Das Ergebnis mehrerer Gespräche zwischen den USA, der NATO und Russland in Genf und Brüssel aus den zurückliegenden Tagen ist kurz: Beide Seiten sind sich weiter uneins. Immerhin hat der NATO-Russland-Rat nach mehr als zwei Jahren erstmals überhaupt wieder als offizielles Gremium getagt.
Doch die Positionen bleiben verhärtet: Auf der einen Seite steht Russland mit Maximalforderungen, wonach die Ukraine und Georgien keine Mitglieder der NATO werden dürften und wonach die USA ihre Atomwaffen aus Europa abziehen sollten.
Auf der anderen Seite halten die USA und die NATO am Prinzip des Selbstbestimmungsrechts möglicher neuer Mitglieder in dem Verteidigungsbündnis fest und lehnen ein Vetorecht für Russland ab. Die massive russische Truppenpräsenz an der Grenze zur Ukraine wird zudem als unmittelbare Bedrohung für die Ukraine gewertet, und die NATO sicherte Unterstützung zu. Aus NATO-Sicht, das sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg, besteht weiter eine Kriegsgefahr. Die USA haben für den Fall der Fälle Sanktionen angekündigt. Die russische Seite streitet Angriffspläne ab.
Seit Wochen beunruhigt die russische Truppenpräsenz internationale Beobachter, Diplomaten und politische Vertreter in der Ukraine, der EU und den USA. Die große Frage bleibt, ob es sich um Säbelrasseln handelt, um einen gefährlichen Bluff, um mehr Druck in Verhandlungen auszuüben, oder ob womöglich doch ein direkter Einmarsch droht. Bei diesen aktuellen Krisen-Gesprächen zu zentralen sicherheitspolitischen Fragen für Europa saßen Vertreter der Europäischen Union sowie der Ukraine nicht mit am Tisch; beziehungsweise erst dann, als schließlich noch die Vertreter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am Donnerstag in Wien tagten.
Was bleibt? Vor allem die Tatsache, dass überhaupt gesprochen wurde. Doch wie wird eigentlich gesprochen? Iwan Dawydow hat sich die öffentlichen Umgangsformen von Vertretern des russischen Außenministeriums genauer angeschaut und in bissiger Manier für Republic analysiert.
In der Außenpolitik geht es um Worte, sowohl um geschriebene in Verträgen, als auch um gesprochene aus dem Mund von Diplomaten. Alles erwächst aus Worten, sogar Kriege.
Mich hat gar nicht so sehr der Ausgang der Verhandlungen interessiert [Dawydow bezieht sich auf die Gespräche zwischen Russland und den USA in Genf – dek] – der war nach dem offenkundig unerfüllbaren Ultimatum von Putin vollkommen vorhersehbar – als vielmehr die Worte, die noch vor Beginn zu hören waren. Hier ein kurzer Satz des stellvertretenden Außenministers Russlands Sergej Rjabkow: „Die NATO soll ihre Siebensachen packen und in die Grenzen von 1997 abmarschieren.“
Interessant wäre nachzuvollziehen, ab wann die Sprache der russischen Diplomatie mutiert ist
Interessant wäre nachzuvollziehen, ab wann die Sprache der russischen Diplomatie mutiert ist. Ich denke mal seit Ende 2013, doch das ist schwer zu sagen. Hier sind brandneue Beispiele:
Maria Sacharowa kommentiert (nicht sehr korrekt, doch ohne Flüche und direkte Beleidigungen) die Erklärung von US-Außenminister Antony Blinken zu den Ereignissen in Kasachstan: „Wenn in dieser Situation amerikanische Vertreter etwas zu Kasachstan sagen sollen, geraten sie öffentlich in eine Sackgasse. Sie wissen gar nicht, was sie sagen sollen. Sehen Sie sich doch das kindische Geplapper und den Quatsch an, den die verbreiten.“
Oder dieser andere Fall, als Xenija Sobtschak in ihrem Telegram-Kanal irgendeinen witzigen Tweet geteilt und angemerkt hat, dass Sacharowa sich widersprüchlich äußere. Und sie dann noch „ihre liebste Optimistin“ nannte.
Da stellte sich der gesamte Pressedienst des Ministeriums auf die Hinterbeine, um die Sprecherin des russischen Außenministeriums in Schutz zu nehmen. Und auch hier haben die Diplomaten, wie ja eigentlich üblich, ihre Worte nicht sorgfältig gewählt. „Nicht bei Sacharowa stimmt da was nicht – sondern Sie zeigen hier einen akuten Ausbruch von Dummheit und Wut“ (so der Anfang der Reaktion auf Sobtschak). „Lassen Sie uns mal nachdenken, was die Welt nötiger braucht: einen optimistischen Menschen oder einen depressiven Unmenschen. Frohe Festtage! Frohe Weihnachten!“ (so das Ende der Erklärung).
Und so weiter, geradewegs bis zu den berühmten „Debilen“ aus dem Mund des Außenministers daselbst.
Ich habe eine Hypothese, warum die Auftritte russischer Diplomaten schrittweise zu einer recht erbärmlichen Stand-up-Show verkommen, wo jede Nachricht in den offiziellen (also zum Begeistern verpflichteten) Medien mit Worten wie „auslachen“, „auf seinen Platz verweisen“ und so weiter beginnt.
Ich denke, der Grund ist, dass die Außenpolitik in Putins Staat zwar die größte Rolle spielt, er jedoch innerhalb des Landes gefallen möchte. Denen hier, uns. Schlussendlich sind es keineswegs Wahlen, die für seine Legitimierung grundlegend sind, wie in den trostlosen Demokratien. Es ist dieses nicht greifbare Gefühl der Unterstützung durch das Volk. Das Regime braucht das Gefühl der Einheit der Nation – und es ist alles andere als ein Zufall, dass sie alle, begonnen beim Führer, besonders oft und gern inspirierte Reden von unserer besonderen Einigkeit schwingen. Geopolitische Erfolge sind auch ein Mittel der Vereinigung, ein Motiv für Großtuerei, das oft – häufig als einziges – gar nicht so schlecht funktioniert (siehe Krim).
Das ist alles nur für uns – sie wollen ja mit ihren Pöbeleien und Beleidigungen nicht erreichen, dass sich die Amerikaner in sie verlieben.
Die Sprache ist ein wildes Tier, das leicht seinen Sprecher zum Untertan macht
An den Reden unserer Diplomaten erkennen wir, als was der Staat uns sieht. Welches „uns“ er da beeindrucken möchte. Offenbar sieht er in uns jene Bürger, die auf der Straße hocken und Adiletten tragen. Die mit den „traditionellen Werten“, die ungefähr den ungeschriebenen Diebesgesetzen gleichen. Die, die sich sicher sind, dass Respekt Angst bedeutet und es nichts Wichtigeres als rohe Gewalt gibt und dass das Recht des Stärkeren das einzig wirkliche Recht ist und dass ein Mensch mit echter Autorität der ist, der das Viertel kontrolliert und alle Schwächeren traktiert.
Sie inszenieren sich, passen sich an, versuchen in der Sprache zu sprechen, von der sie glauben, dass sie verständlich und volksnah ist, und geraten dabei in die Falle: Die Sprache ist ein wildes Tier, das leicht seinen Sprecher zum Untertan macht. Und je mehr das geschieht, desto weniger treffen sie die Zielgruppe im Land (die Mehrheit mag bei uns vielleicht auf Reden über imperiale Größe versessen sein, aber wir sind dennoch keine Hinterhof-Gopniki).
Und je heftiger das wird, desto mehr werden sie selbst zu Gopniki von Rang. Denn die Welt eines Menschen ist seine Sprache, und die Sprache der Aggression macht den Menschen zu einem primitiven Aggressor – selbst wenn dieser einen renommierten Abschluss des MGIMO in Internationalen Beziehungen hat. Und irgendwie unbemerkt passiert es von alleine, dass sich der Staat einer ziemlich kleinen und unangenehmen Bevölkerungsgruppe anpasst und auf globaler Ebene genau deren Weltbild reproduziert. Sie haben Russland von den Knien erhoben, es in Hockstellung gebracht, und zischen nun den Passanten zu: „Ej Junge, komm ma her!“ Und wedeln dabei munter mit ihren Hyperschall-Knüppeln herum.
Wenn man das laut sagt, sind sie beleidigt – und nicht ohne Grund: Sie können mehrere Sprachen, mögen klassische Musik, lesen Bücher, in ihren Anzügen, mit Krawatte … Doch die Adiletten schimmern trotzdem durch den edlen Stoff von Brioni.
Hier ließen sich ein paar Witze über einen Petersburger Hinterhof ergänzen, aber das wäre, erstens, ziemlich banal, und, zweitens, ist unser Politiker Nummer eins trotz allem komplizierter als das primitive Bild, das missgünstige Kritiker von ihm malen.
Leider ist er komplizierter, sonst würde er uns nicht regieren.