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Presseschau № 27

„Es ist Zeit, dem Informationskrieg einen Riegel vorzuschieben“: Mit der Veröffentlichung eines derart markig betitelten Artikels sorgt Alexander Bastrykin, Chef des mächtigen, direkt Präsident Wladimir Putin unterstellten Ermittlungskomitees, dieser Tage für Aufregung in den russischen Medien.

Bastrykin schreibt im Wochenmagazin Kommersant Vlast, gegen Russland sei ein hybrider Krieg im Gange, geführt von den USA und ihren Verbündeten. Dies hätte unter anderem zur Folge, dass der Islamische Staat gestärkt würde. Diesem hybriden Krieg müsse Moskau eine eigene Staatsideologie entgegensetzen und über eine strengere Internetzensur nach dem Vorbild Chinas und eine Verschärfung von Gesetzen, etwa im Hinblick auf Migranten, nachdenken.

dekoder hat den Text ins Deutsche übersetzt. In der heutigen Presseschau bringt dekoder eine beispielhafte Auswahl der Reaktionen aus der russischen Medienlandschaft.

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SLON: Die „Kräfte-Perestroika

Die Politologin Ekaterina Schulmann schreibt im unabhängigen Internetmagazin Slon, dass Ort und Zeitpunkt der Veröffentlichung fast interessanter seien als der Inhalt des „Manifests”. Zwar klinge der politische Teil von Bastrykins Text geradezu unheimlich und die Idee eines reaktionären Isolationismus, wie sie der Chefermittler hier entwerfe, könne getrost mit Nordkorea verglichen werden, so Schulmann. Der Zeitpunkt und die Veröffentlichung in der Presse deuteten jedoch darauf hin, dass es Bastrykin weniger um eine Programmschrift geht. Vielmehr wolle er sich vor allem im Ringen um Kompetenzen und Ressourcen innerhalb der Sicherheitsstrukturen, der sogenannten Silowiki, positionieren:

„Ein mächtiger neuer Spieler hat jetzt das Kampffeld betreten – die Nationalgarde. Dadurch ändern sich Befugnisse und Zusammensetzung des Innenministeriums. Diese Ereignisse kann man als Kräfte-Perestroika bezeichnen. Man muss daran teilnehmen und dabei mit denjenigem ideologischen Fähnchen wedeln, das – nach Meinung des Autors – derzeit am besten vor Personal- und Budgetkürzungen sowie vor dem Verlust des eigenen Postens schützt. Ein Chef, der sich nicht um sich und sein Amt sorgen muss, würde sich kaum mit derart weitreichenden Aussagen an die Presse wenden. Die Silowiki sind unruhig.“

MOSKOVSKIJ KOMSOMOLETS: WAS BASTRYKIN VERGESSEN HAT

Das Massenblatt Moskovskij Komsomolets erinnert den studierten Juristen Bastrykin daran, dass er mit einigen Aspekten seines „Manifests“ gegen die russische Verfassung verstoße. Der Autor des Kommentars befürchtet allerdings, dass Bastrykin ihm bei einem persönlichen Treffen wohl unmissverständlich darlegen würde, dass er als Jurist im Recht sei, während der Autor als Amateur Unrecht habe. Zum Schluss hält er allerdings fest, dass dies Bastrykins persönliche Meinung sei. Garant der Verfassung in Russland sei schlussendlich immer noch Präsident Wladimir Putin.

„Alexander Iwanowitsch [dek – Bastrykin] könnte folgende Verfassungsklausel interessieren: ‚In der Russischen Föderation wird die ideologische Vielfalt anerkannt. Es darf keine Staats- oder anderweitig verpflichtende Ideologie geben.‘
Ich würde dem Vorsitzenden des Ermittlungskomitees außerdem empfehlen, sich erneut mit Artikel 29 Absatz 5 unseres Grundgesetzes vertraut zu machen: ‚Die Pressefreiheit wird gewährleistet. Zensur ist verboten.‘ Offensichtlich hat Alexander Iwanowitsch diesen Punkt  auch vergessen.“

RBK DAILY: WIDER DIE VERFASSUNG

Die Wirtschaftszeitung RBK Daily hat unterschiedliche Medienvertreter um Reaktionen zu Bastrykins Vorschlägen gebeten, da dessen Zensur-Pläne nach chinesischem Vorbild die Arbeit der Branche empfindlich einschränken würden.
So wolle Bastrykin in Russland etwa Online-Medien verbieten, welche ganz oder teilweise in ausländischem Besitz seien. Im vergangenen Jahr habe Moskau die Medien zudem bereits härter an die Kandare genommen, wie die Zeitung festhält. Am 1. Februar 2016 ist ein Gesetz in Kraft getreten, welches ausländischen Unternehmen verbietet, mehr als 20 Prozent Anteile an russischen Medienunternehmen zu besitzen. Dies hatte bereits im Vorfeld zu großen Umwälzungen in der Branche geführt. Zudem gebe es technische und gesetzliche Hindernisse für Bastrykins Pläne:

„Aus Bastrykins Text gehe nicht hervor, ob ein ‚Verbot‘ zum Beispiel bedeuten würde, dass man technisch gesehen keine .com-Domains mehr besuchen kann, sagt der Chefredakteur von Echo Moskvy, Alexej Wenediktow (die amerikanische EM-Holding hält eine Minderheitsbeteiligung an diesem Radiosender). Die Aussage des Vorsitzenden des Ermittlungskomitees zum ‚Maß an Zensur‘ wirke alles andere als verfassungsmäßig, sagt Wenediktow: Zensur sei in Russland durch das Grundgesetz verboten.“

FORBES: SCHLAGSEITE GEN CHINA

Andrej Soldatow, Publizist und Internetexperte, weist in der russischen Ausgabe des Wirtschaftsmagazins Forbes darauf hin, dass Bastrykin in Sachen Internetzensur in Russland nicht wirklich auf dem neuesten Stand sei. Schließlich erwähne er in seinen Vorschlägen auch solche, die schon längst umgesetzt seien. Internetfilter in Schulen und Bibliotheken existierten etwa schon lange, auch könnten Internetseiten in Russland bereits ohne Gerichtsentscheid blockiert werden. Bastrykin wolle nun gesetzliche Bestimmungen nach dem Vorbild Chinas kopieren. Die entsprechenden Behörden der beiden Länder tauschten sich aber bereits aus, wie Soldatow schreibt.

„Der Grund für diese Schlagseite gen China könnte auch darin liegen, dass der russische Ansatz von Internetzensur immer wenig überzeugend wirkt. Man hatte versucht, die Online-Unternehmen einzuschüchtern, und nicht die Nutzer. Das war von 2012 bis 2014 durchaus erfolgreich, doch im Herbst 2015 hatte sich dieser Ansatz erschöpft. (...)

Laut dem russischen Gesetz hätten internationale Unternehmen zum September 2015 ihre Server auf russisches Territorium verlegen sollen. Die Internet-Dienste, die der Anlass für all das waren – Google, Twitter und Facebook – ließen sich jedoch durchaus Zeit. (...)

Seit vergangenem Herbst ist in Russland die Nutzerzahl von TOR [dek – Netzwerk zur Anonymisierung der Internetverbindung, über das auch Blockierungen umgangen werden können] explosiv angestiegen, bedingt durch die Blockierung von Rutracker [dek – bekannte Filesharing-Site]. Russland ist mit etwa 220.000 Nutzern pro Tag sofort auf den weltweit zweiten Platz der Zahl von TOR-Nutzern vorgerückt.“

IZVESTIJA: PUTIN KANNTE TEXT NICHT

Präsident Wladimir Putin habe Bastrykins Text vor der Veröffentlichung nicht gelesen, zitiert die kremlnahe Izvestija Putins Sprecher Dimitri Peskow. Eine stärkere Regulierung des Internets sei jedoch im Sinne des Kremls.

„Peskow lehnte es ab, den Inhalt des Materials zu kommentieren und ließ verlauten, er sei nicht Bastrykins Pressesekretär. Die Frage, ob die Position des Leiters des Ermittlungskomitees ein Posten innerhalb der russischen Regierung sei, beantwortete er nicht.

Der Pressesekretär des Präsidenten merkte noch an, dass der russische Staatschef ‚mehrmals über das Internet als Gebiet des freien Informationsaustauschs gesprochen hat, wobei dieser freie Informationsaustausch in einer bestimmten Weise reglementiert werden muss‘.“

Beatrice Bösiger aus Moskau

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Ermittlungskomitee

Das Ermittlungskomitee der Russischen Föderation, so die offizielle Bezeichnung, ist eine von der Staatsanwaltschaft unabhängige Institution, die direkt dem Präsidenten unterstellt ist. Es kann eigenständig Ermittlungen aufnehmen, was die Behörde mit mehr als 20.000 Mitarbeitern zu einem der zentralen Machtinstrumente der in Russland einflussreichen Silowiki macht.

Ursprünglich geht die Idee einer unabhängigen Ermittlungsbehörde auf Zar Peter den Großen (1672–1725) zurück. Dieser richtete 1713 ein eigenständiges Organ zur Untersuchung von Schwerkriminalität, Korruption und Machtmissbrauch durch hochrangige Beamte ein. Es unterstand direkt dem Zaren, was dieser regelmäßig dazu nutzte, gegen seine Widersacher vorzugehen.

In der Sowjetunion übertrug man die Ermittlungstätigkeit dann vollständig in den Kompetenzbereich der Staatsanwaltschaft, aber schon bald nach dem Zerfall der UdSSR gab es Versuche zur Wiedereinsetzung des Ermittlungskomitees: So wurde 1993 ein Gesetzesentwurf eingebracht, der auf die erneute Schaffung einer unabhängigen Ermittlungsbehörde zielte. Diese Entscheidung wurde jedoch aufgrund der politischen Krise vertagt. Erst als im Zuge des Jukos-Falls die Staatsanwaltschaft immer mächtiger wurde und im Kreml offenbar die Notwendigkeit gesehen wurde, ihren Einfluss zu begrenzen, nahm man diese Überlegungen wieder auf. So entstand 2007 das heutige Ermittlungskomitee der Russischen Föderation, dessen Bestimmung vor allem in der Aufklärung von Schwerverbrechen liegt bzw. liegen soll. Es war zunächst noch formal weiterhin Bestandteil der Staatsanwaltschaft, wurde 2011 aber in eine eigene Behörde ausgegliedert. Heute ist es de jure und de facto selbständig und untersteht der direkten Kontrolle des Präsidenten, der auch den Leiter der Behörde ernennt.

Das Verhältnis zwischen den beiden Behörden Staatsanwaltschaft und Ermittlungskomitee verdient eine gesonderte Betrachtung. Bereits in der Zeit, als das neugegründete Ermittlungskomitee noch eine Abteilung innerhalb der Staatsanwaltschaft war, entstand aufgrund konkurrierender Aufgaben und unklarer Zuständigkeiten zwischen dem Generalstaatsanwalt, Juri Tschaika, und dem Leiter der Ermittlungsbehörde, Alexander Bastrykin, ein Kampf um die jeweiligen Einflusssphären. Schließlich erfolgte dann 2011 die Ausgliederung des Ermittlungskomitees (oft abgekürzt als SK, Sledstwenny komitet) in eine eigenständige Behörde, ohne jedoch die Konkurrenz zwischen beiden Institutionen zu entschärfen. Dieser Schritt ist von externen Beobachtern unterschiedlich interpretiert worden. Vieles spricht jedoch für eine bewusste divide-and-rule Taktik des Präsidenten, der durch diese Schaffung von Kompetenzenüberschneidung und Konkurrenz innerhalb des Machtapparates seine Möglichkeiten zu einem direkten Eingreifen erweitert hat.

Von Menschenrechtsaktivisten wird dem Ermittlungskomitee immer wieder vorgeworfen, es halte bei seinen Ermittlungen rechtsstaatliche Standards nicht ein. So verfassten fünfzig namhafte russische Juristen im Jahr 2013 einen offenen Brief, in dem sie dem Ermittlungskomitee (und anderen Rechtsschutzorganen und Spezialdiensten) vorwarfen „[...] grob und deutlich, ja sogar demonstrativ und zynisch verfassungsmäßige und andere Rechtsnormen [...]“ zu verletzen und Strafverfahren gegen Regierungskritiker zu fabrizieren.1 Das Ermittlungskomitee ist auch für den Bolotnaja-Prozess gegen 27 Oppositionelle verantwortlich, ebenso für die Verhaftung internationaler Greenpeace-Aktivisten im September 2013.2 Auch bei der Inhaftierung der Pussy-Riot-Musikerinnen infolge ihres „Punk-Gebets“ sowie bei der Strafverfolgung des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny im Kirowles-Fall war das Ermittlungskomitee die treibende Kraft.3 Im Juni 2014 kam bei einem Verhör durch das Ermittlungskomitee der junge Vizechef der Antikorruptionsabteilung im Innenministerium, Boris Kolesnikow, unter bisher ungeklärten Umständen ums Leben.4  

Zuletzt geriet die Behörde aufgrund schleppender Ermittlungen im Mordfall Nemzow in die Schlagzeilen, sowie im Zusammenhang mit einem Machtkampf mit dem tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow.5


1.Offener Brief russischer Juristen, in: DRJV-Mitteilungen 2013 (56), S. 55-56
2.BBC: Russia charges Greenpeace activists with piracy
3.taz.de: Mit allen Mitteln mundtot machen
4Bundeszentrale für politische Bildung: Aus russischen Blogs: Der Tod des Generals Kolesnikow im Ermittlungskomitee. Ein Selbstmord?
5.Deutschlandfunk: Tschetscheniens Republikchef Kadyrow. Kleine Rebellionen gegen Putin
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