„Bulgaren sind begeistert vom Lada Niva“, „Bulgaren sind Russland dankbar für Hilfe“, „Bulgaren lachen über Kiews Plan zur Einmischung in das Genehmigungsverfahren von Nord Stream 2“: Woher kommt diese Faszination der Bulgaren für alles, was mit Russland zu tun hat? Stehen die Bewohner der Balkanrepublik wirklich immer auf der Seite Putins, so wie es die Überschriften bei RIA Nowosti vermuten lassen? Und warum übersetzt eine staatliche Nachrichtenagentur eigentlich anonyme Leserkommentare?
Meduza-Investigativchef Alexej Kowaljow über einen bizarren Trend in staatlichen russischen Nachrichtenmedien – an dem er selbst nicht ganz unschuldig ist.
„Bulgaren sind begeistert von russischem [hier etwas Beliebiges einsetzen]“. Dieses Mem ist derart hartnäckig, dass es jetzt kaum einen Tweet des offiziellen Accounts von RIA Nowosti gibt, bei dem sich der geneigte Leser nicht fragt, was denn mit den Bulgaren los ist.
Angemerkt sei, dass Bulgaren sich nicht nur begeistern. Sie „äußern sich“ auch, sie „lachen über“ Dinge, sie „bewerten“ … Und zugegeben, auf den Internetseiten von RIA Nowosti zeigen auch Leser aus anderen Ländern Gefühle zu den Ereignissen in Russland unterschiedlichster Art.
Die Briten beispielsweise, die einen Artikel des Daily Telegraph über mögliche Sanktionen der USA gegen Moskau kommentieren, „haben Angst“, dass sie frieren werden, wenn Russland vom Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen werden sollte.
„Als ich eine blutjunge Reporterin war“, schreibt die Moskaukorrespondentin des Daily Telegraph und Mitautorin dieses Beitrags Natalja Wassiljewa auf Twitter, „da gab es bei uns diese Passantenbefragungen. Du gehst auf die Straße und fragst das Volk, was es denkt. Aber bei RIA sind wohl alle zu jung, um sich daran zu erinnern.“
Das Format Anonyme Leserkommentare zu Artikeln ausländischer Medien über Russland gibt es auf der Website von Inosmi schon seit Mitte der 2000er Jahre. Das Portal übersetzt Artikel ausländischer Medien und gehört zur internationalen Mediengruppe Russia Today.
Achtung, hier ein Hinweis auf einen möglichen Interessenkonflikt: Der Autor dieses Artikels und Investigativchef von Meduza, Alexej Kowaljow, schreibt im Weiteren über den damaligen Chefredakteur von Inosmi, Alexej Kowaljow. Es handelt sich hierbei um ein und dieselbe Person (Anm. Meduza).
Der ehemalige Chefredakteur von Inosmi Alexej Kowaljow, zeichnet sich für die Schaffung dieser Rubrik voll verantwortlich. Unter seiner Leitung wurden im Rahmen einer allgemeinen thematischen Ausweitung des Online-Portals nicht nur Leserkommentare zu Artikeln über Russland aufgenommen, sondern auch zu allgemeineren Themen, etwa zum Gerichtsverfahren gegen Anders Breivik oder zum Tod von Margaret Thatcher. Seinerzeit war noch nicht allgemein bekannt, dass Internetseiten ausländischer Medien mit Kommentaren professioneller Kreml-Trolle zugemüllt werden. Und es war auch noch nicht so, dass Trolle Artikel kommentierten, in denen es überhaupt nicht um Russland ging.
„Begeisterte Bulgaren“ und „in Furcht versetzte Briten“ gelangen auf die Internetseite staatlicher und regierungsfreundlicher Medien
Vom Portal Inosmi gelangen die „begeisterten Bulgaren“ und „in Furcht versetzten Briten“ auf die Internetseite von RIA Nowosti und wandern dann weiter zu anderen staatlichen und regierungsfreundlichen Medien, die beginnen, das Format zu kopieren. Immerhin geht Inosmi bei der Auswahl anonymer Kommentare zu Artikeln aus dem Ausland relativ sorgsam vor: Es landen dort positive wie kritische Anmerkungen.
Wenn die Kommentare von RIA übernommen werden, verschwinden gewöhnlich die negativen Anmerkungen. So erschien beispielsweise ein Beitrag von Inosmi vom 21. Mai 2021 unter der Überschrift Leser der Daily Mail über die neue „Putin-Rakete“: Die Russen sind Habenichtse, woher haben sie so viel Knete? Die hierfür ausgewählten Kommentare zum Artikel der Daily Mail über Tests der Hyperschall-Rakete unter der Codebezeichnung Ostrota spiegeln allgemein die Haltung der Leser dieser Zeitung wider: „Putin folgt dem niederträchtigen, von Despoten seit jeher ausgetretenen Pfad: Drohe dem eigenen Volk mit einem äußeren Feind, um es von den Misserfolgen im Innern abzulenken“, schreibt etwa der User Ravfox. Nachdem das Material zu RIA gewandert war, blieb dort nur eine Emotion übrig: „Das ist unser Ende“ – Briten in Angst vor supergeheimer russischer Rakete. Deshalb erschienenbei RIA – im Unterschied zu Inosmi – von den Kommentaren zum Artikel der Daily Mail nur die unpopulärsten Reaktionen mit den meisten Down-Votes. Übrigens ist dieser Artikel bei RIA eine weitere Variante dieses Genres über (angeblich) begeisterte Ausländer: „[Bewohner des Landes X, meist der USA] fürchten sich vor [russische militärische Erfindung].“
Was Bulgaren über die „begeisterten Bulgaren“ denken
Übersetzungen bulgarischer Kommentare, denen wir das Mem über die „begeisterten Bulgaren“ zu verdanken haben, gibt es erst seit 2020. Das ist wahrscheinlich auf eine Rotation bei den freischaffenden Übersetzern von Inosmi zurückzuführen. Im Juni 2021 schloss sich endlich der Kreis mit den „begeisterten Bulgaren“: Zu diesem Zeitpunkt berichtete das bulgarische Portal OFFNews von dem russischen Medienphänomen.
„Diese Strategie, die Meinung einzelner (womöglich trolliger) Kommentatoren als Stimme des ganzen Volkes hinzustellen, das vermeintlich einhellig die russische Außenpolitik unterstützt, wird nicht nur bei den Bulgaren angewendet“, hebt das Portal hervor. „Auf gleiche Weise werden Kommentare der Amerikaner, der Chinesen, Briten, Franzosen, Japaner usw. aufgearbeitet. Unklar ist nur, warum bei dieser Medienkampagne so viel Meldungen ausgerechnet den Bulgaren gewidmet sind“.
Die Strategie, einzelne womöglich trollige Kommentare als Stimme des ganzen Volkes hinzustellen, wird nicht nur bei den Bulgaren angewendet
Unter den bulgarischen Medien, die RIA „begeisterte Bulgaren“ liefern, ist am häufigsten das Portal fakti.bg zu finden, das dem bulgarischen Unternehmen Rezon Mediya gehört. Zu dessen Konglomerat gehören auch die populärsten Internetportale Bulgariens zum Kauf und Verkauf von Immobilien und Gebrauchtwagen. Georgi Angelow, ein bulgarischer Journalist und Autor des Artikels über die „begeisterten Bulgaren“ auf OFFNews, erklärte gegenüber Meduza, warum gerade fakti.bg bei den Redakteuren von Inosmi und RIA beliebt ist: Diese würden sich vor allem Portale aussuchen, auf denen Kommentare nur wenig oder gar nicht moderiert werden. Wahrlich ein Grund für Begeisterung!