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Die Nationalzehn

Zehn Vizepremiers koordinieren derzeit die Arbeit der Regierung. Warum so viele? Und was haben sie zu entscheiden, wenn es außerdem 22 Ministerposten gibt und zudem noch eine Präsidialadministration?

Wie die Arbeit der Regierung funktioniert und inwieweit sie noch effizient sein kann, das fragt der Wirtschaftswissenschaftler Dimitri Nekrassow auf Republic.

Источник Republic

Fotos © government.ru (CC BY 4.0)
Sehr viele Vizepremiers, wie in Russland [derzeit sind es zehn – dek], gibt es in den meisten GUS-Staaten. Und zwar unabhängig vom Umfang demokratischer Prinzipien in ihrem jeweiligen politischen System – von Turkmenistan bis zur Ukraine, aber auch in einigen ehemaligen RGW-Staaten wie Bulgarien oder Rumänien, und auch in China.

Diese Situation ist zweifellos auf die Übernahme des Regierungsmodells zurückzuführen, das noch unter Stalin entwickelt wurde.

Dieses Modell basierte auf einer Logik, wonach die Minister fachlich versierte Experten sein sollten, die sich mit den Fragen des jeweiligen Industriezweigs auskennen. Fragen der globalen politischen Strategie sollten dann im engen Kreis von Genossen entschieden werden, die dem Politbüro oder dem Präsidium der Regierung angehörten (was sich oftmals überschnitt). Sie erarbeiteten und kontrollierten die Umsetzung der „allgemeinen Parteilinie“. Somit lag die politische Führung bei Regierungshandlungen in den Händen der Vizepremiers, die in der Regel auch Politbüro-Mitglieder waren, während die Minister für die technische Umsetzung der getroffenen Entscheidungen zuständig waren.

Clan-Logik entscheidet

Heutzutage gehört der Großteil der Vizepremiers in Russland (oder auch beispielsweise in der Ukraine) vor allem Clans oder politischen Einflussgruppen an, deren Interessen sie vertreten.

Auch bei der Ernennung von Ministern driften die Prinzipien zunehmend in Richtung einer klaren Clan-Logik. Bisher aber werden Minister immer noch eher aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation ernannt, als das bei Vizepremiers der Fall ist.

Ein weiterer Grund für die hohe Zahl der Vizepremiers ist die im Vergleich mit anderen Industrieländern hohe Zahl von eigenständigen bürokratischen Strukturen. Bei allen Unterschieden in Aufbau und Bezeichnung, liegt die Zahl der Vorsitzenden von Ministerien und Behörden, die direkt dem Regierungsoberhaupt unterstehen, in mittel und hoch entwickelten Industrieländern im Schnitt bei 12 bis 25 Personen.

Bereits Cyril Northcote Parkinson schrieb, dass die Zahl der Regierungsmitglieder 20 bis 22 nicht übersteigen solle. Werde diese Grenze überschritten, verliere das Kabinett seine Regierbarkeit. In Russland gibt es formal 21 Ministerien [in der neuen Regierung sind es 22 – dek], allerdings müssen da noch mindestens 16 Agenturen und föderale Dienste hinzugerechnet werden. Außerdem sind viele Behörden, die formal bestimmten Ministerien unterstehen, de facto eigenständig und unmittelbar dem Regierungsoberhaupt unterstellt. Man denke nur an die Steuerbehörde, die formal dem Finanzministerium unterstellt ist. Berücksichtigt man all diese Strukturen, so steigt die Zahl der Behörden und Ministerien, die de facto zur Regierung gehören, auf über 70.

In diesem Kontext erscheint die Zahl der Vizepremiers dann gar nicht mehr so hoch.

Überflüssige Behörden

Bemerkenswert ist, dass die Zahl der Beamten pro 1000 Einwohner in Russland durchaus der Entwicklung des Landes entspricht und deutlich niedriger liegt als in den meisten Industrieländern. Aber es geht nicht um die absolute Größe des Staatsapparats, sondern um die hohe Anzahl überflüssiger Einheiten, die als eigenständige Behörden Funktionen übernehmen, die in Industrieländern für gewöhnlich von zusammengelegten Ministerien ausgeführt werden.

Auch hier zeigt sich das sowjetische Erbe. Wegen der Verwaltungsbesonderheiten der Planwirtschaft lag die Zahl der branchenbezogenen Ministerien in der UdSSR wesentlich höher als in Ländern mit freier Marktwirtschaft. Offenbar war es in den 30 Jahren seit dem Zerfall der Sowjetunion einfacher, die ökonomischen Prinzipien zu ändern, als die Zahl der Behörden an das neue Niveau anzupassen.

Sowjetisches Erbe

Ein weiteres „sowjetisches“ Merkmal ist, dass es neben der Regierung noch eine starke Präsidialadministration gibt, in der viele Regierungsfunktionen gedoppelt sind. Damit wiederholt sich das Modell „Regierung plus Apparat des Zentralkomitees der KPdSU“. Die Präsidialadministration hat sogar ihren Sitz im ehemaligen Gebäude des Zentralkomitee-Apparats und erfüllt eine ähnliche Funktion der „politischen Kontrolle“. Typisch ist, dass dieses Modell in fast allen GUS-Staaten erhalten geblieben ist.

Direkt über den Behörden hängt bei uns also noch die dicke Schicht aus Präsidialadministration, aus einem – für internationale Verhältnisse riesigen – Regierungsapparat, den Vizepremiers und den Helfern des Präsidenten. Ist das historische Erbe in solchen Fragen wirklich so mächtig, dass völlig unnötige Verwaltungsebenen allem Praxissinn zum Trotz erhalten bleiben?

Ich denke, neben der objektiv hohen Zahl der eigenständigen bürokratischen Strukturen, liegt die Ursache für die Langlebigkeit solcher Zwischenämter an zwei weiteren Faktoren:

Zum einen an der Inflation von Titeln: Nach dem Zerfall der Sowjetunion ist trotz Verkleinerung der Armee und Wissenschaft die Zahl der Generäle, Doktoren und Akademiker gestiegen. Dabei ist den Menschen durchaus bewusst, dass der Wert der Titel gesunken ist. Aber aller Devaluation zum Trotz hat etwas, das in der Kindheit für so wichtig erachtet wurde, für viele auch heute noch seinen Wert.

Zum anderen gibt es ein neues Mestnitschestwo, das gewissermaßen das Verhalten der Eliten vor Peter dem Großen wieder aufgreift. Viele Vertreter der heutigen russischen Elite wechseln oft ihre Posten, allerdings immer unter Beachtung mindestens zweier Mestnitschestwo-Regeln par exellence:
a) der neue Posten darf vom Status nicht unter dem vorherigen liegen (es sei denn es handelt sich um eine ehrwürdige Verabschiedung in die Sinekure);
b) der neue Vorgesetzte darf kein ehemaliger Untergebener sein.

Man kann nicht behaupten, diese Prinzipien würden immer und zu hundert Prozent gelten. Aber ein Putin, der immer wieder dasselbe Kartendeck mit ein und denselben Figuren mischt und verteilt, könnte schlecht all die Rochaden planen, hätte er nicht die große Zahl von Präsidentenberatern und -helfern, Vertretern des Präsidenten in den Regionen, stellvertretenden Leitern der Administration und deren ersten Stellvertretern, Vizepremiers und deren ersten Stellvertretern. Hätten wir nur 15 Ministerien wie die USA, wären all diese Rochaden stark erschwert – und die politische Verantwortung würde nicht derart verschwimmen hinter einer Vielzahl von involvierten Personen.

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Technokratie

Wenn in den letzten Jahren neue Gouverneure, Regierungsmitglieder oder Beamte in der Präsidialverwaltung ernannt wurden, dann war immer wieder von sogenannten „jungen Technokraten“ die Rede.1 Während manche Beobachter darüber witzeln, dass die neue Technokratenriege aus der Retorte käme, versteigen sich die anderen schon dazu, von einem Elitenwandel zu sprechen. Heißt dies nun, dass Russland auf dem Weg zu einer Technokratie ist? Und was würde das für die Wirtschaftspolitik des Landes und die Stabilität des autoritären Regimes als Ganzes bedeuten?

Russlands Technokraten, die sich so ähnlich sehen, dass sie sicher – so wird gescherzt – aus einem geheimen Kreml-Labor stammen / Quelle unbekannt

Im allgemeinsprachlichen Gebrauch scheint die Bedeutung klar zu sein: Als Technokraten werden vor allem Politmanager bezeichnet. Sie haben keinen parteipolitischen Hintergrund und sind durch ihre oft ökonomisch geprägten Fachausbildungen vor allem an pragmatischer Modernisierung und wirtschaftlichem Fortschritt interessiert. Damit unterscheiden sie sich einerseits von den auf Kontrolle versessenen Silowiki und andererseits von den als dogmatisch geltenden neokonservativen Ideologen. 

Die Politikwissenschaft stuft eine technokratische Regierung im engeren Sinne als direkten Gegensatz zu Parteienregierungen ein. Ein technokratischer Minister hat demnach zuvor kein öffentliches Amt im Namen einer Partei innegehabt, er ist kein Parteimitglied und gilt als ein unparteiischer Experte. Gerade diese Eigenschaften bringen ihm auch das Regierungsmandat ein.2

In europäischen Demokratien kommt es vor allem nach politischen Skandalen und ökonomischen Rezessionen zu technokratischen Regierungen. Wenn Parteienregierungen vorzeitig aufgelöst werden oder politische Blockaden nach Wahlen eine Koalitionsregierung verhindern, dann treten Technokratenregierungen oft als eine Art Allheilmittel auf den Plan.3 Die Kernelemente von Parteienregierungen der repräsentativen Demokratie bestehen unter anderem aus Konsensbildung und aus der Bereitschaft, auf Wähler einzugehen und vor ihnen Rechenschaft abzulegen. Demgegenüber zeichnen sich Technokraten vordergründig durch fachliche Expertise aus, ihre Unabhängigkeit von Parteien oder Lobbygruppen soll zudem ebenfalls bestmögliche Politikergebnisse liefern, die wiederum technisch rational begründet werden.

„Rote“ versus „Experten“

Ideengeschichtlich lässt sich die Technokratie mindestens auf die Zeit der Aufklärung mit ihrem ausgeprägten Wissenschafts- und Technologieglauben zurückführen. Dabei war dieser nicht auf die industrialisierten Länder des Westens beschränkt. Lenin hatte 1920 die Parole ausgegeben, dass Kommunismus Sowjetmacht plus Elektrifizierung sei. Gerade in den 1920er Jahren habe die junge Sowjetunion einen „technokratischen Eifer“4 an den Tag gelegt, der mit der Innovationsbegeisterung im England Mitte des 18. Jahrhunderts zu vergleichen sei, so der Soziologe Reinhard Bendix. 
In der Tat zeigen Studien, dass sich nach der Oktoberrevolution 1917 eine neue technisch-naturwissenschaftlich ausgebildete Elite in der Zivilverwaltung herauszubilden begann, ohne dass jemals eine Technokratie etabliert wurde.5 In der Literatur wird der Widerspruch zwischen kommunistischer Ideologie und Modernisierungsansprüchen plakativ als Konflikt zwischen „Roten“ und „Experten“6 dargestellt.

Im Unterschied zu stabilen Demokratien bergen technokratische Elemente für totalitäre und post-totalitäre Regime wie die Sowjetunion eine Destabilisierungsgefahr. Die Etablierung einer Technokratie in der UdSSR hätte bedeutet, dass die Herrschaft letztendlich an technisch versierte Experten übergegangen wäre, die Politik und Wirtschaft wissenschaftlich und „rational“ steuern. Dies hätte wiederum das Herrschafts- und Gewaltmonopol der Partei vollständig untergraben.7 So lässt sich erklären, warum viele führende Forscher der Sowjetunion als Gefahr für die Regimestabilität wahrgenommen wurden und dem Großen Terror zum Opfer fielen. Oder warum die im Weltraum- und Atomprogramm tätigen Größen wie Sergej Koroljow und Andrej Sacharow zumindest zeitweise in Lagerhaft oder in der Verbannung waren.

Junge Reformer

Doch ein solch komplexes politökonomisches System wie die Sowjetunion war auf Expertise angewiesen, und so ist es wenig verwunderlich, dass in der Staatsverwaltung auf Technokraten gesetzt wurde, insbesondere in Krisenzeiten. Während der Perestroika nahm zum Beispiel der technokratische Premierminister Nikolai Ryshkow eine führende Position im Staat ein, er regierte als eine Art technokratisches alter ego des Generalsekretärs Gorbatschow8.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kam im Russland der frühen 1990er Jahre eine neue Generation von jungen Reformern um Jegor Gaidar an die Macht, die vorwiegend mathematisch und wirtschaftswissenschaftlich geprägt war und eine technokratische Sicht auf die Politik vertrat. Charakteristisch hierfür etwa ist ein Zitat von Alexej Uljukajew aus dem Jahr 1995: „Die wichtigste Frage jeder Evolution ist die Abgrenzung der Macht: Wie können Entscheidungen kompetent getroffen werden, sodass diese nur von Wissen und Erfahrung abhängen, nicht jedoch von Abstimmungsergebnissen?“9

„Mentalität“ des Technokraten

Für gewöhnlich werden Bürokraten wie der Vorsitzende des Rechnungshofes Alexej Kudrin, Sparkassenvorsitzender German Gref, Zentralbankchefin Elwira Nabiullina, Finanzminister Anton Siluanow, Wirtschaftsminister Maxim Oreschkin oder der stellvertretende Leiter der Präsidialverwaltung Sergej Kirijenko als Technokraten bezeichnet. Sie stehen für wirtschaftsliberale Politikansätze, die vor allem der makroökonomischen Stabilisierung dienen sollen.

Politische und bürgerliche Freiheitsrechte spielen demgegenüber eine untergeordnete Rolle. Eine technokratische Geisteshaltung lehnt viele Elemente ab, die im Kern zum politischen Liberalismus gehören. Zur „Mentalität“10 des Technokraten gehören etwa, dass technisch-wissenschaftliche Lösungen Politik ersetzen sollen. Technokraten vertreten eine Grundskepsis gegenüber politischen Institutionen wie Parteien und Parlamenten sowie gegenüber der Offenheit und Gleichberechtigung der repräsentativen Demokratie. Technokraten glauben außerdem, dass soziale und politische Konflikte sowie Meinungsverschiedenheiten schädlich sind, weil sie vor allem der Unwissenheit geschuldet seien. Sie haben aus Prinzip eine Abneigung gegen moralisierende oder ideologisierende Debatten: Die Lösung von Problemen soll demnach in den verschiedenen Politikfeldern vor allem durch pragmatische und praktische Ansätze erfolgen. Insgesamt sei technischer Fortschritt und materielle Produktivität weitaus wichtiger als soziale Ungleichheit und Verteilungsgerechtigkeit.

Techno-Optimismus

Vor diesem Hintergrund ist auch die Begeisterung nachvollziehbar, mit der viele russische Politiker derzeit von neuen Technologien im IT-Bereich sprechen. Viele von ihnen sehen darin auch eine Lösung für den anhaltenden Reformstau in vielen Politikfeldern. Selbst Putin, der vor einigen Jahren noch behauptete, kein Internet zu nutzen, leide nun inzwischen an der „digitalen Krankheit“, witzeln einige Beobachter. In der Tat sprechen der Präsident und seine Berater zusehends öfter von blockchain, neuronalen Netzwerken, Algorithmen, maschinellem Lernen, Automatisierung und Arbeiten in der cloud.

Fortschritte in diesem Bereich sollen nicht nur der Wirtschaft zu Gute kommen, sondern auch das Gerichtswesen und die Staatsverwaltung effizienter machen. Der „Staat als Plattform“11 etwa ist eine der zentralen Reformempfehlungen des Zentrums für Strategische Entwicklung (CSR), dessen Ratsvorsitz Alexej Kudrin innehat. Die Grundidee dabei ist, dass die vom Staat erhobenen Daten digitalisiert und zentral abgespeichert werden. Die Analyse großer Datenmengen soll dann automatisiert erfolgen. Dadurch, so die Überlegung, können gesetzliche Regulierungen und Beamtenschaft abgebaut werden, was nicht nur staatliche Leistungen schneller und effizienter mache, sondern gleichzeitig auch institutionelle Anreize schaffe, mit denen korrupte Praktiken abgebaut werden können.

Diese Form von Techno-Optimismus ist nicht nur für Teile der bürokratischen Elite, sondern auch für die russische Gesellschaft charakteristisch: Laut Umfragen des Eurobarometers ist Techno-Optimismus in Russland und in anderen postkommunistischen Staaten deutlich häufiger anzutreffen als in Westeuropa. Je geringer das zwischenmenschliche Vertrauen und das Vertrauen in politische und staatliche Institutionen ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass geglaubt wird, mit Wissenschaft und Technik alle Probleme der Menschheit lösen zu können12. Dazu gehören zum Beispiel auch Richter-Roboter, von denen sich die Bürger gerechtere Urteile erhoffen.

Innovationsstau trotz Techno-Optimismus

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum Russland es trotz zahlreicher Technokraten in Regierungsverantwortung, großem Techno-Optimismus und auch Erfindergeist in der Gesellschaft und in Unternehmern nicht schafft, die Volkswirtschaft zu modernisieren. Und warum Russland selbst im Vergleich zu anderen autoritären Regimen wie China technisch immer weiter an Boden verliert. Der MIT-Professor Loren Graham bringt dieses Dilemma in seinem Buch Lonely Ideas13 auf den Punkt: Zwar seien Russen bei „Erfindungen“ erfolgreich, hätten es aber auch in historischer Perspektive selten geschafft, diese in „Innovationen“ zu transformieren. Dazu, so Graham, wäre ein institutionelles Umfeld nötig, das auf demokratischen Entscheidungsprozessen, freier Marktwirtschaft, Wettbewerb und einem Rechtsstaat beruhe. 

Dies, so zeigt die Geschichte Russlands, würde aber vor allem die Macht der herrschenden Elite untergraben. Der jüngste Versuch, den Instant-Messaging-Dienst Telegram in Russland zu blockieren, hat erneut demonstriert, welche Richtung die Digitalisierung in Russlands „techno-bürokratischem Autoritarismus“14 einschlägt: Neue Technologien sollen zuallererst unter der Aufsicht des Staates bleiben, unkontrollierte kreative Energie wie die von Pawel Durow wird dabei erstickt oder ins Ausland gedrängt. Mitverantwortung tragen hier aber nicht nur die Silowiki, sondern eben auch jene Technokraten, deren Weltsicht sich allzu sehr gegen politische Reformen sträubt. 


1.Burkhardt, Fabian/Kluge, Janis (2017): Generalprobe für Russlands Präsidentschaftswahlen: Moskau stärkt seine Kontrolle über Gouverneure und regionale Finanzen, in: SWP-Aktuell 2017/A 66 
2.McDonnell, Duncan/Valbruzzi, Marco (2014): Defining and classifying technocrat‐led and technocratic governments, in:  European Journal of Political Research 53(4), S. 654-671
3.Wratil, Christopher/Pastorella, Giulia (2018): Dodging the bullet: How crises trigger technocrat‐led governments, in: European Journal of Political Research 57(2), S. 450-472
4.Bendix, Reinhard (1977): Nation-building and citizenship: Studies of our changing social order, University of California Press, S. 186
5.Rowney, Don K. (1989): Transition to Technocracy: The Structural Origins of the Soviet Administrative State, Cornell University Press
6.Bailes, Kendall E. (1974): The politics of technology: Stalin and technocratic thinking among Soviet engineers, in: The American Historical Review 79(2), S. 445-469
7.Moore, Barrington (1954): Terror and Progress USSR: Some sources of change and stability in the Soviet Dictatorship, Harvard University Press, S. 189
8.Bialer, Seweryn/Afferica, Joan (1985): The Genesis of Gorbachev's World, in: Foreign Affairs 64(3), S. 605-644
9.zit. nach Gel’man, Vladimir (2018): Politics versus Policy: Technocratic Traps of Russia’s Policy Reforms, in: Russian Politics 3(2), S. 283
10.Putnam, Robert D. (1977): Elite transformation in advanced industrial societies: An empirical assessment of the theory of technocracy, in: Comparative Political Studies 10(3), S. 383-412
11.csr.ru: Cifrovaja Transformacija Gosudarstva: Grazhdanin i Gosudarstvo v Novoj Cifrovoj Real’nosti
12.So die Fragen, die Respondenten bei den Umfragen gestellt werden. Meduza: Segodnja Prezident - ne političeskij, a sakral’nyj institut: Interv’ju Sociologa Viktora Vachštajna – o tom, komu doverjajut Rossijane
13.Graham, Loren (2013): Lonely ideas: can Russia compete?, MIT Press  
14.Burkhardt, Fabian (2016): Ordnung der Macht: Die Generation Anton Wainos und Russlands techno-bürokratischer Autoritarismus, in: Russland-Analysen Nr. 322, S. 13-19
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