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Presseschau № 17

Wer ist schuld an der syrischen Flüchtlingskrise? Außenminister Sergej Lawrow sieht Angela Merkel in der Pflicht und bestreitet einen Zusammenhang mit russischen Bombardements. Völlig andere Themen beschäftigen die Moskauer in dieser Woche: In einer Nacht- und Nebelaktion wurden fast 100 Verkaufsbuden abgerissen, die bisher das Stadtbild prägten. Und auch Ramsan Kadyrow macht weiter Schlagzeilen.

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Wer ist Schuld an der Flüchtlingskrise? Die Lage im syrischen Aleppo verschlimmert sich täglich, bereits Zehntausende sind laut internationalen Hilfswerken auf der Flucht. Für den Anstieg der Flüchtlingsströme hat Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem Besuch in Ankara die russischen Luftangriffe verantwortlich gemacht. Moskau weist allerdings jegliche Mitschuld an der Katastrophe zurück. Im Gegenteil: Er sei erstaunt über die bedingungslose Unterstützung, welche Merkel der Türkei in der Syrienfrage zukommen lasse, meinte der russische Außenminister Sergej Lawrow in einem Interview mit dem Moskovski Komsomolets. Laut Lawrow seien die Menschen schon lange vor dem Beginn der russischen Luftschläge Anfang September 2015 aus Syrien geflohen. Auch der Kreml sieht keinen Zusammenhang. Für tote Zivilisten durch russische Bombardements gäbe es bislang „keine Beweise, die Vertrauen verdienen würden“, sagte Dimitri Peskow, Sprecher von Präsident Wladimir Putin. Merkel möge in Zukunft vorsichtiger in ihrer Wortwahl sein, so Peskow weiter.

Regierungsnahe Medien nahmen Merkels Aussage zum Anlass, die deutsche Flüchtlingspolitik zu kritisieren. Die blinde Unterstützung der amerikanischen Nahostpolitik habe Chaos, Terror und einen unaufhaltsamen Flüchtlingsstrom nach Europa gebracht, behauptet die Komsomolskaja Prawda. Merkel sei zynisch, kommentiert das Massenblatt. Das Wüten des Islamischen Staates in Syrien mache das russische Eingreifen notwendig. Für westliche Politiker seien Trauer und Mitgefühl eine Ware, auf die man zurückgreifen könne, wenn es gerade opportun sei, kommt die Zeitung zum Schluss.

Es gibt aber auch kritische Stimmen: Der Kampf um Aleppo könnte zu einer weiteren Eskalation zwischen Moskau, dem Westen, der Türkei und den arabischen Ländern führen, schreibt etwa Vedomosti. Russland bringe mit seinen Bombardements zusehends seinen Platz am Verhandlungstisch in Gefahr. Laut Slon profitiert Russland immer weniger von dem Militäreinsatz, je länger dieser andauert, denn die Sanktionen sind immer noch in Kraft, und angesichts der Wirtschaftskrise im eigenen Land verpufft auch der Propagandaeffekt aus dem Kampf gegen den Terrorismus. Neueste Zahlen zeichnen kein positives Bild: Die finanziellen Reserven der Russen schrumpfen zusehends. Laut Rosstat überstiegen die Ausgaben der Bürger 2015 zum ersten Mal seit 1998 ihre Einnahmen.

Die Nacht der langen Schaufeln. Mit Unverständnis wurde so auch in vielen Berichten auf die „Nacht der langen Schaufeln“ reagiert, wie einige Medien die Nacht- und Nebelaktion tauften, in der die Moskauer Stadtregierung 97 Verkaufspavillons abreißen ließ. Es handle sich um eine Vernichtung von Arbeitsplätzen während der Wirtschaftskrise, schreibt Slon. Die Bagger fuhren Montagnacht vor mehreren zentralen Metrostationen auf und rissen Kioske ab, deren Genehmigungsstatus zumindest unklar war. Vorher-Nachher-Bilder gibt es hier zu sehen.

Aus dem Stadtbild Moskaus sind die kleinen Häuschen nicht wegzudenken. Kaum etwas, was es dort nicht zu kaufen gibt. Das Sortiment reicht von Fastfood über Blumen bis zu neuen Handys. Der Abbruch sei eine Frage der Ästhetik, die Hauptstadt werde damit in Ordnung gebracht, finden Befürworter. Laut Bürgermeister Sergej Sobjanin wurden die Pavillons illegal erbaut, stünden zum Teil auf Gas- und Elektrizitätsleitungen und entsprächen nicht den Sicherheitsvorschriften. Der offizielle Entscheid zum Abriss datiert von Anfang Dezember, alle geltenden Vorschriften seien eingehalten worden, betont die Rossijskaja Gazeta. Als Entschädigung hat die Stadtregierung den Bau neuer Pavillons auf eigene Kosten versprochen, welche dann in einer Auktion neu vergeben werden sollen.

Keine Frage der Ästhetik sondern eine Frage des Rechts ist die kontrovers diskutierte Aktion dagegen für Vedomosti. Die Kioskbetreiber hätten über rechtsgültige Dokumente verfügt. Gegen den Abbruch gab es noch offene Klagen, berichtet TV Dozhd. Ohne Gerichtsentscheid widerspricht der Abriss gar der russischen Verfassung, schreibt der Kommersant. Für Slon hat Sobjanin mit der Aktion gezeigt, dass das Recht auf Eigentum in Russland nicht existiere. Auf den Punkt brachte der Zeichner Sergej Jolkin die Kritik vieler Moskauer: Auf die wiederholten Beteuerungen Putins und Medwedews zur Unterstützung der Kleinunternehmer folgt – der Bagger. 

Die Stadtregierung beruft sich jedoch auf ein neues Gesetz, das ihr gestattet, illegal errichtete Gebäude auch ohne Gerichtsentscheid abreißen zu lassen. Die Betreiber sollten sich nicht hinter Papieren verstecken, welche sie auf illegalem Weg erhalten hätten, so Sobjanin auf seiner offiziellen VKontakte-Seite.

Bereits seit mehr als 20 Jahren versucht die Stadt, die Zahl der kleinen Pavillons rigoros zu begrenzen. Die Verkaufspavillons, die in den 1990er Jahren zur Förderung des Kleinunternehmertums von der Stadt zugelassen wurden, haben sich seit damals zu einem lukrativen Geschäft entwickelt.

Tortenwurf mit Folgen. Michail Kassjanow, Vorsitzender der Oppositionspartei PARNAS wurde in einem Moskauer Restaurant mit einer Torte beworfen. Der Parteichef bringt die Tätlichkeit mit seiner politischen Arbeit und den Drohungen des tschetschenischen Republikchefs Ramsan Kadyrow gegen die Opposition in Verbindung. Als vom Ausland gekaufte Volksfeinde bezeichnete Kadyrow die Oppositionellen. Zuletzt hatte er auf seinem Instagram-Account gar ein Video von Kassjanow veröffentlicht, über welchem ein Fadenkreuz montiert war. Instagram hat das Video später entfernt. Vor dem Restaurant in der Moskauer Innenstadt wurden nach dem Anschlag drei Mitarbeiter des tschetschenischen Innenministeriums verhaftet. Der Kreml sieht keinen Zusammenhang zwischen dem Tortenwurf und den Aussagen Kadyrows und seiner Entourage. Kadyrow selbst hat sich von dem Angriff nicht distanziert. Tags darauf veröffentlichte er ein Foto des russischen Tenors Nikolaj Baskow, ebenfalls mit einer Torte im Gesicht. Nach dem Tortenwurf renne der Sänger von einer internationalen Instanz zur anderen und verlange eine Wiederholung des Banketts, lautet die Bildunterschrift.

Beatrice Bösiger aus Moskau für dekoder.org

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Dimitri Peskow

Dimitri Peskow ist seit dem Machtantritt Putins für dessen Pressearbeit zuständig und gilt als offizielles Sprachrohr des Kreml. Üblicherweise für die Krisen-PR verantwortlich, sorgte er mehrfach selbst für negative Schlagzeigen, unter anderem im Rahmen der Panama Papers.

Peskow (geb. 1967) stammt aus einer Diplomatenfamilie und war nach seinem Abschluss an der Moskauer Lomonossow-Universität zunächst ebenfalls als Diplomat an der russischen Botschaft in der Türkei tätig. Anschließend wechselte er in den Kreml. Peskows politische Karriere ist eng mit der Person Wladimir Putins verbunden, der ihn 2000 als Leiter der Presseabteilung engagierte. Bei seiner zweiten Präsidentschaft 2004 ernannte Putin ihn zu seinem ersten stellvertretenden Pressesekretär. Peskow war zuständig für die Pressearbeit beim G8-Gipfel im Herbst 2006 in St. Petersburg und beauftragte in diesem Zusammenhang die New Yorker PR-Agentur Ketchum, die von da an in der internationalen Presse das Russland-Image aufbessern sollte.1 Nach Putins Wechsel in das Amt des Ministerpräsidenten folgte ihm Peskow und wurde Pressesprecher der Regierung.

Sprachrohr des Präsidenten

Foto © Barwenkowski

Aufgrund seiner Funktion und engen Zusammenarbeit mit Putin gilt Peskow als das Sprachrohr des Präsidenten. Er kommt besonders häufig in Krisenzeiten oder bei heiklen Themen zu Wort, weshalb er manchmal auch „Pressesekretär der schlechten Nachrichten“ genannt wird. Ende 2006 wurde er einer größeren internationalen Öffentlichkeit bekannt, als er dementierte, dass Russland in die Ermordung des ehemaligen russischen FSB-Offiziers Alexander Litwinenko verwickelt sei, der durch eine radioaktive Substanz starb. Als Putin im Herbst 2011, nachdem bereits Gerüchte über seine erneuten Präsidentschaftsambitionen aufkamen, bei einer Boxveranstaltung erstmals in der russischen Öffentlichkeit vor laufender Kamera ausgebuht wurde, versuchte Peskow zu beschwichtigen, indem er erklärte, die Schmähungen hätten dem Verlierer des Boxkampfes gegolten. Nach der Machtrochade 2012 folgte Peskow Putin erneut in den Kreml und ist seither als sein Sprecher für die Pressearbeit zuständig. Außerdem koordiniert er die Medienarbeit der Präsidialadministration.

Korruptionsvorwürfe gegen den Pressesprecher

Im Sommer 2015 sorgte Peskow selbst für Schlagzeilen: Der Antikorruptionsaktivist Alexej Nawalny bezichtigte Peskow der Korruption, da dieser bei seiner Hochzeit mit der bekannten Eistänzerin Tatjana Nawka eine 565.000 Dollar teure Uhr trug, die das Fünffache seines Jahresgehalts kostete und die sich der Staatsdiener, der laut offizieller Deklaration keine sonstigen Einkünfte besitzt, unmöglich leisten konnte.2  Wie Nawalny aufdeckte, soll Peskow zudem die anschließenden Flitterwochen auf einer Luxusyacht verbracht haben, deren Charterkosten 400.000 Euro pro Woche betrugen.3

Im April 2016 wurde bekannt, dass Peskows jetzige Ehefrau Tatjana Nawka im Januar 2014 als Besitzerin einer auf den British Virgin Islands registrierten Offshore-Firma eingetragen war. Das Gesetz verbietet es den Ehepartnern hoher Beamter, länger als drei Monate nach der Hochzeit Anteile an ausländischen Finanzinstrumenten zu halten. Die Firma wurde im November 2015 aufgelöst. Da das Datum der Hochzeit Peskows mit Tatjana Nawka nicht genau bekannt ist, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob diese sich an die gesetzliche Frist gehalten hat.


1.Meedia: Wegen internationaler Spannungen: PR-Agentur Ketchum beendet Arbeit für russische Regierung
2.Frankfurter Allgemeine Zeitung: Putin Sprecher Peskow. Eine Uhr für eine halbe Million
3.Die Welt: Nach Totenkopfuhr. Putins Sprecher hat ein neues Luxus-Problem
 
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Wladimir Markin (1956–2021) war lange Zeit Leiter der Presseabteilung und als solcher ein prägnantes Gesicht des einflussreichen Ermittlungskomitees, einer mit dem US-amerikanischen FBI vergleichbaren Behörde. Er gab besonders zu prominenten Ermittlungsfällen Auskunft und wurde oft als inoffizielles „Sprachrohr des Kreml“ bezeichnet.

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