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Zitat #3: „Attacke auf ein nationales Gut“

Russland blockiert Telegram: Nach einem Gerichtsurteil am vergangenen Freitag hat die Medienaufsichtbehörde Roskomnadsor gestern mit der Sperrung des Messenger-Dienstes begonnen. Im Zuge dessen wurden hunderttausende IP-Adressen blockiert, darunter auch Cloud-Dienste von Amazon und Google. Auf diese war Telegram zunächst ausgewichen.
Dem Urteil ging ein Streit zwischen Telegram und Roskomnadsor voraus über die Herausgabe verschlüsselter Daten.

Auf das Urteil am vergangenen Freitag reagierte die Redaktion des russischen Exilmediums Meduza in ihrem Newsletter mit bewegenden Worten:

Quelle dekoder

Deutsch
Original
Die Sperrung von Telegram ist eine Attacke auf etwas, auf das das Land stolz sein sollte.

Ein „nationales Gut“ in Russland ist nicht Gazprom, das sich selbst so nennt, sondern Telegram. Wie viele russische Unternehmen kennen wir, die in der dritten Amtszeit von Putin entstanden sind und eine Weltsensation wurden? Wie viele russische Unternehmen haben Erfolg im Ausland, ohne auch nur eine Kopeke aus dem Staatssäckel erhalten zu haben, beziehungsweise ohne den Verkauf natürlicher Rohstoffe zu betreiben?

Die Sperrung von Telegram, das ist ein Schlag gegen die russische Wirtschaft.

Der russische Staat hätte Pawel Durow zu seinem Hauptverbündeten machen sollen, stattdessen erklärte er ihn zum Feind. Dank Durow haben wir VKontakte – ein Soziales Netzwerk, das unter dem Druck von Facebook nicht aufgegeben hat (wie viele davon gibt es noch auf der Welt?). Pawel Durow wurde der Held einer Generation, das ideale Vorbild, einer der berühmtesten Russen – berühmt im Übrigen nur für Gutes.

Die Sperrung von Telegram ist ein Schlag gegen unsere Zukunft.

Блокировка телеграма — это атака на то, чем страна должна гордиться. 
«Национальное достояние» в России — не «Газпром», который так себя называет, а Telegram. Сколько мы знаем российских компаний, появившихся во время третьего срока Путина и ставших мировой сенсацией? Сколько российских компаний добились успеха за рубежом, не взяв ни копейки из государственного бюджета и не занимаясь продажей природных ресурсов? 
Блокировка телеграма — это удар по российской экономике. 
Российское государство должно было сделать Павла Дурова своим главным союзником, а вместо этого объявило врагом. Благодаря Дурову у нас есть «ВКонтакте» — соцсеть, которая так и не сдалась под напором Facebook (много ли на земле осталось таких мест?). Павел Дуров стал героем поколения, идеальным примером для подражания, одним из самых известных россиян — причем известных только с лучшей стороны.
Блокировка телеграма — это удар по нашему будущему. 


In ganzer Länge erschien der Newsletter am 13.04.2018 unter dem Titel Telegram – nazionalnoje dostojanije (dt. „Telegram  ein nationales Gut). Das russische Original lesen Sie hier.

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Immer wieder hört man auch im westlichen Internet von einem russischen Projekt namens VKontakte (VK) munkeln. Dort, heißt es, sei alles chaotischer, rauer – aber auch freier. Manche sehen in VK gar eine Fluchtmöglichkeit aus facebook und allgemein aus dem „überregulierten“ europäischen Netz. Tatsächlich ist auf VK im Vergleich zu seinem amerikanischen Konkurrenten viel mehr erlaubt, mit daraus resultierenden Diskussionen um Copyright-Verletzungen, Daten- und Minderheitenschutz.

VKontakte (sprich: fkontaktje, wörtlich „in Kontakt“) selbst bezeichnet sich schlicht als „Europas größtes soziales Netzwerk mit mehr als 100 Millionen aktiven Nutzern“. Das Unternehmen markiert damit ungeachtet der räumlichen und sprachlichen Verortung in Russland seine Positionierung im globalen Web.1 VK ist auch in Ländern des postsowjetischen Raums mit einem hohen russischsprachigen Bevölkerungsanteil beliebt, etwa in Belarus, der Ukraine oder Kasachstan. Laut Alexa Internet Ranking gehört das Netzwerk, das seinen Hauptsitz in St. Petersburg am traditionsreichen Newski-Prospekt hat, zu den Top Zwanzig der globalen digital player.2

VKontakte wurde im Jahr 2006, in der Boomzeit der social-media-Anwendungen, von den Brüdern Nikolaj und Pawel Durow gegründet. Zwei Jahre später, mit der Öffnung facebooks für russischsprachige User, stellte sich VK auch der ausländischen Konkurrenz, als deren Analogon oder sogar Klon es gilt.3 

Ein „russischeres“ Netzwerk

VK wird von den russischen Usern aufgrund seiner größeren Anarchie und weniger starken Normiertheit geschätzt.4 Das Netzwerk gilt im Vergleich zu facebook als „russischer“, wobei dies nicht mit einer patriotischen Gesinnung gleichzusetzen ist, sondern mit etablierten Kommunikationsnormen. Viele russische Internet-User bedienen sich zudem verschiedener social networks gleichzeitig, halten Profile auf dem „russischeren“ VK und dem „westlicheren“ facebook und stellen damit ein flexibles Identitätsmanagement unter Beweis.

VK verfügt über rund 80 Spracheinstellungen, darunter auch ins Deutsche, daneben existieren für die russischsprachige Community ein sowjetisches und ein zaristisches Design, Relikte eines Faibles des unkonventionellen Firmengründers Pawel Durow für Aprilscherze. Ersteres enthält beispielsweise die Navigationspunkte „Meine Genossen“ oder „Emigration“.

Seine besondere Popularität verdankt VK der Möglichkeit, digitale Daten und Content in großem Umfang auszutauschen und zu konsumieren. Daraus ergeben sich zahlreiche Konflikte im Bereich des Copyright. Russische und ausländische Firmen, insbesondere aus dem Musikbereich, klagen regelmäßig gegen die Plattform wegen Verletzung von Urheberrechten.

VKontakte gilt im Vergleich zu facebook als „russischer“Ein kontroverses Thema stellt auch der Datenschutz dar. Dies bezieht sich auf das Hacken von Nutzer-Profilen und die Auswertung der Profile durch staatliche Institutionen sowie durch wirtschaftliche und private Akteure. VK wird zudem oft die Verbreitung von Pornographie, Hassrede und Rassismus vorgeworfen.

Unlängst berichten insbesondere deutsche Medien über die verstärkte Nutzung des Netzwerks durch deutsche neonazistische Kreise, die aus facebook „auswandern“, da dort hetzerische und verfassungswidrige Beiträge strikter gelöscht werden.5

Russland ist mit dem Internet-Business nicht mehr vereinbar

Von früh an begleiten die Entwicklung des Netzwerks Diskussionen um das Verhältnis zum russischen Geheimdienst FSB, der dieses angeblich sogar finanziell unterstützt haben soll.6 Im Zuge der Proteste 2011 bis 2013 bekam Pawel Durow Anfragen von Seiten der Sicherheitsdienste zur Blockierung einzelner User-Accounts und Gruppen.7 Durow, der als bekennender Anhänger eines deregulierten Internets gilt, twitterte schließlich eine provokative Absage an weitere Begehrlichkeiten von Seiten staatlicher Institutionen: ein Foto, auf dem ein Hund mit Hoodie den Ermittlern die Zunge herausstreckt.8 Der Konflikt verschärfte sich im Winter/Frühjahr 2013/2014 im Zuge der pro-europäischen Proteste in Kiew.9 Der FSB verlangte die Löschung der Accounts von Maidan-Aktivisten. Durow lehnte dies ab.10

Bereits Ende des Jahres 2013 verkaufte er seinen Anteil an VK und verließ Russland, das „leider mit dem Internet-Business nicht mehr vereinbar sei“.11 Inwiefern dabei auch ein Prozess gegen Durow wegen eines mutmaßlichen Verkehrsdelikts eine Rolle spielte,12 durch den möglicherweise Druck gegen ihn aufgebaut wurde, blieb im Unklaren. Aktuell ist das Netzwerk im Besitz der russischen Medienholding Mail.Ru Group, deren Haupt-Anteilseigner der kremlnahe Unternehmer Alischer Usmanow ist. Die Änderungen in der Eigner- und Führungsstruktur werden oft als Versuch interpretiert, die digitalen Netzwerke von Seiten des Kreml stärker zu kontrollieren.13

Verflechtung der Kommunikation und Politik

VK spiegelt die Charakteristika und Probleme der russischen Netzgesellschaft sowie die intensive Verflechtung von Politik und digitaler Kommunikation in Russland wider.14 Dies betrifft vor allem Fragen der – direkten oder indirekten – staatlichen Kontrolle der Netzkommunikation, des Datenschutzes, des Minderheitenschutzes oder des Schutzes des geistigen Eigentums.

Besonders symptomatisch ist in diesem Kontext der deklarierte staatliche Schutz von Minderheiten vor Hassrede und Rassismus. Dies vollzieht sich vor dem Hintergrund einer fragwürdigen Definition des Begriffes Extremismus in der russischen Gesetzgebung (Extremismusparagraphen 280 und 282).15 Zunehmend werden Einträge in sozialen Netzwerken als extremistisch qualifiziert und User sogar zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Die Anzahl von Verurteilungen ist im Zeitraum von 2012 bis 2015 um das Dreifache gestiegen. Rund die Hälfte der Verfahren betreffen Posts in VK, da das Unternehmen bereitwilliger mit den russischen Behörden zusammenarbeitet als facebook oder Twitter.16


1.Die internationale Positionierung wird durch den Umzug im Jahr 2012 von der Domain vkontakte.ru auf vk.com untermauert. Seitdem firmiert die Ressource auch offiziell unter dem international leichter kommunizierbaren Kürzel VK.
2.Alexa : Das Ranking ist statistisch nicht repräsentativ, bietet jedoch eine quantitative Orientierung.
3.Pawel Durow hat den Vorwurf des „Code-Plagiats“ mal als unberechtigt zurückgewiesen, mal als notwendig im Aufholrennen gegen die ausländische Konkurrenz gerechtfertigt, siehe Lenta.ru: VKontakte: Populjarnaja rossijskaja social’naja set’
4.Roesen, Tine / Zvereva, Vera (2014): Social network sites on the Runet: exploring social communication, S. 77-78, in: Gorham, Michael / Lunde, Ingunn / Paulsen, Martin (Hrsg.): Digital Russia: The Language, Culture and Politics of New Media Communication, New York, S. 72-87
5.Berliner Morgenpost: Hetze außer Kontrolle – deutsche Neonazis im russischen Web
6.spbit.ru: „vKontakte“ osvaivaet kommerciju in SPbITru
7.Lenta.ru: Glava „VKontakte“ pokazal specslužbam sobačij jazyk
8.Pawel Durows offizielle Antwort an den Geheimdienst auf die Anfrage zur Blockierung auf Twitter am 08.12.2011: Oficial’nyj otvet specslužbam na zapros o blokirovke
9.techcrunch.com: Durov, Out For Good From VK.com, Plans A Mobile Social Network Outside Russia
10.Vedomosti: Durov prodal svoju dolju vo „V kontakte“ iz-za konflikta s FSB
11.Vedomosti: Durov: Ja ne v Rossii i ne planiruju vozvraščatsja
12.Kommersant: V ofise socseti "Vkontakte" prošli obyski
13.Vedomosti: Durov: Ja ne v Rossii i ne planiruju vozvraščatsja
14.Konradova, Natalja / Schmidt, Henrike (2014): From the Utopia of Autonomy to a Political Battlefield: Towards a History of the ‘Russian Internet’, in: Gorham, Michael / Lunde, Ingunn / Paulsen, Martin (Hrsg.): Digital Russia: The Language, Culture and Politics of New Media Communication, New York, S. 31-53
15.SOVA Center (2016): Xenophobia, Freedom of Conscience and Anti-Extremism in Russia in 2015: A collection of annual reports by the SOVA Center for Information and Analysis
16.RBС: Dva goda za repost: kak vlasti borjutsja s ekstremizmom v Runete
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Wladimir Medinski leitete von 2012 bis Januar 2020 das Kulturministerium der Russischen Föderation. Zu den zentralen Anliegen seiner Kulturpolitik zählten die Förderung des russischen Patriotismus sowie der Einsatz gegen vorgeblich antirussische Tendenzen in der Kultur.

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Dimitri Peskow ist seit dem Machtantritt Putins für dessen Pressearbeit zuständig und gilt als offizielles Sprachrohr des Kreml. Üblicherweise für die Krisen-PR verantwortlich, sorgte er mehrfach selbst für negative Schlagzeigen, unter anderem im Rahmen der Panama Papers.

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Als kleine grüne Männchen, manchmal auch höfliche Menschen, werden euphemistisch die militärischen Spezialkräfte in grünen Uniformen ohne Hoheitsabzeichen bezeichnet, die Ende Februar 2014 strategisch wichtige Standorte auf der Krim besetzt haben. Bestritt Moskau zunächst jegliche direkte Beteiligung und verwies auf „lokale Selbstverteidungskräfte“, so gab Präsident Putin später zu, dass es sich dabei um russische Soldaten gehandelt hat. Die grünen Männchen sind inzwischen zu einem kulturellen Symbol geworden.

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