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Aus der Heimat geworfen

Dutzende Menschen hatten sich am 11. September 2025 an der US-Botschaft in Vilnius versammelt. Sie hießen ihre Angehörigen und Freunde willkommen. 52 politische Gefangene und andere Häftlinge waren an diesem Tag vom Lukaschenko-Regime auf freien Fuß gesetzt worden. Allerdings durften sie nicht in ihrer Heimat bleiben, sie wurden zwangsdeportiert. Darunter auch Laryssa Schtschyrakowa.

Im Gespräch mit dem belarussischen Online-Medium Mediazona Belarus erzählt die bekannte Journalistin – Ende 2022 festgenommen und schließlich zu drei Jahren Haft verurteilt – ihre Leidensgeschichte, in der ihr Gesang und Folklore Halt gaben.  

Источник Mediazona Belarus

Die Journalistin Laryssa Schtschyrakowa nach ihrer Freilassung bei einem Besuch beim Belarussischen Journalistenverband BAJ in Vilnius / Foto © BAJ  

„Als wir aus der US-Botschaft kamen, erwischte ich mich bei dem Gedanken, dass ich 52 Jahre alt bin – und obdachlos“, sagt die Journalistin Laryssa Schtschyrakowa. „Ich habe nichts, kein bisschen Geld, nicht mal anständige Kleidung. Was ich in der Strafkolonie hatte, habe ich weggeworfen, das waren fürchterliche Lumpen. Ich bin 52 Jahre alt, 30 Jahre davon war ich zivilgesellschaftlich tätig, und nun wurde ich wie ein verlaustes Kätzchen aus dem Land geworfen.“ 

Laryssa Schtschyrakowa wäre regulär am 13. Januar 2026 nach der vollständigen Verbüßung ihrer Haftstrafe freigekommen. Danach wollte sie in Belarus bleiben. „Hätte man mich gefragt: ‚Laryssa, willst du das Land verlassen oder deine Strafe absitzen und bleiben?‘, dann hätte ich natürlich Absitzen und Bleiben gewählt. Ich habe zwei Jahre und acht Monate abgesessen, da hätte ich auch noch weitere vier Monate geschafft.“ 

Die Festnahme 

Laryssa wurde Ende 2022 festgenommen. Seit 2020 hatte sie in ständiger Anspannung gelebt, die Sicherheitskräfte waren aus verschiedenen Gründen immer wieder zu ihr gekommen, mehrfach wurde die Wohnung durchsucht. Auch Laryssas damals 16-jähriger Sohn Swjat litt schwer unter der polizeilichen Überwachung

„Diese Hölle dauerte zwei Jahre, der arme, traumatisierte Junge lebte in ständiger Angst, dass seine Mutter abgeholt wird. Wenn vor dem Fenster ein Hund bellte, fing das Herz an zu rasen, man dachte, sie kommen deinetwegen. Aber ich erlebte auch jeden Tag Neues, jeder Tag war ein Geschenk des Schicksals. Ich wusste, dass es immer das letzte Mal sein könnte – der letzte Spaziergang mit dem Hund, die letzte Umarmung des Sohnes. Man erlebt alles intensiver.“ 

2022 arbeitete Laryssa kaum noch als Journalistin, sie war ausgebrannt. Sie organisierte Fotosessions im Folklorestil, kaufte dafür in Dörfern und bei Auktionen belarussische Nationaltrachten. Ihre Instagram-Seite wuchs und es kam immer mehr Kundschaft. „Ich lebte auf, es war ein unglaublicher Schwung, mir gefiel, was ich machte. Es war wie ein Rausch, der die Angst verdrängt.“ 

Die Mitarbeiter der staatlichen Antikorruptionsbehörde kamen als vermeintliche Kunden zu ihr. Vor der Fotokulisse holte der Beamte seinen Dienstausweis hervor und sagte zu Laryssa: „Seien Sie jetzt nicht enttäuscht, wir kommen von der GUBASiK und haben einen Durchsuchungsbefehl.“ 

In Untersuchungshaft 

Während der Hausdurchsuchung kam Laryssas Sohn aus der Schule zurück. 

„Er kam herein und rief ‚Mama, bin da!‘ Die ganze Zeit hatte ich mich beherrscht, aber da brach ich in Tränen aus. Ich steckte sein Porträtfoto ein, das ich auch später die ganze Zeit bei mir trug. Ich drehte mich noch einmal zum Haus um, dann fuhren wir los. Sie nahmen uns beide mit. Mein Hund schaute mir hinterher. Verwandte sagten mir später, dass er drei Tage nichts gegessen hat. Als hätte er gespürt, dass ich ihn für lange Zeit verlassen hatte. Eine Art hündisches Gespür. Wir haben uns ja auch nie wiedergesehen.“ 

Laryssa kam für drei Tage in Kurzzeithaft, danach ins Untersuchungsgefängnis. Swjat kam in ein Heim, bis sein Vater, Laryssas Ex-Mann, aus Nowosibirsk anreiste um ihn abzuholen. 

„Sie brachten ihn ins Heim und nahmen ihm das Telefon weg. Er erzählte mir das ein Jahr später, mit Tränen in den Augen. Das war ein riesiges Trauma für ihn, ein Schock. Die Mutter verhaftet, er selbst auch aus der Wohnung verbannt. Später fanden sich Verwandte, die ihn regelmäßig besuchten und den Kontakt zu seinem Vater herstellten. Er war damals 16 und ein ziemlicher Stubenhocker, der sein Zuhause liebte, es war sehr hart für ihn.“ 

Ich komme nicht zurecht mit den Gefühlen, dass ich nicht bei der Beerdigung meiner Mutter war, nie ihr Grab gesehen habe. 

Laryssa verbrachte acht Monate im Untersuchungsgefängnis (SISO-3) in Homel. 

„Gefängnis ist Gefängnis, dort ist es schlimm, alles stinkt nach Rauch, aber auch daran kann man sich gewöhnen“, beschreibt sie die Erfahrung. Im Untersuchungsgefängnis traf sie auf unterschiedliche Zellengenossinnen, politische und andere. Laryssa versuchte, mit allen befreundet zu sein: Die Frauen tanzten und sangen, um sich von der tristen Umgebung abzulenken, feierten gemeinsam, unter anderem auch Laryssas 50. Geburtstag. 

„Einmal sangen wir am 8. März zusammen mit Hofgenossinnen beim Spaziergang Frauenlieder, bis sie uns auseinanderjagten. Wir sangen vor, die anderen [im Hof] stimmten ein, Schlager wie Posowi menja s soboj von Alla Pugatschowa. Das Interessanteste war, dass man uns fast bis zum Ende singen ließ, vielleicht wegen des Feiertages.“ Am selben Tag erhielt Laryssa noch ein weiteres Frauentagspräsent. Es stammte von Jauhen Merkis, einem Homeler Journalisten, der in derselben Haftanstalt einsaß. 

„Sie brachten uns Essen, Teller voller Grütze. Beim Essen las ich plötzlich auf der Wand ‚bleib stark‘. Ich dachte – ist das für mich? Als ich weiterlöffelte, sah ich die ganze Inschrift ‚Schtschyrakowa, bleib stark‘. Erst jetzt habe ich herausgefunden, dass Merkis das eingeritzt hatte, noch im Winter.“  

Während Laryssa in Untersuchungshaft saß, starb ihre Mutter. 

„Wenn Briefe mit solchen Neuigkeiten kommen, überbringt sie in der Regel ein Psychologe, um gegebenenfalls zu helfen, wenn die Person zusammenbricht. Ich weinte zuerst gar nicht, ich hatte keine Tränen. Ich kehrte in die Zelle zurück, trank sogar noch Tee, erzählte es den anderen. Dann ging ich Wäsche waschen – und da holte es mich ein. Ich weine bis heute um meine Mutter, ich komme nicht zurecht mit den Gefühlen, dass ich nicht bei der Beerdigung war, nie ihr Grab gesehen habe. Wahrscheinlich habe ich unterschätzt, wie nah mir meine Mutter stand, wie stark unsere innere Verbindung war.“ 

Die Verurteilung 

Schtschyrakowas Gerichtsverhandlung war nicht öffentlich und dauerte zehn Sitzungstage. Ihrer Einschätzung nach hat der Richter einfach Zeit geschunden. 

„Sie hatten 120 Videokassetten aus meiner Wohnung mitgenommen, mein Archiv der Jahre 2010-2012. Sie haben alle Filme transkribiert und verlesen. Meine Anwältin im Prozess verhielt sich wie ein Möbelstück, vielleicht aus Angst, ihre Lizenz zu verlieren. Aber sie schlug vor, nur das vorzulesen, was als Beweis der Schuld dienen könne. Es war sinnlos, all diese Aufnahmen unter anderem von Kupalle vorzutragen.“ 

Man warf der Journalistin Beteiligung an „extremistischen Handlungen“ und der Diskreditierung von Belarus vor. Der Staatsanwalt behauptete, Schtschyrakowa habe „eine Destabilisierung der Lage im Land angestrebt“. 

„Als Antwort erzählte ich ihnen von den Sozialrevolutionären, die Anfang des 20. Jahrhunderts danach strebten, die herrschende Ordnung zu destabilisieren und Terror als Methode wählten. Da gab es Kämpfer, die waren wirklich dazu in der Lage. Aber wie sollte ich denn die Lage destabilisieren und Ursache für schwerwiegende Folgen sein? Es war zum Heulen und ich erzählte ihnen das auch ständig. Aber ich wusste auch, dass es wenig Sinn hat.“ 

Laryssa wurde zu dreieinhalb Jahren Strafkolonie verurteilt. 

Diskriminierung von politischen Gefangenen 

„Die Kolonie erinnerte mich an die Armee. Sie setzen dort wirklich ein ähnliches Modell ein: ein strenges Regime für Soldaten, denen Disziplin beigebracht werden muss. Aber bei den inhaftierten Frauen funktionierte das nicht.“ 

Das Verhalten der Lagermitarbeiter gegenüber den politischen Häftlingen in der Kolonie beschreibt Laryssa nicht als Unterdrückung oder Zwang, sondern eher als „diskriminierende Praktiken“. 

„Wenn ein ‚weißer Häftling‘ eine Regel bricht, wird das tendenziell übersehen oder sie wird minimal gemaßregelt. Ist es aber eine ‚Politische‘, dann setzt es sofort eine harte Strafe. Entweder der Besuch wird gestrichen oder sie kommt in Isolationshaft, wenn sie zum Beispiel den Vorgesetzten reingeredet hat. Wir durften nicht zu Veranstaltungen in den Klub, wir durften keine Bücher zum Thema Psychologie mehr ausleihen, wir wurden nicht in die Turnhalle oder in die Kirche gelassen. Aber all das würde ich nicht als harten Druck bezeichnen.“ 

Im Untersuchungsgefängnis und in der Strafkolonie sprach Laryssa Belarussisch. Zu Anfang hatte sie die Befürchtung, dass man sie nicht in der Muttersprache sprechen lassen würde, doch niemand der Vollzugsbeamten sagte etwas dagegen. 

„Sie haben sich nur manchmal daran gestört. Sie mögen es nur dann nicht, wenn man nur mit den Wachen Belarussisch spricht, weil sie es dann als Affront verstehen. Aber ich sprach mit allen Belarussisch. Ich schrieb alle Anträge und Dokumente in belarussischer Sprache und sie wurden bearbeitet. Es gab nur wenige, die Belarussisch sprachen. Wolja Salatar gehörte noch dazu. Es erfordert Mut und Hartnäckigkeit. Es gab welche, die ihren Dorfdialekt sprachen, denen habe ich sehr gerne zugehört! Es gibt Regionen, da ähnelt die Sprache der Literatursprache. Aber die Leute aus Polesien, die reden ganz anders als alle anderen!“ 

Die Haftzeit sinnvoll nutzen  

Laryssas zentrale Bezugspersonen in der Kolonie waren andere politische Gefangene. 

„Die Anwesenheit dieser Menschen macht das Leben dort viel leichter. Es sind Menschen aus deinem sozialen Umfeld, die deine Werte teilen. Wir zeigten einander Fotos, lasen Briefe vor, erzählten Familiengeschichten. Das ist echte Freundschaft.“ 

Einmal leistete eine Frau Laryssa zahnärztliche Nothilfe. 

„Sie wollte Zahnmedizin studieren. Ich hatte Zahnschmerzen und die Ärztin sagte, wenn es sehr wehtut, solle ich die Plombe selbst rausholen. Ich kam aber nicht ran, also bat ich diese Frau um Hilfe. Sie nahm eine Büroklammer und holte sie für mich raus, mit rechter Begeisterung. Sie wollte wirklich Zahnärztin werden.“ 

Eine der schönsten Erinnerungen ihrer Haftzeit ist für Laryssa das gemeinsame Gebet mit den anderen Häftlingen. 

Wir waren vier Frauen, die jeden Tag zusammen beteten – für die eigene Gesundheit, für die der Familie, dass Gott uns Kraft und Einsicht geben möge für die Dämonen, die uns verfolgen.  Es war sehr ergreifend, uns kamen die Tränen.“ 

Jede freie Minute in der Kolonie versuchte Laryssa sinnvoll zu nutzen, sie lernte Fremdsprachen oder las wissenschaftliche Literatur. Sie wollte keine Zeit vergeuden. „Es gab nicht viel Freizeit, aber wenn man wollte, fand man sie. Wenn man zum Beispiel eine halbe Stunde in der Warteschlange saß, um zu telefonieren, konnte man ein Buch mitnehmen.“ Laryssa lernte Italienisch, Spanisch und Französisch.  

„Irgendwann überlegte ich, wozu ich diese Sprachen eigentlich brauche. Doch dann dachte ich, dass ich in diesen Sprachen singen möchte, Lasciatemi cantare von Cutugno, Ma perke von Celentano, Bésame mucho und die Lieder von Mireille Mathieu.“ 

Der Tag der Deportation 

Am Morgen des 11. September 2025 wurden Laryssa und mehrere andere politische Gefangene von maskierten Personen aus der Kolonie geholt. Man setzte sie in einen Kleinbus und brachte sie zum Grenzübergang Kamenny Loh an der belarussisch-litauischen Grenze. Im Bus bekam Laryssa eine Decke und Wasser, unterwegs durfte sie im Wald austreten gehen. Am Morgen des Vortages hatte die Journalistin ein Begnadigungsgesuch geschrieben. „Für mich war das ein Papier, das mich zu nichts verpflichtet und auch keinen Deal mit meinem Gewissen darstellt. Es war nur ein Zettel: Ihr wollt ihn haben, hier, erstickt daran.“ 

Laryssa dachte nicht, dass alles so schnell gehen würde. Im Gespräch mit einem Ermittlungsbeamten in der Lagerverwaltung hatte sie gesagt, dass sie Angst vor der Ausweisung aus dem Land habe. „Ich erzählte ihm, dass ich Lukaschenka hatte sagen hören, dass die Amerikaner uns rausholen können, dass er dann aber nicht wolle, dass wir in Belarus bleiben. Ich hatte ja schon fast drei Jahre abgesessen, da käme die Verbannung aus dem Land einer zusätzlichen Strafe gleich.“ 

Obwohl Laryssa damals noch nichts Genaues wusste, weder von der Freilassung noch von der Ausweisung, weinte sie nachts – sie wollte Belarus nicht verlassen. „Es kam sogar ein Offizier und fragte: ‚Schtschyrakowa, warum weinen Sie, wollen Sie etwa in der Kolonie bleiben?‘“ 

Welche Bedrohung sollte schon von mir ausgehen? Ich hätte keine Interviews gegeben, hätte mich mucksmäuschenstill verhalten 

„Ich mochte mein Zuhause so sehr, dort habe ich so viel erlebt, dort sind mein Garten und meine ethnografische Sammlung. Auch meine Gitarre ist dort, ich habe davon geträumt, wie ich nach Hause komme, mich aufs Sofa setze und drei Stunden am Stück spiele, und was ich alles singen werde – ich habe eine Karaoke-Anlage und verschiedene Mikrofone. Ich wollte mich an den Kamin setzen, alle Freunde anrufen und das Grab meiner Mutter besuchen. Gleich als Erstes wollte dort hingehen, weil ich ihr gegenüber tiefe Schuld empfinde.“ 

Schtschyrakowa meint, dass sie keine Bedrohung für die Machthaber dargestellt hätte, wenn sie im Land geblieben wäre. „Welche Bedrohung sollte schon von mir ausgehen? Ich hätte keine Interviews gegeben, hätte mich mucksmäuschenstill verhalten, so wie alle in Belarus stillsitzen und zittern. So wäre ich auch geworden. Nach dieser Erfahrung würde ich mich ganz sicher nicht mehr zivilgesellschaftlich engagieren, sondern irgendetwas mit Kultur und Volkskunst machen, wie ich das schon lange wollte.“ 

Die Hoffnung, den Sohn bald sehen zu können 

Eine Sache, die Laryssa in der Kolonie sehr vermisste, war gute Musik. Nachdem sie nach Vilnius gekommen war, erfüllte sie sich einen Wunsch: ganz allein ihre Lieblingslieder anhören. „Ich hatte diesen Traum. In den drei Jahren Kolonie war ich ja nie allein gewesen, höchstens mal zwei Minuten. Drei Jahre lang. Ich wollte also sehr gern Zeit allein verbringen, einfach mal gar niemanden sehen.“ 

Auch jetzt ist sie bemüht, zwischen Interviews und Treffen mit Freundinnen aus der Haft, die es ebenfalls nach Vilnius verschlagen hat, mehr Zeit für sich zu finden. Und sie wartet auf ihren Sohn. „Als ich ihn das erste Mal aus Vilnius anrief, wusste er schon, dass ich frei bin. Aber er konnte es noch nicht so recht glauben, sagte, ‚Mama, das ist wie ein Schock‘. Jetzt schreibt er mir die ganze Zeit, schreibt und schreibt. Man spürt, dass ihm die Mama gefehlt hat, er nutzt jetzt jede Gelegenheit, um sich mir mitzuteilen. ‚Mama, wie geht es dir? Was hörst du gerade?‘ Ich hoffe, dass er bald herkommen kann, zu mir. Solange er im Land ist, mache ich mir Sorgen um ihn.“

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Die moderne belarussische Sprache

Eine Fahrt mit der Minsker Metro verrät einiges über die sprachliche Situation in der Belarus. Die Fahrgäste unterhalten sich auf Russisch. In dieser Sprache sind auch die Bücher und Zeitschriften in ihren Händen, genau wie die Werbeanzeigen an den Wänden. Und gibt es einmal Störungen im Betriebsablauf, so erfolgt die entsprechende Durchsage ebenfalls auf Russisch. Wird jedoch ein planmäßiger Halt angekündigt, hört man aus den Lautsprechern plötzlich eine andere Sprache: das Belarusische.

Wären auf dem Gebiet der heutigen Belarus vor 200 Jahren auch schon Metros gefahren, hätte sich ein anderes Bild geboten. Russisch wäre kaum zu hören gewesen, denn die Gebiete der heutigen Belarus sind zu Beginn des 19. Jahrhunderts erst seit kurzer Zeit Teil des Russischen Zarenreichs. Zuvor hatten sie jahrhundertelang zur Adelsrepublik Polen-Litauen gehört, und deswegen wären auch zu jener Zeit die offiziellen Durchsagen der nächsten Station wohl noch auf Polnisch erfolgt. Auch die Namen der Stationen hätte man auf Polnisch ausgeschildert. Zwar hatte es im 16. und 17. Jahrhundert auf den Gebieten der Belarus bereits eine autochthone, ostslawische Schriftsprache1 gegeben, diese war aber längst vom westslawischen Polnischen verdrängt worden. Unterhalten hätten sich die Fahrgäste des 19. Jahrhunderts in unterschiedlichen Sprachen: Einige auf Polnisch, der Sprache des Adels, andere auf Jiddisch, und wieder andere in unterschiedlichen dialektalen Formen des ostslawischen Belarusischen, der Sprache der breiten Bevölkerung.

Das moderne Belarusische

Im 19. Jahrhundert setzte sich in Europa der Glaube an die Einheit von Volk, Nation und Sprache und damit das Bedürfnis nach einheitlichen Standardsprachen durch. Für die drei modernen ostslawischen Standardsprachen, für das Russische, das Ukrainische und das Belarusische, war dieses Jahrhundert das entscheidende. Auch die Idee einer belarusischen Identität gewann nun an Bedeutung und damit der Wunsch nach einer einheitlichen belarusischen Sprache. Anfang des 19. Jahrhunderts standen beide allerdings in Konkurrenz zur polnischen Sprache und Identität. Exemplarisch zeigt sich das in Biographie, Werk und Wahrnehmung der beiden befreundeten Schriftsteller Adam Mickiewicz und Jan Tschatschot. Obwohl beide am Ende des 18. Jahrhunderts unweit des heute belarusischen Nawahrudak geboren wurden, avancierte der erste zum Nationaldichter Polens, während der zweite zu einem der Gründer der belarusischen Wiedergeburtsbewegung wurde. „Von nahezu identischen Ausgangspunkten“ schlugen sie Bahnen ein, „wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten“2.

Das Polnische verlor im späteren 19. Jahrhundert in den „Nordwestprovinzen“ des Zarenreiches zunehmend seine Bedeutung. In Reaktion auf zwei Aufstände, die 1830/31 und 1863 auf den Gebieten des ehemaligen Polen-Litauens ausbrachen, nahm stattdessen der Einfluss des Russischen zu. Die westlichen Ostslawen wurden als „Teil des russischen Volkes“ betrachtet, der durch polnische Einflussnahme von diesem „entfremdet“ worden sei.3 Eine belarusische Standardsprache hatte in dieser Logik keinen Platz und wurde dementsprechend in ihrer Entwicklung behindert. Trotz dieser ungünstigen politischen Situation bildete sich bis zum Anfang des 20. Jahrhundert eine Literatur heraus, deren Sprache auf den damaligen belarusischen Dialekten aufbaute. Im Zuge der politischen Teilliberalisierung, die auf die Russische Revolution 1905 folgte, konnte das Belarusische schließlich auch in publizistischen Bereichen verwendet und stilistisch ausgebaut werden. Maßgeblich für diesen Prozess war die zwischen 1906 und 1915 herausgegebene Zeitung Nascha Niwa, das wichtigste Publikationsorgan der belarusischsprachigen Schriftsteller und Publizisten jener Zeit. 1918 wurden die orthographischen und grammatischen Regeln des Belarusischen durch Branislau Taraschkewitsch kodifiziert. Diese erste, aber nicht letzte Norm der belarusischen Standardsprache wurde nach ihrem Schöpfer als Taraschkewiza bekannt und war auf Abstand zum Russischen bedacht.

Das Belarusische in der Sowjetunion

Anfang des 20. Jahrhunderts stand die belarusische Sprache also gewissermaßen bereit, in einem künftigen belarusischen Staat die Funktionen einer Standardsprache zu erfüllen. Durchsetzen sollte sie sich jedoch letztlich nie, auch wenn es nach dem ersten Weltkrieg zunächst ganz danach aussah. Zwar gingen die westlichen Gebiete der heutigen Belarus an das neu entstandene Polen, wo eine Polonisierung der ostslawischen Bevölkerung angestrebt wurde. Im östlichen Teil, der nun als Belarusische Sozialistische Sowjetrepublik (BSSR) Teil der Sowjetunion war, erfuhr das Belarusische jedoch im Zuge der sogenannten Belarussisazyja eine nie dagewesene Förderung. Insbesondere wurde das Belarusische als Schul- und Verwaltungssprache eingeführt und auch in beträchtlichem Maße durchgesetzt.

Doch die liberale Sprachenpolitik der frühen Sowjetunion, die das Ziel verfolgte, nationale Minderheiten und ihre Eliten in den neuen Staat und die neue Ideologie einzubinden, sollte nicht lange andauern. Unter Stalin wurde 1934 das Russische zur alleinigen Sprache der innersowjetischen Kommunikation erklärt, bereits ein Jahr zuvor war es die alleinige Sprache der Armee geworden. 1938 wurde es Pflichtfach in den Schulen aller Sowjetrepubliken. Ein neues Regelwerk, die nach dem Volkskommissariat (narodny kamissaryjat) benannte Narkamauka, ersetzte 1933 die Taraschkewiza. Sie nähert das Belarusische in Grammatik, Wortbildung und Orthographie dem Russischen an. Diese Maßnahmen lesen sich heute recht nüchtern. Gleichzeitig fiel aber dem Großen Terror der 1930er Jahre auch fast die gesamte belarusischsprachige Intelligenz zum Opfer. Sich für das Belarusische einzusetzen oder lediglich Belarusisch zu sprechen, während der Kampf gegen „nationale Abweichler“ wütete, erforderte beträchtlichen Mut.

Doch nicht nur die Sowjetisierung, sondern auch der Zweite Weltkrieg hatte Folgen für die Stellung der belarusischen Standardsprache. Zwar gingen mit der sowjetischen Annexion Ostpolens 1939 große Teile des in der Zwischenkriegszeit zu Polen gehörenden belarusischen Sprachgebiets an die BSSR. Der Umstand, dass die deutschen Besatzer die belarusische Sprache im Zweiten Weltkrieg – wie auch schon im Ersten Weltkrieg – in gewissem Umfang für ihre Zwecke gefördert hatten, trug jedoch dazu bei, das Belarusische in der Sowjetunion zu diskreditieren. Vor allem aber verlor die belarusische Standardsprache ihren stärksten Trumpf gegenüber dem Russischen, nämlich die größere Nähe zur Alltagssprache der breiten Bevölkerung. Denn mit der Ermordung von Millionen Menschen und der vollständigen Vernichtung von etwa 9000 Dörfern durch die Deutschen war auch die dialektale Landschaft zu großen Teilen zerstört worden. Nach dem Krieg wurden Städte im Zuge einer raschen Industrialisierung schneller wiederaufgebaut als Dörfer. Zahlreiche junge Sprecher*innen belarusischer Dialekte zogen daher als dringend benötigte Arbeitskräfte vom Land in die rasant wachsenden Städte, wo sie sich der sozial dominanten russischen Sprache zuwandten. Hieraus resultiert die weite Verbreitung der sogenannte Trassjanka im Lande, einer gemischten Rede, die Elemente des Belarusischen und des Russischen aufweist.

Dass insbesondere in den Städten das Russische dominierte, lag einerseits daran, dass nach dem Krieg viele Russ*innen und Sprecher*innen des Russischen aus anderen Teilen der Sowjetunion in die belarusischen Städte gezogen waren, um dort Führungspositionen einzunehmen. Vor allem blieb aber auch unter Stalins Nachfolgern das Russische die Sprache des ideellen Wegs zum Kommunismus – und damit auch die Sprache des individuellen Wegs nach oben auf jedweder Karriereleiter. Seinem Ärger über eine belarusischsprachige Rede, die er wohlgemerkt auf dem 40. Jahrestag der BSSR hatte hören müssen, soll Chruschtschow mit den Worten Luft gemacht haben: „Je eher wir alle Russisch sprechen, desto eher haben wir den Kommunismus aufgebaut“.4 Das Russische hatte nun die „zweite Muttersprache“ aller nicht-russischen Ethnien zu sein. Trotz allem war das Belarusische als Unterrichtssprache bis in die Nachkriegszeit hinein aber noch recht gut vertreten. Als Eltern ab 1958 jedoch die Unterrichtssprache ihrer Kinder frei wählen durften, optierten die meisten für das in der Sowjetunion unverzichtbare Russische, nicht für das verzichtbare Belarusische.

Belarusisch im unabhängigen Belarus

Zum Ende der Sowjetzeit sah es für das Belarusische düster aus. Erst in der Perestroika-Stimmung der 1980er Jahre konnten sich national orientierte Intellektuelle für das Belarusische stark machen. Als alleinige Staatssprache der nun unabhängigen Republik Belarus erlebte es dann Anfang der 1990er Jahre einen vorerst letzten Aufschwung. Insbesondere der Anteil der Schüler*innen, die auf Belarusisch unterrichtet wurden, stieg stark an. Der Rückhalt in der Bevölkerung für die allgemeine Durchsetzung einer Sprache, die von vielen kaum benutzt und eher mittelmäßig beherrscht wurde, war jedoch nicht allzu groß. Vielen ging es zumindest zu schnell und in der postsowjetischen Wirtschaftskrise waren vielen Belarus*innen andere Probleme dringlicher. Auf diese Stimmung bauend ließ Präsident Alexander Lukaschenko kurz nach seinem Antritt im Mai 1995 ein in seiner Rechtmäßigkeit umstrittenes Referendum durchführen, das unter anderem auch auf die Staatssprache abzielte. Die entsprechende Frage war geschickt formuliert: Es ging nicht etwa darum, die Förderung des Belarusischen zurückzunehmen oder es gar zurückzudrängen, sondern darum, „dem Russischen den gleichen Status wie dem Belarusischen“ einzuräumen. Offiziell 87 Prozent der gültigen Stimmen zeigten sich damit einverstanden.

Heute sind Belarusisch und Russisch rechtlich gleichberechtigte Staatssprachen der Republik Belarus. Personen, die sich für eine stärkere Position des Belarusischen einsetzen, kann die offizielle Seite entgegnen, dass man das Belarusische ja keinesfalls zurückdränge. Man sei – so etwa Lukaschenko – lediglich dagegen, eine der beiden Sprachen mit Zwang durchzusetzen.5 Ganz ähnlich wie bei der freien Wahl der Unterrichtssprache in den 1950er Jahren ist das Belarusische ohne eine positive Diskriminierung jedoch chancenlos. Denn ob im alltäglichen Gebrauch, im öffentlichen Leben, den Medien, dem Bildungswesen, dem Buchmarkt, bei Regierungs- und Verwaltungsorganen, im Geschäftswesen, in der Wissenschaft – überall dominiert das Russische, das Belarusische spielt allenfalls eine marginale Rolle.
So gab im Zensus von 2019 zwar immerhin ein gutes Viertel der knapp acht Millionen ethnischer Belarus*innen6 an, zu Hause für gewöhnlich das Belarusische zu benutzen. Dass sich dahinter aber nicht die Standardsprache verbirgt, wird in anderen Umfragen deutlich. Können die Befragten nicht nur Belarusisch oder Russisch ankreuzen, sondern auch „Trassjanka“ oder „belarusisch-russisch gemischt“, dann sinkt der Anteil der Belarusischsprecher*innen auf unter fünf Prozent.7
 

Die Daten wurden in sieben belarusischen Städten erhoben, 1230 Menschen wurden befragt.8

Der zweifellos marginale Status des Belarusischen im Gebrauch wird zuweilen sogar in ein Argument gegen dessen Förderung umgemünzt: Dass niemand es im Alltag benutze, zeige, dass diese „Sprache der Schriftsteller“ nicht für den Alltag tauge. Das verkennt allerdings, dass das Belarusische für einige, wenn auch wenige, durchaus die praktikable und normale Alltagssprache ist. Bei dieser Gruppe handelt es sich um eine national gesinnte Minderheit, oft mit einer Vorliebe für die erste, nicht-russifizierte Norm des Belarusischen, die Taraschkewiza. Der Gebrauch des Belarusischen in der Öffentlichkeit ist ungewöhnlich und damit als Statement zu verstehen. Umgekehrt ist es jedoch keineswegs so, dass der Gebrauch des Russischen auf eine regierungstreue Haltung oder die Ablehnung einer belarusischen Eigenständigkeit schließen lässt. Die Sprachenfrage ist entsprechend auch in den gegenwärtigen Protesten „seltsam abwesend“9


Die Daten wurden in einer landesweiten Umfrage erhoben, 882 Menschen wurden befragt.10

Die Situation des Belarusischen ist heute von vielen Widersprüchen geprägt. So betrachten etwa viele Belarus*innen das Belarusische als ihre Muttersprache11, obwohl sie es kaum sprechen. Auch sehen viele die Sprache noch als wichtiges Unterscheidungsmerkmal der Belarus*innen zu den Russ*innen, stimmen jedoch der Aussage zu, dass man auch Belarus*in sein könne, ohne die Sprache zu sprechen. Grundsätzlich beherrschen solle man sie jedoch schon, auch wenn für die allermeisten das Belarusische heute eine lediglich im Klassenzimmer erlernte und auf schulische Kontexte beschränkte Sprache ist. Nach wie vor hegen aber viele junge Belarus*innen den Wunsch, dass ihre eigenen Kinder einmal nicht nur das Russische, den jasyk, beherrschen, sondern auch: die belarusische mowa.12 Ob den Belarus*innen in ihrer Mehrheit die symbolischen, aber letztlich homöopathischen Dosen des Belarusischen in Metro, Schule und anderswo ausreichen, wird sich zeigen müssen.


Anmerkung der Redaktion:

Weißrussland oder Belarus? Belarussisch oder belarusisch? Die Belarus oder das Belarus? Nicht ganz leicht zu beantworten. Da es im Deutschen keine einheitlich kodifizierten Schreibweisen für diese Bezeichnungen und deren Adjektive gibt, überlassen wir es den Autorinnen und Autoren der Gnosen, welche Schreibweise sie verwenden. Die Schreibweise in redaktionellen Inhalten (wie Titel und Erklärtexte) wird von der dekoder-Redaktion verantwortet.

 

 

Zum Weiterlesen
Bieder, H. (2001): Der Kampf um die Sprachen im 20. Jahrhundert, in: Beyrau, D./Lindner, R. (Hrsg.): Handbuch der Geschichte Weißrusslands, Göttingen, S. 451–471
Hentschel, G./Kittel, B. (2011): Zur weißrussisch-russischen Zweisprachigkeit in Weißrussland – nicht zuletzt aus der Sicht der Weißrussen, in: Bohn, Th. et al. (Hrsg.): Ein weißer Fleck in Europa ... Die Imagination der Belarus als Kontaktzone zwischen Ost und West, Bielefeld, S. 49–67
Woolhiser, Curt (2013): New speakers of Belarusian: Metalinguistic Discourse, Social Identity, and Language Use, in Bethea, David M./Bethin, Christina Y.  (Hrsg.): American Contributions to the 15th International Congress of Slavists, Minsk, August 2013, Bloomington, S. 63–115
Zaprudski, S. (2007): In the grip of replacive bilingualism: The Belarusian language in contact with Russian, in: International Journal of the Sociology of Language 183, S. 97–118

1.Moser, M. (2005): Mittelruthenisch (Mittelweißrussisch und Mittelukrainisch): Ein Überblick, in: Studia Slavica Academiae Scientiarum Hungaricae 50, S. 125–142; Bunčić, D. (2006): Die ruthenische Schriftsprache bei Ivan Uževyč unter besonderer Berücksichtigung der Lexik seines Gesprächsbuchs Rozmova/Besěda, München 
2.Kohler, G.-B. (2014): Selbst, Anderes Selbst und das Intime Andere: Adam Mickiewicz und Jan Čačot, in: Studia Białorutenistyczne 8, S. 79–94, hier S. 83 
3.Brüggemann, M. (2014): Zwischen Anlehnung an Russland und Eigenständigkeit: Zur Sprachpolitik in Belarus', in: Europa ethnica 3-4/2014, S. 88–93, hier S. 89 
4.zit. nach: Korjakov, Ju. B. (2002): Jazykovaja situacija v Belorussii i tipologija jazykovych situacij, Moskva, hier S. 39 
5.nach Brüggemann, M. (2014): Die weißrussische und die russische Sprache in ihrem Verhältnis zur weißrussischen Gesellschaft und Nation: Ideologisch-programmatische Standpunkte politischer Akteure und Intellektueller 1994–2010, Oldenburg, hier S. 112 
6.Mit ethnischen Belarus*innen sind dabei belarusische Staatsbürger*innen gemeint, die sich nicht als Russ*innen, Pol*innen, Ukrainer*innen etc. identifizierten. 
7.Kittel, B./Lindner, D./Brüggemann, M./Zeller, J. P./Hentschel, G. (2018): Sprachkontakt – Sprachmischung – Sprachwahl – Sprachwechsel: Eine sprachsoziologische Untersuchung der weißrussisch-russisch gemischten Rede „Trassjanka“ in Weißrussland, Berlin, hier S. 180; Informacionno-analitičeskij centr pri Administracii Prezidenta Respubliki Belarus’ (Hrsg.) (2018): Respublika Belarus’ v zerkale sociologii: Sbornik materialov sociologičeskich issledovanij, Minsk, hier S. 46 
8.Die Daten wurden in sieben belarusischen Städten erhoben, 1230 Menschen wurden befragt. Vgl. Kittel et al. 2018, S. 180 
9.Brüggemann, M. (2020): Demokratie nur auf Belarusisch? Eine Reise in die sprachpolitischen „Befindlichkeiten“ der Belarus, in: Bohn, T./Rutz, M. (Hrsg.): Belarus-Reisen: Empfehlungen aus der deutschen Wissenschaft, Wiesbaden, S. 53–69, hier S. 69 
10.Die Daten wurden in einer landesweiten Umfrage erhoben, 882 Menschen wurden befragt. Vgl. Hentschel, G./Brüggemann, M./Geiger, H./Zeller, J. P. (2015): The linguistic and political orientation of young Belarusian adults between East and West or Russian and Belarusian, in: International Journal of the Sociology of Language 2015/236, S. 133–154, hier S. 151 
11.In der Entsprechung zum deutschen Wort „Muttersprache“ ist weder im Belarusischen noch im Russischen von „Mutter“ die Rede. Im Belarusischen ist es „rodnaja mova“, im Russischen „rodnoj jazyk“. Das Attribut „rodnaja“ bzw. „rodnoj“ ist am ehesten vergleichbar mit dem englischen „native“. In anderen Kontexten kann es mit „leiblich verwandt“, „Heimat‑“ oder „angeboren“ übersetzt werden. Abgeleitet ist es von der Wurzel „rod“, zu übersetzen unter anderem mit „Stamm, Geschlecht“, die auch im Wort „narod“ „Volk“ vorkommt. Vgl dazu: Zeller, J. P./Levikin, D. (2016): Die Muttersprachen junger Weißrussen: Ihr symbolischer Gehalt und ihr Zusammenhang mit sozialen Faktoren und dem Sprachgebrauch in der Familie, in: Wiener Slavistisches Jahrbuch (Neue Folge) 4, S. 114–144 
12.Hentschel, G et al. 2018, S. 151 
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Gnose Belarus

Janka Kupala

Vor 80 Jahren starb die Ikone der belarusischen Literatur Janka Kupala (1882–1942). Ob es Selbstmord war oder ob der Geheimdienst beteiligt war, wurde nie richtig aufgeklärt. Seine Werke sind Klassiker, die mit dem Protestsommer von 2020 wieder brandaktuell wurden. Gun-Britt Kohler in einer Gnose über den Nationaldichter Kupala, der mit seinem Werk wie kein anderer für die schwierige Suche der Belarusen nach einem nationalen Selbstverständnis steht.

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