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Geschäfte und Geopolitik in Afrika

Seit dem vergangenen Jahr spricht Putin in seinen Reden so häufig wie nie zuvor über Afrika. Woher kommt das gesteigerte Interesse? Der Ökonom Wladislaw Inosemzew beleuchtet auf Riddle die Geschäfte russischer Militärunternehmen, antikoloniale Rhetorik und geopolitische Ambitionen des Kreml auf dem Kontinent.

Quelle Riddle

Wladimir Putin empfängt im September 2023 seinen südsudanesischen Amtskollegen Salva Kiir Mayardit im Kreml. Russland hatte dessen Armee an einem UN-Embargo vorbei mit Waffen versorgt. / Foto © IMAGO, ITAR-TASS

Vor 30 Jahren gab Wladimir Shirinowski, ein mittlerweile verstorbener russischer Politiker, der damals große Hoffnungen weckte, ein Buch heraus. Er drängte dort auf ein Ausgreifen Russlands in eine Richtung, die heute als „globaler Süden“ bezeichnet wird. Und schrieb von der Hoffnung, dass russische Soldaten einst ihre Stiefel im Indischen Ozean säubern würden. Seitdem haben die Bestrebungen, im Raum zwischen der Türkei und Indien, zwischen dem Persischen Golf und China einen Krieg zu führen, bei vielen abgenommen. Die Interessen der Großmächte haben sich Richtung Afrika verschoben. Auch Russland wurde in dieser Region aktiv und ist es immer noch, und zwar auf die ihm eigene, spezifische Weise.

Militärunternehmen mischen sich in die inneren Angelegenheiten der Länder ein

Präsident Putin hatte sich in den 2000er Jahren noch hauptsächlich mit der Wiederherstellung der Verbindungen zu den ehemaligen Satelliten der Sowjetunion befasst. Dazu gehörte, dass die Schulden recht erfolgreicher afrikanischer Staaten abgeschrieben wurden (bis 2008 wurden Schulden von über 14,5 Milliarden US-Dollar erlassen, unter anderem die von Libyen und Algerien). Ab 2012 verschoben sich die Akzente jedoch beträchtlich. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit des Kreml und seiner Stellvertreter gerieten nun die tyrannischsten Staaten des Kontinents, die von inneren Konflikten zerrissen und reich an wertvollen Bodenschätzen sind: der Sudan, die Zentralafrikanische Republik, Mali, Niger und eine Reihe anderer Staaten. Die RAND Corporation, ein US-amerikanischer Thinktank, hat jüngst in einer Studie 34 Fälle aufgeführt, in denen sich Russland seit 2005 in die inneren Angelegenheiten dieser Länder eingemischt hat. Dieses Vorgehen erfolgte zum Großteil nicht durch offizielle Stellen Russlands, sondern durch private Militärunternehmen und diverse Berater.

Hier ist anzumerken, dass sich insbesondere nach 2012, nach Putins Rückkehr in den Kreml, dieses gesteigerte Interesse Russlands auf Nord- und Zentralafrika konzentrierte: Russland unterstützte die ihm nahestehenden Kräfte im Bürgerkrieg in Libyen. Und es versuchte, im Sudan Präsident Umar al-Baschir beim Machterhalt zu helfen. Gleichzeitig hat Russland die Armee des südsudanesischen Präsidenten Salva Kiir Mayardit bewaffnet, wobei das von der UNO verhängte Embargo auf Waffenlieferungen nach Südsudan umgangen wurde. Nachdem der Bürgerkrieg in der Zentralafrikanischen Republik 2016 einigermaßen beendet war, schickte Russland erstmals offiziell Waffen und Militärausbilder in das Land (meist Angehörige privater Militärstrukturen). Zuvor hatten sich die europäischen Staaten und vor allem Frankreich unfähig gezeigt, diesen Konflikt zu schlichten: Sie zogen den größten Teil ihrer Kontingente ab; die letzten französischen Soldaten verließen das Land 2022. Die Gewinne der Wagner-Gruppe in dieser Region beliefen sich bald schon auf mindestens mehrere Hundert Millionen Dollar. In Russland kamen Gerüchte auf, dass die Zentralafrikanische Republik quasi als „Tresor“ für Vermögen diene, die die russische politische Elite zusammengeraubt hatte. Die russische Expansion ging aber weiter: 2021 beteiligten sich kremlfreundliche Kräfte am Putschversuch im Tschad, indem sie die regierungsfeindlichen Aufständischen im Süden Libyens trainierten. Dann wurden Wagner-Leute in Mali gesichtet, wo sie auf Seiten der Regierungstruppen kämpften und in massenhafte Repressionen gegen Zivilisten verwickelt waren. Und im vergangenen Jahr wurden in Niger überall russische Flaggen geschwenkt, um Jewgeni Prigoshin zu grüßen, der gerade seine letzten Tage verlebte – zuvor hatten dort Militärs den rechtmäßigen Präsidenten Mohamed Bazoum durch einen Putsch gestürzt.

Lukrative Geschäfte mit afrikanischen Bodenschätzen

All diese Jahre machten Angehörige privater russischer Militärfirmen einträgliche Geschäfte: Sie sicherten die Förderung von Edelsteinen und -metallen, die sie wiederum als Bezahlung für ihre Waffen und Dienste erhalten hatten. Es besteht kein Zweifel, dass die Einnahmen mit Offiziellen in Moskau geteilt wurden, umso mehr, als Putin 2023 selbst einräumte, dass die Wagner-Gruppe aus Haushaltsmitteln finanziert wurde. Die Beseitigung Prigoshins und die anschließende „Wiederherstellung der alleinigen Befehlsgewalt“ in der russischen Armee führten zu Korrekturen in der russischen Politik in Afrika: Der stellvertretende russische Verteidigungsminister Junus-bek Jewkurow war allein in den letzten Monaten auf Staatsbesuchen in Sudan, Libyen und Niger. Seither sollte man von neuen „aussichtsreichen“ Plänen sprechen, die der Kreml ausbrütet.

Je mehr Wagner den russischen Einflussbereich erweiterte, desto stärker begann man wohl im Kreml, auch größer zu denken

Afrika wurde bislang von Putin und seiner engsten Umgebung als eine Region betrachtet, in der Russland eine gewisse (wenn auch nicht unbedingt sehr große) Präsenz haben sollte. Das Beispiel China mit seinen gigantischen Investitionen erschien attraktiv, für Russland aber kaum realisierbar. Westliche Experten sprechen heute eher davon, dass Russland sein eigenes autoritär-kleptokratisches Modell und nicht die chinesische Variante von Wirtschaftsentwicklung nach Afrika trägt. Je mehr Wagner mit minimalen Ausgaben (und mit Gewinn für sämtliche Nutznießer) den russischen Einflussbereich erweiterte und dadurch zeigte, wie einfach die ehemalige koloniale Präsenz in der Region zu entwurzeln ist, desto stärker begann man wohl im Kreml, auch größer zu denken.

Ein Korridor bis zum Atlantik

Seit dem Beginn der intensiven Zusammenarbeit zwischen Russland und dem Sudan hatte es in der Presse Berichte über eine russische Initiative für einen eigenen Marinestützpunkt am Roten Meer gegeben. Moskau strebte eindeutig nach Präsenz in dieser strategisch wichtigen Region, wo bislang nur die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen ihr Unwesen treiben. Dieser Plan wurde bislang nicht verwirklicht. Dafür bilden die immer neuen Einflussgebiete Russlands in Afrika allmählich eine Art Korridor, der sich vom Roten Meer in Richtung Atlantik erstreckt, zu dessen Ufern der Kreml sehr gern einen Zugang hätte. Stand heute, nach dem kürzlich erfolgten Umsturz in Burkina Faso, ist es bis zum Ozean nur noch ein kleiner Schritt: In dem Land sind zwar nicht eindeutig prorussische Kräfte an die Macht gekommen (auch wenn der neue Regierungschef als erster auf dem Russland-Afrika-Forum eintraf), aber immerhin antiwestliche.

Werden die Europäer weiter ihre Positionen aufgeben oder versuchen sie, eine Zunahme der russischen Präsenz aufzuhalten?

Westliche Experten verweisen in letzter Zeit auf diese Prozesse, auch wenn sie diese noch nicht direkt mit dem Einfluss Moskaus in Verbindung bringen. Bezeichnend in dieser Hinsicht ist der Artikel von Comfort Ero und Murithi Mutigi in der neuen Ausgabe von Foreign Affairs. Die Autoren stellen dort einen „Coup-Korridor“ fest, der sich von Ost nach West durch die zentralen Regionen des Kontinents zieht. Allerdings sollte man nicht allein auf die Umstürze verweisen, sondern auch deren Folgen berücksichtigen. Im Fall Guinea arbeitet die neue Regierung etwa an einer Rückkehr zu demokratischen Verfahren und fördert Beziehungen zu europäischen Staaten. Die Frage ist jetzt vielfach die: Werden die Europäer ihre Positionen in Westafrika (wo lange Zeit der französische Einfluss groß war) weiter aufgeben oder versuchen sie, eine Zunahme der russischen Präsenz dort aufzuhalten?

Antikoloniale Rhetorik und bescheidene Wirtschaftshilfen

Moskau setzt jetzt erkennbar eine in der Region populäre antikoloniale Rhetorik ein. Oft werden jene Politiker und Aktivisten unterstützt, die einen Panafrikanismus verfechten, selbst wenn sie in Europa geboren sind und dort ihre Bildung erhielten. Ein Beispiel ist Kémi Séba, der seine Bewegung schwarzer Suprematisten und Antisemiten begründete, nachdem er seine Bildung in Frankreich und den USA erhalten hatte.

Anders als Peking investiert Moskau keine Riesensummen in afrikanische Volkswirtschaften. Russland geht in der Region aber viel härter vor und schreckt auch nicht vor politischer Destabilisierung zurück. Für eine Vollendung eines solchen Korridors, der den afrikanischen Kontinent durchschneidet, muss der Kreml die Kontrolle über sämtliche dieser kleineren, aber eng mit Frankreich verbundenen Länder herstellen. Hierzu gehören die Elfenbeinküste, Senegal und Kamerun, wo sich antikoloniale Stimmungen bemerkbar machen. Diese Länder versuchen aber auch, nachhaltige Beziehungen zu Frankreich aufrechtzuerhalten, weil sie auf Hilfe bei der Lösung interner Probleme hoffen. 

Russland erzeugt eine Vielzahl von Problemen und beteiligt sich bei keinem davon an einer Lösung

Vor kurzem noch hatten viele westliche Experten zu der Ansicht geneigt, dass „ohne Russland keines der globalen Probleme gelöst werden“ könne. Jetzt aber muss man sich eingestehen, dass Russland eine Vielzahl von Problemen und Konflikten erzeugt, und sich bei keinem von ihnen an einer Lösung beteiligt. Das ist auch in Afrika zu sehen. Ganz gleich, wohin nun die russischen Interessen durchgedrungen sind: Es ist weder ein stabiler Frieden hergestellt noch eine nennenswerte Prosperität erreicht worden. Afrika ist bekanntlich eine der ärmsten Regionen der Welt. Allerdings sind auch hier Unterschiede zu beachten. Bei einem durchschnittlichen afrikanischen BIP pro Kopf von 2150 US-Dollar ist der russische Einfluss in den ärmsten Ländern am deutlichsten spürbar: in Mali (875 USD), im Tschad (703 USD), in Niger (631 USD), in der Zentralafrikanischen Republik (539 USD) und im Südsudan (417 USD). Allerdings sind jetzt auch die wohlhabenderen Länder Senegal (1637 USD), Elfenbeinküste (1668 USD) und Kamerun (2560 USD) in Gefahr. Es bleibt zu hoffen, dass die russischen „Influencer“ nicht zum Ozean durchkommen und ein „Einflusskorridor“ den Kontinent niemals zweiteilen wird. Damit das nicht geschieht, muss sich allerdings die Haltung in den europäischen Hauptstädten gegenüber den Problemen in Afrika wandeln – von Gleichgültigkeit zu Interesse.

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Als Angela Merkel im Januar 2020 zu einem Spitzentreffen im Kreml eintraf, war es ihre erste Moskau-Reise seit fast fünf Jahren. Zwar haben Merkel und Putin in dieser Zeit häufig miteinander geredet, nach der Krim-Annexion hat die Bundeskanzlerin aber offenbar gemieden, in die russische Hauptstadt zu fliegen. 

Einer der wichtigsten Gründe ihres Besuchs war der Bürgerkrieg in Libyen. Durch den Vormarsch des libyschen Kriegsherrn Khalifa Haftar auf Tripolis droht das Land in einer Gewaltspirale zu versinken. Dabei wird dieser Vormarsch laut Experten maßgeblich von russischer Seite unterstützt: Rund 1400 Söldner des Militärunternehmens Gruppe Wagner sollen derzeit an der Seite von Haftar kämpfen.1 
Bei der Pressekonferenz nach dem Spitzentreffen sagte Putin, es sei möglich, dass russische Bürger in Libyen kämpfen, allerdings würden sie weder die Interessen des russischen Staates vertreten noch von ihm bezahlt werden.2

Tatsächlich erscheint Russlands Afrikapolitik diffus: So soll Russland beispielsweise in Madagaskar (Rang 148 im russischen Ranking der Länder nach Handelsvolumen) die Präsidentschaftswahl manipuliert haben,3 und in der Zentralafrikanischen Republik (Rang 1894) ist der wichtigste Sicherheitsberater des Präsidenten ein ehemaliger russischer Geheimdienstoffizier. Hier wurden im Sommer 2019 drei russische Journalisten ermordet,  die zu den Machenschaften der Söldner von TschWK Wagner recherchierten. 

In den letzten Jahren hat Russland afrikanischen Ländern insgesamt rund 20 Milliarden US-Dollar Schulden erlassen, darunter 4,5 Milliarden US-Dollar von Libyen. Was für Interessen könnte Russland in Libyen haben? Und überhaupt in Afrika? 

Trotz erster Anläufe unter Dimitri Medwedew, richtete Moskau den Blick auf den afrikanischen Kontinent so richtig erst nach 2014. Die zunehmende internationale Isolation nach der Annexion der Krim katalysierten Moskaus Suche nach neuen wirtschaftlichen, aber auch diplomatischen Verbündeten. Die ersten bescheidenen Erfolge dieser Bemühungen zeigten sich bereits bei der Krim-Frage: Bei der Abstimmung vor der UN-Generalversammlung stimmten Sudan und Simbabwe mit Russland sowie acht weiteren Staaten gegen die Resolution zur territorialen Unversehrtheit der Ukraine. 

Russland-Afrika-Gipfel 

Um den neuen Stellenwert afrikanischer Länder zu unterstreichen, veranstaltete der Kreml im Oktober 2019 eine der kostspieligsten russischen Konferenzen der vergangenen zehn Jahre: Der erste Russland-Afrika-Gipfel in Sotschi war mit Kosten von rund 4,5 Milliarden Rubel sogar noch teurer als das Petersburger Wirtschaftsforum. Vertreter aller afrikanischer Staaten, unter ihnen 43 Staats- und Regierungschefs, sind in die Schwarzmeerstadt angereist. Sie haben Verträge in Höhe von umgerechnet rund 13 Milliarden US-Dollar unterzeichnet, außerdem soll das Format als Russia-Africa Partnership Forum nun alle drei Jahre stattfinden. Das Amtsblatt Rossijskaja Gaseta titelte: „Nach Afrika! Russische Investitionen haben ein warmes Plätzchen gefunden“.5 Parallel zum Gipfel unterstrich Moskau seine Afrika-Ambitionen, indem es erstmalig zwei Tupolew-Bomber vom Typ Tu-160 auf den südafrikanischen Militärflugplatz Waterkloof verlegte.6 Insgesamt soll Moskau mit etwa 20 Staaten auf dem afrikanischen Kontinent Militärkooperationen haben.7  

Naher Osten und Afrika werden zusammengedacht

Nichtsdestotrotz hat Afrika jedoch per se keine prioritäre Stellung in der russischen außenpolitischen Agenda. Das gegenwärtige Handelsvolumen beträgt etwa 20 Milliarden US-Dollar und liegt damit deutlich unter den etwa 300 Milliarden der Europäischen Union oder den 200 Milliarden US-Dollar von China. Von diesen 20 Milliarden gehen alleine acht auf den Handel mit Ägypten zurück. Seit 2006 unterhält der russische Staat hier die erste russische Universität im Nahen Osten – die Egyptian Russian University (ERU). Insgesamt wird im russischen Außenministerium der afrikanische Kontinent zweigeteilt: in ein Departement Afrika, das in etwa für die Staaten Subsahara-Afrikas verantwortlich ist, und in ein Departement Naher Osten und Nordafrika. Dieses umfasst den Maghreb, den Nahen Osten oder etwa den Sudan. 

Dass die Kreml-Strategen womöglich eine Verbindung von russischem Engagement im Nahen Osten mit russischer Afrikapolitik verfolgen, erscheint von daher plausibel. 

Alte Netzwerke

Dabei soll auf Netzwerke aus der Sowjetzeit zurückgegriffen werden. Sowohl der vierte Präsident Ägyptens Hosni Mubarak als auch Hafez al-Assad, der Vater des heutigen Präsidenten Syriens Baschar al-Assad, wurden in der Sowjetunion ausgebildet, an der Höheren Militärkommando Schule Frunse, im heutigen Kirgistan. Die Funktion der Kaderschmiede für die sogenannte Dritte Welt übernahm insgesamt jedoch die 1960 eigens dafür gegründete heutige Russische Universität der Völkerfreundschaft (RUND).8 Von 1961 bis 1992 trug sie den Namen des ersten Staatschefs vom unabhängigen Kongo, Patrice Lumumba. Dieser wurde 1961 mit Unterstützung von US-Geheimdienst und belgischer Regierung ermordet. 

Entkolonisierung = Kampf gegen kapitalistische Imperialisten

Nach dem Tod des Diktators Josef Stalin, der keine nennenswerte Afrikapolitik betrieben hatte, entdeckte die Sowjetunion unter Nikita Chruschtschow den Kontinent. Im weltpolitischen Setting des Kalten Krieges erkannte Moskau viel Potenzial, nicht zuletzt in der afrikanischen Entkolonisierung. 
Als einzige ehemalige europäische Großmacht hatte Russland zu keiner Zeit Kolonien in Afrika besessen. So versprach man sich durch das Engagement neben geopolitischen Erwägungen, wie etwa neue Militärhäfen, vor allem auch einen Zugewinn an Softpower. Die Unabhängigkeitsbestrebungen sollten ideologisch mit dem Kampf gegen die sogenannten kapitalistischen Imperialisten verbunden werden. Die Lumumba-Universität sollte entsprechende Kader ideologisch vorbereiten. 

Ebenfalls Anfang der 1960er Jahre erscheint auch das erste umfassende sowjetische Nachschlagewerk über den Kontinent: Die Enzyklopädie Afrika wurde damals vor allem vom Afrika-Institut der sowjetischen Akademie der Wissenschaften (RAN) erarbeitet.9 Auch heute ist das Afrika Institut der RAN wieder eine veritable Forschungseinrichtung. Gleichzeitig ist der Bildungsmarkt viel kompetitiver als noch zu Zeiten der Sowjetunion. Außenminister Sergej Lawrow sagte 2018 in einem Interview mit dem marokkanischen Magazin Hommes d’Afrique, dass von den etwa 15.000 Studenten aus Afrika in Russland gut 1800 ein Stipendium vom russischen Staat erhalten haben.10 

Konzept oder Opportunismus?

Insgesamt hatte die Sowjetunion Einfluss vor allem nur bei verhältnismäßig instabilen und sehr armen Staaten.11 Dies werteten Beobachter als Evidenz dafür, dass für das sowjetische Engagement ein Land so gut wie das andere gewesen sei – Hauptsache der sowjetische Einfluss ließ sich vergrößern. 
Auch heute stellt sich die Frage, ob Russland tatsächlich ein Konzept in Afrika verfolgt oder rein opportunistisch handelt. Für Dimitri Kosyrew, einen der prominenten Absolventen des Instituts der Länder Asiens und Afrikas der Lomonossow-Universität Moskau, ist klar: „Russlands zweiter afrikanischer Versuch“ bestehe etwa im Export von Know-How in Geologie und Geotechnik, Düngemitteln oder Atomkraftwerken. Gleichzeitig betont Kosyrew aber auch, „dass wir den Afrikanern immer noch angenehmer sind als die ehemaligen Kolonialherren“.12  

Fast 30 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion ist der Kreml international weitgehend isoliert, strebt aber gleichzeitig nach neuer Größe als international unumgänglicher Akteur. Auch die russische Afrikapolitik lässt sich teilweise in diesem Zusammenhang deuten: Hätten die russischen Söldnertruppen von Putins sogenanntem Koch Jewgeni Prigoshin beispielsweise nicht in den libyschen Bürgerkrieg eingegriffen, dann hätte sich die Lage im gebeutelten Land wahrscheinlich nicht so stark verschärft. Merkels Besuch in Moskau hätte dann also womöglich gar nicht stattgefunden, genauso wenig wie die dort verabredete Libyen-Konferenz im Januar 2020 in Berlin. Der britische Premierminister Boris Johnson jedenfalls ermahnte Putin am Rande der Konferenz äußerst undiplomatisch, als er sagte: „Es wird keine Normalisierung unserer bilateralen Beziehungen geben, bis Russland die destabilisierende Aktivität beendet, die Großbritannien und unsere Verbündeten bedroht.“13 


1.Süddeutsche Zeitung: Libyen. Profiteur unklarer Fronten 
2.RBK: Putin otvetil na vopros o rossijskich naemnikach v Livii 
3.vgl. Grossman, Shelby/Bush, Daniel/DiResta, Renée (2019): Evidence of Russia-Linked Influence Operations in Africa, Freeman Spogli Institute for International Studies, Stanford University 
4.vgl. exportcenter.ru: CAR (Central'noafrikanskaja Respublika) 
5.Rossijskaja Gazeta: V Afriku! Rossijskie investicii našli teploe mesto 
6.vgl. Die Presse: Premiere: Russische Langstreckenbomber in Südafrika gelandet 
7.vgl. The Guardian: Russia in Africa: Leaked documents reveal Russian effort to exert influence in Africa 
8.Im Rahmen des Afrika-Gipfels in Sotschi veranstaltete die Universität das erste internationale Festival „Ich will in Afrika arbeiten“, vgl. rudn.ru: Pervyj meždunarodnyj festival' «Ja choču rabotat' v Afrike» 
9.vgl.Yastrebova, I.: The Soviet Encyclopaedia on Africa. The Journal of Modern African Studies, 1(3), S. 386f. 
10.vgl. Interview mit dem russischen Außenminister Sergej Lavrov in der Zeitschrift Hommes d'Afrique, Moskau, 5. März 2018: mid.ru: Interv'ju Ministra inostrannych del Rossii S.V.Lavrova žurnalu «Hommes d’Afrique», Moskva, 5 marta 2018 goda 
11.vgl. Brayton, A.: Soviet Involvement in Africa, in: The Journal of Modern African Studies, 17(2), S. 253-269; Grey, R.: The Soviet Presence in Africa: An Analysis of Goals, in: The Journal of Modern African Studies, 22(3),S.  511-527 
12.zit. nach: ria.ru: Vtoraja afrikanskaja popytka Rossii 
13.zit. nach Süddetusche Zeitung: Johnson fordert von Putin Ende destabilisierender Aktivität 
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