Die russische Regierung hat jüngst fast alle demografischen Statistiken unter Verschluss gestellt. Was wir jetzt nicht mehr über Russland erfahren und warum das gerade jetzt entschieden wurde, hat das russischsprachige Journalistenkollektiv Bereg von einem unabhängigen Demografen erfragt. Eine dekoder-Leseempfehlung.
Die Massenproteste von 2020 in Belarus: dekoder veröffentlicht Interviews, die seltene Einblicke in das Seelenleben der Menschen und in die Lage im Land selbst zulassen. In Teil 2 berichten ein Mann und eine Frau von ihren Ängsten und Überlebensstrategien in einer unterdrückten Gesellschaft.
Wie blicken Belarussen auf die Proteste von 2020? Wie leben sie unter einem Regime, das mit Angst und Unterdrückung herrscht? Welche Hoffnungen haben sie? dekoder veröffentlicht Interviews, die seltene Einblicke in das Seelenleben der Menschen in Belarus und in die Lage im Land selbst zulassen – Teil 1.
Die Gewalttaten von Wolhynien 1943 gehören zu den blutigsten Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung im von den Nationalsozialisten besetzten Europa. Sie sind bis heute Dauerstreitpunkt der polnisch-ukrainischen Geschichte und Politik. Der Historiker Andrii Portnov umreißt die historischen Ereignisse damals und die politischen Folgen bis heute.
Im Sommer 2020 protestierten die Belarussen für Neuwahlen und für ihre Grundrechte – friedlich, kreativ und äußerst wandlungsfähig. Wir lassen die Vielfalt und Höhepunkte der Protestkultur in diesem visuellen Rückblick Revue passieren.
VEHA versteht sich als Erinnerungsaktivismus. In einem Projekt zeigt die belarussische Initiative Fotos aus dem ländlichen Belarus, auf denen sich Menschen vor Webteppichen präsentieren.
Der Oppositionelle Siarhej Zichanouski ist frei. Welchen Einfluss hat dies auf die belarussische Gesellschaft und die Demokratiebewegung? Lassen sich die USA und die EU auf einen Dialog mit dem Lukaschenko-Regime ein? Ein Interview mit dem Politologen Andrei Kasakewitsch.
Bis zum Beginn des vollumfänglichen Angriffskrieges auf die Ukraine wurde die wachsende Abhängigkeit von russischem Gas in Deutschland häufig damit gerechtfertigt, Moskau habe doch stets zuverlässig und günstig geliefert. Ein Blick auf die Details zeigt ein anderes Bild.
Russlands Krieg stellt den Journalismus in der Ukraine vor existenzielle Probleme. Chefredakteur Wadym Pelech von der Lokalzeitung Bukowyna aus Tscherniwzi fasst die Lage ukrainischer Medienschaffender 2025 zusammen.
Eine Reise in die Zeit, als mehrere tausend Kilometer lange Pipelines gebaut wurden – und man noch glaubte, mit Gashandel Völker verbinden und diplomatische Spannungen überbrücken zu können.
Wie könnten eine Nachfolge oder ein Machtwechsel aussehen, wenn der belarussische Machthaber stirbt oder abtritt? Der Politikwissenschaftler Ryhor Astapenia liefert Antworten.
An den Ufern des Amur in Russlands Fernem Osten leben indigene Gemeinschaften noch immer einen naturverbundenen Alltag. Die französische Fotografin Claudine Doury hat sie besucht. Ihre poetischen, fast traumartigen Bilder erzählen von Erinnerung, Identität und dem Verschwinden traditioneller Lebensweisen.
Was steckt in der genetischen Doppelhelix der Belarussen? In ihrem Essay für unser Projekt Spurensuche in der Zukunft analysiert die Dichterin Maryja Martysievič mit poetischer Tiefenschärfe die kulturhistorische Zusammensetzung des belarussischen Genoms.
Ukrainische Ärzte, die vor der russischen Besatzung geflohen sind, finden Arbeit in Lettland – das sich nun auch auf den Kriegsfall vorbereitet. Novaya Gazeta Europe hat mit Ärztinnen gesprochen, die während der Belagerung von Mariupol Verletzte gerettet haben.
Wie Deutsche die gesamte Zivilbevölkerung einer ukrainischen Ortschaft vernichteten. Die zehnte und letzte Folge der dekoder-Doku Der Krieg und seine Opfer.
Tausende Menschen befanden sich in ukrainischen Haftanstalten jener Gebiete, die Russland im Frühjahr 2022 besetzte. Das ukrainische Onlinemedium Graty verfolgt die Odyssee ukrainischer Gefängnisinsassen, die unter russische Besatzung gerieten.
Eine Storytelling-Doku in zehn Folgen über den Deutsch-Sowjetischen Krieg 1941–1945. Zehn Geschichten − stellvertretend für etwa 27 Millionen Kriegsopfer in der Sowjetunion.
Wie steht es um die belarussischen Exil-Medien, nachdem die US-Regierung diverse Förderprogramme für Medien und Zivilgesellschaft eingestellt hat? dekoder hat mit Natalia Belikova vom Press Club Belarus gesprochen.
„Sie sehen die Zukunft ihres Landes als liberale, demokratische Gesellschaft. Was ich NICHT SEHE. Auch nicht, wenn ich näher hinschaue, mir die Augen reibe, eine Brille aufsetze. ICH SEHE DAS NICHT.“ Der ukrainische Schriftsteller Boris Chersonski dämpft Hoffnungen auf die russländische Exil-Opposition und will sie doch nicht verteufeln.
Politik – von Alexander Klaskowski , Artyom Shraibman
Sergej Tichanowski ist frei. Nach einem Besuch des US-Gesandten Kellogg bei Lukaschenko wurde der bekannte belarussische Oppositionspolitiker freigelassen. Sind die USA bereit, Sanktionen im Austausch gegen politische Gefangene aufzuheben? Einschätzungen von Alexander Klaskowski und Artyom Shraibman.
Vor 30 Jahren schlug die belarussische Fußballnationalmannschaft die Niederlande sensationell mit 1:0. In einer Zeit, als der junge Lukaschenko begann, die Macht an sich zu reißen. Pozirk mit einer fußballerisch-politischen Analyse.
Als Staatsduma wird das 450 Abgeordnete umfassende Unterhaus der Föderalen Versammlung Russlands bezeichnet. Im Verhältnis zu Präsident und Regierung nimmt die Duma verfassungsmäßig im internationalen Vergleich eine schwache Stellung ein. Insbesondere das Aufkommen der pro-präsidentiellen Partei Einiges Russland führte dazu, dass die parlamentarische Tätigkeit zunehmend von Präsident und Regierung bestimmt wurde.
Russlands Parlament, die Föderale Versammlung, ist in zwei Kammern organisiert. Als Oberhaus vertritt der Föderationsrat die Regionen. Das Unterhaus wird als Staatsduma (Gosudarstwennaja Duma) bezeichnet. Die Namensgebung weist auf die historische Vorgängerin hin, die von 1905 bis zur Oktoberrevolution 1917 als Staatsduma des Russischen Imperiums tagte.
In drei Schritten zur Dominanz der Exekutive
Am 12. Dezember 1993 fanden die Wahlen zur ersten postsowjetischen Duma und gleichzeitig das Referendum über die Verfassung der Russischen Föderation statt. Dies war die endgültige Abkehr vom Obersten Rat und damit vom Sowjetparlamentarismus, der keine Gewaltenteilung kannte.
Die Beziehungen im Dreieck zwischen Präsident, Regierung und Duma lassen sich in drei Phasen einteilen. Sie unterscheiden sich im Hinblick darauf, inwieweit der Präsident durch parlamentarische Fraktionen und Gruppen unterstützt wird: 1994 bis 1999 waren die pro-präsidentiellen Parteien in der Minderheit, 2000 bis 2003 konnte Putin eine Koalition aus vier Fraktionen schmieden, seit 2004 dominiert Einiges Russland die Duma.1
Grafik 1: Fraktionen und Gruppen in den Legislaturperioden I bis VI (1994-2016)2
Die gesamte erste Phase, und auch Teile der zweiten, waren durch ein schwach institutionalisiertes Parteiensystem3 gekennzeichnet: Den pro-präsidentiellen Parteien der Macht standen eine Vielzahl anderer Fraktionen und Gruppen gegenüber. In der zweiten Duma stellten die Kommunisten gar die meisten Abgeordneten (s. Grafik 1). Dennoch regierte Jelzin nicht einfach mit Präsidialerlassen am Parlament vorbei, sondern handelte Unterstützung für Gesetzesvorhaben aus, in dem er beispielsweise im Gegenzug bestimmten Interessensgruppen bei der Haushaltsplanung entgegenkam4.
Mit den Parlamentswahlen von 1999 änderte sich das Bild. Die neu kreierte Regierungspartei Einheit erlangte zwar nur knapp 17 Prozent der Mandate, zusammen mit drei weiteren Fraktionen setzte sie jedoch die von Präsident und Regierung eingebrachten Gesetze weitgehend um. Mit den Wahlerfolgen der Einheit-Nachfolgerin Einiges Russland in den Jahren 2003 und 2007 wurde in Phase drei der Übergang zu einem dominanten Parteiensystem mit einem Parlament, das weitgehend von der Exekutive bestimmt wird, vollzogen. Die Politikwissenschaftlerin Petra Stykow spricht daher bei der Staatsduma von einer „institutionalisierten, autoritären Legislative“.5
Auswirkungen auf die Funktionen des Parlaments
Die Ausübung der verfassungsmäßig garantierten Kernfunktionen fällt in den drei Phasen entsprechend unterschiedlich aus.
Erstens: Die Ernennung des Regierungschefs. Im Unterschied zu vergleichbaren politischen Systemen werden in Russland Regierungsposten nicht an parlamentarische Parteien vergeben6, sondern Präsidenten bestellen Technokratenregierungen. Allerdings muss die Duma zustimmen, wenn der neugewählte Präsident den Regierungschef ernennt. Während Jelzin noch zu Eingeständnissen gezwungen war (zur Auflösung der Duma nach der dritten Ablehnung kam es allerdings nie), wurden Putins Ministerpräsidenten ausnahmslos mit deutlichen Mehrheiten bestätigt.
Zweitens: Misstrauensvoten gegen die Regierung. Abstimmungen wurden 1994, 1995, 2001, 2003 und 2005 lanciert. Lediglich 1995 nach der Geiselnahme in Budjonnowsk kam eine Mehrheit von 241 Stimmen zustande – allerdings gestattet es die Verfassung auch hier dem Präsidenten, das Misstrauensvotum zu ignorieren. Die Duma kann außerdem ein komplexes Verfahren zur Amtsenthebung des Präsidenten einleiten, sollte der Verdacht bestehen, dass sich der Präsident einer schweren Straftat schuldig gemacht hat. 1998 lancierte die Fraktion der Kommunisten ein solches Verfahren gegen Jelzin, jedoch fand keiner der fünf zur Abstimmung gebrachten Anklagepunkte die nötige Zweidrittel-Mehrheit für die Weiterleitung an den Föderationsrat und das Verfassungsgericht.
Drittens: Die Gesetzgebung, das Hoheitsrecht der Duma. Grafik 2 veranschaulicht, dass zwischen 1994 und 1999 die Hälfte bis ein Drittel der von Präsident und Regierung initiierten Gesetzesentwürfe nicht die Unterstützung der Duma fanden. Mit dem Siegeszug von Einiges Russland ändert sich das Bild: Exekutive Gesetzesentwürfe scheitern nur noch in Ausnahmefällen. Umgekehrt verhält es sich mit präsidentiellen Vetos: In den 1990er Jahren legte Jelzin durchschnittlich gegen 15 bis 25 Prozent der Gesetze, die von der Staatsduma verabschiedet wurden, Widerspruch ein. Unter Putin starb das Veto im Laufe der Zeit aus.
Grafik 2: Erfolgsrate von Präsident und Regierung in der Duma, Quelle: Autor
Grafik 3: Veto russischer Präsidenten, Quelle: Autor
Allgemein lässt sich festhalten, dass sich mit dem Übergang in die Putin-Ära die Abwesenheit von Abgeordneten bei Abstimmungen verringert und die Fraktionsdisziplin erhöht hat. Auch die Anzahl der Gesetze und die Geschwindigkeit, mit der diese verabschiedet werden, hat sich gesteigert.
Die Duma als Faktor der Regimestabilität
In den Medien kursiert der angebliche Ausspruch des ehemaligen Vorsitzenden Boris Gryzlov, dass die Duma „kein Ort für Diskussionen“7 sei. Der Volksmund sieht in ihr gar einen „durchgedrehten Drucker“, der Gesetze am laufenden Band ausspuckt. Als „autoritäre, institutionalisierte Legislative“ kann die Duma nicht mehr ihrer horizontalen Kontrollfunktion8 gegenüber Präsident und Regierung nachkommen. Dies macht die Kammer jedoch nicht bedeutungslos, denn bürokratische Verteilungskämpfe um Ressourcen innerhalb der Exekutive werden auch in und mit der Duma ausgetragen9. Wenn Ministerien etwa um Ressourcen konkurrieren, können diesen loyal gesinnte Abgeordnete Gesetze verzögern oder Änderungen beantragen.
Nach den Protesten 2011/2012 wies die Gesetzgebung vor allem in den Bereichen Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit einen zunehmend repressiven Charakter auf. Ein Beispiel dafür ist das Gesetz über ausländische Agenten10. Mit anhaltender Wirtschaftskrise nehmen außerdem Gesetze überhand, die über Steuern und andere Abgaben Eigentum von Bürgern und Unternehmern „konfiszieren“. Die Politologin Ekaterina Schulmann11 argumentiert, dass es immerhin besser sei, etwas tiefer in die Tasche zu greifen, als ins Gefängnis zu wandern. Sicher ist jedenfalls, dass die Duma auch nach den Wahlen 2016 eine wichtige Rolle dabei spielt, Repression und Konfiskation ins Gleichgewicht zu bringen und somit über Regimestabilität und -wandel mitentscheiden wird.
1.Chaisty, P. (2014): Presidential dynamics and legislative velocity in Russia, 1994–2007, in: East European Politics, 30(4), S. 588-601
3.Stykow, P. (2008): Die Transformation des russischen Parteiensystems: Regimestabilisierung durch personalisierte Institutionalisierung, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, S. 772-794
4.Remington, T. F. (2007): The Russian Federal Assembly, 1994–2004, in: The Journal of Legislative Studies, 13(1), S. 121-141 und: Troxel, T. A. (2003): Parliamentary Power in Russia, 1994-2001
5.Stykow, P. (2015): Parlamente und Legislativen unter den Bedingungen „patronaler Politik“: Die eurasischen Fälle im Vergleich, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, S. 396 - 425
7.Gryzlov wurde von den Medien nicht korrekt zitiert, allerdings ist die plakative Phrase fester Bestandteil des öffentlichen Diskurses über die Duma geworden. Hier das Originalzitat von Gryzlov
8.Whitmore, S. (2010): Parliamentary oversight in Putin's neo-patrimonial state: Watchdogs or show-dogs?, in: Europe-Asia Studies, 62(6), S. 999-1025
10.Inzwischen existiert eine Liste mit Gesetzen, die aufgrund ihrer Verfassungswidrigkeit nach Meinung eines Expertenkomitees rückgängig zu machen sind.
Die Präsidialadministration(PA) ist ein Staatsorgan, das die Tätigkeit des Präsidenten sicherstellt und die Implementierung seiner Anweisungen kontrolliert. Sie ist mit beträchtlichen Ressourcen ausgestattet und macht ihren Steuerungs- und Kontrollanspruch in der politischen Praxis geltend.
Von Paulus zu Saulus? Die Wandlung der liberalen Politikerin Irina Jarowaja zur bekanntesten Hardlinerin der Duma wurde von Vorwürfen der Prinzipienlosigkeit begleitet. Mit dem Beschluss des von ihr initiierten Anti-Terror-Pakets im Juni 2016 wurde die Eiserne Lady der Volkskammer für viele zum Symbol des autoritären politischen Kurses.
Polittechnologija bezeichnet in Russland und anderen postsowjetischen Staaten ein Menü von Strategien und Techniken zur Manipulation des politischen Prozesses. Politik – als Theater verstanden – wird dabei als virtuelle Welt nach einer bestimmten Dramaturgie erschaffen. Politische Opponenten werden mit kompromittierenden Materialien in den Medien bekämpft, falsche Parteien oder Kandidaten lanciert oder ganze Bedrohungsszenarien eigens kreiert.
Nachdem Putin im September 2011 angekündigt hatte, wieder Präsident werden zu wollen, und im Dezember zahllose Wahlbeobachter über massive Wahlfälschungen berichteten, bildete sich in Russland die größte Protestbewegung seit dem Ende der Sowjetunion. Sie bewies erstaunliches Durchhaltevermögen, versiegte jedoch im Jahr 2013 aufgrund von inneren Streitigkeiten und der repressiven Reaktion des Staates.
Russland hat gewählt. Aber wer hat da gewählt? Und warum ist die Machtpartei Einiges Russland so stark? Grigori Golossow auf slon über eine Abstimmung mit Zwängen und darüber, wie schwer Desinteresse wiegen kann.
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