Gleb Pawlowski gab gern und viele Ratschläge, kommentierte das politische Geschehen – in den Medien, vor allem aber in den Sozialen Netzwerken. Seine Stimme galt vielen politischen Analysten in Russland als gewichtig. Als Berater für Jelzin und später für Putin war er zunächst viele Jahre Polittechnologe, für manche Beobachter zählt er gar zu den Erfindern der Polittechnologie in Russland. Irgendwann erfand sich Pawlowski neu, als Publizist, nüchterner Analytiker und scharfzüngiger Kritiker des Regimes. Nicht immer wusste man jedoch, was davon zu halten war, wenn er aus dem Nähkästchen zu plauderte.
Gleb Pawlowski gründete 1989 die erste private Nachrichtenagentur der UdSSR und lancierte sie unter dem Namen PostFactum – 27 Jahre, bevor heute der Begriff „postfaktisch“ die Debatten darum beherrscht, was wahr ist, was nicht und ob Fakten überhaupt noch zählen. Seinerzeit war Pawlowski im Milieu sowjetischer Dissidenten angedockt. Dabei war er unter anderem im Untergrund tätig gewesen, was ihm als Mitherausgeber des Samisdat-Magazins Poiski drei Jahre Verbannung in die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Komi einbrachte.
Spindoktor und graue Eminenz des Kreml
Im neuen Russland stieg Pawlowski schnell zum einflussreichen Polit-Berater auf: So rückte er in den 1990er Jahren in nächste Nähe des Kreml. Er war Mitbegründer der Stiftung für Effektive Politik (russ. Fond effektiwnoi Politiki, FEP), einer Agentur, die sich auf Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit für Politiker spezialisiert hatte. Über die FEP koordinierte Pawlowski nicht nur Boris Jelzins Kampagne für die Präsidentschaftswahl 1996 über die strategische Zusammenarbeit mit Presse und Fernsehen, sondern zog im Hintergrund auch weiter Fäden, um später Wladimir Putin Wahlerfolge zu sichern. Fürs Internet schuf er gazeta.ru, vesti.ru und lenta.ru, die seinerzeit als kremlfreundliche Portale installiert wurden. All das prägt sein Image bis heute: als Spindoktor und einstige graue Eminenz des Kreml. Manchen gilt er als Erfinder der russischen Polittechnologie schlechthin, einer gelenkten Herstellung von Öffentlichkeit und Meinungsprägung in Russland. Andere schreiben ihm gar zu, Putin erst zu Putin gemacht zu haben.1
scharfsinniger Kritiker des Herrschaftssystems
Zum Bruch mit der Staatsmacht kam es im Jahr 2011. Pawlowski soll sich gegen die Machtrochade – den Ämtertausch zwischen Medwedew und Putin – ausgesprochen haben und deshalb in Ungnade gefallen sein. Seitdem plauderte er fleißig aus dem Nähkästchen, gab angebliche Insider-Informationen preis und tat sich als scharfsinniger Kritiker des Herrschaftssystems hervor. Eines Systems, das er erklärtermaßen mitgeschaffen haben soll. So sagte Pawlowski gern von sich selbst, gemeinsam mit Wladislaw Surkow zentrale Elemente der politischen Ordnung in Russland mitinstalliert zu haben, etwa bei Gründung der inzwischen wieder in Vergessenheit geratenen Jugendorganisation Naschi oder bei Erarbeitung des propagierten Konzepts einer sogenannten souveränen Demokratie.2 Auf diese Weise inszenierte er sich auch als Strippenzieher über Deutungshoheiten zu zentralen Themen in der öffentlichen Sphäre des Landes.
Die Bezeichnung Polittechnologe hat sich Pawlowski dennoch stets verbeten3, gab sich seit seiner Kehrtwende als eine Art außenstehender Privatier, eine Stimme aus dem Off. Er war vor allem publizistisch tätig, sehr präsent in den Sozialen Medien und ein gern gesehener Interviewgast. Wenige Stunden nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine konstatierte Pawlowski in einem Interview mit Radio Svoboda: „Die Welt ist eine andere. Es wird kein Zurück geben, vergesst es. Und natürlich wird es in dieser neuen, nebulösen Welt für Russland keinen Platz geben.“4
aktualisiert am 27.02.2023