Im Lichte uralter Symbolik 

Illustrationen © Andrus Takindang für Budzma

In der belarussischen Sprache heißt das Weihnachtsfest Kaljady. Warum wurde dieses Fest aus heidnischen und christlichen Traditionen ursprünglich zwei Wochen lang gefeiert? Warum legte man früher Heu unter die Tischdecke? Und warum ist die Kuzzja die zentrale Speise dieses Festes und wie wird sie zubereitet?   

Darja Palynskaja erklärt für das Onlineportal Budzma Bräuche und Symboliken, die von Andrus Takidang illustratorisch begleitet sind. 


Kaljady ist in der belarussischen Kulturtradition ein zutiefst archaisches Fest, das erst später von der christlichen Religion übernommen und adaptiert wurde. Es beginnt am Tag der Wintersonnenwende, dieser längsten und schrecklichsten Winternacht, in der die ganze Hoffnung darauf ruht, dass die Sonne wieder aufgehen und ein neues Kalenderjahr beginnen möge. Im Christentum gilt diese Nacht als Tag der Geburt Jesu Christi, Gottes Sohn.

Die heute gelebte Triade Weihnachten – Neujahr – Taufe Christi am 6. Januar hat ihren Ursprung ebenfalls in dieser Tradition. Tatsächlich dauerte Weihnachten bei den Belarussen zwei Wochen, in denen drei Festtage lagen, die so genannten Kuzzja. Der erste hieß einfache oder magere Kuzzja und bildete am 24. Dezember das Ende der sechswöchigen Philippus-Fastenzeit. Der zweite war die reiche oder fette Kuzzja, am 31. Dezember und bildete den Auftakt zur großzügigen Woche. Die dritte (schlanke, magere, Wasser-) Kuzzja fand am 5. Januar vor der Taufe Jesu (Epiphanias) statt. Alle Daten beziehen sich auf den Julianischen Kalender.

Dieser interessante Dualismus, das Nebeneinander von heidnischer und christlicher Tradition, war stets prägend für die belarussische Kultur und existiert als Phänomen bis heute.

Das Abendessen an Kaljady 

Kaljady war ein Familienfest, im Mittelpunkt stand das gemeinsame Abendessen. Alle Familienmitglieder versammelten sich in einem Haus, schmückten gemeinsam den Tannenbaum und bereiteten alles für das Fest vor. Wenn jemand nicht kommen konnte, nannte der Hausherr anstelle seiner Anwesenheit laut dessen Namen am Tisch. Genannt wurden auch die Namen der Vorfahren, für sie wurde eingedeckt oder etwas Kuzzja-Brei auf die Türschwelle oder das Fensterbrett gestellt. 

Das Abendessen begann, wenn der erste Stern am Himmel aufgegangen war. Bei der ersten und dritten Kuzzja gab es in der Regel Fastenspeisen: Bliny, Hering in Öl, Borschtsch mit Fisch und Pilzen oder eine Suppe, Hefebrötchen (Pampuschki), Kringel (Baranki), Rote Grütze (Kissjel), Bohnen und zuletzt den süßen Kuzzja-Brei. Die Anzahl der Speisen hing vom Wohlstand der Familie ab, sollte aber möglichst eine ungerade Anzahl sein, 5 bis 7 oder 9 bis 12.

Das zweite weihnachtliche Abendessen – die Reiche Kuzzja – fand bei den Katholiken am Abend vor Neujahr und bei den Orthodoxen vor dem Alten Neuen Jahr statt. Nun standen viele Fleischgerichte auf dem Tisch: Speck, Fleisch, gebratene Würstchen, Blutwurst und Sülze, denn vor dem Fest schlachtete man ein Schwein, das extra für diesen Tag über das Jahr über großgezogen worden war. 

Die Menschen glaubten, dass das Beisammensein im Kreis der Familie für das kommende Jahr Glück und Gemeinschaft bringt. 

Heu 

Auf der Festtafel lag ein weißes Tischtuch, darunter war Heu verteilt. Traditionell beförderte das Heu den wirtschaftlichen Erfolg – es brachte einen guten Milchertrag und schützte vor den Wölfen. In der christlichen Tradition symbolisierte das Heu die Krippe in Bethlehem und damit die Geburt Christi. Nach dem Fest wurde das Heu nicht weggeworfen, sondern ans Vieh verfüttert.

Kerze

Auf den Tisch oder unter die Ikonen im Herrgottswinkel stellte man eine Kerze. Die lebendige Flamme symbolisierte Licht, Wärme und Hoffnung. Sie wurde zu Beginn des Abendessens angezündet, begleitet von einem Gebet. Ältere Traditionen sprechen von Lagerfeuern, die in dieser Nacht entzündet wurden, und Laternen aus Kürbissen, in die die Weihnachtssänger ebenfalls Kerzen stellten.

Aplatak – Weihnachtsoblate

Ein wichtiges Brauchtum in der katholischen Tradition ist das Teilen der Oblate. Zu Beginn des Abendessens wurde ein Stück aus dem Evangelium vorgetragen, dann teilte man die Oblate, sprach einander Wünsche und Dank aus. Die älteste Erwähnung dieses Rituals stammt vom Ende des 18. Jahrhunderts.

Kuzzja

Kuzzja heißt (neben den Festtagen selbst) auch ein dicker Brei aus gekochten Weizen- oder Gerstenkörnern, manchmal mit Honig, Rosinen und Nüssen – der darf auf dem Tisch nicht fehlen und symbolisiert das gemeinsame Schicksal und den Wohlstand der Familie.

Um diese Speise ranken sich zahlreiche abergläubische Vorstellungen, zum Beispiel, dass die Kuzzja zu allen drei Festen eine Person allein zubereiten muss, um die Einheit der Familie im kommenden Jahr zu sichern: Der dicke, klebrige Brei soll das Einvernehmen innerhalb der Familie garantieren. Während der Zubereitung war es verboten, von der Speise zu kosten. Der fertige Brei wurde in einem Topf auf Heu in den Ikonenecke des Hauses gestellt. Die Reste warf man nie weg, sondern gab sie den Tieren.

Nüsse

Auch Nüsse sind ein Symbol für die Weihnachtszeit. Rational betrachtet ist das kein Wunder, denn Haselnüsse waren eine der wenigen natürlichen Leckereien, die fast im ganzen Land verfügbar waren. Sie wurden im Herbst gesammelt, zum Trocknen ausgelegt und waren dann just zur Weihnachtszeit fertig.

Der Haselnussstrauch wurde von den Belarussen als heilig verehrt. Sie glaubten, dass die bösen Mächte ihn fürchten. Zu Kaljady legte man Haselnüsse in die Ecken und verschenkte sie, um den Wohlstand zu mehren.

Singen

Die Tradition des Kaljady-Singens – Kaljadawannje – reicht, wie auch die des Ostersingens, weit in die Vergangenheit zurück. Die Kaljady-Sänger repräsentieren Figuren aus dem Jenseits, die den Menschen das Schicksal bringen und es entsprechend zuteilen.

Protagonistin des Spektakels war meist die Ziege, ein Symbol der Fruchtbarkeit und des Wohlstandes der Familie: „Wo die Ziege geht, dort Korn entsteht; wo der Ziege Huf, steht das Korn zuhauf, wie der Ziege Horn, steht ein Schober Korn.“ Die Ziege tanzt und stößt mit ihren Hörnern, dann fällt sie zu Boden. Um sie zum Leben zu erwecken und sich eine gute Ernte für das nächste Jahr zu sichern, machen die Hausherren ihre Geschenke.

Auch die anderen Figuren waren der Dorfgemeinschaft wohlbekannt: das Pferd, eines der verehrtesten Tiere, der Wolf als Wächter der Sippe, der Storch als Vogel Gottes, der Bär als Sackträger, der die Geschenke einsammelt, und die Musikanten.

Aus der christlichen Tradition hat das Weihnachtssingen einen religiösen Anstrich erhalten – die Weihnachtssänger wurden als die Heiligen Drei Könige verstanden, die im alten Judäa den Stern von Bethlehem sahen, der sie zur Krippe mit Gottes Sohn geleitete. Nun zogen sie durch die Dörfer und verkündeten die frohe Botschaft von Christi Geburt. Ein obligatorisches Requisit dieses Brauchtums ist der Stern, der den Weg zu jedem Haus wies und erleuchtete, das als Heim Gottes, des Glaubens und der Liebe begriffen wurde.

Wahrsagerei

An den Kuzzja-Abenden wurde wahrgesagt. Die magischste Zeit war jene vor Neujahr, der Abend der Reichen Kuzzja.

Geweissagt wurde für das neue Jahr, das eigene Schicksal, das Schicksal möglicher Bräute und Bräutigame oder einfach das Wohlergehen der Familie. Obwohl das Christentum solcherlei verbietet, galt in der traditionellen Kultur, dass „Gott diese Sünde an den Weihnachtsabenden vergibt.“

Wie wurde geweissagt? Es gab viele Arten:

Wirf den linken Schuh über die Schulter. Aus der Richtung, in die die Schuhspitze zeigt, wird der Bräutigam kommen. Wenn der Schuh aber an etwas hängenbleibt, wird das Mädchen vorerst nicht heiraten.

Nimm (ohne hinzuschauen!) ein Holzscheit aus dem Feuer – daran ist zu erkennen, wie der zukünftige Mann sein wird: Ist es glatt und eben, wird es ein schöner Mann, ist es rau und ungleichmäßig, wird er hässlich. Hat das Scheit viele Äste, wird der Zukünftige eine große Familie haben. Ein krummes Scheit zeigt, dass der Mann nicht attraktiv sein wird.

Mit Pfannkuchen (Aladki): Die Hausherrin backt kleine Pfannkuchen und jedes Mädchen nimmt sich einen. Dann wird die Haustür geöffnet, die Pfannkuchen auf die Schwelle gelegt und der Hund ins Haus gelassen. Wessen Pfannkuchen er zuerst schnappt, die wird als nächste heiraten.

Oder so: Zur Reichen Kuzzja werden Pfannkuchen gebacken, dann bittet man den Nachbarn um Fett für die Pfanne, also ein Stück Salo, geht im Hof zu der Stelle, wo das Schwein gebraten wird, reibt den Pfannkuchen mit Speck ein, isst ihn und lauscht, wo die Hunde bellen – aus dieser Richtung würden die Brautwerber kommen.

Oder: Im Wohnzimmer stellt man einen Spiegel und Wasser in einer Schale auf und verstreut etwas Getreide. Dann wird ein Hahn oder eine Henne losgelassen, um aufzuzeigen, wie der zukünftige Ehemann sein wird: Geht der Vogel zuerst Körner picken, wird es ein reicher Gatte, schaut der Vogel in den Spiegel, verspricht das einen schönen Mann, trinkt der Vogel aber zuerst Wasser, wird es ein Säufer sein.

Strohspinne

Die „Strohspinne“ im Haus war in der Weihnachtszeit ein Glücksbringer, der Wohlstand anzieht. Spinnen wurden hochgeschätzt, in der belarussischen Tradition standen sie für Fleiß und guten Neuigkeiten. Die Leichtigkeit und Perfektion des Spinnennetzes verbanden diese Lebewesen mit der Sphäre des Himmlischen und Göttlichen.

Schon unsere Vorfahren schmückten ihr Haus für die Kaljady-Zeit: Über den Tisch hängten sie eine Strohspinne, ein Kunsthandwerk, das eine ideal geordnete Welt verkörperte, ein traditioneller belarussischer Talisman. Die Form der Spinne konnte unterschiedlich sein, doch war sie stets mit kosmologischen und kosmogonischen Vorstellungen verbunden.

Tannenbaum

In Belarus begann man im 18. und 19. Jahrhundert, Tannenbäume zu schmücken. Man verwendete Äpfel und selbstgebastelte Figuren, beispielsweise aus Papier.

Es gibt eine interessante Überlieferung, woher die Tradition mit dem Tannenbaum stammt: „Als Jesus Christus geboren wurde, brachten alle Geschenke, doch der Bär wusste nicht, was er mitbringen sollte, also riss er eine Tanne aus. An einer Stelle ging er durchs Wasser, stolperte, das Wasser gefror und da waren am Baum plötzlich allerlei Eisfiguren. Der kleine Herr Jesus betrachtete sie begeistert und freute sich. Das war das beste Geschenk! Seitdem gibt es den geschmückten Weihnachtsbaum.“

Klassisches Rezept für den Kuzzja-Brei

Zutaten:

  • Weizen (125 g)
  • Mohn (100 g)
  • Honig (3 EL)
  • Walnüsse, Haselnüsse (100 g)
  • Rosinen (100 g)

Zubereitung:

Den Weizen waschen und mehrere Stunden einweichen, dann kochen, bis er weich ist (etwa 1 –2 Stunden).

Den Mohn mit kochendem Wasser übergießen und 30 Minuten stehenlassen, danach das Wasser abgießen und mit dem Mörser oder Pürierstab mahlen, bis Mohnmilch entsteht.

Nüsse in der Pfanne oder im Backofen anrösten, danach grob hacken. Die Rosinen in warmem Wasser etwa zehn Minuten einweichen. Den gekochten Weizen mit Mohn, Nüssen, Rosinen und Honig mischen. Fertig ist die Kuzzja! S Kaljadami!