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„Das mit den Trollen war Prigoshins Idee“

Jewgeni Prigoshin ist Unternehmer. Weil ihm das einzige private Restaurant im Weißen Haus gehört, wird er auch „Putins Koch” genannt. Prigoshin soll außerdem Besitzer der Medienholding Föderale Nachrichtenagentur (FAN) sein und hinter der berühmt-berüchtigten Trollfabrik in Sankt Petersburg stecken. 2013 hatte es einige DDoS-Attacken auf unabhängige russische Medien gegeben. Auch die Novaya Gazeta war betroffen. 

Nun hat sie einen ehemaligen „Mitarbeiter“ Prigoshins getroffen: Andrej Michailow hatte bis 2013, als er und andere wegen Geldstreitigkeiten keine Aufträge mehr bekamen, tatkräftigen Einblick in Prigoshins Medienimperium bekommen.

Der Novaya Gazeta erzählt er ausführlich über von ihm inszenierte Fake-News (um Konkurrenten stolpern zu lassen), über eine Trollfabrik – und über Prigoshins „Bewilligt“-Stempel. 

Источник Novaya Gazeta

Denis Korotkow: Wie haben Sie Jewgeni Viktorowitsch Prigoshin persönlich kennengelernt?

Andrej Michailow: Ich wurde in eins der Büros auf der Wassiljewski-Insel eingeladen. Guljajew und ein paar seiner Leute waren da. Sie meinten, es gäbe da ein Projekt: Für ehrliche Medien oder so ähnlich. Damals hatten sie auch schon ihr eigenes Medienunternehmen angemeldet: Die Zeitung über Zeitungen. Es musste eine Website der Zeitung und andere Seiten erstellt und gleich mit Informationen gefüllt werden. Man bot mir an, mich um die organisatorischen Fragen zu kümmern. Als ich ein Angebot für das Projekt geschrieben hatte, brachte man mich zum Chef. Wir trafen uns in seinem Büro. Ein solides Büro mit Eichenmöbeln, geschmackvoll und pragmatisch eingerichtet, mit einem großen Bildschirm für Videokonferenzen. Ein Massagezimmer nebenan. 

Prigoshin war begeistert, holte gleich anderthalb Millionen aus dem Safe 

Ich wurde Prigoshin als jemand vorgestellt, der sich direkt um das Projekt Zeitung über Zeitungen kümmern würde. Ich habe ihm mein Konzept vorgestellt. 

Prigoshin war begeistert, holte gleich Geld aus dem Safe und gab mir anderthalb Millionen in bar für die ersten vier Ausgaben. Nach den ersten drei brüllte er aber rum, wir hätten alles verschissen, das Projekt müsste eingestampft und ich müsste … nun, sagen wir, ordentlich bestraft werden. Ich muss dazu sagen, dass er nie handgreiflich gegen mich geworden ist, gegen andere auch nicht, zumindest nicht in meiner Anwesenheit. Obwohl es derartige Gerüchte gab.

Was war das Konzept der Zeitung über Zeitungen

Was der Zweck davon war? Medien sollten gegen Bargeld fiktive Informationen veröffentlichen. Das haben sie auch getan.
Geplant wurde die Sache Ende Dezember 2012, eingetragen wurde die Firma Anfang 2013, glaube ich. 

Anfang 2013, da war doch die Geschichte mit Dimitri Bykow? Warum ausgerechnet Bykow?

Wir brauchten einen käuflichen Journalisten. Da kam uns die Idee mit Bykow, der kam bei uns von seiner Bedeutung her an zweiter Stelle, gleich nach Nawalny. 

Wir brauchten einen käuflichen Journalisten

Wir haben ihn vorgeschlagen und es hieß: Den nehmen wir! Bei Jewgeni Viktorowitsch [Prigoshin] musste es immer schnell gehen, für große Vorbereitungen war keine Zeit, alles musste rausgehauen werden. 

Bykow sollte etwas zur Unterstützung eines Lokalpolitikers sagen, der von unserem Mann, Sergej Solowjow, gespielt wurde. Von der Unterstützung eines Politikers wusste Bykow natürlich nichts, wir haben ihn reingelegt

Er hat sich mit Solowjow getroffen, einem respektablen Mann. Solowjow erzählte, dass er für irgendein Amt kandidieren wolle – der ganze Auftritt Bykows wurde gefilmt, und das, was er sagen sollte, hat er gesagt. Der Plan ging auf. (Das ist Michailows Interpretation. De facto hat sich Bykow nicht für den Politiker ausgesprochen, sondern sich nur für die Einladung bedankt. – Anm. d. Novaya Gazeta)

War das derselbe Solowjow, der den Geschäftsmann im russischen Forbes gespielt hat?

Das war schon die nächste Stufe. Es war keine gewöhnliche, sondern die Jubiläumsausgabe des Forbes. Darin gab es einen Artikel von unserem Solowjow mit nicht verifizierter Information und ohne Kennzeichnung als Werbung. Wir hatten zeigen sollen, dass man selbst beim Forbes alles kaufen kann. 

Wir sollten zeigen, dass man selbst beim Forbes alles kaufen kann 

Im Frühling 2013 wurden ausgerechnet am Tag des Sieges durch DDoS-Angriffe die Webseiten von Novaya Gazeta, Echo Moskwy, Moskowski Komsomolez, Doshd und Fontanka.ru lahmgelegt. Können Sie sagen, wer hinter dieser Aktion stand?

Wer den Angriff organisiert hat, weiß ich nicht, ich habe die Leute nie persönlich kennengelernt. Beauftragt wurden sie von einem unserer Männer, Kirill Fulde. Keine Ahnung, wo er heute ist und für wen er jetzt arbeitet. Maxim Bolonkin, der die Videobotschaft im Namen der Netzhamster aufgenommen hat – der Bewegung, die angeblich für den Angriff verantwortlich war – haben wir über mehrere Ecken gefunden und für viel Geld damit beauftragt.

Die Videobotschaft wurde direkt im Büro der Zeitung über Zeitungen aufgenommen. Wir hatten mehrere Pläne, die Netzhamster auszubauen, aber daraus wurde nichts. Jewgeni Viktorowitsch ist ein launischer Mensch. Heute will er so ein Projekt, morgen nicht mehr.

Wie viel hat die Aktion gekostet?

Zwischen fünf und sieben Millionen Rubel [damals etwa 120.000 bis 170.000 Euro – dek].

Wie werden solche Aktionen finanziert?

Wenn eine besondere Aktion durchgeführt werden muss, schreibt man ein Skript und macht einen Kostenvoranschlag. Wenn Prigoshin einverstanden ist, gibt er einem das Geld gleich bar oder setzt seinen „Beiwilligt“-Stempel drauf, und man holt es sich von der Buchhaltung.

Etwa zur selben Zeit sind Sie doch von punktueller zu flächendeckender Arbeit übergegangen. Es entstanden die Olgino-Trolle, die längst zum Meme avanciert sind. Wessen Idee war das?

Das war allein Prigoshins Idee. Manche behaupten ja, es sei ein Auftrag vom Kreml, eine Hausaufgabe, die Prigoshin im Tausch für milliardenschwere Kreml-Kontakte gemacht hätte. Aber nach allem, was ich gesehen und gehört habe, bin ich mir sicher, dass er keine Anweisungen erhalten, sich mit niemandem beraten und auch niemanden um Erlaubnis gefragt hat. 

Es gab keine Kommandotürme, alles ging direkt von Prigoshin aus. 

Das mit den Trollen war allein Prigoshins Idee, keine Hausaufgabe vom Kreml

Er hat sogar die Räumlichkeiten für die Trollfabrik selbst ausgesucht, das Gebäude in Lachta liegt auf dem Weg zu seiner Datscha (das Anwesen von Jewgeni Prigoshin befindet sich in der Feriensiedlung Venedig des Nordens am Lachta-See – Anm. d. Novaya Gazeta). Übrigens haben wir es nie Trollfabrik genannt, das ist ein Label, das uns die Journalisten übergestülpt haben und das sich beharrlich hält.

Welche Aufgaben hatten Sie bei den Trollen?

Zunächst mussten wir ein Gebäude mieten, parallel wurden schon Leute angeworben. 2013 war sehr viel los, da mussten viele Dinge gleichzeitig erledigt werden. Die Angestellten mussten nicht nur Informationen in Blogs unterbringen, sondern auch anhand von Schlüsselbegriffen Informationen der gegnerischen Position im Netz suchen.

Wie viele Leute haben am Anfang des Projekts für Sie gearbeitet? 

Anfangs waren es etwa 200. Es gab verschiedene Abteilungen. Die einen waren für die Ukraine, die anderen für die USA zuständig. 
Aber in Wirklichkeit waren die Trolle nicht besonders effektiv. Ich hatte parallel noch eine Mannschaft aus Profis, etwa zehn Mann, die sie locker übertrumpft hat.

Die Trolle waren nicht besonders effektiv

Können wir diese zehn Profis namentlich nennen?

Wir können diese Menschen nicht nennen, weil … Weil wir sie nicht nennen können. 

Ihre Tätigkeit beschränkte sich nicht allein auf Netzaktivität und betraf manchmal auch die Offline-Welt? Erzählen Sie doch, wie Sie Waleri Ameltschenko kennengelernt haben, der über die dreckigen Jobs von Prigoshins Leuten erzählt hat. Welche Aufgaben hat er für Sie oder die Organisation, für die Sie gearbeitet haben, erledigt?

Ich weiß nicht mehr genau, wahrscheinlich war es 2012 oder 2013. Ich habe ihn zufällig über Freunde von Freunden kennengelernt  …

Welche Aufgaben hat er erledigt?

Sie wollen sicher auf den Blogger aus Sotschi im Sommer 2013 hinaus. Da gab es so eine Sache. Dieser Blogger, [Anton] Grischtschenko, Huipster, hat falsches Zeug verbreitet, jemand musste mal ein ernstes Wort mit ihm reden. 

Aber warum gerade er? Wie kommt man auf ihn? Dass Dimitri Bykow ein potentielles Ziel ist, leuchtet ein. Aber wozu dieser Grischtschenko, von dem nie jemand etwas gehört hat?

Damals lief bereits eine zielgerichtete Suche nach negativen Kommentaren. Man fand bei ihm etwas sehr Beleidigendes gegen unseren Präsidenten Wladimir Wladimirowitsch Putin. Da hat Jewgeni Viktorowitsch ihn gleich als Kunden vorgeschlagen. Ich weiß nicht mehr genau, wer seine Daten besorgt hat. Jedenfalls wurden mir Videoaufnahmen von ihm gebracht, das lief über Guljajew. Es hieß, mit dem müsste man mal ein ernstes Wort sprechen, damit er sowas nie wieder macht.

Einmal mit einem Werkzeug gegen den Arm und fertig 

Verstehe ich Sie richtig, dass Ameltschenko für dieses „Gespräch“ mit seinem Partner Wladimir Gladijenko nach Sotschi geflogen ist?

Gladijenko ist ein Freund von Ameltschenko. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie sie dorthin gekommen sind und was sie dort gemacht haben. 
Huipster hat aufgehört zu bloggen und seine Accounts gelöscht, also haben sie ihre Aufgabe erledigt. Da war irgendetwas mit seinem Arm, aber das habe ich erst später von Ameltschenko erfahren, als die beiden schon zurück waren. Er meinte: einmal mit dem Werkzeug gegen den Arm und fertig. 

Mit was für einem Werkzeug?

Einem Eisenstab.

Haben Sie noch andere Aktionen außerhalb des Internets organisiert?

Ich sage doch, es lief alles parallel. 2013 war überhaupt ein verrücktes Jahr, ein Projekt nach dem anderen, im Internet und außerhalb. Im Herbst haben wir alle landesweit gegen RIA Nowosti gearbeitet.

Was gab es gegen die Nachrichtenagentur einzuwenden?

Ich vermute, Prigoshin wollte Mironjuk (Swetlana Mironjuk, die Chefredakteurin von RIA Nowosti – Anm. d. Novaya Gazeta) loswerden. Das lief unter dem Deckmantel: Prüft die größte Nachrichtenagentur ihre Informationen? Was die Ursache war und was als solche herhalten musste, kann ich nicht sagen.

Ich habe von Guljajew die Aufgabe bekommen, zu überprüfen, wie sauber die Infos sind. Mir Meldungen auszudenken, sie unterzubringen und Geld reinzupumpen. Dafür hatten wir uns Wladiwostok, Nowosibirsk und Petersburg ausgesucht. 

Es wurde ein Skript geschrieben, und es wurden Fake-Nachrichten erfunden. In Petersburg wurde eine neue Hunderasse gezüchtet. In Wladiwostok trat eine Zirkusmannschaft umsonst auf. Und anderes albernes Zeug, alles frei erfunden. Dann kam ein Mann von der Straße und brachte das bei RIA unter. 

Wie das ging? Man musste herausfinden, wer in der Redaktion für die Platzierung der Nachrichten verantwortlich war, dann redete man mit dieser Person. 

Diesem Nachrichten-Menschen wurde einfach Unsinn erzählt, später ließ man ihm über Dritte Geld zustellen, angeblich für die Unterbringung der Fake News. Das war dann der Beleg für seine Käuflichkeit. Selbstverständlich wurde alles gefilmt.

Gab es auch echte Abmachungen mit Journalisten von RIA?

Nein, die Leute, die die Nachrichten platziert haben, haben kein Geld genommen. Das war alles ein Spiel. Aber, dass sie die Nachrichten nicht verifiziert haben, stimmt. Sie haben ohne Überprüfung Fakes veröffentlicht.

Die Leute von RIA haben ohne Überprüfung Fakes veröffentlicht

Wenn die Arbeit erledigt war, wurde ein Bericht geschrieben, die Videos über die Käuflichkeit von RIA Nowosti geschnitten und Guljajew gegeben. Guljajew reichte das Ganze an Prigoshin weiter. Was Prigoshin damit machte, weiß ich nicht. Im Netz sind diese Videos, soweit ich weiß, nie aufgetaucht. Aber im Dezember 2013 musste Mironjuk ihre Stelle aufgeben, also war die Aufgabe erledigt. 

Wer hat diese Leute, die die Fakes zu RIA gebracht haben, angeheuert, vorbereitet und angewiesen?

Das war ich. In Petersburg waren es die einen, auf Reisen gingen andere. Aber allesamt Leute, die ich kannte und die auch für Prigoshin arbeiteten. Sie bekamen ein festes Gehalt für die Ausführung verschiedener Veranstaltungen, die Kosten für die gesamte RIA-Operation beliefen sich also nur auf die Flugtickets und Hotels.

Sie haben zugestimmt, uns nicht nur davon zu erzählen, wie Prigoshins Medienimperium entstanden ist, sondern auch von der Organisation der offenkundigen Provokationen in der realen Welt. Warum tun Sie das, und wie wird Prigoshin darauf reagieren?

Nun ja, im Wald war ich schon, ich hoffe, das machen sie nicht noch einmal. Aber ich will meinen ersten Waldtrip nicht ungestraft lassen. Eine Reaktion vorherzusagen ist schwierig, aber die Erfahrung zeigt, dass still hinter einem Baumstamm zu hocken, die schlechteste Art der Verteidigung ist.

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Jewgeni Prigoshin

Was ist der Unterschied zwischen einem Staat und einer Räuberbande? Diese Frage hat der Philosoph Augustinus im 5. Jahrhundert gestellt. Seine Antwort gehört zu den geläufigsten politikwissenschaftlichen Abgrenzungen: Es ist das Recht, was einen Staat ausmacht, eine Räuberbande steht vor allem für Willkür.

Im Rechtsstaatlichkeits-Ranking von The World Justice Project besetzt Russland 2022 Platz 107 von 140. Viele wissenschaftliche und journalistische Stimmen beschreiben das System Putin seit über anderthalb Jahrzehnten als eine Art Selbstbedienungsladen für die politische Elite: Die innere Stabilität dieser Kleptokratie würden zwar bestimmte ponjatija gewährleisten – eine aus dem Kriminellenjargon entlehnte Formel für einen informellen Verhaltenskodex. Nach Außen agiere das System jedoch oft in der rechtlichen Grauzone oder schlicht als ein Willkürregime. Aus dieser Logik heraus kann man auch den Aufstieg von Jewgeni Prigoshin erklären – und sein Ende.

Eigentlich ahndet das russische Strafgesetzbuch Söldnertum und Existenz privater Militärfirmen mit bis zu 15 Jahren Haft. Gefragt nach dem berüchtigsten Militärunternehmen Russlands sagte auch Wladimir Putin bei einer Pressekonferenz 2018: „Was Wagner angeht – [...] alles muss im Rahmen des Gesetzes bleiben“.1 

Zu dieser Zeit sind russische Söldner der Gruppe Wagner laut zahlreichen Hinweisen an den Kriegen in der Ostukraine, in Syrien, im Sudan und in der Zentralafrikanischen Republik beteiligt. Und der russische Unternehmer Jewgeni Prigoshin geht genauso wenig auf die Gerüchte ein, dass er der Gründer, Eigentümer und Leiter dieses Militärunternehmens sei, wie auch auf die Gerüchte, dass er hinter der sogenannten Trollfabrik stecke. Diese Hinweise liefern unter anderem offenbar auch2 US-amerikanische Geheimdienste, so dass die USA im Februar 2018 den Vorwurf gegen Prigoshin erheben, dass seine Unternehmen die US-Wahl 2016 manipulierten.3

Schon seit Dezember 2016 steht Prigoshins Name auf einer US-Sanktionsliste, seit 2017 auch seine weiteren Unternehmen, wegen Beteiligung am Krieg im Osten der Ukraine. Auf dieselbe Liste kam 2017 auch die Gruppe Wagner. Im Februar 2023 hat die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft außerdem ein Ermittlungsverfahren wegen Kriegsverbrechen gegen Prigoshin eingeleitet. 

Putins Koch, Kriegsverbrecher, Trumps Königsmacher, Russlands Cheftroll, -Propagandist, -Desinformator? Die Liste der Zuschreibungen und Vorwürfe an Prigoshin ist lang. Dabei waren seine Machenschaften lange Zeit ziemlich undurchsichtig, und erst im Zuge des russischen Überfalls auf die Ukraine wurde Prigoshin wirklich zu einem öffentlichen politischen Akteur.

„Koch“

Es ist offenbar ein unternehmerisch kluger Schritt von Jewgeni Prigoshin (geb. 1961), als er 1990 den – laut Eigenaussage – ersten Hotdog-Stand Leningrads aufmacht. Das Geschäft läuft, in kürzester Zeit betreibt Prigoshin schon eine kleine Hotdog-Kette, hinzu kommen später eine Supermarktkette und Restaurants. 

Dabei ist der Jungunternehmer 1990 erst seit zwei Jahren aus dem Gefängnis raus: 1979 wurde er wegen Diebstahl zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, 1981 wegen Diebstahl, Raub und Betrug zu 13 Jahren Haft. Angeblich soll Prigoshin laut Eigenaussage in den 2000er Jahren rehabilitiert worden sein, dass er deshalb aber wirklich eine weiße Weste habe, ist allerdings zweifelhaft.4 

Fest steht jedenfalls, dass Prigoshin 1988 begnadigt wird, 1990 ist er wieder in Leningrad, wo er angeblich Wladimir Putin kennenlernt, der in der Stadtverwaltung unter anderem für Glücksspiel-Lizenzen zuständig ist. Prigoshin engagiert sich auch im Casino-Business, und dem soll die frische Männerfreundschaft mit Putin förderlich sein. Jedenfalls isst Putin oft in Prigoshins Restaurants, und aus dem Wirt wird alsbald ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann. Er baut einen Catering-Service auf, betreibt prestigeträchtige Wirtshäuser und das Schiffrestaurant New Island, wo Putin unter anderem mit George Bush und Gerhard Schröder speist. Im Restaurant Staraja Tamoshnja, das ebenfalls Prigoshin gehört und als eine der ersten Adressen Sankt Petersburgs gilt, feiert Putin seine Geburtstage, Prigoshin betreibt das einzige private Restaurant im russischen Weißen Haus und hat seinen Spitznamen weg – Putins Koch.

„Troll“

Den Grundstein für seinen zweiten Spitznamen soll Prigoshin bereits zu jener Zeit gelegt haben, als der Begriff Trolling noch gar nicht richtig geläufig ist. 2011 beklagen sich Eltern aus Sankt Petersburg und Moskau im Netz über das Schulessen ihrer Kinder. Prigoshins mit Catering beauftragte Mischholding Concord steht am Pranger. Laut Recherchen engagiert der Gastronom daraufhin Trolle, die das Netz mit Lobliedern auf das Schulessen fluten. Das Prinzip funktioniert – die kritischen Kommentare der Eltern werden entweder auf die Schippe genommen oder gehen einfach in der Flut unter. Concord Catering wird zum Quasi-Monopolisten für Schulessen in Russlands Hauptstädten und sorgt auch für über 90 Prozent der Verpflegung russischer Streitkräfte.5 

Rund zwei Jahre nach dem Vorfall mit dem Schulessen wird zum ersten Mal über die sogenannte Trollfabrik gemunkelt. Vor dem Hintergrund des Euromaidan nimmt sie mutmaßlich unter dem Dach der Agentur für Internet-Recherchen in der Petersburger Uliza Sawuschkina Fahrt auf. 2015 wird die Agentur in Glawset unbenannt, laut Gerüchten soll diese „Nachrichtenagentur“ Teil einer Medienholding sein, die Jewgeni Prigoshin gehört. Sie heißt übersetzt Föderale Nachrichtenagentur (FAN), wurde 2014 gegründet und schaffte es innerhalb kürzester Zeit in die Top Ten der am meisten zitierten russischen Medien. Oft heißt die FAN schlicht Medienfabrik, laut einer investigativen Recherche von RBC ging sie aus der Trollfabrik hervor.6 

Beobachter vermuten, dass diese Trollfabrik hinter den russischen Netz-Angriffen im französischen Wahlkampf steckte oder auch hinter der auffallenden Menge russlandfreundlicher Social-Media Kommentare zu Themen wie dem Krieg im Osten der Ukraine. Auch die Überflutung von Angela Merkels Instagram-Account im Jahr 20157 soll aus dem unscheinbaren Gebäude an der Uliza Sawuschkina in Sankt Petersburg erfolgt sein. Da die FAN keine Gewinne erwirtschaftet, gilt sie Vielen als eine „patriotische Holding“, ein ehemaliger FAN-Redakteur meinte: „Gewinn wird nicht immer dort gemacht, wo auch Inhalte gemacht werden.“8 Sprich: Die FAN ist kein Medium im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr ein Propaganda- und Desinformationsinstrument.

„Patriot“

„Danke den geehrten amerikanischen Kameraden. Ich bin froh darüber, meiner Heimat nützlich zu sein.“9 Mit diesen Worten quittiert Prigoshin im Juni 2017 die US-Sanktionen gegen seine Unternehmen Concord Catering und Concord Management i Consulting wegen Beteiligung am russischen Krieg gegen die Ukraine. Gleichzeitig kommt auch die Gruppe Wagner auf die US-Sanktionsliste, Prigoshin streitet jede Beziehung zu der Söldnertruppe jedoch weiterhin ab. 

Mit dem großflächigen Überfall Russlands auf die Ukraine klingen die Dementis jedoch zunehmend halbherziger, und Ende September 2022 veröffentlicht die Presseabteilung der Firma Concord auf VKontakte einen Kommentar von Prigoshin: „2014, als der Genozid an der russischen Bevölkerung im Donbass begann [...] und ich wie so viele Unternehmer eine Gruppe zusammenstellen wollte, die Russen schützt, [...] habe ich selber alte Waffen gereinigt und Experten gesucht. [...] Von diesem Moment an, am 1. Mai 2014, wurde eine Gruppe von Patrioten geboren, die später den Namen Wagner erhielt.“10

Wegen der Hinweise auf Prigoshins Trolltätigkeit lässt es sich über diese Aussage wohl genauso spekulieren, wie darüber, ob bzw. weshalb Putin den mutmaßlichen Söldnerchef zeitnah tatsächlich mit weitreichenden Vollmachten für den Krieg ausstattet. Da die regulären Streitkräfte bei ihrer Invasion in die Ukraine seit Monaten verheerende Niederlagen kassieren, wird darüber gemunkelt, dass der Verteidigungsminister Sergej Schoigu bei Putin in Ungnade gefallen sei. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, warum manche Beobachter glauben, dass Prigoshins Stern etwa ab September 2022 aufgestiegen sei.11 Prigoshin wird jedenfalls zu einer Art Gesicht des Krieges, ihm zugeschriebene und andere Propaganda-Organe preisen seine Söldnertruppe als heldenhaft und effektiv. In Wirklichkeit gibt es zahlreiche Hinweise darauf, dass sie massive Kriegsverbrechen verübt, dabei aber immer weniger nennenswerte Kriegserfolge erzielt.12

„Kanonenfutter“

TschWK Wagner wirbt landesweit um Rekruten, Prigoshin rekrutiert allem Anschein nach selbst Insassen von Haftanstalten und verspricht ihnen Begnadigung13 (das Begnadigungsrecht übt in Russland der Präsident aus). Laut zahlreichen Analysten besteht die Kriegstaktik der Gruppe Wagner aus Artilleriefeuer und Frontalangriffen, die Söldner seien Kanonenfutter. Es gibt Hinweise auf Hinrichtungen von Deserteuren, „das ist ein sehr zynisches und unmenschliches System. [...] man rekrutiert tausende Söldner und überlässt sie ihrem Schicksal. Wenn sie sterben – umso besser“, sagt Militärexperte Pawel Lusin. 

Mit der Rekrutierung baut Prigoshin zunehmend auch seine Medienpräsenz aus: Er brüstet sich auf seinen und anderen staatsnahen Propagandakanälen mit den angeblichen Erfolgen von Wagner, spricht vor Kamera mit Söldnern, keift auf Telegram gegen die regulären Truppen des Verteidigungsministeriums, kritisiert öffentlich den Chef des Generalstabs der Streitkräfte Waleri Gerassimow, lanciert eine Kampagne gegen den Generaloberst Alexander Lapin, trollt Ende 2022 den Ex-Präsidenten Dimitri Medwedew: Dieser habe bei seinen Visionen der wirtschaftlichen Zukunft Russland „erotische Fantasien“.14 

Im Januar 2023 ernennt Putin Gerassimow jedoch zum Oberbefehlshaber über die russischen Kriegstruppen, Lapin wird zum Chef des Generalstabs des Heeres befördert, einen Monat später übernimmt das Verteidigungsministerium die exklusive Anwerbung von Gefängnisinsassen. Damit stärkt Putin Prigoshins Gegner und die regulären Streitkräfte, auch andere Hinweise deuten darauf hin, dass Prigoshins Stern seit Dezember 2022 untergeht.15

„Marsch der Gerechtigkeit“

Ist Putin ein gefährlicher Konkurrent erwachsen?16 Hat sich die Gruppe Wagner als genauso ineffektiv erwiesen wie die regulären Streitkräfte?17 

Über Putins Motive wird viel spekuliert, auch Prognosen hinsichtlich Prigoshins Zukunft sind Thema. Manche glauben schon im Februar 2023, dass Prigoshin nicht eines natürlichen Todes sterben wird: Elitenkonflikte seien in Putins Mafia-Staat systemisch, die russische Kleptokratie habe keinen Verbrecherkodex, das Willkürregime fresse sich selbst von Innen auf.18 Andere Beobachter sehen dagegen doch bestimmte innere Logiken des Regimes: Prigoshin habe sich bei den regulären Streitkräften unbeliebt gemacht und damit einen Loyalitätskonflikt provoziert. Denn für die Soldaten galt Prigoshin als ein Mann Putins, wenn dieser aber Kampagnen gegen das Verteidigungsministerium lanciert, dann erweckt das den Eindruck, dass die regulären Streitkräfte in Ungnade gefallen sind. Das Prinzip „teile und herrsche“ ist dabei offenbar an seine Grenzen gestoßen, letztendlich habe Putin die Stabilität seiner sogenannten Machtvertikale gefährdet gesehen und musste Prigoshin zurückpfeifen – was aber nicht heiße, dass Prigoshin eines Tages nicht doch noch eine zweite Chance bekommen wird.19 

Mit Prigoshins sogenanntem „Marsch der Gerechtigkeit“ auf Moskau am 23. und 24. Juni 2023 wurde dieses Szenario jedoch unwahrscheinlicher: Der Aufstand der Wagner-Gruppe zeigte, dass der Präsident den Söldnerchef offensichtlich nicht mehr zurückpfeifen konnte.

Bei seinem „Marsch“ sagte Prigoshin Dinge, für die Oppositionelle in Russland viele Jahre Haft bekommen würden: Weder die Ukraine noch die NATO hätten eine Bedrohung für Russland dargestellt. Der Krieg sei nur begonnen worden, „weil ein paar Typen sich aufplustern wollten“. 

Putin reagierte in einer Videobotschaft: „[…] womit wir es hier zu tun haben, ist Verrat. Unverhältnismäßige Ambitionen und persönliche Interessen haben zum Betrug geführt“. Am 29. Juni soll Putin offiziellen Angaben zufolge Prigoshin im Kreml empfangen haben. Angeblich hat er dem Wagner-Chef Sicherheitsgarantien gegeben. Am 23. August ist ein Flugzeug abgestürzt, in dem Prigoshin gesessen haben soll. Kaum ein Beobachter hat darin einen Unfall erkannt.


1.Zitiert nach: tass.ru: Putin: dejatel'nosti ČVK "Vagner" dolžna davat' ocenku prokuratura, esli est' narušenija
2.rbc.ru: Rassledovanie RBK: Kak iz „fabriki trollej“ vyrosla „fabrika media“
3.justice.gov: Case 1:18-cr-00032-DLF Document 1 Filed 02/16/18
4.meduza.io: Za čto v 1981 godu v SSSR sudili Evgenija Prigožina, kotorogo teper' ves' mir znaet kak «povara Putina». Publikuem tekst sudebnogo dokumenta
5.ru.krymr.com: „Bol’shoje Menju“ ljubimogo povara Putina
6.rbc.ru: Rassledovanije RBK: Kak iz „fabriki trollej“ vyrosla „fabrika media“
7.faz.net: Russische Trolle gegen Angela Merkel
8.rbc.ru: Rassledovanije RBK: Kak iz „fabriki trollej“ vyrosla „fabrika media“
9.Zitiert nach: ria.ru: Prigožin o sankcijach SŠA protiv ego firmy: rad, čto polezen svojej rodine
10.Zitiert nach: Press-služba kompanii "Konkord"
11.24 Kanal / Abbas Galljamov: U PRIGOŽINA sročno otbirajut ZEKOV! – GALLJAMOV razobral rešenie PUTINA
12.Michael Naki: Neožidannaja razvjazka konflikta Strelkova i Prigožina. Zakat kar'ery povara Putina? / 24 Kanal: PROGNOZ Majkla Naki: PRIGOŽIN visit na voloske!
13.meduza.io: Evgenij Prigožin verbuet zaključennych v ČVK “Vagner“
14.Zitiert nach: mk.ru: Prigožin nazval prognoz Medvedeva «ėrotičeskimi fantazijami»
15.Understanding war: Russian Offensive Campaign Assessment, January 22, 2023
16.Michail Zygar: Der russische Vorschlaghammer
17.24 Kanal: PROGNOZ Majkla Naki: PRIGOŽIN visit na voloske
18.ebd.
19.24 Kanal / Abbas Galljamov: U PRIGOŽINA sročno otbirajut ZEKOV! – GALLJAMOV razobral rešenie PUTINA
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