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Was hat Myanmar mit dem Nordkaukasus zu tun?

In Deutschland hört man nur sehr wenig davon. Unter anderem im russischen Nordkaukasus erhitzt dagegen die Gewalt gegenüber den muslimischen Rohingya in Myanmar die Gemüter.

Während die myanmarische Friedensnobelpreisträgerin und faktische Regierungschefin Aung San Suu Kyi die Kritik der internationalen Gemeinschaft scharf zurückweist, hatte Tschetschenen-Oberhaupt Ramsan Kadyrow am Wochenende dazu aufgerufen, auf die Straße zu gehen: aus Protest gegen die gewaltsame Verfolgung der Rohingya. Nach offiziellen Angaben folgten dem Aufruf eine Million Menschen (eine Zahl, die unabhängige Beobachter allerdings anzweifeln). Auch in Moskau gab es eine nicht genehmigte Kundgebung vor der Botschaft Myanmars, weitere sind angekündigt.

Mit seiner Kritik an Myanmar stellt sich Kadyrow gegen die bisherige außenpolitische Linie Moskaus, das gute Beziehungen zu dem südostasiatischen Land pflegt – unter anderem auch mit Blick auf China, das Myanmar zu seiner Interessensphäre zählt. Noch im März hatten Russland und China eine UN-Resolution zum Schutz der Rohingya blockiert.

Was hat die Situation in dem südostasiatischen Land mit dem russischen Nordkaukasus zu tun? Was will Kadyrow erreichen? Und welche innenpolitische Lehre sollte Moskau aus den Protesten ziehen? Diese und weitere Fragen beantwortet Nordkaukasus-Experte Sergei Markedonov in seiner Analyse auf Carnegie.ru.

Quelle Carnegie

Dem ersten Anschein nach lassen sich nur schwerlich zwei Themen finden, die weiter auseinanderliegen als Myanmar und der Nordkaukasus. Im Frühherbst 2017 allerdings haben sie sich auf wundersame Weise verwoben. Die Meldungen über die Verfolgung der muslimischen Rohingya in einem fernen Land in Südostasien haben die nordkaukasischen Republiken wachgerüttelt. In Moskau wie auch im Nordkaukasus, etwa in der dagestanischen Hauptstadt Machatschkala, gab es nicht genehmigte Demonstrationen zur Unterstützung der Glaubensbrüder.

Nicht nur im Kaukasus - auch in Moskau protestierten Muslime am 3. September gegen die Verfolgung der Rohingya / Foto © Gennadiy Gulyaev/Kommersant

Im Kontext Russlands wirft das eine ganze Reihe drängender Fragen auf: Wie unabhängig sind die regionalen Führer, wie stark ist der Partikularismus im Nordkaukasus und wie heftig prallen staatliche und religiöse Loyalität aufeinander? Wobei Letzteres im Übrigen nicht nur den Nordkaukasus betrifft, sondern auch viele andere Regionen Russlands.

Aktionen zur Unterstützung der Muslime auch in Moskau

Es ist kein Zufall, dass die Aktionen zur Unterstützung der Muslime in Myanmar am 3. September nicht nur in den Republiken des Nordkaukasus, sondern auch in der russischen Hauptstadt stattfanden. Die Einbindung Tschetscheniens, das haben die Ereignisse der letzten 15 Jahre gezeigt, besteht nicht nur darin, dass Moskau in Grosny, sondern auch darin, dass Grosny in Moskau Einzug hält.

Können wir aber wirklich davon sprechen, dass die tragischen Ereignisse in Südostasien den russischen Teil der Kaukasusregion aufgerüttelt haben? Und in welchem Maße werden die regionalen Führer im Nordkaukasus künftig Einfluss auf die Außenpolitik Russlands haben?

In gewissem Sinne kam die heftige Reaktion auf die Verfolgung der muslimischen Rohingya unerwartet. Seit 2014 war der Nordkaukasus in den Schatten der Krim, des Donbass und Syriens getreten.

Bei genauerer Betrachtung ist der aktuelle Ausbruch gesellschaftlicher Aktivität (samt Protesten) jedoch keine Überraschung. Es geht hier nicht nur um Autonomie bei diesen oder jenen Entscheidungen oder um die Nichteinmischung Moskaus in viele menschliche Belange. Sondern es geht auch um die Freiheit, den ideologischen und auch (bis zu einem gewissen Grade) den außenpolitischen Weg selbst zu wählen.

Tschetschenien – eine völlig abgeschlossene Region?

In der westlichen Literatur wird üblicherweise von Tschetschenien als einer völlig abgeschlossenen Region gesprochen. Doch diese Abgeschlossenheit gegenüber westlichen Experten und Menschenrechtlern bedeutet keineswegs Abgeschlossenheit gegenüber einflussreichen Politikern und religiösen Akteuren aus den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. In den Jahren 2015 bis 2017 hat Ramsan Kadyrow Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrаin besucht; und zu seinen Gästen zählte der bekannte afghanische Politiker und General Abdul Raschid Dostum.

Nachdem das Oberhaupt Tschetscheniens auf Instagram die Lage der Dinge in Myanmar äußerst scharf kritisiert hatte, sprachen Blogger und Publizisten davon, dass der Nordkaukasus nun den Anspruch erhebe, an der Gestaltung der russischen Außenpolitik mitzuwirken. 

Ganz so stimmt das nicht: Denn der Nordkaukasus ist praktisch seit dem Zerfall der Sowjetunion daran beteiligt. Und während er anfangs eher als ein Objekt betrachtet wurde, als eine Art Indikator für die Stärke beziehungsweise Schwäche des postsowjetischen Russlands, so nimmt diese Region, die bei den Vereinten Nationen über keine eigene Vertretung verfügt, allmählich bestimmte Züge eines außenpolitischen Subjekts an.

Das Volk zeigt gegenüber der ganzen Welt: Wir lassen nicht zu, dass mit dem Islam gescherzt wird

„Indem sich das Volk im Zentrum von Grosny versammelt hat, zeigt es gegenüber der ganzen Welt, dass wir es nicht zulassen, dass mit dem Islam gescherzt wird, dass wir es nicht zulassen, dass die Gefühle der Muslime beleidigt werden.“ Diese Worte sind aus Ramsan Kadyrows Rede vom 19. Januar 2015 bei einer Aktion anlässlich der Geschichte um die französische Zeitschrift Charlie Hebdo. Seinerzeit war die Hauptstadt Tschetscheniens eine Art Plattform für die Haltung Wir sind nicht Charlie. Und man kann nicht behaupten, dass eine solche Position ausschließlich im Nordkaukasus auf Sympathie stieß.

Kadyrow hat in seiner Zeit an der Macht Erfahrung als Politiker gewonnen, der in der Öffentlichkeit steht, schnell reagieren kann und in der Lage ist, nicht nur seine Interessen deutlich zu machen. Vielmehr artikuliert er auch die Positionen des Teils der russischen Gesellschaft, der eine konsequent antiwestliche Haltung vertritt. Also die Haltung jener, die nicht einfach nur in Opposition zum Kurs der USA und der EU stehen, sondern auch für eine umfassende Mobilisierung im Landesinneren und einen „besonderen zivilisatorischen Weg“ eintreten. Und das ist eine der Folgen des Sonderstatus, den diese Teilrepublik Russlands genießt.

Kadyrow: Sowohl „Verteidiger der Muslime“ wie auch ein Feind des IS

Dieses „Besondere“, dieses „Eigene“ Tschetscheniens könnte nützlich sein. Schließlich verfügt Russland als multiethnisches und polykonfessionelles Land über Möglichkeiten, seine Außenpolitik nicht nur über die Strukturen des Außenministeriums zu verwirklichen, sondern auch über andere Kanäle. Ramsan Kadyrow hat sowohl das Image eines „Verteidigers der Muslime“ wie auch das eines Feindes des IS – Kadyrow bezeichnet letzteren als „Iblīs-haften“, also satanischen Staat. Insofern genießt er – als Partner bei Gesprächen mit einem afghanischen General oder arabischen Scheich – größeres Vertrauen als ein Absolvent einer Moskauer Hochschule, der aufgrund bürokratischer Notwendigkeiten für den Nahen Osten zuständig ist.

Wie wundervoll dieser Aspekt auch erscheinen mag – die Widersprüche zwischen allgemeinstaatlichen und konfessionell-regionalen Interessen sind nicht zu übersehen.

Die Stärkung der Beziehungen zu Peking fordert ganz offensichtlich eine zurückhaltende Reaktion Moskaus gegenüber Myanmar. Russland kann dabei nicht so vorgehen, wie es in Tschetschenien oder Dagestan populär wäre; es bedarf großer Flexibilität und komplexer Handlungen. So kommt die äußerst wichtige Frage auf: Wie kann man das Vertrauen aufrechterhalten – nicht nur das der eigenen Bürger, sondern auch das der regionalen Führer, die auf die Politisierung der Religion setzen?

Im Übrigen wäre es falsch, die Aufregung, die im Nordkaukasus wegen der tragischen Ereignisse in Südostasien herrscht, allein mit dem Phänomen Kadyrow und dem besonderen Status Tschetscheniens zu erklären. Unter den Bloggern und Aktivisten, die ein aktives Vorgehen Russlands gegen die Regierung in Myanmar fordern oder Moskau vorwerfen, eine Resolution des UN-Sicherheitsrates blockiert und chinesischen Ansprüchen nachgegeben zu haben, waren nicht nur Leute aus Tschetschenien allein, sondern auch aus anderen Republiken des Nordkaukasus.

Re-Islamisierung im Nordkaukasus Ende der 1990er Jahre

Die religiöse Identität des Nordkaukasus beruht nicht auf Kadyrow. Anfang der 1990er Jahre hat es in dieser Region hinreichend Konflikte gegeben. Aber der Faktor „Religion“ hatte damals nirgendwo eine erhebliche Rolle gespielt. Ende der 1990er Jahre änderte sich die Situation. Im Nordkaukasus erfolgte seinerzeit eine „Re-Islamisierung“ (so die treffende Formulierung des Kaukasus-Experten Achmet Jarlykapow), die auch jene Teile der Region erfasste, in denen die Religion traditionell eine geringere Rolle gespielt hatte (Kabardino-Balkarien, Karatschai-Tscherkessien, Adygeja, Stawropolski Krai).

Wie unabhängig sind die Republiken des Nordkaukasus? / Foto © Don-kun, Jeroencommons/Wikimedia unter CC BY-SA 3.0,

Hinzu kommt, dass die Verwurzelung der religiösen Identität in den verschiedenen Variationen – von Loyalität gegenüber der Regierung bis hin zu extremistischen Formen – nicht von selbst geschah. Sie erfolgte vor dem Hintergrund eines Niedergangs der weltlichen Institutionen (Polizei, Justiz) und einer Krise der gesamtstaatlichen Ideologie.

Die Re-Islamisierung hat eine Vielzahl widersprüchlicher Aspekte. Russland muss sich als ein Land, das im postsowjetischen Raum und im Nahen Osten eine aktive Rolle spielt, nicht nur als ein Staat der ethnisch russischen Welt positionieren, sondern auch als einer der, sagen wir mal, turksprachigen und der islamischen Welt. Aber Russland hat auch eine buddhistische Dimension, die nicht weniger wertvoll ist als alle eben genannten. Und so sind Versuche, die Politik der Regierung von Myanmar mit dem Buddhismus gleichzusetzen, äußerst gefährlich.

Somit ist die Situation in Myanmar und deren Echo im Nordkaukasus nicht allein das Problem einer einzelnen, für sich stehenden Region Russlands. Die Republiken des Nordkaukasus sind kein Ghetto und kein ethnographisches Refugium, sondern ein Gebiet, in dem die Probleme, unter denen das ganze Land leidet, besonders deutlich zutage treten. 

Im Nordkaukasus treten die gesamtrussischen Probleme deutlich zutage

Dass die Muslime in Russland aufgerüttelt sind, ist ein ernstzunehmendes Signal an Moskau. Solange man kein effektiver Schlichter ist, kein Vermittler zwischen den diversen Völkern und Regionen, solange man keine klaren Spielregeln und Grenzen des Erlaubten festgelegt hat, wird es nicht gelingen, einen starken Staat aufzubauen.

Bislang haben wir von den Amtsträgern in Russland keine schlüssige Erklärung dazu vernommen, welche Folgen der Konflikt in Südostasien haben wird, und auch nicht zu dem Umstand, dass unser Land oder Teile davon involviert sind. Es gibt auch keine Erklärungen, welche Interessen Russland verfolgt. Dieses Schweigen erzeugt ein Vakuum, das bald von anderen Ideologien gefüllt werden dürfte.

Das Gespenst von Myanmar im russischen Kaukasus ist eine Mahnung, dass es für Moskau an der Zeit ist, sich ungeachtet der wechselseitigen Sticheleien mit Washington und Brüssel den innenpolitischen Problemen zuzuwenden. Und zwar substantiell – nicht nur im Vorfeld von Wahlen oder beim Direkten Draht.

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Arbeitsmigration in Russland

Trotz der anhaltenden Rezession bleibt Russland ein Magnet für ausländische Arbeitskräfte und reihte sich im vergangenen Jahrzehnt stets in die Top-Fünf der Rangliste von Ländern mit der größten Anzahl von Immigranten ein.1 Die Mehrheit dieser Einwanderer stammt aus den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens. Arbeitsmigranten aus Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan fanden in Zeiten des Gas- und Ölbooms der 2000er Jahre Anstellung im Baugewerbe, dem Straßenbetrieb und dem Dienstleistungssektor. Doch die anhaltende wirtschaftliche Flaute stellt viele dieser, mit dem deutschen Lehnwort als Gastarbaitery bezeichneten, Migranten vor eine schwierige Wahl.
Die schwache heimische Wirtschaft und die autokratischen Regime Zentralasiens geben wenig Anlass zur Rückkehr. Gleichzeitig lassen die komplexe Rechtslage, der anhaltend schwache Rubel und oftmals miserable Arbeitsbedingungen das Arbeiten in Russland immer weniger lohnend erscheinen.

Der Zerfall der Sowjetunion brachte nicht nur die Entstehung von 15 unabhängigen Nationalstaaten mit sich, sondern verwandelte die vormals bloß verwaltungstechnischen Abgrenzungen zwischen den Ex-Sowjetrepubliken in konkrete Staatsgrenzen. Das GUS-Abkommen ermöglichte ehemaligen Sowjetbürgern, diese neuen Grenzen zu überqueren und sich bis zu drei Monate ohne Visum in anderen GUS-Mitgliedsstaaten aufzuhalten. Die schnell voranschreitende Deindustrialisierung, in Verbindung mit rasantem Bevölkerungswachstum in der Peripherie des früheren Sowjetreichs, machte aus diesem Recht auf Freizügigkeit häufig sogar eine Notwendigkeit.

Eine neue Generation postsowjetischer Bürger, zum Großteil aus dem ökonomisch hart getroffenen Zentralasien, versuchte im wirtschaftlich boomenden Russland der 2000er Jahre als Wanderarbeiter ihr Glück. Groß angelegte Bauprojekte und der zunehmende Bedarf an Serviceleistungen der neuen russischen Mittelschicht, sorgten für eine hohe Nachfrage nach ungelernten Arbeitskräften, die Russlands schrumpfende Bevölkerung selbst nicht befriedigen konnte.

ABHÄNGIG VON RÜCKÜBERWEISUNGEN

Dabei lassen sich allerdings nur die wenigsten der geschätzten vier bis fünf Millionen Saisonarbeiter aus Zentralasien dauerhaft in Russland nieder. Während der Wintermonate kehren viele Migranten zu ihren Familien zurück, die oft wirtschaftlich völlig von dem Einkommen aus der Saisonarbeit abhängig sind. Dementsprechend hoch ist der Anteil von Geldsendungen am Bruttoinlandsprodukt Zentralasiens. Rücküberweisungen von Migranten entsprachen zu Zeiten des russischen Wirtschaftswunders der Hälfte des BIP im ökonomischen Schlusslicht der ehemaligen UdSSR: Tadschikistan. Ähnlich in Kirgistan – hier entsprachen die Heimatüberweisungen nahezu einem Drittel des BIP.2

Dementsprechend hart traf der wirtschaftliche Abschwung im Zuge fallender Ölpreise und westlicher Sanktionen gegen Russland die zentralasiatischen Volkswirtschaften. Ähnlich schnell wie der Rubelkurs fielen auch die Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten. In US-Dollar gemessene Geldsendungen nach Tadschikistan brachen 2016 auf weniger als 50 Prozent des Vorkrisenniveaus ein; für Usbekistan liegt dieser Wert bei 40 Prozent.3
Jüngste Reformen im russischen Arbeits- und Migrationsrecht haben zudem den Erwerb einer Arbeitserlaubnis erheblich verkompliziert und verteuert. Einwanderer müssen seit 2015 innerhalb eines Monats nach Ankunft einen russischen Geschichts- und Sprachtest ablegen, ein Gesundheitszertifikat erwerben und einen Nachweis über Krankenversicherung vorlegen, bevor sie sich um die gebührenpflichtige Arbeitserlaubnis bemühen können.4
Kirgistans Bürger allerdings profitieren seit dem Eintritt in die Eurasische Wirtschaftsunion im August 2015 von der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb des Staatenverbunds und sind von diesen Auflagen befreit. So wurde Kirgistan weniger hart von der Krise getroffen – was der Regierung des widerwilligen Beitrittskandidaten Tadschikistan sicherlich nicht entgangen ist.

VERSCHÄRFTE GESETZE

Die Reformen im russischen Migrationsrecht waren ursprünglich dazu gedacht, Arbeitsmigranten, die oft unter prekären Bedingungen in einer rechtlichen Grauzone arbeiten, einen regulären Aufenthaltsstatus zu verschaffen. Doch es bestehen weiterhin Zweifel am Erfolg dieser Maßnahmen. So befinden sich mehrere hunderttausend Ausländer auf der sogenannten schwarzen Liste der russischen Migrationsbehörde. Ihnen wird aufgrund von Vergehen gegen das Aufenthaltsrecht oder anderer Gesetzesverstöße die erneute Einreise nach Russland für drei bis fünf Jahre untersagt. 

Migranten im Mediendiskurs

Nachdem der Ukraine-Konflikt lange Zeit das russische Fernsehen dominiert hatte, drohten 2017 wieder Migranten aus Zentralasien verstärkt zur Zielscheibe medialer Stigmatisierung zu werden. Nach dem tragischen Anschlag in der Sankt Petersburger U-Bahn, dessen mutmaßlicher Täter aus Kirgistan stammte, mehrten sich Stimmen, die ein „Russland für Russen“ fordern. Obwohl die fremdenfeindlichen Stimmungen in der russischen Gesellschaft seit 2016 rückgängig sind, sind sie immer noch auf einem sehr hohem Niveau.5 Auch vonseiten der russischen Regierung ist mit verschärften Kontrollen und größerer Überwachung zu rechnen, da nach Einschätzung des FSB Arbeitsmigranten aus GUS-Staaten zu den Hauptdrahtziehern der in Russland aktiven Terrororganisationen gehören.6

Die fremdenfeindliche Atmosphäre schreckt jedoch nur wenige ab, auch der krisenbedingte Rückgang der Zuwanderungszahlen war nur von kurzer Dauer. Von 2016 bis 2019 stiegen diese mitsamt der Heimatüberweisungen in die zentralasiatischen Länder auf neue Rekordhöhen7. 2019 betrug die Gesamtsumme der Rücküberweisungen von Migranten aus Russland laut Weltbank8 22,2 Milliarden US-Dollar – rund 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Russlands. 
Das Corona-Jahr 2020 stoppte diese Entwicklung weitgehend: Verglichen mit dem Vorjahr reisten von Januar bis November  nur halb so viele Ausländer nach Russland ein9, in Moskau lebten offiziellen Angaben zufolge rund 40 Prozent weniger Gastarbaitery als 2019. Viele von ihnen wurden arbeitslos10, ihre ohnehin schwierige Lebenslage in Russland wurde noch prekärer11
Zu Hause erwartet die zentralasiatischen Gastarbeiter aber eine kaum bessere Situation. Das insbesondere in Usbekistan und Tadschikistan von Repressionen geprägte politische Klima und die trüben wirtschaftlichen Aussichten werden trotz der schwächelnden russischen Wirtschaft und Corona wohl dafür sorgen, dass das Phänomen von Gastarbaitery in Russland auf absehbare Zeit bestehen bleibt.

aktualisiert am 19.01.2021


1.migrationpolicy.org: Russia: A Migration System with Soviet Roots 
2.The World Bank: Personal remittances, received (% of GDP) 
3.Cbr.ru: Statistika 
4.Aljazeera America: Ruble ripple: New Russian laws make Life difficult for migrant workers​ 
5. levada.ru: Ksenofobija v 2017 godu 
6.Echo.msk.ru: Direktor FSB A.Bortnikow: Trudovyje migranty načinajut sostavljat osnovnoj kostjak terrorističeskich grupp v Rossii 
7.oxussociety.org: Introducing the Central Asia Migration Tracker 
8.The World Bank: Migration and Remittances Data 
9.Ministerstvo vnutrennich del Possijskoj Federazii: Svodka osnovnych pokazatelej dejatel'nosti po migrazionnoj situazii v Rossijskoj Federazii za janvar' – nojab' 2020 goda 
10.RBK: Gastarbajtery podveli perevozku i dostavku 
11.Human Rights Watch: As Russia Faces an Economic Downturn, Migrant Workers are Paying the Price 

 

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