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Wenn die Raketen fliegen – Fußball im Krieg

Als die erste Schockstarre nach Beginn des russischen Angriffskrieges überwunden war, fragte man sich in der Ukraine, wie es mit dem Fußball weitergehen könnte. Die Meisterschaften der Saison 2021/2022 wurden bekanntlich eingefroren. Die Entscheidung, den Ball trotz des Krieges wieder rollen zu lassen, begann im späten Frühjahr zu reifen. Die Entscheidung wurde auf höchster Ebene vorangetrieben. Wolodymyr Selensky sprach sich persönlich dafür aus, neue Meisterschaften anzusetzen. Am 23. und 24. August, dem Tag der Unabhängigkeit der Ukraine, ist es nun soweit, mit dem Start der höchsten Spielklasse des Landes.

Allerdings gibt es viele Zweifel, Skeptiker und natürlich wichtige Fragen: Wie spielt man Fußball, wenn russische Raketen fliegen? Darf man in einem Krieg überhaupt Fußball spielen? Oder muss man sogar? Werden Fans zu den Spielen zugelassen? Was passiert, wenn es während des Spiels Luftalarm gibt? Haben die Vereine überhaupt noch genügend finanzielle Mittel, um das millionenschwere Fußballgeschäft aufrechtzuerhalten?

All diesen Fragen und anderen widmet sich der ukrainische Sportjournalist Yuriy Konkevych in diesem Beitrag. Er erklärt, welche Debatten rund um den Wiederanpfiff geführt wurden und wie die Meisterschaft in der Zeit des Krieges sicher und reibungslos ablaufen soll. 

Der Artikel entstand in einer Kooperation mit dem österreichischen Fußballmagazin ballesterer, in dessen September-Ausgabe eine kürzere Version dieses Beitrags erscheint. Er gehört zu unserer Reihe Platforma, in der russische, belarussische oder auch ukrainische Journalistinnen und Journalisten schreiben und Einblick in aktuelle Debatten und Entwicklungen zu osteuropäischen Themen liefern. Die Texte werden weitgehend von Journalistinnen und Journalisten geschrieben, die sich gezwungen sahen, aufgrund der Repressionen in ihren Ländern ins Exil zu gehen.

РУССКАЯ ВЕРСИЯ

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Am 23. August beginnt – trotz allem – die neue Saison der Premjer Liha, der höchsten Spielklasse im ukrainischen Fußball. Die Spiele werden in den heimatlichen Stadien ausgetragen. Die Zusammensetzung der Liga wie auch der Teams wird allerdings eine andere sein. Und die Spielbedingungen wurden an die Realitäten des Krieges angepasst.

„Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie wir spielen werden. An jedem Ort der Ukraine kann jederzeit eine Rakete einschlagen. Kann gut sein, dass du losläufst und es nicht in den Luftschutzkeller schaffst.“ Diese Bedenken des Fußballers Olexandr Kutscherenko sind berechtigt. Den ganzen Sommer saß er am Steuer eines Transporters und fuhr in den Osten der Ukraine, um humanitäre Hilfsgüter zu verteilen, die Freunde, Fans und Fußballer gesammelt haben. „Aber ohne Fußball geht es auch nicht. Ich habe zwei Träume: Dass die Saison losgeht, und dass wir die Besatzer aus unserem Land jagen“, ergänzt Kutscherenko.

Der Trainer Juri Wernydub ist der gleichen Ansicht. Sein Team von Sheriff Tiraspol aus Moldau spielte am 24. Februar in der Europaliga gegen Braga in Portugal. Als er vom Kriegsbeginn erfuhr, packte er seine Sachen, fuhr in die Ukraine zurück und ging als Artillerist an die Front. Im Juni nahm er seine Arbeit als Trainer wieder auf, nun allerdings in der Ukraine.

Spieler sammeln Geld, Fans kämpfen an der Front 

Kutscherenko ist einer der wenigen Fußballer, die der Front und den zivilen Stellen nicht nur mit Geld helfen, sondern sich auch in die Bewegung der Ehrenamtlichen eingeklinkt haben. Selbst als sich sein Team von Inhulez Petrowe, einem Premjer Liha-Verein aus der Zentralukraine, auf die Saison vorbereitete, versuchte Olexsandr noch, der Armee zu helfen.

Erst der Schock, dann wird gehandelt, so leben die Ukrainer seit dem 24. Februar. Den Fans hat gefallen, wie fast alle prominenten Fußballer auf den Krieg reagierten. Namhafte Legionäre von europäischen Spitzenklubs: Ruslan Malinowski von Atalanta Bergamo, Andrij Jarmolenko von West Ham United, Olexandr Sintschenko, der jetzt bei Arsenal London spielt, oder Roman Jaremtschuk von Benfica Lissabon, sie alle sammelten Millionen Euro für die Ukraine und die Armee.

Fußballlegende Andrij Schewtschenko ist aktuell Botschafter der Präsidentenstiftung United24, die im Ausland Spenden sammelt. Dynamo Kyjiw und Schachtar Donezk haben Dutzende internationale Benefizspiele veranstaltet, um Geld für die Armee zu sammeln, und dabei gleichzeitig die Spieler der ukrainischen Nationalmannschaft für die Playoff-Qualifikationsspiele zur WM 2022 fitgemacht.

Viele Ultras kämpfen seit dem 24. Februar an der Front, einige sind gefallen. Beim Benefizspiel von ehemaligen Spielern des FK Wolyn aus Luzk in der Westukraine, dem ersten Spiel überhaupt seit November 2021, waren im Block der Ultras nicht mal zehn Fans anwesend. Bei diesem Spiel wurden Gelder zum Kauf von Kampfdrohnen gesammelt.

Am emotionalsten waren die Spiele der Nationalmannschaft im Ausland. Die Blau-Gelben konnten zwar Schottland bezwingen, scheiterten dann aber im Finale um den letzten Platz für das Teilnehmerfeld bei der der WM in Katar an Wales. Es folgten drei Spiele in der Nations League. Überall dominierten die Nationalfarben in den Stadien, ukrainische Lieder wurden gesungen, und die Fans reisten aus ganz Europa an.

Das Juri Gagarin-Stadion in Tschernihiw, zerstört durch russische Raketen / Foto © Facebook/desnafc

Angesichts dieser einmütigen Reaktion ist das Verhalten einiger ukrainischer Spieler, die in Russland geblieben sind, besonders auffällig. Iwan Ordez, ein ehemaliger Spieler von Schachtar Donezk, verlängerte seinen Vertrag bei Dynamo Moskau, nahm allerdings eine Leihoption beim deutschen Bundesligisten VfL Bochum in Anspruch. Der ukrainische Rekordnationalspieler Anatoli Tymoschtschuk (144 Einsätze) hat sich mit keinem Wort zum Krieg geäußert, lebt weiterhin in Sankt Petersburg und arbeitet dort für Zenit. Der U-19-Europameister Wytali Wyzenez wurde wegen „antiukrainischer“ Äußerungen beim ukrainischen Krywbas Krywyj Rih gefeuert; fand aber schnell einen neuen Arbeitsplatz beim russischen Erstligisten Arsenal Tula. Jaroslaw Rakyzkyj, der immer wieder aufgrund seines mangelnden Patriotismus kritisiert wurde (er hatte bei Spielen der Nationalmannschaft prinzipiell nicht die Hymne mitgesungen), packte einige Tage nach Kriegsbeginn seine Sachen und ging nach Russland.

Spiele unter Bomben: unterbrochen wegen Luftalarms 

Als der erste Schock überwunden war, fragte man sich in der Ukraine, wie es mit dem Fußball weitergehen soll. Die Profiligen in der Ukraine waren stets mit Geldern von Oligarchen verquickt, und angesichts der riesigen Zerstörungen und des finanziellen Zusammenbruchs weigerten sich viele Klubpräsidenten, ihre Mittel für Fußball auszugeben.

Aufgrund ihrer zerstörten Heimspielstätten haben sich Desna Tschernihiw und der FK Mariupol aus der ukrainischen Premjer Liha zurückgezogen. In Mariupol haben die Russen Asowstal zerbombt, das Stahlwerk, das Rinat Achmetow gehörte, dem Eigentümer und Präsidenten des großen FK Schachtar Donezk.

Aufgrund der finanziellen Probleme der Vereinsbesitzer oder der zerstörten Infrastruktur fehlen der zweit- und dritthöchsten ukrainischen Liga (dem Namen nach die Erste und Zweite Ukrainische Liga) 20 bis 30 Prozent der Klubs. Einige Besitzer erklärten, sie würden ihr Engagement im Profifußball aussetzen, aber den Jugendfußball weiter unterstützen. Nach dem Sieg im Krieg würde man eine Rückkehr der Professionellen Fußballliga (PFL) der Ukraine, die die Erste und Zweite Liga organisiert und verwaltet, oder der Ukrainischen Premjer Liha (UPL) ermöglichen.

Die Meisterschaft 2021/22 wurde bekanntlich abgebrochen, der Meistertitel nicht vergeben Die Entscheidung über einen Wiederbeginn der Premjer Liha reifte Ende März 2022 heran, als die russische Armee aus dem Kyjiwer Umland und dem Norden der Ukraine vertrieben wurde. Ein Teil der Vereinsbesitzer, die an den europäischen Wettbewerben teilnehmen wollten, erhoben die Forderung, die Meisterschaft in Polen oder der Türkei auszutragen. Es gab auch Stimmen, die kein Verständnis dafür zeigten, dass für Fußball Geld ausgegeben wird, wo doch die Armee dringend die Mittel benötige. Der Präsident von Agrobisnes Wolotschysk aus der Zweiten Liga hat sein Team sogar aufgelöst – „bis zum Sieg“. Bis zu zehn Spieler und Mitarbeiter des Klubs dienen in den ukrainischen Streitkräften.

Ihor Dedyschyn, Geschäftsführer Sport von Ruch Lwiw, ist da weniger kategorisch. Er verweist die Gegner eines „Fußballs unter Bomben“ auf die Erfahrungen in Kroatien. „Anfang der 1990er Jahre, als sich das Land im Krieg befand, haben sie dort vier Jahre Fußball gespielt. Das war ein Weg, Zusammenhalt zu zeigen, sein Land zu unterstützen, Kroatien moralisch zu stärken“, erklärte Dedyschyn.

Präsident Wolodymyr Selensky bestand bei einem Treffen mit Andrij Pawelko, dem Chef des Ukrainischen Fußballverbands, darauf, dass die Meisterschaft ausschließlich aus patriotischen Motiven in der Ukraine veranstaltet werden solle. Er gab zu verstehen, dass er die massenhafte Abwanderung von Spielern – Männern im wehrfähigen Alter –, ins Ausland nicht dulden werde. Pawelko erklärte: „Wir haben darüber gesprochen, welche Kraft der Fußball hat, indem er den Menschen hilft, an die Zukunft zu denken. Daher haben wir gemeinsam mit dem Präsidenten beschlossen, dass wir im August die ukrainische Meisterschaft wieder aufnehmen werden.“

Für den Saisonstart der Ukrainischen Premjer Liha (UPL) wurde ein symbolisches Datum gewählt: der 24. August, der Tag der Unabhängigkeit der Ukraine. In der Premjer Liha treten wie vor dem Krieg 16 Teams an. Der Klub Mynaj aus dem westukrainischen Ush‘horod, der eigentlich hätte absteigen müssen, zog eine Wild Card und blieb in der UPL, während die Ligaplätze von Desna Tschernihiw und FK Mariupol an Metalist Charkiw (das von dem Milliardär Olexandr Jaroslawskyj wiederbelebt wurde), und an Krywbas Krywyj Rih gingen, das von der Verwaltung und Firmen in Krywyj Rih unterstützt wird. Es ist die Geburtsstadt von Präsident Selensky.

Doch der Beschluss zu spielen und in einem Land, das sich im Krieg befindet, den Ligabetrieb tatsächlich wieder aufzunehmen, sind zwei unterschiedliche Dinge: Das Stadion von Desna Tschernihiw etwa wurde bei Angriffen der russischen Armee getroffen, das Stadion von Metalist Charkiw erlebte eine Welle von Explosionen und auch in Stadien in der Nähe von Kyjiw (in Hostomel und Borodjanka) gab es einige Einschläge. Die Russen haben die Fußballarena in Mariupol zerbombt, in Bachmut und Wolnowacha sind alle Sportanlagen zerstört. Die Liste ließe sich lange fortführen.

In zehn Stadien haben die Behörden nun einen Spielbetrieb ohne Zuschauer genehmigt, so in den relativ sicheren Gebieten Kyjiw, Lwiw und Transkarpatien; für die Spiele gelten besondere Sicherheitsauflagen. Alle Personen, die am Ligabetrieb beteiligt sind, werden vom Wehrdienst freigestellt. Die Spiele müssen in Stadien stattfinden, die sich höchstens 500 Meter von einem Luftschutzraum entfernt befinden. Pro Spiel werden höchstens 280 Zuschauer zugelassen. Im Fall eines Luftalarms wird das Spiel unterbrochen und alle begeben sich in den Luftschutzkeller. Hält der Luftalarm länger als 60 Minuten an, wird die Begegnung am nächsten Tag zu Ende gespielt. Ist der Alarm relativ schnell vorbei, bekommen die Mannschaften zehn Minuten, um sich wieder warmzumachen, bevor das Spiel fortgesetzt wird.

Fußball in Kriegszeiten: mehr Chancen für junge Spieler

Zum zweiten Mal nach 2014 haben im Sommer dieses Jahres sehr viele Ausländer die UPL verlassen. Nicht nur ausländische Spieler, sondern auch Ukrainer, die zu Kriegsbeginn in Trainingslagern im Ausland waren und nicht mehr zurückgekehrt sind. Wer Glück hatte, kam bei einem europäischen Klub unter. Andere gingen in Länder, die fußballerisch eher exotisch anmuten, in asiatische Staaten, nach Kanada oder Indien. Einige beschäftigen sich statt mit Fußball nun mit Kryptowährungen.

Skeptiker sagen dem ukrainischen Fußball vor allem eines voraus: seinen Zusammenbruch. Optimisten sehen in der aktuellen Situation eine Chance, sie prognostizieren einen Aufschwung im Kinder- und Jugendbereich.

Die Wahrheit liege wohl eher in der Mitte, sagt Jaroslaw Wyschnjak, der Trainer von Kolos Kowaliwka. Nach 2014 haben einige Vereine eine sehr starke Jugendarbeit aufgebaut. Viele junge Spieler sind in Vereinen der UPL Stammspieler geworden oder ins Ausland gegangen. Ein Beispiel ist der 18-jährige Jehor Jarmoljuk, der beim englischen Klub Brentford FC einen Vertrag für die Premier League erhielt. „Viele haben zwar die Ukraine verlassen“, meint Wyschnjak, „aber schauen Sie nur, was für Trainer geblieben sind: Juri Wernydub, Roman Hrygortschuk, Mircea Lucescu, Igor Jovićević, Wiktor Skrypnyk. Die wissen, wie man mit jungen Spielern arbeiten muss, deshalb wird es bald neue Spieler geben, auf die wir stolz sein können.“

Wyschnjak ist Cheftrainer des FK Kolos aus dem Dorf Kowaliwka im Kyjiwer Gebiet. Das Team rangiert in der Premjer Liha im Mittelfeld. Experten schätzen, dass die Spiele von Kolos und sieben bis acht weiterer Vereine entscheidend dafür sein werden, wie sich das Fußballinteresse der Ukrainer in Zeiten des Krieges entwickelt. Die Qualität des Fußballs könnte nachlassen, daher rücken nicht Preise und das Niveau der Spieler in den Vordergrund, sondern die Entscheidungen von Trainern und Managern. „Die Gehälter sind erheblich zurückgegangen, die Nachfrage nach guten ukrainischen Spielern ist gestiegen, und die Manager mit der größten Weitsicht könnten zu dem Schluss kommen, dass man selbst in Kriegszeiten neue Spieler aufbauen kann, die nach dem Krieg Ablösesummen einbringen“, meint der Fußballkommentator Wiktor Wazko.

Meisterschaft der Skandale

Eine Eigenheit aus früheren Zeiten hat der ukrainische Fußball allerdings auch jetzt noch beibehalten: die Skandale.

Im März richtete sich die Wut der Fans gegen die Brüder Ihor und Hrygori Surkis, die Bosse von Dynamo Kyjiw. Medien hatten berichtet, dass sie 17 Millionen US-Dollar, eine russische Staatsangehörige und zwei Männer im wehrfähigen Alter mit dem Kleinbus außer Landes gebracht hatten. Hrygori Surkis kam daraufhin zurück, allerdings nur, um seine Uhrensammlung abzuholen.

Im Sommer sorgte dann Schachtar Donezk Aufregung: Anstelle des Italieners Roberto De Zerbi übernahm der Kroate Igor Jovićević das Team, obwohl letzterer zuvor mehrfach seine Treue gegenüber Dnipro-1 verkündet hatte. Zusätzlich entschied sich Schachtar, gegen die FIFA vors Sportgericht zu ziehen, um 50 Millionen Euro Entschädigung einzufordern. Der Grund seien die neuen Transferregeln für die UPL: Die FIFA hatte es nach dem 24. Februar ausländischen Spielern in der UPL erlaubt, die Verträge mit ihren Klubs auszusetzen und auch mitten in der Saison den Verein zu wechseln. Das war ein Schlag für jene Vereine, die vor allem auf ausländische Spieler setzen, zu denen eben auch Schachtar gehört. Der Verein aus Donezk hatte im Februar 14 Ausländer unter Vertrag, von denen er sich nun trennen musste und dabei erhebliche Geldsummen verlor. „Wir hatten keine Zeit, die Spieler zu verkaufen. Die potenziellen Käufer und auch die Agenten der Spieler mussten einfach nur den 30. Juni abwarten, um keine Ablöse an den Verein zahlen zu müssen“, erklärt Serhij Palkin, Generaldirektor von Schachtar, den Grund für die Klage.

Der neue Mannschaftsbus von Schachtar Donezk / Foto ©  facebook.com/fcshakhtarAll diese Herausforderungen, die der Krieg mit sich bringt, könnten den ukrainischen Fußball um Jahrzehnte zurückwerfen. Dringender denn je ist jetzt eine schnelle Reaktion des Ukrainischen Fußballverbands (UAF) gefragt. Dem steht seit 2015 Andrij Pawelko vor. Er übernahm das Amt unter dem Eindruck unzufriedener Fans, die forderten, den Fußball zu reformieren, die Korruption zu beseitigen und den Einfluss der Oligarchen einzuhegen. 

Stattdessen ist es Pawelko gelungen, vor allem seine Macht zu zementieren. Neben der Leitung des ukrainischen Fußballs hatte er lange auch den Vorsitz im Haushaltsausschuss des Parlaments inne, und zwar für die Partei von Ex-Präsident Petro Poroschenko. In dieser Zeit hat er die Vorsitzenden der Fußball-Regionalverbände abgesetzt und dort seine Vertrauten installiert. Nach dem Sieg von Wolodymyr Selenskyj zeigte er sich auch dem neuen Präsidenten gegenüber loyal.

Am 5. März sollte ein neuer Präsident des ukrainischen Verbandes gewählt werden, doch wegen der Kriegsereignisse wurde der Verbandskongress abgesagt. Eine spannende Wahl war eh nicht zu erwarten: einen Gegenkandidaten zu Pawelko gab es nicht. Aufgrund einer Satzungsänderung ist für eine außerordentliche Neuwahl des Verbandspräsidenten oder die Nominierung eines Kandidaten eine Zweidrittelmehrheit der Teilnehmer erforderlich. Die ist derzeit schlicht unrealistisch.

„Pawelko ist unser Lukaschenko“, scherzt der ukrainische Journalist Michail Sliwakowskyj. Sein Kollege Roberto Morales ist überzeugt, dass Pawelko deshalb eine Wiederwahl braucht, damit er im Exekutivkomitee der UEFA bleiben kann. Wenn er bis Dezember nicht wiedergewählt wird, könnte er seinen Posten verlieren.

Unterdessen nutzt Russland den Fußball, um seine imperialen Ideen zu verfolgen. Im Juli sprach Odes Bajsultanow, stellvertretender Sportminister Russlands, über Pläne, einen Ligawettbewerb mit Vereinen von der besetzten Halbinsel Krim, aus den sogenannten Volksrepubliken im Donbass, den besetzten Teilen der Gebiete Cherson und Saporishshja sowie aus Abchasien und Südossetien zu veranstalten. Den Russen ist klar, dass sie sich damit weitere Sanktionen der UEFA einhandeln könnten, daher wird diese Sonderliga für „befreundete Republiken“ in einem Format angekündigt, das keine russische Beteiligung vorsieht. Die Liga soll 2023 starten, doch zuvor haben sie mit dem Widerstand der ukrainischen Armee zu rechnen.

Autor: Yuriy Konkevych
Übersetzer: Hartmut Schröder
Veröffentlicht am: 23.08.2022

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Krieg im Osten der Ukraine

Bei dem bewaffneten Konflikt im Osten der Ukraine beziehungsweise im Donbass handelt es sich um einen Krieg, der von seit April 2014 zwischen ukrainischen Streitkräften und Freiwilligenbataillonen auf der einen Seite sowie separatistischen Milizen der selbsternannten Volksrepubliken von Donezk und Luhansk (DNR und LNR) und russischen Soldaten auf der anderen Seite geführt wurde. Am 24. Februar 2022 befahl Putin den Angriff auf das Nachbarland – aus dem verdeckten ist ein offener Krieg geworden.

Die zentralen Vorgänge, die den Krieg in der Ostukraine bis dahin geprägt hatten: Vorgeblich ging es dabei um die Gebietshoheit der beiden ostukrainischen Verwaltungsbezirke Donezk und Luhansk – dem sogenannten Donbass, der zu etwa einem Drittel nicht unter Kontrolle der ukrainischen Regierung ist. In der Ukraine sowie in der Europäischen Union ist man bis heute überzeugt, dass Russland die Separatisten immer finanziell, personell und logistisch unterstützt hat. Demnach hat Russland den Donbass vor allem als Instrument genutzt, um die Ukraine langfristig zu destabilisieren und somit gleichzeitig kontrollieren zu können. Russland hatte eine militärische Einflussnahme und Destabilisierungsabsichten stets bestritten.

Die Entstehung des Krieges und wie die EU und die USA mit Sanktionen darauf in dem jahrelangen Konflikt reagiert hatten – ein Überblick. 

Nachdem Ende Februar 2014 der ukrainische Präsident Janukowytsch im Zuge der Maidan-Proteste gestürzt wurde, russische Truppen kurze Zeit später die Krim okkupierten und die Annexion der Halbinsel auf den Weg brachten, ist die Situation im Donbass schrittweise eskaliert.

Zunächst hatten pro-russische Aktivisten im April 2014 Verwaltungsgebäude in mehreren ostukrainischen Städten besetzt. Forderungen, die hier artikuliert wurden, waren diffus und reichten von mehr regionaler Selbstbestimmung bis hin zur Unabhängigkeit von der Ukraine und einem Anschluss an Russland.

Während sich in Charkiw die Situation nach der polizeilichen Räumung der besetzten Gebietsverwaltung rasch entspannte, kam es in Donezk und Luhansk zur Proklamation eigener Republiken. Parallel wurden Polizeistationen und Gebäude des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes gestürmt sowie dortige Waffenarsenale gekapert. Wenige Tage später traten in der Stadt Slowjansk (Donezker Verwaltungsbezirk) unter dem Kommando des russischen Geheimdienstoberst Igor Girkin erste bewaffnete „Rebellen“ in Erscheinung. Girkin, der bereits zuvor an Russlands Okkupation der Krim beteiligt gewesen war und zwischen Mai 2014 und August 2014 als Verteidigungsminister der DNR fungierte, behauptete später, dass der Krieg im Donbass mitnichten aus einem Aufstand russischsprachiger Bewohner der Region resultierte. Er betonte indes, dass dieser „Aufruhr“ ohne das Eingreifen seiner Einheit schnell zum Erliegen gekommen wäre.1

Eskalation

Tatsächlich begannen die bewaffneten Kampfhandlungen in dem von Girkins Einheit besetzten Slowjansk. Um die Stadt zurückzugewinnen, startete die ukrainische Regierung eine „Anti-Terror-Operation“ mit Beteiligung der Armee. Während die Separatisten in den von ihnen kontrollierten Orten des Donbass im Mai 2014 sogenannte Unabhängigkeitsreferenden durchführen ließen, weiteten sich in der Folgezeit die Gefechte zwischen ukrainischen Streitkräften und Freiwilligenverbänden auf der einen und den Separatisten auf der anderen Seite stetig aus.

In deutschsprachigen Medien und in der internationalen Diplomatie wurde seither häufig von einer „Krise“ oder einem „Konflikt“ gesprochen. Tatsächlich erreichte die militärische Eskalation unter quantitativen Aspekten, die sich auf eine bestimmte Anzahl von zivilen und nicht-zivilen Opfern pro Jahr beziehen, bereits 2014 den Zustand eines Krieges.2 Auch unter qualitativen Gesichtspunkten erfüllte der bewaffnete Konflikt ab 2014 sämtliche Merkmale eines Krieges, wie ihn beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg definiert3.

Neben der Involvierung russischer Freischärler und Söldner4 mehrten sich im Verlauf der kriegerischen Auseinandersetzungen Berichte über großkalibrige Kriegsgeräte, die den von den Separatisten kontrollierten Abschnitt der russisch-ukrainischen Grenze passiert haben sollen.5 Hierzu soll auch das Flugabwehrraketensystem BUK gehören, mit dem nach Auffassung des internationalen Ermittlungsteams das Passagierflugzeug MH17 im Juli 2014 über Separatistengebiet abgeschossen wurde.6 Reguläre russische Streitkräfte sollen indes ab August 2014 erstmalig in das Geschehen eingegriffen haben, nachdem die ukrainische Seite zuvor stetige Gebietsgewinne verbuchen und Städte wie Kramatorsk, Slowjansk, Mariupol und Awdijiwka zurückerobern konnte.7

Die EU verhängte im Sommer 2014 aufgrund der „vorsätzlichen Destabilisierung“8 der Ukraine weitreichende wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland. Russland stritt eine Kriegsbeteiligung eigener regulärer Soldaten jedoch stets ab: So hätten sich beispielsweise Soldaten einer russischen Luftlandlandedivision, die in ukrainische Gefangenschaft geraten waren, nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums verlaufen und die Grenze zur Ukraine nur  aus Versehen überquert.9 Die russische Menschenrechtsorganisation Komitee der Soldatenmütter Russlands indes beziffert die Zahl russischer Soldaten, die im Spätsommer 2014 auf ukrainischem Territorium im Einsatz gewesen seien, mit rund 10.000.10

Einen Wendepunkt des Kriegsverlaufs stellte schließlich die Schlacht um die ukrainische Kleinstadt Ilowajsk dar, bei der die ukrainische Seite im September 2014 eine herbe Niederlage erfuhr und mehrere hundert gefallene Soldaten zu beklagen hatte.11

Die ukrainische Regierung hat die NATO mehrfach vergeblich um Waffenhilfe gebeten. Allerdings legte die NATO spezielle Fonds an, die zu einer Modernisierung der ukrainischen Streitkräfte beitragen sollen. Diese Fonds dienen unter anderem der Ausbildung ukrainischer Soldaten, der Verbesserung von Kommunikationsstrukturen, der Stärkung von Verteidigungskapazitäten im Bereich der Cyberkriegsführung sowie der medizinischen Versorgung von Soldaten.12 Darüber hinaus erhält die Ukraine Unterstützung in Form von sogenannter nichttödlicher Militärausrüstung wie Helmen und Schutzwesten, Funkgeräten und gepanzerten Geländewagen, unter anderem von den USA.13 

Verhandlungen

Die zunehmende Eskalation des Krieges brachte eine Intensivierung internationaler Vermittlungsbemühungen mit sich. Bereits im März 2014 hatte der Ständige Rat der OSZE eine zivile Sonderbeobachtermission für die Ukraine beauftragt und wenig später eine trilaterale Kontaktgruppe zwischen der Ukraine, Russland und der OSZE ins Leben gerufen. Auf Ebene der Staats- und Regierungschefs etablierte sich das sogenannte Normandie-Format zwischen der Ukraine, Russland, Deutschland und Frankreich. Im September 2014 machte es die Unterzeichnung des sogenannten Minsker Protokolls durch die OSZE-Kontaktgruppe möglich.

Nach anhaltenden Kämpfen, vor allem um den Flughafen von Donezk sowie die Stadt Debalzewe, kam es im Februar 2015 zu einem erneuten Zusammentreffen des Normandie-Formats in Minsk. Im Minsker Maßnahmenpaket (Minsk II) konkretisierten die Parteien sowohl einen Plan zur Entmilitarisierung als auch politische Schritte, die zur  Lösung des Konflikts beitragen sollten.

Das Maßnahmenpaket umfasst dreizehn Punkte, die schrittweise unter Beobachtung der OSZE umgesetzt werden sollen. Hierzu gehört der Waffenstillstand sowie der Abzug schwerer Kriegsgeräte und sogenannter „ausländischer bewaffneter Formationen“. Außerdem soll in der ukrainischen Verfassung ein Sonderstatus für die Separatistengebiete verankert werden. Nicht zuletzt sieht das Maßnahmenpaket vor, dass Kommunalwahlen in diesen Gebieten abgehalten werden. Außerdem soll die ukrainisch-russische Grenze wieder durch die ukrainische Regierung kontrolliert werden.14

Entwicklung seit Minsk II

Auch unmittelbar nach der Unterzeichnung des Minsker Abkommens hielten jedoch vor allem in Debalzewe heftige Gefechte an, bis die Stadt schließlich wenige Tage später unter die Kontrolle der Separatisten fiel. Auch hier soll – wie bereits zuvor in Ilowajsk – reguläres russisches Militär massiv in das Kriegsgeschehen eingegriffen haben.15 Erst nach dem Fall von Debalzewe nahmen die Kampfhandlungen ab. Zu Verletzungen der Waffenruhe, Toten und Verletzten entlang der Frontlinie kam es seither dennoch beinahe täglich.16 Dies macht eine Umsetzung des Minsker Maßnahmenpakets bis heute unmöglich.

Schwere Gefechte mit dutzenden Toten brachen zuletzt rund um die Stadt Awdijiwka aus. Awdijiwka, das im Sommer 2014 von ukrainischer Seite zurückerobert wurde und dem Minsker Protokoll entsprechend unter Kontrolle der ukrainischen Regierung steht, hat als Verkehrsknotenpunkt sowie aufgrund der dort ansässigen Kokerei eine besondere strategische und ökonomische Bedeutung. Die Stadt ist in der Vergangenheit immer wieder unter Beschuss geraten.17 Im Januar 2017 kam es dort auch zur Zerstörung kritischer Infrastruktur: Dabei fielen in der Stadt bei Temperaturen von unter minus 20 Grad mehrere Tage die Strom-, Wasser- und Wärmeversorgung aus. Allein am 31. Januar 2017 berichtete die Sonderbeobachtermission der OSZE von mehr als 10.000 registrierten Explosionen – die höchste von der Mission bisher registrierte Anzahl an Waffenstillstandsverletzungen.18

Laut Schätzungen der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2019 sind seit Beginn des Krieges im Donbass rund 13.000 Menschen gestorben. Die Anzahl der Verletzten beziffern die Vereinten Nationen mit über 24.000. Bei mehr als 2000 Todesopfern sowie etwa 6000 bis 7000 Verletzten handelt es sich um Zivilisten.19 Menschenrechtsorganisationen geben zudem an, etliche Fälle von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen dokumentiert zu haben.20 Im November 2016 erklärte die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag, dass Anzeichen für einen internationalen bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine vorliegen.21 Die russische Regierung zog daraufhin ihre Unterschrift unter dem Statut des ICC zurück. 

Neben tausenden Toten und Verletzten hat der Krieg auch zu enormen Flüchtlingsbewegungen geführt. Das ukrainische Ministerium für Sozialpolitik registrierte bis Mitte 2016 über 1,6 Millionen Binnenflüchtlinge; das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen geht in seinen eigenen Berechnungen derweil von 800.000 bis einer Million Binnenflüchtlingen aus.22 Daneben haben knapp 1,5 Millionen Ukrainer seit Ausbruch des Krieges Asyl oder andere Formen des legalen Aufenthalts in Nachbarstaaten der Ukraine gesucht. Nach Angaben russischer Behörden sollen sich rund eine Million Ukrainer in der Russischen Föderation registriert haben.23


1.vgl.: Zavtra.ru: «Kto ty, «Strelok»?» und Süddeutsche Zeitung: „Den Auslöser zum Krieg habe ich gedrückt“
2.vgl. University of Uppsala: Uppsala Conflict Data Program
3.vgl. Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg: Laufende Kriege
4.Neue Zürcher Zeitung: Nordkaukasier im Kampf gegen Kiew
5.The Guardian: Aid convoy stops short of border as Russian military vehicles enter Ukraine sowie Die Zeit: Russische Panzer sollen Grenze überquert haben
6.vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Minutiös rekonstruiert
7.Für eine detaillierte Auflistung der im Krieg in der Ukraine involvierten regulären russischen Streitkräfte siehe Royal United Services Institute: Russian Forces in Ukraine
8.vgl. europa.eu: EU-Sanktionen gegen Russland aufgrund der Krise in der Ukraine
9.vgl. tass.ru: Minoborony: voennoslzužaščie RF slučajno peresekli učastok rossijsko-ukrainskoj granicy
10.vgl. TAZ: Es gibt schon Verweigerungen
11.vgl.Frankfurter Allgemeine Zeitung: Ein nicht erklärter Krieg
12.vgl. nato.int: NATO’s support to Ukraine
13.vgl. Die Zeit: US-Militärfahrzeuge in Ukraine angekommen
14.vgl. osce.org: Kompleks mer po vypolneniju Minskich soglašenij
15.vgl. ViceNews: Selfie Soldiers: Russia Checks in to Ukraine
16.vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Wer bricht den Waffenstillstand?
17.vgl. Die Zeit: Wo Kohlen und Geschosse glühen
18.osce.org: Latest from the OSCE Special Monitoring Mission to Ukraine (SMM), based on information received as of 19:30, 31 January 2017
19.vgl.: Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: Report on the human rights situation in Ukraine: 16 August to 15 November 2016
20.vgl. Helsinki Foundation for Human Rights/Justice for Peace in Donbas: Surviving hell - testimonies of victims on places of illegal detention in Donbas
21.vgl. International Criminal Court/The Office of the Prosecutor: Report on Preliminary Examination Activities 2016
22.vgl. unhcr.org: Ukraine
23.vgl. unhcr.org: UNHCR Ukraine Operational Update
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Donezker Volksrepublik

Die Donezker Volksrepublik ist ein von Separatisten kontrollierter Teil der Region Donezk im Osten der Ukraine. Sie entstand im April 2014 als Reaktion auf den Machtwechsel in Kiew und erhebt zusammen mit der selbsternannten Lugansker Volksrepublik Anspruch auf Unabhängigkeit. Seit Frühling 2014 gibt es in den beiden Regionen, die eine zeitlang Noworossija (dt. Neurussland) genannt wurden, Gefechte zwischen den Separatisten und der ukrainischen Armee.

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Grüne Männchen

Als kleine grüne Männchen, manchmal auch höfliche Menschen, werden euphemistisch die militärischen Spezialkräfte in grünen Uniformen ohne Hoheitsabzeichen bezeichnet, die Ende Februar 2014 strategisch wichtige Standorte auf der Krim besetzt haben. Bestritt Moskau zunächst jegliche direkte Beteiligung und verwies auf „lokale Selbstverteidungskräfte“, so gab Präsident Putin später zu, dass es sich dabei um russische Soldaten gehandelt hat. Die grünen Männchen sind inzwischen zu einem kulturellen Symbol geworden.

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