Quelle

Komsomolskaja Prawda

 

 

 

Die Komsomolskaja Prawda ist Yellow Press auf Russisch. Als Presseorgan der kommunistischen Jugendorganisation in der frühen Sowjetunion gegründet, fand sie nach deren Zerfall als Klatschblatt zu einer neuen Identität. In Russland ist sie heute eine der meistgelesenen Zeitungen, ein Flaggschiff: bei sozialen Belangen auch kritisch, aber überwiegend kremlfreundlich.

Frühere kommunistische Blätter sind baden gegangen oder konnten sich neu erfinden. Eins davon war die Komsomolskaja Prawda, heute ein Boulevardblatt. Es gibt Melodramatik aus Kriminalität, Promis, kurzen Ruhm für Retter und Entehrte des Alltags sowie eine Prise Sex.
Hat die Zeitung ihre Identität gewechselt, so behielt sie dennoch ihren Namen Komsomolskaja Prawda. Der verweist auf den früheren Komsomol, die einzige Jugendorganisation, die es in der UdSSR lange Jahre offiziell geben durfte. Der Komsomol war politische Arena, Kader-Schmiede und sowjet-ideologische Schule. Die Komsomolskaja Prawda als eins seiner wichtigsten Presseorgane, wurde 1925 gegründet und war die kleine Schwester der Prawda, dem Sprachrohr der Bolschewiki.

Zu Sowjetzeiten erschien die Komsomolskaja Prawda unionsweit identisch, heute existieren in Russland an die 60 Lokalableger. Die Druckausgabe ist klassischer Boulevard, alles bunt gemischt. Online sind die Texte in Rubriken geordnet, reichen von Gesellschaft, Sport, Politik, Wirtschaft, Gesundheit bis zur Promispalte. Eine Textauswahl wandert täglich mit einer Auflage von rund 250.000 Exemplaren in den Druck und in die dickere Wochenausgabe am Freitag mit rund 1,1 Millionen (beides in Russland, Stand Oktober 2018). Weitere Verbreitung findet die Zeitung in 45 Ländern, darunter in sechs ehemaligen Sowjetrepubliken. Der Webauftritt bringt Klickzahlen im zweistelligen Millionenbereich.
Die Komsomolskaja Prawda betreibt heute zudem einen Radiosender, hat zahlreiche Podcasts. Ein TV-Sender aber rechnete sich nicht und machte zwischenzeitlich wieder dicht.

Hinter dem Verlagshaus stehen mehrere Eigner: Großaktionär ist nach Medienberichten der weitgehend unbekannte Sergej Rudnow, der damit seinen im Jahr 2015 verstorbenen Vater beerbte: den einst einflussreichen Petersburger Medienmagnaten Oleg Rudnow, der mit Präsident Putin gut bekannt war. Ebenso ist der Milliardär Grigori Berjoskin beteiligt, ein Geschäftsmann, der sein Vermögen im staatsnahen Energiesektor gemacht hat und dem nachgesagt wird, seine Verbindungen stets gut zu pflegen. Undurchsichtig bleibt, wer genau das Sagen hat. Ebenso, wer über die übrigen Anteile verfügt. Chefredakteur Wladimir Sungorkin, der als Generaldirektor des Verlagshauses selbst welche hält, hüllt sich dazu Schweigen.

Politisch liegt die Komsomolskaja Prawda auf dem restaurativen Kremlkurs. In einem Amalgam aus regierungsfreundlicher Linientreue und Freund-Feind-Denken arbeiten sich viele Texte nach einem Schema „Wir gegen die“ an den USA und „dem Westen“ ab. Im Kampfmodus werden liberale Regierungskritiker wahlweise als (vom Westen) korrumpiert, geldgierig oder unfähig geschmäht. Mit Bezug auf die Krim-Angliederung machte Chefredakteur Wladimir Sungorkin im März 2014 einmal in einem Interview deutlich: „Wir verteidigen nationale Interessen.“
Freitags erscheint die Militär-Beilage Swesda (dt.: „Stern“). Chefredakteur ist der langjährige und vielgelesene Kriegsberichterstatter Alexander Koz, der auch aus dem Donbass berichtet.

Daneben gibt es Grautöne zur Lage im Inneren des Landes: Berichte und Kommentare – dies vielfach online – bieten kritische Stimmen, sei es zu Armut, frisierten Wahlen oder Wirtschaftsproblemen; auch der Ökonom Wladislaw Inosemzew ist unter den Kolumnisten. Einzelschicksale werden emotionalisiert. Doch mischt sich bei vielen Texten ein leise-zynisches „So-ist-das-halt“ zwischen die Zeilen.

Zu Sowjetzeiten hatte die Komsomolskaja Prawda in den 1980er Jahren eine bemerkenswerte Ventilfunktion für die Gesellschaft entwickelt. Von Glasnost und Perestroika befeuert, brach sich lebhafte Kritik an den Verhältnissen Bahn, allen voran am eigenen Herausgeber, dem bröckelnden Komsomol. Das machte sie vor 30 Jahren zu einer der meistgelesenen Zeitung des Landes. Auch im heutigen Russland ist sie das, aber unter völlig anderen Bedingungen.

Text: Mandy Ganske-Zapf
Stand: November 2018

Eckdaten:
Gegründet: 1925
Chefredakteur: Wladimir Sungorkin
Herausgeber: Verlagshaus Komsomolskaja Prawda
Anteilseigener: u. a. Sergej Rudnow, Grigori Berjoskin
URL: www.kp.ru


Teil des Dossiers „Alles Propaganda? Russlands Medienlandschaftgefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius
Gnosen

im Gnosmos

als Text

im Gnosmos

als Text

Neueste Gnosen
Gnose

Jewgeni Prigoshin

Vom Leningrader Kriminellen zum zentralen Akteur im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Anton Himmelspach über den Putin-Vertrauten Prigoshin, der als Chef der Söldnergruppe Wagner gilt.

Gnose

Deutschrap und der russische Krieg gegen die Ukraine

Capital Bra, Kalazh44, Olexesh … – Rapper ukrainischer und russischer Herkunft sind in Deutschland heute so populär wie nie zuvor. Sie stürmen die Charts und sind in aller Munde. Wenn es jedoch um politische Aussagen ihrer Musik geht, wird die Lage kompliziert. Denn in ihren Songs verhandeln sie Identitäten auch, wenn es um Russlands Angriffskrieg in der Ukraine geht.

Gnose Belarus

Heldenstadt Minsk

Sowjetische Heldenstadt, Machtzentrum von Alexander Lukaschenko, Schauplatz der Freiheitsproteste von 2020: Die belarussische Hauptstadt Minsk steht heute vor allem für die Kontraste in der autoritären Republik Belarus. Dabei blickt die Stadt auf eine tausendjährige Geschichte zurück. Thomas M. Bohn zieht den Bogen von der kleinen Marktgemeinde zur Metropole. 

Gnose

Ilja Jaschin

Achteinhalb Jahre Haft – so lautet das Urteil gegen den russischen Oppositionellen Ilja Jaschin. Er hat es kommen sehen und sich dennoch entschieden, in Russland zu bleiben – und gegen den Krieg in der Ukraine einzutreten. Morvan Lallouet stellt ihn vor.

Die Beziehungen zwischen Belarus und der Ukraine seit 1991

Belarus und die Ukraine pflegten lange gute, weitgehend konfliktfreie Kontakte. Nicht einmal die russische Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim konnte das nachhaltig eintrüben – obwohl der belarussische Machthaber Lukaschenko an der Seite des Kreml blieb. Doch seither ist viel passiert: Die russische Invasion der Ukraine hat die Beziehungen zwischen Minsk und Kyjiw nun in ihren Grundfesten erschüttert.

Gnose Ukraine

Serhij Zhadan

Serhij Zhadan hat sich als eine der wichtigsten Stimmen in der ukrainischen Literatur etabliert. Im Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, organisiert er Hilfsgüter und gibt Konzerte. Was treibt ihn an, wo liegen seine literarischen Wurzeln, wie lässt sich sein Werk vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Ereignisse verstehen? Kateryna Stetsevych über den Mann, der in diesem Jahr mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wird.

Gnose

Russland und die Türkei

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind die Beziehungen zum NATO-Mitglied Türkei für den Kreml besonders wichtig. Wo diese Partnerschaft ihre Grenzen hat und warum eine antiwestliche Allianz beider Länder unwahrscheinlich ist, das erläutert Daria Isachenko. 

Gnose Belarus

Francisk Skorina

Bibeldrucker, Unternehmer, der Johannes Gutenberg der Ostslawen: Francisk Skorina ist für Belarusen ein wichtiger Teil ihrer kulturellen Identität. Marion Rutz über den europäischen Grenzgänger, der die erste ostslawische Bibel druckte und außerdem das erste Druckwerk im Großfürstentum Litauen schuf – das jetzt zum 500. Jahrestag gefeiert wird. 

Gnose

Echo Moskwy

Am 22. August 1990 geht Echo Moskwy als erster unabhängiger Radiosender der Sowjetunion auf Sendung. Am Abend des 1. März 2022 wird er abgeschaltet und seine Website gesperrt. Eva Binder über den legendären Radiosender, dessen Aus symbolisch für das Ende einer Epoche steht. 

Gnose

Politische Talkshows

Russische Polit-Talkshows hatten einmal den Anspruch, auch selbstkritischen innenpolitischen Diskussionen ein Forum zu bieten. Heute stehen siе für bewusst provozierte Skandale, polternde Moderatoren und das Pflegen von Feindbildern – insbesondere im Krieg gegen die Ukraine. Magdalena Kaltseis über Ursprung, Wandel und Gegenwart eines populären russischen TV-Formats. 

It must be beautiful, © Alexandra Soldatova (All rights reserved)