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Piket

Ein Piket ist ein kleinerer, stationärer Protest. Oft wird er von Einzelnen veranstaltet und bedarf dann keiner vorherigen Anmeldung. Dennoch werden Proteste dieser Art oft von der Polizei unterbunden. Seit 2012 sind die Bedingungen für diese Protestform mehrmals verschärft worden: Neben hohen Geldbußen drohen Protestierenden inzwischen auch lange Haftstrafen.

Das Wort Piket kommt aus dem Französischen (picquet) und ist dann über das Englische (picket) in die russische Sprache gelangt. Ursprünglich bezeichnete es einen spitzen Pfosten oder Pfahl, im übertragenen Sinn dann einen kleinen militärischen Vorposten und schließlich einen Streikposten. Heute steht es für kleine Proteste, die anders als das Miting (meeting) ohne Redner und Bühne auskommen und im Gegensatz zum Protestmarsch stationär sind.

Ein Piket kann vor Eingängen zu Behörden oder Unternehmen stattfinden, die Gegenstand eines Streiks oder Protests sind, aber auch einfach an belebten Orten, wo möglichst viele Passanten die Botschaft mitbekommen. Auch eine Mahnwache oder ein stummer Protest kann als Piket bezeichnet werden. Ein zentrales Attribut sind Poster, Plakate, Transparente oder Fotos beziehungsweise Kerzen oder sonstige symbolische Gegenstände, die die Botschaft des Piket verdeutlichen.

Eine besondere Bedeutung hat in Russland der Einzelprotest (odinotschny Piket) erlangt. Erstens ist dafür keine besondere Organisation oder Absprache erforderlich, was angesichts der schwachen nichtstaatlichen Institutionen in Russland von Vorteil ist. Zweitens können Einzelne hier wie anderswo inzwischen ein Publikum erreichen, das früher großen Gruppen mit weithin sichtbaren Transparenten und Zugang zu Medien vorbehalten war – dank neuer Technologien, vom privaten PC mit Drucker bis hin zur Smartphone-Kamera mit Internet-Verbindung.1 Vor allem aber müssen nach dem Versammlungsgesetz vom Juni 2004 Einzelproteste nicht vorher mit den Behörden abgesprochen werden – im Gegensatz zu anderen Formen öffentlicher Zusammenkünfte, bei denen die Anmeldepflicht in der Praxis als staatliches Vetorecht gehandhabt wird. Damit ist das Piket oftmals die einzige realistische Möglichkeit, Protest kundzugeben.

Allerdings wird auch diese Protestform in den letzten Jahren mit immer stärkeren Restriktionen belegt. Immer wieder wird von Provokateuren berichtet, die sich unaufgefordert zu einzelnen Protestierenden gesellen und deren Piket somit formal in eine anmeldepflichtige Versammlung verwandeln, die mit sofortiger Verhaftung geahndet wird. Regelmäßig werden Einzelproteste auch ganz ohne gesetzliche Grundlage von der Polizei unterbunden.2

Auch die Gesetzgebung ist in den letzten Jahren deutlich verschärft worden. Im Juni 2012, einen Monat nach dem Marsch der Millionen zum Bolotnaja-Platz in Moskau, der mit Massenverhaftungen endete und zu weiteren Protesten führte, wurde das Versammlungsgesetz geändert. Unter anderem können regionale Gesetzgeber jetzt eine minimale Distanz von bis zu 50 Metern zwischen einzelnen Protestierenden vorschreiben. Vor allem aber dürfen Gerichte eine Reihe individueller Proteste nachträglich als Versammlung qualifizieren, wenn eine „gemeinsame Absicht und Organisation“ vorliegt.3 Dadurch wiederum können Protestierende mit ebenfalls verschärften Strafen (jeweils bis zu 20.000 Rubeln) belegt werden. Es folgten Gesetze in mehreren Regionen, die zusätzlich – auch für Einzelproteste – Sperrzonen etwa um Sporthallen, Kliniken und Schulen festlegten.4

Im Juli 2014 folgte eine weitere Verschärfung, die die Autoren der Gesetzesnovelle mit den Ereignissen in der Ukraine begründeten. Jetzt drohen bei dreimaligem Verstoß gegen das Versammlungsgesetz innerhalb von sechs Monaten eine Geldstrafe von bis zu einer Million Rubel beziehungsweise in Höhe des gesamten Einkommens über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren – aber auch bis zu fünf Jahren Haft oder Zwangsarbeit.5 Drei Verfahren nach dem neuen Gesetz laufen bereits. Angeklagt sind drei politische Aktivisten aus Moskau und dem Umland, die mehrmals, darunter in Form eines individuellen Piket, gegen Wladimir Putin und seine Politik protestiert haben. Ildar Dadin (geb. 1982) verurteilte das Bassmanny-Gericht in Moskau am 7. Dezember 2015 zu einer dreijährigen Haftstrafe, statt der von der Staatsanwaltschaft geforderten zwei Jahre. Am 22. Februar 2016 ordnete das Oberste Gericht seine Freilassung an.
Die Prozesse gegen Wladimir Ionov (geb. 1939), der seit den 1980er Jahren Einzelproteste veranstaltet und sich nach Verfahrensbeginn gegen ihn in die Ukraine absetzte, und Mark Galperin (geb. 1968) sind noch nicht abgeschlossen. Alle drei werden vom Menschenrechtszentrum der Organisation Memorial als politische Häftlinge eingestuft und haben Klagen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingereicht.6


1.Gabowitsch, Mischa (2012): Social Media, Mobilization and Protest Slogans in Moscow and Beyond, in: Digital Icons 7
2.etwa in Sevastopol auf der annektierten Krim, ovdinfo.org: Ljudi v štatskom sorvali odinočnyj piket v Sevastopole
3.Federalʼnyj zakon o sobranijach, mitingach, demonstracijach, šestvijach i piketirovanijach: Artikel 7, Absatz 1.1 in der Fassung vom 8.6.2012
4.Gabowitsch, Mischa (2013): Putin kaputt!? Russlands neue Protestkultur, Berlin, S. 260
5.Artikel 212.1 des Russischen Strafgesetzbuches: Wiederholter Verstoß gegen die Vorschriften zur Organisation oder Durchführung von Versammlungen, Kundgebungen, Demonstrationen, Märschen oder Mahnwachen; Fassung vom 22.07.2014
6.zum neuen Gesetz und seiner Anwendung siehe: Mediazona: 212.1. Skolʼko raz povtorjatʼ
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