Quelle

Izvestia

Izvestia

Seit mehr als hundert Jahren auf dem Markt, spiegelt die Izvestia die ideologischen Erschütterungen in einem Land wider, das heute Russland heißt. Die Tageszeitung ist mittlerweile ein staatsnahes Boulevardblatt, das „Schlüsselinformationen aller relevanter Ereignisse in Russland und der Welt“ publiziert. So schreibt die Nationale Mediengruppe, zu dem der Verlag seit 2008 gehört. Die meisten Izvestia-Leser finden sich in der Verwaltung des Landes.

Das Verlagsgebäude ist längst eine Sehenswürdigkeit in Moskau. Mittendrin, auf dem Puschkin-Platz, prangt bis heute der berühmte Name in heller Schrift. Izvestia steht an der grauen Wand. Darunter die vier Buchstaben, die auf den Staat verweisen, dessen politisches Leben die Zeitung stets prägte: SSSR (UdSSR). Das Land aber gibt es nicht mehr. Die Redaktion der Izvestia ist inzwischen ebenfalls weggezogen aus dem Gebäude am Puschkin-Platz, den Demonstranten gern für ihre Anti-Regierungsproteste nutzen. Es sind solche Erschütterungen über Jahrzehnte hinweg, die die Geschichte dieser Tageszeitung, die heute mit knapp 150.000 Exemplaren erscheint, geradezu vorbildlich widerspiegeln.

Im März 1917 erscheint Izvestia (dt. „Mitteilungen“) zum ersten Mal, noch im damaligen Petrograd, als Mitteilungsblatt des dortigen Sowjets in alter russischer Schrift. Ein Jahr später ziehen die Redakteure, allesamt überzeugte Bolschewiki, in die neue russische Hauptstadt, nach Moskau. Und 1927 hier in den extra für sie entworfenen Neubau der Zeitung, die – neben der Prawda (dt. „Wahrheit“) – zum wichtigen Propagandaorgan der sowjetischen Regierung wird. In einer millionenstarken Auflage gibt das Blatt bis zum Zerfall der Sowjetunion 1991 stets das wieder, was der Oberste Sowjet der UdSSR seinem Volk mitzuteilen hat.

In den 1990er Jahren beginnen – für das Land wie auch für die Izvestia – turbulente Zeiten. Die Auflage sinkt auf etwa 230.000 Exemplare, die neuen Eigentümer (der größte Aktionär ist in der Zeit der Ölkonzern Lukoil) und eine nach Veränderungen strebende Redaktion schaffen es, eine Zeitung für eine gutsituierte Intelligenzija des Landes und seine politische Elite zu machen. Sie bieten Nachrichten und Analysen aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Sport.

2008 schließlich die Wende: Der zum Medienmogul aufgestiegene St. Petersburger Banker Juri Kowaltschuk – in Washington wird er wegen seiner Freundschaft zum russischen Präsidenten „Putins Kassierer“ genannt – übernimmt mit seiner Nationalen Mediengruppe die Izvestia und schafft damit einen Präzedenzfall. Später werden sich ähnliche „Übernahmen“ großer regierungskritischer Medien durch kremlnahe Verleger mehrmals wiederholen.

Die Zeitung hatte bis zu dem Zeitpunkt, auch wegen finanzieller Schwierigkeiten, an Einfluss verloren. Immer wieder wählte es den Weg zum Boulevard – nicht zuletzt unter dem kremlnahen Medienmogul Aram Gabreljanow, der die Izvestia bis 2016 herausgab – und tut dies bis heute. Der Chefredakteur Raf Schakirow hatte ab 2003 versucht, dem Blatt durch eine „Umorganisation“ wieder ein neues Image zu verschaffen. Er scheiterte und musste ein Jahr später gehen. Zuvor hatten bereits bekannte Schreiber die Izvestia verlassen. Auch die nachfolgenden Chefs suchten den richtigen Weg zwischen unterhaltender gelber Presse und einem ernstzunehmenden Politik- und Wirtschaftsblatt. Erst im September 2018 hat wieder ein neuer Chefredakteur seine Arbeit begonnen.

Text: Inna Hartwich
Stand: Oktober 2018

ECKDATEN

Gegründet: 1917
Chefredakteur: Sergej Korotejew
Inhaber: Nationale Mediengruppe
URL: www.iz.ru


Teil des Dossiers „Alles Propaganda? Russlands Medienlandschaftgefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius
Gnosen

im Gnosmos

als Text

im Gnosmos

als Text

Neueste Gnosen
Gnose Belarus

Die Griechisch-Katholische Kirche in Belarus

Über Jahrhunderte war Religionszugehörigkeit auch eine Frage politischer Loyalität. So ist auch die griechisch-katholische Kirche in Belarus entstanden. Sie war im 16. Jahrhundert gegründet worden, als der belarussische Kulturraum zum katholisch geprägten Polen-Litauen gehörte. Von der orthodoxen Kirche wird sie bis heute als innerer Feind diffamiert. 

Gnose

Sergej Kirijenko

Die aggressive Kriegspropaganda der russischen Staatsmedien kommt bei der Jugend nicht an, Abhilfe schafft Sergej Kirijenko. Als „effektiver Manager“ leitet er zudem die Zivilverwaltung der annektierten ukrainischen Gebiete.

Gnose

Wladimir Potanin

Wladimir Potanin ist der zweitreichste Mann Russlands. Den Grundstein für sein Wirtschaftsimperium legte er in den 1990er Jahren, als er selbst die Regeln für die Privatisierung großer Staatsbetriebe mitgestaltete, dank derer er in den Besitz des Buntmetall-Riesen Norilsk Nickel kam. Seit Beginn des vollumfänglichen Krieges gegen die Ukraine konnte er sein Wirtschaftsimperium sogar ausbauen. Er steht auf den Sanktionslisten der USA und Großbritanniens – Deutschland hingegen treibt weiter Handel mit dem „Nickel-König“.

Gnose

Konstantin Ernst

Konstantin Ernst ist der „Kreativdirektor“ des Kreml. Der Chef des Staatssenders Erster Kanal gestaltet den visuell-medialen Stil von Putins Russland. Die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Sotschi trug ebenso seine Handschrift wie die jährliche Call-in-Sendung Der direkte Draht mit Wladimir Putin. Vom Hollywood-Kino lernte Ernst, wie man über Emotionen Massen erreicht – und stellte dieses Talent in den Dienst des Regimes.

Gnose Belarus

Nikolaj Statkewitsch

Mikola Statkewitsch ist in Belarus einer der bekanntesten Oppositionsführer der älteren Generation. Er wurde zu zahlreichen Haftstrafen verurteilt, auch aktuell ist er in Haft. Waleri Karbalewitsch über einen nationalbewussten Sozialdemokraten, der sich dem Kampf gegen die Diktatur verschrieben hat.

Gnose

Z-Pop

Ist das noch Kunst – oder nur noch Propaganda? Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine verbreitet sich in Russland eine neue Form der Massenkultur, die alles daran setzt, die sogenannte militärische Spezialoperation ins richtige Licht zu rücken.

Gnose

Alexej Gromow

Spin-Doktor, Medienmogul, Kommunikationsstratege: Der stellvertretende Leiter der Präsidialadministration gilt vielen als Putins Propagandaminister. 

Die ostslawischen Sprachen

Die ostslawischen Sprachen Russisch, Belarussisch und Ukrainisch stehen in einem engen Verhältnis zueinander — und haben doch jeweils eigene Wurzeln. Der Sprachwissenschaftler Jan Patrick Zeller beleuchtet die Geschichte dieser Sprachen, die vom Kreml im Krieg gegen die Ukraine immer wieder propagandistisch umgedeutet wird. 

Motherland, © Tatsiana Tkachova (All rights reserved)