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RBC

Petersburger Trolle im US-Wahlkampf

Hat der Kreml die US-Wahl 2016 beeinflusst? Gerüchte gibt es schon länger, auch die US-amerikanischen Geheimdienste werfen Russland vor, die Wahl manipuliert zu haben. Ihr Hauptverdächtiger ist die sogenannte Trollfabrik, die unter dem Dach der St. Petersburger Nachrichtenagentur Glawset wirken soll. Untergebracht in einem unscheinbaren Gebäude an der Uliza Sawuschkina, soll sich hier demnach eine Zentrale für die nahezu industrielle Produktion von Falschinformationen befinden.

Nun bringt die Nachrichtenplattform RBC Licht in diese „Trollhöhle“ und recherchierte zu wichtigen Fragen: Wer steckt hinter der Kampagne zur US-Wahl? Wie teuer war sie? Der vielbeachtete investigative Artikel deckt die Mechanismen hinter der Aktion auf. 

Quelle RBC

Uliza Sawuschkina 55 –  seit vier Jahren Sitz einer Trollfabrik? / Foto © Alexander Korjakow/Kommersant

22. Oktober 2016. Die Stadt Charlotte im US-Bundesstaat North Carolina. Es ist ein sonniger Samstag. Einige Dutzend Menschen sind in den Central Park der Stadt gekommen. Allerdings nicht zum Spazierengehen, sondern zu einer Demonstration der afroamerikanischen Bevölkerung gegen Polizeigewalt. Die Protestierenden rufen am Brunnen des Parks Parolen, dann ziehen sie friedlich zum Eingang der örtlichen Polizeistation. Auf der Eingangstreppe zur Polizeiwache rufen sie einige Male: „Black Lives Matter!“ Eine populäre Parole und der Name einer Organisation, die sich für die Rechte schwarzer US-Bürger einsetzt.

Die Aktion in Charlotte war auf Facebook ordentlich beworben worden von der Gruppe BlackMattersUS, die mit der Organisation Black Lives Matter nichts zu tun hat. Die Verbindungen von BlackMattersUS reichen weit über die Grenzen der USA hinaus – bis nach Russland in die Uliza Sawuschkina 55 in St. Petersburg.

Diese Adresse im Primorski-Bezirk ist schon lange ein feststehender Begriff. Vor rund drei Jahren sind in das vierstöckige Gebäude in der Uliza Sawuschkina einige hundert junge Leute eingezogen, deren Hauptaufgabe es ist, patriotische Werte zu propagieren. Die Arbeit der Mitarbeiter dieser Trollfabrik (im Weiteren kurz: Fabrik), gegründet und finanziert vermutlich von dem Petersburger Geschäftsmann Jewgeni Prigoshin, bestand vor allem darin, unter fiktiven Namen non-stop Kommentare in Blogs und Sozialen Netzen des russischen Internet zu schreiben. Sie sollten das gegenwärtige Regime verteidigen, Oppositionelle kritisieren und politisch willkommene öffentliche Events unterstützen.

Die Trollfabrik in der Uliza Sawuschkina

Bald schon wurden in der Fabrik die anfänglich primitiven Methoden weiterentwickelt. Ungefähr zu dieser Zeit entstanden die ersten Portale, die dann zum Kern des Medien-Anteils der Organisation wurden, der sogenannten „Medienfabrik“. Eine komplette patriotische Holding, über die RBC im März 2017 berichtet hat und die mittlerweile monatlich über 50 Millionen Menschen erreicht.

Bis Mitte 2015 war die Fabrik auf 800 bis 900 Leute angewachsen. Auch das Instrumentarium hatte sich erweitert, hinzugekommen waren Videos, Infografiken, Meme, Reportagen, Nachrichtenmeldungen, Interviews, analytische Beiträge und eigene Gruppen in den Sozialen Netzwerken. Im Januar 2017 wurde dann in einem Bericht der US-amerikanischen Geheimdienste über die Einmischung Russlands in die US-Präsidentschaftswahlen neben dem Fernsehsender RT  [Russia Todaydek] die Agentur für Internetrecherchen erwähnt. Mutmaßlich war dies eine der ersten juristischen Personen im Rahmen der Trollfabrik (die hatte ihre Tätigkeit 2015 eingestellt und war Ende 2016 aus dem Handelsregister gestrichen worden). Bald nach der Wahl Donald Trumps wurden im US-Kongress und im Senat eine Reihe von Ausschüssen eingesetzt, die die Vorkommnisse untersuchen sollten.

US-amerikanische Firmen wie Facebook, Twitter oder Google arbeiten mit den Behörden zusammen und forschen auf ihren Plattformen nach Trollen. Westliche Medien, unter anderem The Wall Street Journal, The New York Times, CNN und The Daily Beast veröffentlichen fast täglich neue Details zu einer möglichen russischen Einmischung in die Präsidentschaftswahlen. Es werden immer neue Social-Media-Gruppen gefunden, die vor und nach den Wahlen aktiv waren, sowie Aufrufe und Veranstaltungen, die mit ihnen in Verbindung standen. Als Grundlage dieser Berichte dienen zuweilen einzelne Bilder und Videos gesperrter Gruppen.

RBC hat jetzt eigene Recherchen angestellt. Es ist uns gelungen, die Beteiligung von Mitarbeitern aus der Uliza Sawuschkina an 120 Gruppen und Themen-Accounts in Sozialen Medien aufzudecken und deren Existenz zu belegen, ihren Inhalt zu analysieren und die Gesamtausgaben für diese Kampagne zu berechnen. Rechtfertigt das Ausmaß der Auslandstätigkeit der Trollfabrik die Hysterie, die in den USA darum entstanden ist?

Es wurden nur Möglichkeiten getestet, es war ein Experiment. Und es hat funktioniert

Frühjahr 2015. Ein paar Leute sind vor einem Bildschirm versammelt. Auf dem Monitor des Computers ist ein recht monotones Bild zu sehen: Menschen kommen auf einen Platz in New York, lassen den Blick schweifen, schauen auf ihre Telefone, schauen sich noch einmal um und gehen nach einiger Zeit weg.

Einige Tage zuvor war auf Facebook mit einem Targeting auf die Bewohner von New York ein Event beworben worden: Man bekommt kostenlos einen Hotdog, wenn man zur richtigen Zeit am festgelegten Ort erscheint. Allerdings hat letztendlich niemand irgendein Würstchen bekommen. Dafür hatten andere Leute ihren Spaß: Mit Hilfe städtischer Überwachungs-Webcams wurde das Geschehen auf dem Platz online verfolgt, von St. Petersburg aus, aus einem Büro im ersten Stock der „Trollhöhle“.

Die Aktion sollte die Praxistauglichkeit einer Hypothese prüfen, nämlich, ob sich aus der Ferne eine Aktion in einer US-amerikanischen Stadt organisieren lässt. „Es wurden nur Möglichkeiten getestet, es war ein Experiment. Und es hat funktioniert“, erinnert sich ein Mitarbeiter der Fabrik, ohne seine Freude zu verhehlen. An jenem Tag, also fast anderthalb Jahre vor den Präsidentschaftswahlen in den USA, begann die eigentliche Arbeit der Trolle in der amerikanischen Internet-Community.

Im März 2015 wurde auf dem Portal Super Job eine freie Stelle als „Internet-Operator (nachts)“ ausgeschrieben. Für ein Gehalt zwischen 40.000 und 50.000 Rubel [etwa 590 und 740 Euro – dek] und mit Arbeitszeiten von 21.00 bis 9.00 Uhr (nach dem Schema „zwei Nächte arbeiten, zwei Tage frei“) wurde ein Mitarbeiter für ein Büro im Primorski-Bezirk gesucht: Zu den Aufgaben gehört das Verfassen von „nachrichtlich-informierenden und analytischen“ Beiträgen „zu einem vorgegebenen Thema“. Gefordert wird unter anderem „fließendes Englisch in Wort und Schrift“ sowie Kreativität.

Die freie Stelle wurde von der Petersburger Firma Internet-Issledowanija [dt. Internet-Recherche – dek] angeboten. Als Besitzer dieser Firma wurde damals Michail Bystrow geführt, ehemaliger Leiter der Verwaltung des Innenministeriums für den Moskowski-Bezirk von St. Petersburg. Er leitete auch die Agentur für Internetrecherchen und steht bis heute an der Spitze von Glawset, registriert unter der Adresse Uliza Sawuschkina 55 (Angaben von SPARK-Interfax).

Über Anzeigen dieser Art wurden in der Uliza Sawuschkina Leute rekrutiert, die die amerikanischen Social-Media-Gruppen in Echtzeit bearbeiten sollten, berichtet ein ehemaliger Mitarbeiter der Fabrik gegenüber RBC. Ein anderer ehemaliger Mitarbeiter ergänzt, dass seit Frühjahr 2015 zum Arbeitsfeld auch die „Diskreditierung der Kandidaten“ gehörte, die bei den Präsidentschaftswahlen in den USA antraten.

Wenn Facebook die Accounts der Trolle sperrt, kauft die IT-Abteilung Proxy-Server, teilt neue IP-Adressen zu, schafft virtuelle Betriebssysteme, und die Arbeit beginnt von Neuem, berichtet ein ehemaliger Mitarbeiter der Fabrik. Auch kaufen sie neue SIM-Karten oder Cloud-Nummern, es werden neue Zahlungskonten eröffnet und manchmal auch Dokumentenpakete zur Registrierung von Accounts, ergänzt ein Gesprächspartner von RBC aus der Fabrik. Für die IT-Versorgung werden monatlich bis zu 200.000 Rubel [knapp 3000 Euro – dek] ausgegeben, führt eine Quelle aus, die mit der Vorgehensweise der Organisation vertraut ist.

Einen sehr viel umfangreicheren Ausgabenposten stellen die Gehälter dar. Bis zum Sommer 2016, also innerhalb eines Jahres, hatte sich die Zahl der Mitarbeiter der Amerika-Abteilung in der Uliza Sawuschkina fast verdreifacht, auf 80 bis 90 Personen. Das sind rund zehn Prozent derjenigen, die der Fabrik zugeordnet werden können.

Die Köpfe der Trollfabrik

Chef der gesamten Fabrik ist de facto der 31-jährige Michail Burtschik, wie RBC berichtet hatte. Er war früher Besitzer der IT-Firmen VkAp.ru und GaGaDo und Herausgeber kommunaler Zeitungen. Burtschik hat nie offiziell bestätigt, dass er Chef der Fabrik sei oder im Büro in der Uliza Sawuschkina arbeite.

Gegenüber RBC meinte er jedoch, dass er Medien berate, „als Fachmann für die Förderung und Entwicklung von Internet-Projekten“. Burtschik hat mit etwa 20 bis 30 Leuten zu tun, die ihrerseits wiederum, je nach Aufgabenbereich, Teams von zehn bis 100 Mitarbeitern leiten, beschreibt ein Informant der Fabrik das Arbeitsmodell.

Auf die Frage, wer die Amerika-Abteilung leite, nannten Gesprächspartner gegenüber RBC einhellig den 27-jährigen in Aserbaidschan geborenen Ceyhun Aslanov. Einem Korrespondenten von RBC gegenüber hat Aslanov diese Information dementiert. Als Quellen dienten RBC ein aktueller Mitarbeiter der Fabrik, ein ehemaliger Mitarbeiter der Amerika-Abteilung sowie eine Person, die mit der Tätigkeit der Organisation vertraut ist. Neben diesen mündlichen Angaben liegt RBC noch eine Mitteilung aus einem Telegram-Chat vor, die Aslanov verfasst hat und in der es um die Zwischenergebnisse der Fabrik-Arbeit in den USA geht.
Aslanov war Ende der 2000er Jahre aus der Stadt Ust-Kut (Gebiet Irkutsk) nach St. Petersburg gezogen, um dort an der Hydrometeorologischen Universität Wirtschaft zu studieren. 2009 verbrachte er einige Monate in den USA, besuchte dabei New York und Boston und fuhr 2011 nach London, wie aus den öffentlichen Informationen auf Aslanovs Profil bei Vkontakte hervorgeht. Aktuell gehören dem mutmaßlichen Leiter der Auslandsabteilung der Fabrik zwei Firmen mit Spezialisierung im Werbe- und Online-Geschäft. Eine der Firmen namens Asimut bietet Dienste an, mit denen Accounts in Sozialen Netzen gepusht werden, erzählte Aslanov und bot dem Korrespondenten von RBC sogar seine Hilfe an, um dessen persönliche Seiten hochzubringen.

Eine Million Euro für Gehälter

Ein beträchtlicher Teil des Content in den englischsprachigen Gruppen wurde auf Facebook mittels eingetakteter Postings veröffentlicht. Von der Gesamtbelegschaft der Auslandsabteilung arbeiteten rund zehn Mitarbeiter in Nachtschichten, die übrigen hatten eine normale Arbeitswoche (fünf Arbeitstage, zwei Tage frei). Der Budgetposten für die Gehälter der Amerika-Abteilung in der Uliza Sawuschkina liegt bei 60 bis 70 Millionen Rubel [knapp eine Million Euro – dek] jährlich. Trolle der unteren Ebene erhalten rund 55.000 Rubel [etwa 800 Euro – dek] (plus Prämien, wenn Mitglieder der Gruppen reagieren), Administratoren verdienen 80.000 bis 90.000 [etwa 1200 Euro – dek] und Führungskräfte 120.000 [1700 Euro – dek] aufwärts. Diese Zahlen nennen ein ehemaliger und ein aktueller Mitarbeiter der Fabrik.

RBС liegt eine Liste mit fast 120 Gruppen und Themen-Accounts auf Facebook, Instagram oder Twitter vor, die bis zum August 2017 aktiv waren. Die Echtheit dieser Liste wird durch Screenshots mit Posts der Gruppen und der einzelnen Accounts bestätigt, die von den internen Panels der Administratoren aus gemacht wurden (ebenfalls gesperrt). Der Mitwirkung der Trolle an dieser Liste wurde RBC von einem Informanten aus dem engeren Umfeld der Fabrik-Leitung bestätigt. Darüber hinaus ist über die Hälfte der Twitter-Accounts auf Telefonnummern mit der russischen Ländervorwahl +7 registriert, wie aus der Passwortwiederherstellung hervorgeht.

Zusätzlich hat RBC Linguisten gebeten, sieben Veröffentlichungen aus den Social-Media-Gruppen zu analysieren, die auf der Liste stehen. Die Autoren der Posts waren in vielen Fällen Russen. Ronald Meyer, Adjunct Associate Professor an der Columbia-Universität, und seine Kollegin Alla Smyslova, Direktorin des Programms für russischen Spracherwerb, haben hierfür „hinreichend Belege“ gefunden. Sie verwiesen auf wörtliche Übersetzungen aus dem Russischen (z. B.: „sitting on welfare“ – sidet’ na possobii / auf Stütze sitzen), auf Fehler in der Zeichensetzung ( Kommata vor „that“), auf fehlende Artikel und überhaupt auf „merkwürdige“ Formulierungen.

Jekaterina Tschegnowa, Direktorin der Sprachenschule Star Talk, und der Englischlehrer Dimitri Bulkin meinten allerdings, dass die Publikationen in „recht sauberem Englisch“ geschrieben seien. Deshalb könne man davon ausgehen, dass die Verfasser Muttersprachler seien. Zum Teil könnte das damit zusammenhängen, dass die Trolle immer wieder Teile ihrer Posts von „echten“ US-Amerikanern übernehmen.

Weniger als 100 Personen haben wöchentlich mehr als 1000 Beiträge verfasst und gepostet. Die Reichweite betrug beispielsweise im September 2016 durchschnittlich 20 bis 30 Millionen Nutzer. Wie ist es den Trollen gelungen, die User für ihre Fabrik-Inhalte zu interessieren?

Das Erfolgsrezept der Trollfabrik

Am 28. Februar 2017 hat sich Trump-Spitzenberaterin Kellyanne Conway bei einem Staatsempfang im Oval Office des Weißen Hauses mit Schuhen auf ein Sofa gekniet. Das Bild löste in den Sozialen Netzwerken einen Sturm der Entrüstung aus: Sie in dieser Position im Vordergrund und der Präsident im Hintergrund, wie er gerade mit den Direktoren der speziell für die schwarze Bevölkerung gegründeten afroamerikanischen Colleges und Hochschulen (HBCU) vor den Kameras posiert. Conway sei Respektlosigkeit gegenüber dem Oval Office, dem US-amerikanischen Volk und seinem Präsidenten vorgeworfen worden, hieß es in der BBC.   

Am selben Tag reagierte die Bloggerin Jenn Abrams mit zwei Tweets auf die Kritik an Conways Verhalten: Ein Bild zeigte den Ex-Präsidenten Barack Obama mit den Füßen auf dem Tisch, das zweite wiederum den ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton mit Monica Lewinsky im Arm. Beide Fotos wurden im Oval Office gemacht. Diese Beiträge bekamen insgesamt circa 1000 Retweets, 1,3 Millionen Likes und wurden von der britischen Zeitung Independent aufgegriffen. Backlinks zu Abrams Beiträgen wurden von RBC unter anderem auf den Webseiten von Aljazeera, Elle, Business Insider, BBC, USA Today und Yahoo gefunden. Der Account @Jenn_Abrams, der unter einer Telefonnummer mit der Vorwahl +7 registriert wurde, und die Homepage Jennabrams.com sind aktuell nicht verfügbar.

Die Fabrik hatte Dutzende von Accounts wie den von „Jenn Abrams“. Um die zehn Mitarbeiter der amerikanischen Abteilung waren für Twitter zuständig. Ihre Aufgaben hätten nicht den Wahlkampf selbst betroffen, sondern im Einrichten von Accounts und im Durchführen von Flashmobs bestanden, die von großen Medien und zentralen Medienpersonen aufgegriffen werden sollten, erzählt ein Mitarbeiter der Fabrik.

Mehr Clinton als Trump

Laut einer Quelle aus dem Umfeld der Fabrik-Leitung wurde fast der gesamte US-bezogene Content der Fabrik weniger zugunsten eines konkreten Kandidaten als zu „sozial brisanten Themen“ erstellt. Es sei quasi rein zufällig zu Übereinstimmungen mit Trumps Rhetorik gekommen, was ein Informant als „Korrelation“ und nicht etwa als direkte Unterstützung bezeichnet.

„Wir hatten nicht den Auftrag, Trump zu unterstützen. Alle Probleme waren unmittelbar auf die Arbeit der damaligen Regierungspartei [der Demokraten Anm. d. Red.] zurückzuführen. Als ihre Vertreterin trägt Hillary [Clinton Anm. d. Red.] eine Mitschuld“, sagt ein anderer. Die Analyse hunderter Publikationen ergab, dass Clinton in den Posts der Trolle wesentlich öfter vorkam als Trump.

„Teilt das, wenn ihr glaubt, dass Muslime an 9/11 unbeteiligt waren. Seht euch an, wie viele Menschen die Wahrheit kennen“ (Post von United Muslims of America vom 11. September 2016). „Clinton besteht darauf: ‚Wir haben keinen einzigen Amerikaner in Libyen verloren‘. Die vier mit Fahnen zugedeckten Särge waren nicht leer, Hillary“ (Being Patriotic zu Clintons Verhalten ob der nationalen Tragödie vom 8. September 2016). In einer Stellungnahme hat Facebook darauf hingewiesen, dass ein Großteil der gesperrten Beiträge Themen wie LGBT, Rassismus, Immigration oder Waffenbesitz betraf und „das ganze ideologische Spektrum umfasste“.   

Die Gesamtzahl der Fans und Follower der etwa 120 gesperrten Gruppen und Accounts betrug nahezu sechs Millionen, nach Berechnungen von RBC waren davon über die Hälfte auf Facebook und ein Drittel auf Instagram. Unterteilt man die gesperrten Gruppen nach Themen, so wird deutlich, dass die Trolle meistens politische Konflikte anheizten, und ethnische, vor allem mit Bezug auf die Probleme der schwarzen US-Bevölkerung. Insbesondere für die massenhafte Streuung dieser Themen wurde das Marketingbudget in Sozialen Netzwerken verwendet.

„Es ist verboten, mich im Fernsehen zu zeigen, weil ich zu gewalttätig war. Klick auf Gefällt mir und Teilen, wenn du mich als Kind im Fernsehen gesehen hast, eine Pistole besitzt und niemanden angeschossen oder umgebracht hast!“ Dieses Posting wurde am 9. März in der Facebook-Gruppe South United veröffentlicht. Inmitten des Textes ist ein Bild, das die Zeichentrickfigur Yosemite Sam zeigt. Die Reichweite dieses Beitrags betrug über 17 Millionen Nutzer, 1,6 Millionen haben darauf reagiert, lediglich 3000 Nutzer haben den Beitrag auf ihrer Chronik verborgen und neun haben ihn als Spam gemeldet, wie sich aus einem Screenshot schließen lässt.

Die Zahl der Fabrik-Beiträge auf Facebook mit vergleichbarer Reichweite lässt sich an zwei Händen abzählen. Darunter war ein Post über Veteranen und Flüchtlinge, der in der Gruppe Being Patriotic über 17,2 Millionen Personen erreicht hat. Gerade mal an die 20 Posts hatten eine Reichweite von einer Million Nutzern. Nach Berechnungen von RBC sieht die Statistik bei Twitter ganz ähnlich aus. Es gibt zwar mehrere hundert Tweets, die zehntausende Views hatten, der Löwenanteil der Tweets hatte allerding bestenfalls 1000 Views.  

Ein Marketingbudget von 5000 US-Dollar pro Monat

Einer internen Statistik, die RBC vorliegt, kann man entnehmen, dass das Marketingbudget in Sozialen Netzwerken etwa 5000 US-Dollar pro Monat betrug, beziehungsweise 120.000 US-Dollar für den Zeitraum von insgesamt zwei Jahren. Diese Zahlen bestätigte ein Informant aus der Organisation gegenüber RBC.
Der wesentliche Teil des Werbeetats der Fabrik war jedoch nicht etwa für die Promotion der Gruppen an sich vorgesehen, sondern für eine Potenzierung der Hotdog-Erfahrung.   

Im Mai 2016 erhielt Micah White, ein bekannter amerikanischer Aktivist und Mitbegründer der Bewegung Occupy Wall Street, eine E-Mail von einem gewissen Yan Davis. Dieser gab sich als ein freier Mitarbeiter der Organisation BlackMattersUS aus, die sich den Problemen der afroamerikanischen Bevölkerung widmet, und bat um ein Telefoninterview. Der Aktivist willigte ein und gab ihm seine Nummer, die anschließende Unterhaltung kam ihm allerdings seltsam vor. „Die Verbindung war schlecht und ich glaube, der Interviewer war kein Muttersprachler“, erinnert sich White gegenüber RBC. White war 2014 vom Magazin Esquire zu einem der einflussreichsten Menschen unter 35 gekürt worden.

Jetzt ist das Interview nur noch auf der Webseite BlackMattersUS verfügbar. Außer des Tumblr-Accounts sind die Seiten der Plattform auf Facebook, Twitter und Instagram mit insgesamt über 250.000 Fans und Followern nicht mehr aufrufbar. Auch das Facebook-Profil von „Yan Davis“ wurde deaktiviert. RBC hat versucht, die Person über die Adresse zu kontaktieren, über die auch White mit dem „freien Journalisten“ kommuniziert hat, aber nach Meldung des Dienstes Readnotify wurde die E-Mail nicht geöffnet. Der Account @BlackMattersUS ist bei Twitter auf eine Telefonnummer mit der Vorwahl +7 registriert. Laut Angaben eines fabriknahen Informanten von RBC waren die Mitarbeiter, die in Nachtschichten Kommentare in Gruppen beantworteten, auch für den Beziehungsaufbau zu verschiedenen amerikanischen Aktivisten verantwortlich.

BlackmattersUS – geführt aus Russland

Im Gegensatz zu einem Großteil der von der Fabrik geführten Gruppen, wurde BlackMattersUS als ein nichtkommerzielles Nachrichtenportal mit eigener Redaktion präsentiert: Jeder konnte den Kampf gegen Rassismus durch Spenden über PayPal auf ein Gmail-Konto mit dem Nutzernamen xtimwalters unterstützen. Auf der Webseite werden neben Yan Davis sechs weitere Redaktionsmitglieder gelistet. RBC hat außerdem von noch zwei „Mitarbeitern“ Twitter-Accounts gefunden: Einer davon ist gesperrt, der andere seit 2016 inaktiv.   

BlackMattersUS gelang es, ein ganzes Interview-Portfolio mit bekannten Bürgerrechtlern zu erstellen, die sich für die Gleichstellung dunkelhäutiger US-Amerikaner einsetzen. Der Kontakt mit ihnen bestand nach den Interviews weiter: Besagter White erhielt von Yan Davis im Folgenden mehrere E-Mail-Anfragen mit der Bitte, die Aktionen von BlackMattersUS zu unterstützen. So sollte er über seinen Account Informationen zu einem Protest am 14. Oktober 2016 im Gebäude des Strafgerichts von New Orleans teilen. An diesem Tag wurde der Prozess gegen den Afroamerikaner Jerome Smith wiederaufgenommen, der 1986 wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Wie man auf der Seite von BlackMattersUS nachlesen kann, sei geplant gewesen, dass die Protestierenden nach der Kundgebung die Anhörung besuchen. RBC konnte jedoch nicht in Erfahrung bringen, ob tatsächlich jemand an der Protestaktion teilgenommen hat. Die Facebook-Seite der Veranstaltung wurde gesperrt.

Mehr Belege gibt es hingegen für die anfangs erwähnte Demonstration gegen Polizeiwillkür, die ebenfalls im Oktober 2016, zwei Wochen vor der Präsidentschaftswahl, in Charlotte stattfand. Kurz vor Beginn der Veranstaltung kontaktierten Akteure der Gruppe BlackMattersUS per Facebook den lokalen Aktivisten und Leiter der Initiative Living Ultra-Violet Conrad James. Er sei gebeten worden, bei der Durchführung der Protestaktion zu helfen, berichtet James. Dieser erklärte sich nicht nur dazu bereit, sondern mobilisierte weitere lokale Bürgerrechtler, Afroamerikaner und andere Minderheiten. Er selbst erschien sogar mit Megafon bei dem Protest.

Nach der Wahl: Anti-Trump-Posts

Einige Wochen nach Trumps Wahl zum US-Präsidenten habe in Charlotte eine weitere, von James zusammen mit BlackMattersUS organisierte, Kundgebung stattgefunden, erzählt der Aktivist. Unter dem Motto „Charlotte against Trump“ versammelten sich mehrere Dutzend Gegner des neugewählten Präsidenten. Solche heftigen Positionswechsel der Fabrik lassen sich damit erklären, dass in der Uliza Sawuschkina völlige Gleichgültigkeit darüber herrscht, wer das andere Land letztendlich regiert.

Durch die Initiative von BlackMattersUS seien in den USA im Zeitraum von 2016 bis 2017 etwa zehn Veranstaltungen durchgeführt worden, berichtet ein mit der Arbeit der Fabrik vertrauter Informant. Seine Aussagen werden von organisationsinternen Berichten über die Aktionen bestätigt und von Bildern illustriert, die bisher unveröffentlicht geblieben sind (sie liegen RBC vor). Die an den Aktivitäten von BlackMattersUS beteiligten Bürger vor Ort hätten nicht gewusst, dass hinter der Organisation Trolle von der Uliza Sawuschkina standen, versichern ein Angestellter der Fabrik sowie ein ehemaliger Mitarbeiter der Amerika-Abteilung. Beide betonen, dass es keinerlei Dienstreisen aus St. Petersburg in die USA gegeben habe.    

Unterm Strich konnten die Trolle, die sich in den Sozialen Netzwerken unter falschen Namen als Mitarbeiter von Gruppen ausgeben, etwa 100 nichtsahnende ortsansässige Aktivisten mobilisieren, die bei der Umsetzung durch ihr Offline-Engagement halfen. 

Über die Social-Media-Gruppen der Fabrik wurden in den USA rund 40 Kundgebungen und Aktionen verschiedener Art organisiert, wie aus internen Berichten hervorgeht. Dabei kamen einige dieser Veranstaltungen erst in die amerikanischen Medien, nachdem Facebook die Informationen zu den gesperrten Beiträgen und Accounts an den Kongress übergeben hatte. So hatte Being Patriotic im August 2016  die Bewohner von 17 Städten Floridas über Facebook dazu eingeladen, an Unterstützungskundgebungen für Trump teilzunehmen, der zu diesem Zeitpunkt noch Präsidentschaftskandidat war. Mindestens zwei dieser Veranstaltungen haben auch tatsächlich stattgefunden, stellten die Journalisten von The Daily Beast in einer investigativen Recherche zu Being Patriotic fest.  

Konnten wir den Wahlausgang beeinflussen? Natürlich nicht

Die Ausgaben der Fabrik für die Arbeit der lokalen Organisatoren – darunter Inlandsflüge, Druckproduktion, Technik und ähnliches – beliefen sich monatlich auf circa 200.000 Rubel [knapp 3000 Euro – dek], wie RBC aus organisationsnahen Kreisen berichtet wird. Somit betrugen diese Kosten für zwei Jahre insgesamt fünf Millionen Rubel, beziehungsweise 80.000 US-Dollar, und damit etwas weniger als die Marketing-Ausgaben in den Sozialen Netzwerken.

Heute zählt die Amerika-Abteilung in der Uliza Sawuschkina etwa 50 Mitarbeiter. Diese namen- und gesichtslose Gruppe gilt in der aktuellen Berichterstattung US-amerikanischer Medien als geradezu wichtigster Motor für den Wahlsieg Trumps. US-Präsident Trump selbst hat zu den Vorwürfen über eine mögliche Einmischung der russischen Trolle in die Präsidentschaftswahlen nie eine klare Stellung bezogen.

Statt Präsident Putin reagierte dessen Pressesprecher Dimitri Peskow auf die Vorwürfe. „Wir wissen nicht, von wem und wie Werbung auf Facebook platziert wird und haben so etwas auch nie gemacht. Von russischer Seite gab es keinerlei Beteiligung daran“, erklärte er bei einer Pressekonferenz. Quellen aus dem Umfeld der Fabrik-Leitung beteuern, dass es „keinerlei direkte Zusammenarbeit mit Vertretern der Präsidialverwaltung gab“. Die von RBC an Prigoshin adressierte Anfrage blieb bis dato unbeantwortet.  

Unterdessen führt die amerikanische Abteilung ihre Arbeit fort, wie ein derzeitiger und ein ehemaliger Mitarbeiter berichten. Aus dem Gebäude in der Uliza Sawuschkina würden nach wie vor englischsprachige Gruppen mit einer Gesamtreichweite von rund einer Million Menschen betrieben, so ein Angestellter. Und ein Informant aus dem Umfeld der Fabrik-Leitung sagt:

„Konnten wir den Wahlausgang beeinflussen? Natürlich nicht. Konnten wir unentschiedene Staaten zugunsten von Trump beeinflussen? Möglicherweise. Aber die Ergebnisse haben uns selbst umgehauen. Wozu wir das alles machen? Einfach aus Spaß an der Freude.“ 

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Lenta.ru ist ein Online-Nachrichtenportal, das Newsticker, Themen-Artikel und Meinungsbeiträge kombiniert. Mit über acht Millionen Besuchern monatlich ist die Ressource eine der populärsten ihrer Art im russischen Internet. Im März 2014 sorgte die Entlassung der Chefredakteurin für Diskussionen über die Ukraine-Berichterstattung und politische Zensur im Internet.

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VKontakte

Immer wieder hört man auch im westlichen Internet von einem russischen Projekt namens VKontakte (VK) munkeln. Dort, heißt es, sei alles chaotischer, rauer – aber auch freier. Manche sehen in VK gar eine Fluchtmöglichkeit aus facebook und allgemein aus dem „überregulierten“ europäischen Netz. Tatsächlich ist auf VK im Vergleich zu seinem amerikanischen Konkurrenten viel mehr erlaubt, mit daraus resultierenden Diskussionen um Copyright-Verletzungen, Daten- und Minderheitenschutz.

VKontakte (sprich: fkontaktje, wörtlich „in Kontakt“) selbst bezeichnet sich schlicht als „Europas größtes soziales Netzwerk mit mehr als 100 Millionen aktiven Nutzern“. Das Unternehmen markiert damit ungeachtet der räumlichen und sprachlichen Verortung in Russland seine Positionierung im globalen Web.1 VK ist auch in Ländern des postsowjetischen Raums mit einem hohen russischsprachigen Bevölkerungsanteil beliebt, etwa in Belarus, der Ukraine oder Kasachstan. Laut Alexa Internet Ranking gehört das Netzwerk, das seinen Hauptsitz in St. Petersburg am traditionsreichen Newski-Prospekt hat, zu den Top Zwanzig der globalen digital player.2

VKontakte wurde im Jahr 2006, in der Boomzeit der social-media-Anwendungen, von den Brüdern Nikolaj und Pawel Durow gegründet. Zwei Jahre später, mit der Öffnung facebooks für russischsprachige User, stellte sich VK auch der ausländischen Konkurrenz, als deren Analogon oder sogar Klon es gilt.3 

Ein „russischeres“ Netzwerk

VK wird von den russischen Usern aufgrund seiner größeren Anarchie und weniger starken Normiertheit geschätzt.4 Das Netzwerk gilt im Vergleich zu facebook als „russischer“, wobei dies nicht mit einer patriotischen Gesinnung gleichzusetzen ist, sondern mit etablierten Kommunikationsnormen. Viele russische Internet-User bedienen sich zudem verschiedener social networks gleichzeitig, halten Profile auf dem „russischeren“ VK und dem „westlicheren“ facebook und stellen damit ein flexibles Identitätsmanagement unter Beweis.

VK verfügt über rund 80 Spracheinstellungen, darunter auch ins Deutsche, daneben existieren für die russischsprachige Community ein sowjetisches und ein zaristisches Design, Relikte eines Faibles des unkonventionellen Firmengründers Pawel Durow für Aprilscherze. Ersteres enthält beispielsweise die Navigationspunkte „Meine Genossen“ oder „Emigration“.

Seine besondere Popularität verdankt VK der Möglichkeit, digitale Daten und Content in großem Umfang auszutauschen und zu konsumieren. Daraus ergeben sich zahlreiche Konflikte im Bereich des Copyright. Russische und ausländische Firmen, insbesondere aus dem Musikbereich, klagen regelmäßig gegen die Plattform wegen Verletzung von Urheberrechten.

VKontakte gilt im Vergleich zu facebook als „russischer“Ein kontroverses Thema stellt auch der Datenschutz dar. Dies bezieht sich auf das Hacken von Nutzer-Profilen und die Auswertung der Profile durch staatliche Institutionen sowie durch wirtschaftliche und private Akteure. VK wird zudem oft die Verbreitung von Pornographie, Hassrede und Rassismus vorgeworfen.

Unlängst berichten insbesondere deutsche Medien über die verstärkte Nutzung des Netzwerks durch deutsche neonazistische Kreise, die aus facebook „auswandern“, da dort hetzerische und verfassungswidrige Beiträge strikter gelöscht werden.5

Russland ist mit dem Internet-Business nicht mehr vereinbar

Von früh an begleiten die Entwicklung des Netzwerks Diskussionen um das Verhältnis zum russischen Geheimdienst FSB, der dieses angeblich sogar finanziell unterstützt haben soll.6 Im Zuge der Proteste 2011 bis 2013 bekam Pawel Durow Anfragen von Seiten der Sicherheitsdienste zur Blockierung einzelner User-Accounts und Gruppen.7 Durow, der als bekennender Anhänger eines deregulierten Internets gilt, twitterte schließlich eine provokative Absage an weitere Begehrlichkeiten von Seiten staatlicher Institutionen: ein Foto, auf dem ein Hund mit Hoodie den Ermittlern die Zunge herausstreckt.8 Der Konflikt verschärfte sich im Winter/Frühjahr 2013/2014 im Zuge der pro-europäischen Proteste in Kiew.9 Der FSB verlangte die Löschung der Accounts von Maidan-Aktivisten. Durow lehnte dies ab.10

Bereits Ende des Jahres 2013 verkaufte er seinen Anteil an VK und verließ Russland, das „leider mit dem Internet-Business nicht mehr vereinbar sei“.11 Inwiefern dabei auch ein Prozess gegen Durow wegen eines mutmaßlichen Verkehrsdelikts eine Rolle spielte,12 durch den möglicherweise Druck gegen ihn aufgebaut wurde, blieb im Unklaren. Aktuell ist das Netzwerk im Besitz der russischen Medienholding Mail.Ru Group, deren Haupt-Anteilseigner der kremlnahe Unternehmer Alischer Usmanow ist. Die Änderungen in der Eigner- und Führungsstruktur werden oft als Versuch interpretiert, die digitalen Netzwerke von Seiten des Kreml stärker zu kontrollieren.13

Verflechtung der Kommunikation und Politik

VK spiegelt die Charakteristika und Probleme der russischen Netzgesellschaft sowie die intensive Verflechtung von Politik und digitaler Kommunikation in Russland wider.14 Dies betrifft vor allem Fragen der – direkten oder indirekten – staatlichen Kontrolle der Netzkommunikation, des Datenschutzes, des Minderheitenschutzes oder des Schutzes des geistigen Eigentums.

Besonders symptomatisch ist in diesem Kontext der deklarierte staatliche Schutz von Minderheiten vor Hassrede und Rassismus. Dies vollzieht sich vor dem Hintergrund einer fragwürdigen Definition des Begriffes Extremismus in der russischen Gesetzgebung (Extremismusparagraphen 280 und 282).15 Zunehmend werden Einträge in sozialen Netzwerken als extremistisch qualifiziert und User sogar zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Die Anzahl von Verurteilungen ist im Zeitraum von 2012 bis 2015 um das Dreifache gestiegen. Rund die Hälfte der Verfahren betreffen Posts in VK, da das Unternehmen bereitwilliger mit den russischen Behörden zusammenarbeitet als facebook oder Twitter.16


1.Die internationale Positionierung wird durch den Umzug im Jahr 2012 von der Domain vkontakte.ru auf vk.com untermauert. Seitdem firmiert die Ressource auch offiziell unter dem international leichter kommunizierbaren Kürzel VK.
2.Alexa : Das Ranking ist statistisch nicht repräsentativ, bietet jedoch eine quantitative Orientierung.
3.Pawel Durow hat den Vorwurf des „Code-Plagiats“ mal als unberechtigt zurückgewiesen, mal als notwendig im Aufholrennen gegen die ausländische Konkurrenz gerechtfertigt, siehe Lenta.ru: VKontakte: Populjarnaja rossijskaja social’naja set’
4.Roesen, Tine / Zvereva, Vera (2014): Social network sites on the Runet: exploring social communication, S. 77-78, in: Gorham, Michael / Lunde, Ingunn / Paulsen, Martin (Hrsg.): Digital Russia: The Language, Culture and Politics of New Media Communication, New York, S. 72-87
5.Berliner Morgenpost: Hetze außer Kontrolle – deutsche Neonazis im russischen Web
6.spbit.ru: „vKontakte“ osvaivaet kommerciju in SPbITru
7.Lenta.ru: Glava „VKontakte“ pokazal specslužbam sobačij jazyk
8.Pawel Durows offizielle Antwort an den Geheimdienst auf die Anfrage zur Blockierung auf Twitter am 08.12.2011: Oficial’nyj otvet specslužbam na zapros o blokirovke
9.techcrunch.com: Durov, Out For Good From VK.com, Plans A Mobile Social Network Outside Russia
10.Vedomosti: Durov prodal svoju dolju vo „V kontakte“ iz-za konflikta s FSB
11.Vedomosti: Durov: Ja ne v Rossii i ne planiruju vozvraščatsja
12.Kommersant: V ofise socseti "Vkontakte" prošli obyski
13.Vedomosti: Durov: Ja ne v Rossii i ne planiruju vozvraščatsja
14.Konradova, Natalja / Schmidt, Henrike (2014): From the Utopia of Autonomy to a Political Battlefield: Towards a History of the ‘Russian Internet’, in: Gorham, Michael / Lunde, Ingunn / Paulsen, Martin (Hrsg.): Digital Russia: The Language, Culture and Politics of New Media Communication, New York, S. 31-53
15.SOVA Center (2016): Xenophobia, Freedom of Conscience and Anti-Extremism in Russia in 2015: A collection of annual reports by the SOVA Center for Information and Analysis
16.RBС: Dva goda za repost: kak vlasti borjutsja s ekstremizmom v Runete
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Lenta.ru ist ein Online-Nachrichtenportal, das Newsticker, Themen-Artikel und Meinungsbeiträge kombiniert. Mit über acht Millionen Besuchern monatlich ist die Ressource eine der populärsten ihrer Art im russischen Internet. Im März 2014 sorgte die Entlassung der Chefredakteurin für Diskussionen über die Ukraine-Berichterstattung und politische Zensur im Internet.

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Wladimir Medinski

Wladimir Medinski leitete von 2012 bis Januar 2020 das Kulturministerium der Russischen Föderation. Zu den zentralen Anliegen seiner Kulturpolitik zählten die Förderung des russischen Patriotismus sowie der Einsatz gegen vorgeblich antirussische Tendenzen in der Kultur.

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Dimitri Peskow

Dimitri Peskow ist seit dem Machtantritt Putins für dessen Pressearbeit zuständig und gilt als offizielles Sprachrohr des Kreml. Üblicherweise für die Krisen-PR verantwortlich, sorgte er mehrfach selbst für negative Schlagzeigen, unter anderem im Rahmen der Panama Papers.

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Alexej Nawalny

Alexej Nawalny ist in Haft gestorben. Er wurde in mehreren politisch-motivierten Prozessen zu langjähriger Strafe verurteilt. Aus der Strafkolonie hat er mehrmals über unmenschliche Haftbedingungen berichtet.  

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Samogon

Als Samogon bezeichnet man einen in häuslicher Eigenproduktion und für den Eigenbedarf hergestellten Schnaps. Grundlage bildet eine Maische, die in der Regel aus Kartoffeln, Früchten, Zucker oder Getreideprodukten besteht und in selbstgebauten Anlagen destilliert wird. Vor allem in den Übergangsphasen vom Zarenreich zur Sowjetunion und später während der Perestroika war der Samogon, der inzwischen fest zur russischen Alltagskultur zählt, weit verbreitet.

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Grüne Männchen

Als kleine grüne Männchen, manchmal auch höfliche Menschen, werden euphemistisch die militärischen Spezialkräfte in grünen Uniformen ohne Hoheitsabzeichen bezeichnet, die Ende Februar 2014 strategisch wichtige Standorte auf der Krim besetzt haben. Bestritt Moskau zunächst jegliche direkte Beteiligung und verwies auf „lokale Selbstverteidungskräfte“, so gab Präsident Putin später zu, dass es sich dabei um russische Soldaten gehandelt hat. Die grünen Männchen sind inzwischen zu einem kulturellen Symbol geworden.

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