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Das Woronesh-Syndrom

Als Reaktion auf die europäisch-amerikanischen Sanktionen gegen die russische Führungselite wurden Maßnahmen ergriffen, unter denen die eigene Bevölkerung zu leiden hat, sagt der Journalist Juri Saprykin. Und sie treffen gerade die schwächsten Glieder der Bevölkerung und die schutzwürdigsten Initiativen. Dieser scheinbar paradoxe Mechanismus ist an mehreren Stellen zu beobachten, und das Internet hat sogar einen Namen für ihn.

Источник The New Times

Der Ausdruck Bomben auf Woronesh tauchte im Netz unmittelbar nach der Verabschiedung des Dima-Jakowlew-Gesetzes auf. Ein Facebook-Spaßvogel schrieb damals: Wenn die Amerikaner mit ihren Sanktionen gegen russische Staatsbeamte fortfahren, lasst uns doch einfach einen draufsetzen und selber anfangen, unsere Städte zu bombardieren.

Begreift man das Antiwaisengesetz als Reaktion auf die amerikanischen Sanktionen gegen die russischen Bürger, die auf der Magnitski-Liste stehen, so ist es ein wahres Grauen: Die Duma reagiert auf die Beschneidung von Handlungsfreiheiten der Führungselite mit einem Gesetz, das die Zukunft, die Gesundheit, ja sogar das Leben der am meisten benachteiligten russischen Staatsbürger gefährdet, nämlich das der Waisenkinder, darunter kranker und behinderter. Und all das wurde noch mit einer dicken Schicht Lügen bedeckt: dass man in den USA vorsätzlich russische Kinder quäle und wir sie nun selbst adoptieren und aufpäppeln würden. Genau das nennt man Bomben auf Woronesh: Als Antwort auf einen Schaden, den die Führungsklasse erlitten hat, schlägt man auf die eigenen Leute ein, noch dazu auf die schwächsten. Bei der Geschichte mit den Lebensmittel-Sanktionen gab es weniger offensichtlichen Schaden, dafür aber mehr Lügen: Bald schon ein Jahr lang will man uns weismachen, dass unter den Sanktionen nur die polnischen Bauern leiden würden sowie russophobe Kreativlinge, die vom Leben nur Serrano-Schinken und Parmesan wollen. In Wirklichkeit waren das wieder Bomben auf Woronesh: Als Reaktion auf die europäisch-amerikanischen Sanktionen gegen die Datschen-Kooperative Osero und die staatlichen Banken wurden Maßnahmen ergriffen, unter denen die eigenen Leute zu leiden haben, und wieder die schutzlosen – die, die jetzt gezwungen sind, qualitativ minderwertige Waren zu überhöhten Preisen zu kaufen.

Auch gibt sich niemand große Mühe zu verbergen, dass die momentanen Probleme der gemeinnützigen Stiftung Dinastija gar nichts mit ihrer eigentlichen Stiftungsarbeit, sondern mit darüber hinausgehenden gesellschaftlich-politischen Aktivitäten ihres Gründers Dimitri Simin zu tun haben. Simin setzt den Verkaufserlös seines Anteils am Telekommunikationsunternehmen VimpelCom nicht so ein, wie es ihm höherstehende Kuratoren aufgetragen bzw. erlaubt hatten: Er bezuschusst die Arbeit unabhängiger Medien, sponsert Vorträge und Bildungsprogramme nicht ganz linientreuer Färbung, und vor allem verheimlicht er seine liberalen Überzeugungen nicht und auch nicht die Absicht, seine privaten Mittel weiterhin für die Stärkung dieser Überzeugungen einzusetzen. Solche Absichten im rechtlichen Rahmen zu bekämpfen, ist unmöglich. Folglich nehmen die Bombenflieger Kurs auf Woronesh. Die Aufnahme der Stiftung Dinastija in die Liste der „ausländischen Agenten“, was für sie das Aus bedeuten könnte, wird Simin sicher nicht davon abhalten, sein Geld in politiknahe Projekte zu stecken, doch die Förderung von exakten und Naturwissenschaften, von aufklärerischen Publikationen sowie die Finanzierung von Preisen und Vorträgen ihrer Autoren wird er aufgeben müssen. Als Reaktion auf Gefahren, die der Führungsklasse drohen – in unserem Fall sind sie sehr vage und vielleicht gar nicht existent –, werden somit wieder einmal Maßnahmen ergriffen, unter denen die Schwachen und Schutzlosen leiden werden.

Die Vorkommnisse um Dinastija sind zweifelsohne ein Signal – in erster Linie für den Teil der Elite, der seine Entscheidungen immer noch relativ selbstbestimmt trifft (zumindest wenn es darum geht, in welche gesellschaftlich relevanten Projekte es sich lohnt, Geld zu investieren). Deuten kann man das unterschiedlich, und jede Lesart wird teilweise richtig sein. Dass die Finanzierung von oben missbilligter gemeinnütziger und politischer Projekte den direkten Weg in die Verbannung und Emigration bedeutet, weiß man seit dem ersten Yukos-Prozess nur allzu gut. Aber es kommen neue Bedeutungsnuancen hinzu: Die finanzielle Förderung von Wissenschaft und Bildung, die Publikation von Büchern darüber, was die Welt zusammenhält – das heißt doch der Freigeisterei Tür und Tor zu öffnen! Nach dem Motto: Ihr veröffentlicht hier Bücher von Richard Dawkins, da steht drin, dass es keinen Gott gibt, dass Natur und Evolution auch ganz gut ohne auskommen – wollt ihr etwa auch behaupten, wir bräuchten keinen Putin? Spendet euer Geld lieber für die Errichtung eines Fürst-Wladimir-Denkmals – und das Glück wird über euch kommen. Doch auch diese Interpretation ist am Ende vielleicht zu oberflächlich: Es geht gar nicht darum, dass das Justizministerium (oder die, die dem Justizministerium den entsprechenden Befehl gaben) der Wissenschaft schaden wollte, sie war einfach nur im Weg. Es ist vielmehr so: Wenn du einer von oben nicht sanktionierten gesellschaftlichen Tätigkeit nachgehst, dann ist nicht so sehr diese Tätigkeit in Gefahr, sondern das Selbstlose, Gute und Ungeschützte in deinem Leben. Diejenigen, die von dir abhängen, die dich brauchen. Nicht Kapital, Vermögen und Geldanlagen, sondern Verwandte, gegen die ein Strafverfahren in Gang gesetzt wird, Kinder, die man für eine Krankenhausbehandlung nicht ausreisen lässt, Wissenschaftler, die nicht mehr forschen dürfen, Bücher, die nicht gedruckt werden. Jeder – er muss nicht einmal gegen das Regime kämpfen, sondern sich einfach nur gesellschaftlich für etwas vom Staat nicht Sanktioniertes einsetzen wollen – muss darauf gefasst sein: Woronesh ist ins Visier geraten, seine Einwohner in Geiselhaft. Der Pilot zu allem bereit.

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Krim nasch

Im Zuge der Angliederung der Krim hat sich in Russland eine euphorische Stimmung verbreitet, die mit kaum einem zweiten Begriff so eng assoziiert wird wie Krim nasch – die Krim gehört uns. Der Ausdruck wird inzwischen nicht nur aktiv im Sprachgebrauch verwendet, sondern ziert auch zahlreiche beliebte Merchandise-Artikel.  

Infolge des Euromaidans in der Ukraine erklärte Wladimir Putin am 18. März 2014, dass die ukrainische Halbinsel Krim nach einem (international umstrittenen) Referendum einen Antrag auf Angliederung an Russland gestellt habe. Nach Putins Unterschrift unter den Beitrittsvertrag wurden die Republik Krim sowie die Stadt Sewastopol am 21. März 2014 offiziell zu russischen Föderationssubjekten erklärt. Diese Entscheidung, die international nicht anerkannt wurde und zu westlichen Sanktionen führte, löste in Russland eine Welle der Begeisterung aus, für die sich schnell die Formel „krim nasch“ – die Krim gehört uns – einbürgerte.

Der Begriff Krimnasch ist inzwischen in den aktiven Sprachgebrauch eingegangen und wird auch für verschiedene Merchandise-Artikel verwendet. Er findet sich auf T-Shirts, Taschen und Tassen ebenso wieder wie im öffentlichen Raum auf Schildern, Hauswänden usw.

Das Hashtag #крымнаш bzw. #krymnash hat sich auf Twitter und anderen sozialen Medien schnell etabliert.1 Die überwiegende Mehrheit der euphorischen Befürworter der Angliederung der Krim (die manchmal auch als krimnaschisty bezeichnet werden) verwendet ihn, um Stolz und Freude über die Rückkehr der Halbinsel zu Russland auszudrücken. Aber auch die Minderheit der Kritiker der Angliederung nutzt diesen Hashtag, jedoch vorrangig im Zusammenhang mit negativen Konsequenzen wie ausbleibenden Touristen, hohen Transferzahlungen oder den internationalen Sanktionen. Den Ausdruck #krymnash haben sie zudem wortspielerisch zu #namkrysh abgewandelt, was sich ungefähr mit und wir müssen dran glauben wiedergeben ließe (im Sinne von: aufgrund der Angliederung der Krim geht es uns nun an den Kragen).


1.Suslov, Mikhail (2014). "Crimea is ours!": Russian popular geopolitics in the new media age, in: Eurasian Geography and Economics (6), Washington D.C., S. 588-609
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Es war kein Zufall, dass die russische Präsidentschaftswahl 2018 am 18. März stattfand. Die Wahlbeteiligung und die rund 90-prozentige Zustimmung für Putin auf der Krim stellt der Kreml als eine Art zweites Referendum über die Zugehörigkeit der Halbinsel zu Russland dar. Gwendolyn Sasse über die mythenumwobene Region, das Narrativ der „russischen Krim“ und die Selbstwahrnehmung der Krim-Bewohner nach der Angliederung an Russland. 

 

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St. Georgs-Band

Das St. Georgs-Band ist ein schwarz-orange gestreiftes Band, das auf eine militärische Auszeichnung im zaristischen Russland zurückgeht. Heute gilt es als Erinnerungssymbol an den Sieg über den Hitler-Faschismus, besitzt neben dieser historischen aber auch eine politische Bedeutung.

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Anti-Krisen-Marsch „Frühling“

Im Zuge der wirtschaftlichen Rezession, der militärischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine und der westlichen Sanktionen rief ein breites Oppositionsbündnis für den 1. März 2015 zu landesweiten Demonstrationen auf. Der Anti-Krisen-Marsch Frühling sollte in 16 Städten zugleich stattfinden und dem Widerstand gegen die Politik Wladimir Putins Ausdruck verleihen, die nach Meinung der Initiatoren zu dieser Krise geführt hatte.

Zu den offiziellen Forderungen der Demonstranten zählten u. a. ein Ende des Konflikts mit der Ukraine, freie und faire Wahlen, Bekämpfung der Korruption und die Aufhebung der staatlichen Zensur.

Wenige Tage vor der Protestaktion wurde mit Boris Nemzow einer der Hauptinitiatoren ermordet. Anstatt des geplanten Anti-Krisen-Marschs fand in Moskau ein Trauermarsch statt, an dem etwa 50.000 Menschen teilnahmen.

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Boris Nemzow

Er war einer der bekanntesten Politiker Russlands und galt als scharfer Kritiker Wladimir Putins. In zahlreichen Publikationen machte er auf Misswirtschaft und Korruption in Russland aufmerksam, was ihm viele einflussreiche Gegner einbrachte. Eduard Klein über den Oppositionspolitiker, der am 27. Februar vor acht Jahren ermordet wurde.

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Allrussische Staatliche Fernseh- und Radiogesellschaft / WGTRK

Die Allrussische Staatliche Fernseh- und Radiogesellschaft WGTRK ist eine staatlich kontrollierte Medienholding. Sie besitzt mehrere landesweit empfangbare Fernseh- und Radiosender sowie Internetmedien, außerdem knapp 100 regionale Medienanstalten in den Föderationssubjekten der Russischen Föderation.

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