Im Donbass gibt es im Moment die schwersten Kämpfe seit Langem zwischen der ukrainischen Armee und prorussischen Separatisten. In Awdijiwka harren zehntausende Einwohner ohne Strom und Heizung aus, auf beiden Seiten der Frontlinie gibt es Tote. Neue Tote in einem Konflikt, der nach UN-Angaben bislang knapp 10.000 Menschen das Leben gekostet hat. Die Waffen haben trotz des 2015 vereinbarten Minsker FriedensabkommensUnterzeichnet am 12. Februar 2015 von Vertretern der OSZE, Russlands, der Ukraine sowie der Separatisten aus Donezk und Lugansk, sieht das zweite Abkommen von Minsk unter anderem einen sofortigen Waffenstillstand sowie den Abzug schwerer Waffen von der Frontlinie vor. Es verpflichtet die Ukraine auch zu einer Verfassungsreform, die einigen Regionen im Donbass einen Sonderstatus einräumt, und sichert der Ukraine die Kontrolle über ihre Grenze nach Russland zu. Weite Teile des Abkommens sind bisher nicht umgesetzt. nie geschwiegen.
In einigen russischen Medien wird derzeit über die konkrete Gemengelage vor Ort spekuliert, während andere analysieren, wie sich die Haltung des neuen US-Präsidenten Trump künftig auswirken könnte. Auf dem unabhängigen Online-Portal Republic fragt Journalist Oleg KaschinOleg Kaschin (geb. 1980) ist ein bekannter russischer Journalist. Er schreibt für verschiedene unabhängige Medien und gibt sich in seinen Artikeln betont kremlkritisch. Mutmaßlich wegen dieser Haltung wurde er bereits mehrmals Opfer von Gewalttaten. So schlugen ihn 2010 drei Menschen brutal zusammen, Kaschin musste sich einigen Operationen unterziehen. 2015 gab der Journalist bekannt, dass Indizien gegen drei Täter vorliegen würden. Ein von ihm angestrebtes Gerichtsverfahren wegen versuchten Mordes wurde allerdings noch nicht eröffnet. dagegen nur am Rande nach möglichen Interessen oder Stellungskämpfen, sondern fokussiert auf Gefühle und Befindlichkeiten innerhalb der russischen Gesellschaft.
Kaschin selbst polarisierte mitunter mit Aussprüchen wie dem, dass die Ukraine von Russland keinen Kniefall erwarten könne, gilt jedoch als scharfsinniger Kritiker des Kreml und der russischen Ukraine-Politik.
In seinem Kommentar nun fragt Kaschin: Ist das, was im Donbass geschieht, eigentlich jemals in den Köpfen angekommen?
Beschuss von AwdijiwkaAwdijiwka (russisch Awdejewka) liegt in der Ukraine rund sechs Kilometer nördlich vom Bezirksverwaltungszentrum Donezk – nach offizieller Angabe aus dem Jahr 2014 hat die Stadt rund 35.000 Einwohner. Viele Menschen sind jedoch aufgrund andauernder Kampfhandlungen in den vergangenen Monaten geflüchtet. Awdijiwka steht unter ukrainischer Kontrolle, unweit der Stadt verläuft die sogenannte Demarkationslinie, die im Minsker Protokoll (Minsk I) festgelegt wurde. Entlang der Demarkationslinie sollen nach dem Minsk II–Protokoll „Pufferzonen“ bzw. „Sicherheitszonen“ entstehen, aus denen schwere Waffen zurückgezogen werden müssen. und DonezkDie Donezker Volksrepublik ist ein von Separatisten kontrollierter Teil der Region Donezk im Osten der Ukraine. Sie entstand im April 2014 als Reaktion auf den Machtwechsel in Kiew und erhebt zusammen mit der selbsternannten Lugansker Volksrepublik Anspruch auf Unabhängigkeit. Seit Frühling 2014 gibt es in den beiden Regionen, die eine zeitlang Noworossija (dt. Neurussland) genannt wurden, Gefechte zwischen den Separatisten und der ukrainischen Armee. Mehr dazu in unserer Gnose – das klingt wie eine Nachricht aus dem vorletzten Winter, die wie durch ein Missverständnis in den Informationsstrom von 2017 geraten ist. Dimitri PeskowsDimitri Peskow ist seit dem Machtantritt Putins für dessen Pressearbeit zuständig und gilt als offizielles Sprachrohr des Kreml. Üblicherweise für die Krisen-PR verantwortlich, sorgte er mehrfach selbst für negative Schlagzeigen, unter anderem im Rahmen der Panama Papers. Mehr dazu in unserer Gnose Wortschöpfung „eigenmächtige Kampfeinheiten“Der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dimitri Peskow, benutzte die Formel der „eigenmächtigen Kampfeinheiten“ in seiner Pressemitteilung vom 31. Januar 2017. Nach seiner Aussage wurden diese Kampfeinheiten bei ihrem Vordringen nach Awdijiwka von der Artillerie der Ukrainischen Streitkräfte unterstützt. Er fügte nachdrücklich hinzu, dass diese Verbände nicht unter Kontrolle Kiews stünden., denen die Schuld an der Eskalation zugeschrieben wird, ist dermaßen schwammig, dass man darunter fassen kann, wen man will – sowohl prorussische Separatisten als auch ukrainische FreiwilligenbatailloneSowohl in den ukrainischen als auch in den russischen Medien ist der Begriff der ukrainischen Freiwilligenbataillone umstritten. Viele Beobachter sehen darin ein Propaganda-Motiv aus Kiew und zweifeln die Freiwilligkeit solcher Bataillone an, glauben vielmehr, sie seien erfunden, um eine einheitliche Front aller Ukrainer zu demonstrieren. Dies geschieht häufig unter Verweis darauf, dass die meisten Mitglieder solcher Verbände beorderte Reservisten seien. Demgegenüber kursieren Schätzungen, wonach derzeit einige zehntausend Freiwillige in Verbänden organisiert seien, die zum großen Teil dem Verteidigungs- bzw. Innenministerium unterstehen würden. Einige dieser Bataillone agierten demnach außerhalb des staatlichen Gewaltmonopols., die unabhängig handeln, oder aber auch die ukrainische Armee (in dem Sinne, dass die Ukraine ein eigenmächtiger Staat ist und seine Kampfeinheiten entsprechend auch eigenmächtig sind). Die unvorsichtige Äußerung eines ukrainischen Generals, die ukrainischen Streitkräfte würden „Schritt für Schritt“ vordringen, hatte Peskow ebenfalls aufgeschnappt: Seht, die Ukrainer haben selbst zugegeben, dass sie angreifen, also sind sie der Aggressor. Und ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung, in dem eine anonyme Quelle aus deutschen Regierungskreisen davon spricht, die ukrainische Seite sei an einer Zuspitzung interessiert, wird in der offiziellen russischen Presse schon den dritten Tag munter zitiertOffenbar zitiert hier der Autor eine von ihm genannte russische Quelle. Im Original der Süddeutschen Zeitung heißt es wörtlich: „Nach Berliner Informationen, die sich unter anderem auf Berichte der OSZE-Mission in der Ostukraine stützen, versuchen derzeit vor allem ukrainische Militärs, den Frontverlauf zu ihren Gunsten zu verschieben. Offenbar nehmen sie dabei auch in Kauf, dass sich die Spannungen erhöhen.“.
Interessant ist eine BeobachtungGemeint ist eine Meldung vom 1. Februar 2017, die die Journalistin über ihren Kanal im Instant-Messaging-Dienst Telegram lancierte. der russischen LifeLife, das bis April 2016 LifeNews hieß, ist ein Nachrichtenportal und ein rund um die Uhr sendender privater Radio- und Fernsehkanal. Er zeichnet sich durch einen hohen Anteil an Skandal- und Boulevardmeldungen aus. Obwohl auf dem Portal bisweilen kremlkritische Berichte auftauchen, gilt es insgesamt als kremlnah. Der Life-Besitzer Aram Gabreljanow (geb. 1961) wurde im Jahr 2014 mit dem Orden der Ehre ausgezeichnet – „für hohe Professionalität und Objektivität bei der Berichterstattung in der Republik Krim“.-Journalistin Anastasija Kaschewarowa. Sie schreibt, Drehteams staatlicher russischer Fernsehsender aus Moskau seien schon frühzeitig nach Donezk geschickt worden – und zieht den naiven Schluss, dass die russischen Geheimdienste offensichtlich wussten, die Ukrainer würden einen Angriff beginnen. Aber genauso gut kann man die Entsendung von Journalisten in den Donbass als Beweis dafür nehmen, dass man in Moskau schon frühzeitig über einen bevorstehenden Angriff der Separatisten im Bilde war – schließlich sind solche Informationen für Russland einfacher zugänglich als die Pläne der ukrainischen Armee.
Geblieben ist einfach nur ein Krieg. Ein endloser, sinnloser, keine Seele mehr berührender Krieg
Noch vor kurzem wurde dem Donbass gern ein ähnliches Schicksal wie TransnistrienTransnistrien ist ein völkerrechtlich zur Republik Moldau gehörendes Gebiet im Osten des Landes. In einem Krieg von März bis August 1992 erreichte Transnistrien eine de-facto-Unabhängigkeit von Moldau. Die moldauische Seite warf Russland eine aktive Beteiligung an Kampfhandlungen vor. Russland hat dort zwischen 1200 und 1400 Soldaten stationiert. Viele Transnistrier besitzen auch russische Pässe. vorausgesagt. Vorerst jedoch erinnert er eher an BergkarabachDie Republik Bergkarabach ist ein nicht-anerkannter Staat (sogenanntes de-facto-Regime) auf dem Territorium, das völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört. Das inzwischen fast ausschließlich von Armeniern bewohnte Gebiet erklärte sich 1991 als unabhängig, der folgende Bergkarabachkrieg zwischen Armenien und Aserbaidschan in den Jahren 1992 bis 1994 kostete Schätzungen zufolge 25.000 bis 50.000 Menschen das Leben. Der Krieg endete mit einem Waffenstillstand. Seitdem gilt der Konflikt unter den meisten Politikwissenschaftlern als ein sogenannter eingefrorener Konflikt. Da er aber in den vergangenen Jahren immer wieder aufflammte, kritisierten viele Wissenschaftler den Begriff.. Denn die beiden Seiten stehen dem derzeitigen politischen Schwebezustand und umstrittenen Status nicht gleichgültig gegenüber, wie es dagegen in MoldawienDer Transnistrien-Konflikt ist ein ungelöster, sogenannter eingefrorener Konflikt, der seit 1990 besteht. In einem Krieg von März bis August 1992 erreichte Transnistrien eine De-facto-Unabhängigkeit von Moldawien. Die moldauische Seite warf Russland eine aktive Beteiligung an Kampfhandlungen vor. Der russische General Alexander Lebed (1950–2002), der die in Moldawien stationierte 14. Armee Russlands befehligte, vermittelte ein Kampfende. der Fall ist. Stattdessen kommt es bei jeder erstbesten Gelegenheit zu Gefechten, unter ständiger Gefahr eines großen Krieges. Aber auch der Vergleich mit Bergkarabach hinkt ein wenig: In dem südkaukasischen Konflikt sind beide Seiten zumindest in einem, wenn auch ausgedachten, Geist erzogen, nämlich im Geist einer fanatischen Verbundenheit mit der für beide Länder heiligen Erde.
Im Donbass dagegen klingt schon allein das Wort KoksochimKoksochim ist ein 1963 in Awdijiwka gegründetes Stadtgaswerk und Hersteller von Steinkohleteer. Sowohl das Stadtgas als auch der Teer werden hier als Nebenprodukte der Koksgewinnung aus Steinkohle produziert. Das Werk mit rund 4000 Mitarbeitern steht nach Angaben ukrainischer Medien seit Juli 2014 unter Beschuss. Es ist der einzige Wärmeversorger der Stadt. (so heißt die beschossene Fabrik in Awdijiwka, von der die Wärmeversorgung der Stadt abhängt) dermaßen finster, dass bei seinem Klang nicht einmal das Herz des glühendsten Patrioten höher schlagen wird. Tote Erde, bevölkert von lebenden Menschen – so müsste man den Donbass im Moment wohl korrekterweise nennen.
Nach nicht einmal drei Jahren herrscht hier KriegDer Krieg im Osten der Ukraine ist eine militärische Auseinandersetzung zwischen der Ukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Die Ukraine wirft dem Nachbarland Russland vor, die Rebellen mit Personal und Waffen zu unterstützen, was Russland bestreitet. Der Krieg kostete bereits rund 13.000 Menschen das Leben. Eine anhaltende Waffenruhe konnte trotz internationaler Vermittlungsbemühungen bisher nicht erreicht werden. Mehr dazu in unserer Gnose in seiner reinsten Form, jeglicher Verzierungen entledigt: ohne ergreifende Losungen, eingängige Parolen, weltweite Aufmerksamkeit und ohne klaren Schlusspunkt, auf den ein garantierter Frieden folgt.
Das alles ist in den Jahren 2014 und 2015 verlorengegangen und geblieben ist einfach nur ein Krieg. Ein endloser, sinnloser, keine Seele mehr berührender Krieg.
Es ist schwer zu sagen, ob Donald Trump sich darüber im Klaren ist oder ob er überhaupt Zeit hat, sich darüber Gedanken zu machen – zwischen Migrantenbekämpfung und Mauerbau an der mexikanischen Grenze. Doch liegt es auf der Hand, dass es dabei gerade um ihn geht: Jede Salve bei Awdijiwka ist an den neuen amerikanischen Präsidenten adressiert, selbst wenn er das gar nicht im Blick hat.
Für den Kreml gehörten die vorherigen Phasen dieses Kriegs zu einem großen, in vielen Teilen imaginierten, internationalen Spiel, in dem gleichermaßen nonchalant mal SewastopolSewastopol ist mit rund 440.000 Einwohnern die größte Stadt auf der Krim. Seit 2014 ist Sewastopol ein international nicht anerkanntes Föderationssubjekt Russlands. Die Stadt ist seit dem 18. Jahrhundert Hauptstützpunkt der russischen/sowjetischen Schwarzmeerflotte. Nach dem Zerfall der Sowjetunion war Sewastopol deshalb ein häufiger Konfliktpunkt in den Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine., mal Aleppo auf den Tisch geworfen wurden. Donezk kam irgendwo dazwischen – auch wenn das niemand laut gesagt hat.
Der Kreml hat die Beziehungen zur Ukraine nach 2014 nie als bilateral angesehen. Das Propagandabild eines Barack Obama, der Kiew unmittelbar steuert, hat auf die eine oder andere Weise sicherlich die Vorstellung Moskaus und ganz persönlich die von Putin über das Geschehen widergespiegelt. Alles Weitere hängt vom Rahmen ab, den der Kreml sich ausdenkt: Wenn es nun keinen Obama gibt, dann gibt es auch keine Regeln, nach denen man mit ihm spielen muss. Aber was nun die neuen Regeln sind, das wird man via Trial and Error herausfinden müssen.
Die Abwesenheit der russischen Gesellschaft in diesem Krieg schützt sie in keiner Weise vor großen Traumata
Diese Logik kann man übrigens gleichermaßen auch auf die ukrainische Seite anwenden: Schließlich wurde über Trumps Loyalität gegenüber Russland in den vergangenen Monaten derart viel geredet, dass wohl keine Menschenseele sie im tiefsten Herzen anzweifeln konnte. Was muss passieren, damit die Stimme des amerikanischen Präsidenten in diesem Konflikt erklingt? Keiner weiß es, aber alle glauben, dass sie erklingen wird; also muss man ausprobieren. Und egal wie unterschiedlich die Ziele und Weltanschauungen Moskaus und Kiews sein mögen, Instrumente haben beide nur wenige, und das erste dieser Instrumente ist leider die Artillerie.
Das ist der einzig mögliche Schluss aus der Verschärfung um Awdijiwka: Ja, wir haben es mit einem diplomatischen Feldexperiment zu tun. Beide Seiten tasten in einer verfahrenen Situation mit Grad-RaketenfeuerGrad (dt. Hagel) ist die inoffizielle Bezeichnung eines Raketenwerfersystems vom Typ BM-21. Es wurde in der Sowjetunion hergestellt und in zahlreiche Länder exportiert. Ein Vorläufer der Grad-Systeme sind die Raketenwerfer von Typ BM-13, die im Zweiten Weltkrieg unter der Bezeichnung Katjuscha bekannt wurden und von den deutschen Truppen als Stalinorgel bezeichnet wurden. neue Grenzen des Möglichen ab. Die Neutralität der russischen Machthaber gleicht einer Parodie, wenn die einzige offizielle Positionierung ein verhaltenes Mitgefühl für die Separatisten ist, bei denen sowieso allen klar ist, wie unabhängig diese von Moskau sind (nämlich gar nicht).
Aus diplomatischer Sicht ist das wahrscheinlich wirklich die bequemste Positionierung. Aber so bequem sie auch für internationale Deals ist, so unmoralisch ist sie in Bezug auf die sterbenden und ohne Obdach dastehenden Bewohner des Donbass auf beiden Seiten der Front.
Dasselbe gilt in Bezug auf die russischen Soldaten, deren Intervention (natürlich in der für diesen Krieg traditionell anonymen Form des NordwindsAuf den einschlägigen Internetressourcen der DNR- und LNR-Separatisten wird mit Sewerny Weter (dt. Nordwind) die Operation bezeichnet, die von Sewer (dt. Norden) in der Ostukraine gesteuert werde. Laut Militärexperten ist Sewer eine paramilitärische Spezialkräfte-Einheit aus Tschetschenien, die 2006 aus Milizionären unter der persönlichen Kontrolle Ramsan Kadyrows gegründet und in die Inneren Streitkräfte des russischen Innenministeriums integriert wurde. ) nun sowohl in Donezk als auch in Kiew erwartet wird. Menschenleben und Zerstörungen sind belanglos, es gibt nur gewichtige internationale Interessen und die vom Kreml geliebte Geopolitik, in der ein Anruf von Trump tatsächlich wesentlich mehr wert ist als hunderte Awdijiwkas und ihre Bewohner.
Die Chronologie dieses Krieges in Donezk ist verwirrend – es ist nicht einmal klar, ob man ihn als andauernd begreifen soll, oder ob man sagen kann, dass es vor einer Woche keinen Krieg gab, und er jetzt, da in Awdijiwka geschossen wird, von Neuem begonnen hat. Streng genommen hat es diesen Krieg im Leben der russischen Gesellschaft nie gegeben – es gab das Jahr 2014 mit Fernsehgeschichten über BanderowzyAls Banderowzy wurden ursprünglich die Mitglieder der von Stepan Bandera 1940–1959 angeführten Partei der ukrainischen Nationalisten bezeichnet. Stepan Bandera (1909–1959) war ein bekannter ukrainischer Nationalist und Partisan. Er schloss sich bereits früh der Organisation Ukrainischer Nationalisten an, die im Zweiten Weltkrieg teilweise mit der Wehrmacht zusammenarbeitete. Die Person Bandera ist umstritten: Im Osten der Ukraine und in Russland gilt er zum Teil als Nazi-Kollaborateur und Kriegsverbrecher. Im Westen der Ukraine wird er oft als Nationalheld verehrt, da er die Unabhängige Ukraine ausrief und dafür von den Nazis verhaftet und ins KZ Sachsenhausen verschleppt wurde. Der Begriff Banderowzy beziehungsweise Bandera-Faschisten ist in staatsnahen Medien Russlands oft pauschal als Schmähformel für kremlkritische Ukrainer in Gebrauch. und Jubel ob des Russischen FrühlingsZwischen Februar und Oktober 2014 fanden in mehreren Süd- und Ostukrainischen Regionen Proteste gegen den Machtwechsel in Kiew statt. Diese Periode wird im russischen Sprachgebrauch als Russischer Frühling bezeichnet, der Begriff geht auf den nationalistischen Publizisten Jegor Cholmogorow zurück. Für das betroffene Gebiet etablierte sich in Russland kurzzeitig der historische Begriff Neurussland., es gab anschließend ein Umschalten der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit auf andere Themen. Und nun gibt es das Awdijiwka von heute, das nur noch als belangloser Hintergrund zu den Weltnachrichten läuft.
In der Zeit, als die Ukrainer sich ihrer Selbstwahrnehmung nach auf dem Höhepunkt eines Vaterländischen KriegesAls Vaterländischer Krieg ging Napoleons gescheiterter Feldzug gegen Russland im Jahr 1812 in die russische Geschichtsschreibung ein. Die russische Armee, für die der Überfall unerwartet kam, unternahm einen über mehrere Wochen dauernden Rückzug bis in die Tiefe des Landes hinein. Die erste große und blutige Schlacht, die für den Ausgang des Krieges entscheidend zu sein schien, fand in Borodino bei Moskau statt. Zwar hat die Grande Armée taktisch gesiegt und im Anschluss Moskau besetzt, jedoch waren die Verluste so groß, dass Napoleon bald selbst den Rückzug antreten musste. Im Dezember 1812 wurde Napoleons Armee an der russischen Grenze nahezu vollständig vernichtet. Mehr dazu in unserer Gnose befanden, scherzte in Russland die patriotische Öffentlichkeit, dass die russische Armee auf dem Schlachtfeld sogar dann gewinne, wenn sie gar nicht anwesend ist. Zwei Jahre später kommt dieser patriotische Witz wie ein Bumerang zurück: Die Abwesenheit der russischen Gesellschaft in diesem Krieg schützt sie in keiner Weise vor großen Traumata, die sich auch noch Jahrzehnte später durch völlig unerwartete Probleme bemerkbar machen können.
In Russland verhält sich mittlerweile eine breite Masse gegenüber lebendigen Menschen so, als seien diese Statisten in TV-Geschichten. Es gibt eine allgemeine Bereitschaft, über den Krieg nur noch in der Sprache einer frei erfundenen Geopolitik zu sprechen, eine Gleichgültigkeit gegenüber Todesopfern und ein Desinteresse daran, ob die russische Armee sich an Konflikten beteiligt, und wenn ja, auf welcher Grundlage. All das hat die russische Gesellschaft auf jeden Fall verändert.
Bisher ist nicht klar, wer stärker traumatisiert ist – der, der bei der Beerdigung geweint hat, oder der, der den Tag der Beerdigung verbracht hat, ohne auch nur entfernt daran gedacht und sich nicht im geringsten dafür interessiert zu haben. Statt des Russischen Frühlings ist jetzt Russischer Winter. Aber wenn sein Schnee schmilzt, werden Schmutz und Blut, die unbemerkt unter ihm liegen, noch ihre Rolle spielen.