussen kein Recht hätten, Russland nicht zu unterstützen. Zudem bediente er das vom Kreml gesetzte Narrativ, indem er behauptete, der Westen würde den Nazismus in der Ukraine befördern. Immer häufiger aber mischen sich auch Töne der Kritik und der Distanzierung in Lukaschenkos Reden, was auf die schwierige innenpolitische Lage für den Langzeitautokraten hinweisen könnte. Ebenso auf den Versuch, sich neuen politischen Handlungsraum gegenüber Russland verschaffen zu wollen. Denn einige Belarussen bekunden ihren Unmut gegenüber der Unterstützung des Krieges durch zahlreiche Sabotageakte an den Eisenbahnstrecken in Belarus, was im Volksmund in Bezug auf den Partisanenmythos des Zweiten Weltkrieges bereits Schienenkrieg genannt wird.

Was hat Lukaschenko vor? Wie steht es überhaupt um seine Unterstützung in der belarussischen Gesellschaft? Fürchtet sich der Autokrat vor einer Proteststimmung, die trotz scharfer Repressionen neu aufkeimen könnte? Der belarussische Politikanalyst Waleri Karbalewitsch versucht in einem Beitrag für das Online-Portal SN Plus Antworten auf diese und andere drängende Fragen zu finden. 

Источник SN Plus

Viel wurde darüber geschrieben, dass Lukaschenko versucht, seinen außenpolitischen Kurs von 2014 bis 2020 zu wiederholen. Dass er Russlands Krieg gegen die Ukraine und Moskaus Konflikt mit dem Westen nutzen will, um die Beziehung zu den USA und zur EU aufzutauen. Genauso ist anzunehmen, dass Lukaschenko während dieses neuen russisch-ukrainischen Krieges intuitiv versucht, die acht Jahre alte Erfahrung in Bezug auf die gesellschaftliche Stimmung zu nutzen.

Noch 2014, als der russisch-ukrainische Konflikt begann, hatten unabhängige Meinungsforscher festgestellt, dass zwei Drittel der belarussischen Bevölkerung Russland unterstützen. Die Mehrheit der Belarussen hatte also eine stärkere prorussische Haltung als das offizielle Minsk, das Kurs auf eine (wenn auch nur bedingte) Neutralität nahm. Diese Situation war für die Machthaber sogar ein wenig unbequem, weil es Moskau zusätzliche Hebel zur Einflussnahme auf Belarus an die Hand gab. 
2020 hat Lukaschenko die Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit verloren. Sämtliche unabhängige Experten erklärten einhellig, dass er die Situation nicht ändern kann und bis zum Ende seiner Herrschaft lediglich der Repräsentant einer Minderheit bleiben wird.

Stimmung in der belarussischen Gesellschaft anders als 2014

Doch jetzt kam der „schwarze Schwan“ angeflogen: Russlands Krieg gegen die Ukraine, bei dem sich Moskau belarussisches Territorium zunutze machte. Dieses Ereignis hatte vorwiegend negative Folgen für das herrschende Regime: Es wurde zum Mit-Aggressor, es gab neue und härtere Wirtschaftssanktionen und es herrscht Antikriegsstimmung im Land und anderes mehr.

Möglicherweise hat die aktive politische Unterstützung Lukaschenkos für Russland bei diesem Krieg neben den bekannten Faktoren (der starken Abhängigkeit vom Kreml) auch einen anderen Sinn. Lukaschenko hatte wohl gemeint, dass die Bevölkerung in Belarus – ganz wie 2014 – Russland auch in dem jetzigen Krieg unterstützen würde, dass also die prorussische Stimmung der Bevölkerungsmehrheit und die absolut prorussische Position der Staatsführung im Einklang stehen würden. Und dass Lukaschenko erstmals seit 2020 die Unterstützung der Mehrheit erhalten und der gesellschaftliche Rückhalt breiter wird. Dass er wieder „Präsident des Volkes“ wird, nicht länger ein „Präsident der OMON“. Sprich: Der Krieg würde das Regime legitimieren. Und die Opposition, die die Ukraine aktiv unterstützte, würde erneut marginalisiert und sich wie vor 2020 in einem Ghetto wiederfinden.

Haben sich diese Hoffnungen erfüllt? Was sagt die Meinungsforschung?

Laut den soziologischen Daten von Professor Andrej Wardomazki geben nur 24 Prozent der Belarussen Russland die Schuld an dem Krieg, und 52 Prozent meinen, dass die Ukraine und der Westen daran Schuld seien. Es scheint, als hätte Lukaschenko bekommen, was er wollte.

Wobei die 52 Prozent auch nicht die zwei Drittel von 2014 sind. Und es wird noch interessanter: Es stellt sich heraus, dass nicht 52 Prozent, sondern nur 43 Prozent einen realen Krieg von Russland gegen die Ukraine unterstützen. Und 62 Prozent sprachen sich dagegen aus, dass die Russen belarussisches Territorium für den Angriff auf die Ukraine nutzen.

Krieg in der Ukraine bringt Lukaschenko kaum politisches Kapital

Das bedeutet, dass es Lukaschenko nicht gelungen ist, eine überzeugende gesellschaftliche Unterstützung für seine Position zum Krieg in der Ukraine zu erreichen. Ich glaube kaum, dass ihm eine Fortsetzung der Kriegshandlungen zusätzliches politisches Kapital einbringen wird.

Eine andere Sache ist, dass der Krieg in der Ukraine neue Spaltungen in der Gesellschaft zutage förderte. Wie sich zeigte, hegt ein gewisser Teil der auf Proteste ausgerichteten Community prorussische Sympathien. Das bedeutet, dass nicht alle, die gegen Lukaschenko sind, demokratischen Werten anhängen. Das wurde schon 2020 klar. Aber die derzeitige Tragödie in der Ukraine hat diese Stimmungen an die Oberfläche gespült.
Lukaschenko hat auf der Sitzung vom 19. April bekanntermaßen verkündet, den Kurs der politischen Repressionen zu verstärken. Dazu gehörte der Schritt, die repressive Gesetzgebung zu verschärfen.

Mit Androhung der Todesstrafe gegen innere Feinde

Am 27. April verabschiedete das belarussische Repräsentantenhaus einen Gesetzesentwurf, der für „den Versuch, einen terroristischen Akt zu verüben“ die Todesstrafe vorsieht. Hier muss man betonen, dass diese Gesetzesneuerungen im beschleunigten Verfahren durchgesetzt werden: Die Gesetzesvorlage zur Änderung des Strafgesetzbuches wurde bereits in zweiter Lesung angenommen.

Bemerkenswert ist, dass die Todesstrafe nicht für den terroristischen Akt selbst, sondern schon für einen Versuch vorgesehen ist. Da der Begriff des Terrorismus in Belarus von der Obrigkeit sehr breit ausgelegt wird, lässt er sich mit jedweder oppositioneller Betätigung in Verbindung bringen. Hierzu gehört insbesondere die Teilnahme an Protestaktionen. Beispielsweise wurden gegen die Politiker Pawel Latuschko und Swetlana Tichanowskaja Anschuldigungen aufgrund von „Terrorismus“-Paragraphen erhoben. 

Das Repräsentantenhaus verabschiedete darüber hinaus ein Gesetz, das es den Truppen des Innenministeriums erlaubt, zur Unterdrückung von „Massenunruhen“ großkalibrige Waffen einzusetzen. Friedliche Protestaktionen gelten in Belarus bekanntlich als „Massenunruhen“.

Die Urteile in den „politischen Verfahren“, bei denen die Opposition Haftstrafen zwischen 10 und 18 Jahre erhielt, werden bereits als „stalinistisch“ bezeichnet. Solche Urteile ergingen gegen Bürger der UdSSR in den 1930er und 1950er Jahren. Wir können in Belarus jetzt vom Aufkommen einer „stalinistischen Gesetzgebung“ sprechen. Das Land kehrt konsequent in jene finsteren Zeiten zurück.

Protest-Stimmung und Sabotageakte 

Logischerweise stellt sich die Frage: Warum so plötzlich? Die Massenproteste sind zerschlagen. Es scheint keinerlei äußerlich sichtbare Bedrohungen für das herrschende Regime zu geben. Warum also so eine Hektik, den Druck auf die Silowiki zu erhöhen, solche drakonischen Gesetze zu verabschieden?

Ich denke, neben dem natürlichen Selbsterhaltungstrieb sieht die Staatsführung eine Zunahme radikaler Stimmung im protestbereiten Teil der Gesellschaft. Das zeigt sich in den Sozialen Netzwerken. Es wird diskutiert, ob die friedlichen Proteste 2020 nicht ein Fehler waren und man nicht entschlossener hätte vorgehen sollen. Auch die Sabotageakte an Eisenbahnstrecken und die Aktivität der Cyberpartisanen lassen die Machthaber zu stärkeren Repressionen greifen. Angst hat schließlich große Augen.

Wenn aber die Kommunikation mit der Gesellschaft einzig und allein darin besteht, die Daumenschrauben immer fester anzuziehen, dann hat dieses soziale Modell keine Zukunft. Man raubt diesem Land jede Perspektive, wenn man im 21. Jahrhundert mitten in Europa ein Nordkorea errichtet.

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Alexander Lukaschenko

Alexander Lukaschenko (geb. 1954, belaruss. Aljaxandr Lukaschenka) ist seit 1994 Präsident der Republik Belarus. Er wurde in der ersten demokratischen Präsidentschaftswahl des seit 1991 souveränen Staates gewählt. Seither baute er systematisch die Gewaltenteilung ab, sein Regime unterdrückt freie Medien sowie die Opposition des Landes. 

Alexander Lukaschenko (belaruss. Aljaxandr Lukaschenka) wurde 1954 in der Ortschaft Kopys im Osten der belarussischen sowjetischen Teilrepublik geboren. Er regiert seit 1994 ununterbrochen als Präsident der seit 1991 unabhängigen Republik Belarus. Für viele osteuropäische Beobachter hatte das von ihm seit seiner Wahl installierte politische System eine Vorbildfunktion in Osteuropa, unter anderem auch für die Errichtung der sogenannten Machtvertikale in Russland.1 Die verabschiedeten Verfassungsänderungen stärkten die Macht des Präsidenten und hoben die Gewaltenteilung nach und nach weitgehend auf.

Trotz des vollständig auf seine Person ausgerichteten Systems verzichtet Lukaschenko nicht auf seine formelle Legitimierung durch Wahlen. Er lässt sich alle fünf Jahre durch den verfassungsmäßigen Souverän, das belarussische Volk, im Amt bestätigen. Diese Wahlen sind jedoch weder frei noch fair. Die Ergebnisse werden ebenso stark durch die konsequente Ausgrenzung der politischen Opposition beeinflusst wie durch die Gleichtaktung staatlicher und die Einschüchterung freier Medien. Um ein besonders hohes Wahlergebnis abzusichern, organisiert die zentrale Wahlkommission regelmäßig gezielte Manipulationen bei der Auszählung der Stimmen.2

Bisherige Strategien des Machterhalts

Maßgebliche Gründe für den bis Ende 2019 anhaltenden Erfolg des Modells Lukaschenko sind:

1) Lukaschenko war von Anfang an ein populärer Herrscher, der die „Sprache des Volkes“ sprach. Er griff Stimmungen in „seiner“ Bevölkerung auf und ließ sie in dem ihm eigenen Präsidialstil in populistische Verordnungen einfließen. Während ihm die Opposition vorwarf, weder Russisch noch Belarussisch korrekt zu sprechen, sprach er die „Sprache des einfachen Mannes“3 – so wie die Mehrheit der Bevölkerung. Diese symbolische Nähe zum Volk wurde ökonomisch abgesichert durch eine Klientelpolitik, die wichtigen sozialen Gruppen ein stabiles Einkommen über dem regionalen Durchschnitt sicherte: Beamten in Verwaltung und Staatsbetrieben, Angehörigen von Militär, Miliz und Geheimdiensten, Bewohnern ländlicher Regionen sowie Rentnern.

2) Die relative Stabilität von Lukaschenkos Wirtschaftssystem beruhte bis Anfang 2020 auf einer konsequenten Umverteilung indirekter russischer Subventionen. Diese bestanden vor allem darin, dass Belarus bisher für russisches Rohöl hohe Ermäßigungen erhielt. Die im Land hergestellten Erdölprodukte wurden aber zu Weltmarktpreisen abgesetzt. Mit solchen indirekten Subventionen aus Russland wurde die petrochemische Industrie zum größten Devisenbringer des Landes.4 Eine weitere wichtige Einnahmequelle war das Kalisalz aus Soligorsk (Salihorsk), dessen Förderstätten zu den weltweit größten Produzenten dieses Minerals gehören. Darüber hinaus verfügt Belarus nur über Holz als nennenswerten Rohstoff.

Die strukturelle Abhängigkeit von der russischen Wirtschaft führt immer wieder zu finanziellen Engpässen in der Aufrechterhaltung des Sozialstaats. Lukaschenko gleicht diese bisher zum Teil durch internationale Kredite aus, insbesondere durch Eurobonds, die für Belarus günstiger sind als die Kredite der russischen Seite.

3) Alexander Lukaschenko war ein indirekter Profiteur des Kriegs im Osten der Ukraine. Er war bereits 2015 durch die Etablierung von Minsk als Treffpunkt für die Gespräche im Normandie-Format wieder zum Verhandlungspartner für die Europäische Union geworden. Im Februar 2016 hob die EU ihre Sanktionen gegen Alexander Lukaschenko und hohe Beamte seiner Administration auf. Bedingung dafür war die zuvor erfolgte Freilassung von politischen Gefangenen. Auch diese Entscheidung ermöglichte es Lukaschenko, sich wieder als Gesprächspartner der Europäischen Union zu etablieren. Auf diese Weise konnte Lukaschenko weiterhin seinen einzigen geopolitischen Trumpf ausspielen: Die Lage der Republik Belarus zwischen Russland und der EU. 

Neben dem systematischen Machterhalt bestand der rationale Kern von Lukaschenkos Herrschaft bis zum Beginn des Jahres 2020 vor allem in der Gewinnmaximierung aus dem taktischen Lavieren zwischen Russland und der EU. Daraus resultierten immer wieder politische und wirtschaftliche Krisen – sowohl im Verhältnis zum Westen als auch zum Osten des Kontinents.

Was hat sich 2020 verändert?

Im Vorfeld und während der Präsidentschaftswahl im August 2020 hat das Ansehen von Alexander Lukaschenko in breiten Teilen der Gesellschaft deutlich abgenommen. Im Wesentlichen haben folgende sechs Faktoren dazu beigetragen:

Das wirtschaftspolitische Modell von Belarus funktioniert vor allem aufgrund eines verstärkten Drucks aus Moskau nicht mehr. Die Russische Föderation verlangt im Gegenzug für die Fortsetzung indirekter Subventionen weitreichende politische Zugeständnisse zu einer vertieften Integration. Alle Einwohner der Republik Belarus zahlen den Preis für die derzeitige Wirtschaftskrise, da sie im Alltag die stetig sinkenden Realeinkünfte spüren.

Lukaschenko spricht vor Anhängern in Minsk, August 2020 / Foto © Jewgeni Jertschak, Kommersant

Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass das klassische Umverteilungsmodell der belarussischen Wirtschaft an seine Grenzen stößt, weil die Produkte vieler Staatsbetriebe im Zuge der Globalisierung und Digitalisierung ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt verlieren. Es besteht dringender Reformbedarf in der Wirtschaft, um die Arbeitsplätze in diesen Industriebetrieben zu retten. Symptomatisch ist vor diesem Hintergrund auch der beginnende Verlust der Unterstützung des Lukaschenko-Regimes durch die klassische Wählergruppe der Arbeiter.

Wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen gingen einher mit gravierenden Fehlern im Seuchenmanagement: Lukaschenkos Weigerung, die Folgen der Covid-19-Pandemie für Belarus anzuerkennen, hat eine neue Form zivilgesellschaftlichen Selbstschutzes aktiviert – die Bürger vernetzten sich, begaben sich in die selbst verhängte Quarantäne, während die Unternehmer mit eigenen Ressourcen Masken zum Schutz des medizinischen Personals in öffentlichen Krankenhäusern produzierten. Folge war ein Vertrauensverlust in weiten Teilen der Gesellschaft, die Angst vor Covid-19 haben und gezwungen waren, aus eigener Kraft gegen die Folgen zu kämpfen.

Zu den offensichtlichen Fehlern von Lukaschenko gehört auch das Ausmaß der Wahlfälschungen und die willkürliche Festlegung des Wahlergebnisses auf 80,11 Prozent. Viele Menschen im Land bewerten diesen Schritt als einen Schlag ins Gesicht jener Bürger der Republik, die nicht eng mit dem Sicherheits- und Verwaltungsapparat des Präsidenten Lukaschenko verbunden sind. Viele Beobachter sind sich einig, dass ein gefälschtes Ergebnis von etwa 53 Prozent weitaus weniger Menschen aufgebracht hätte. Doch nicht nur die Opposition, sondern auch große Teile der zuvor als apolitisch geltenden Gesellschaft wollten offenbar nicht in diesem Ausmaß und in dieser Unverfrorenheit belogen werden. 

Einige Beobachter argumentieren vor diesem Hintergrund, dass Lukaschenko in einer anderen Wirklichkeit lebe als Millionen von Belarussen: Während der Präsident immer noch glaube, bei den Protesten mit den Methoden aus den analogen 1990er Jahren weiter durchregieren zu können, hätten sich nicht nur junge Menschen längst in einer digitalen Wirklichkeit wiedergefunden, in der sie sowohl lokal, als auch global vernetzt sind. Die Geheimdienste haben der horizontalen Mobilisierung in den sozialen Netzwerken, allen voran in Telegram, kaum etwas entgegen zu setzen. 

Die Gewalt gegen die Protestierenden unmittelbar nach der Wahl schmälert Lukaschenkos Rückhalt und Legitimität in der Gesellschaft genauso wie die systematische Folter in den Untersuchungsgefängnissen.
So sind die Arbeiter in den Staatsbetrieben nicht in den Streik getreten, um ihre Arbeitsplätze zu sichern, sondern weil für sie eine rote Linie überschritten war: Viele von ihnen glauben, dass Lukaschenko Krieg gegen das eigene Volk führt.

Aus diesen Gründen kam es in Belarus nach der Präsidentschaftswahl 2020 zu den größten Protesten in der Geschichte der Republik. Lukaschenkos Weigerung, die Wirklichkeit eines großen Teils der Gesellschaft auch nur zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn auf diese einzugehen, hatte aber noch eine nicht intendierte Nebenwirkung: Mit dieser Weigerung einigte der Präsident ungewollt landesweit breite Gesellschaftsschichten, die sich bei den Protesten zum ersten Mal unter der weiß-rot-weißen Flagge gegen den Präsidenten versammelten – Ärzte, Arbeiter, Künstler, Programmierer, Jugendliche, Rentner und dies nicht nur in Minsk, sondern in vielen Bezirks- und Kreisstädten. Für sie alle ist klar, dass die Verantwortung für den Ausbruch staatlicher Gewalt in der Republik Belarus bei Alexander Lukaschenko liegt.

Aktualisiert: 24.08.2020


1.Belarusskij Žurnal: «Belarusprovinilaspered vsem postsovetskim prostranstvom»
2.osce.org: International Election Observation Mission: Republic of Belarus – Presidential Election, 11. October 2015
3.Belorusskij Partizan: Pavel Znavec: Lukašenko i belorusskij jazyk
4.Germany Trade & Invest: Wirtschaftstrends Jahresmitte 2016 – Belarus
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